Mai 2024      

Schon drei Tage vor dem Monatswechsel sind wir im 'Nassen Dreieck' auf ein Plätzchen mit üppig blühenden Maiglöckchen gestossen. Vor vielen Jahren waren uns in Frankreich (siehe Mai 2010) diese Boten des kommenden Wonnemonats jeweils zum Kauf angeboten worden, mit der deutlichen Aufforderung, den Tag doch gebührend zu feiern. So, wie er es auch verdient habe. In Frankreich ist man offenbar romantischer veranlagt als anderswo.
Für uns kamen hier die weissen Glöckchen darum gerade rechtzeitig, mit ihrem Abbild unseren Mai-Bericht zu beginnen.

In diesem Monat waren wir auf dem Mittelland-Kanal (MLK) unterwegs. Dieser war für uns nicht wirklich neu, hatten wir die selbe Strecke doch schon einmal im April 2016 (siehe dort!) durchfahren, sowie erneut auf dem Rückweg nach Frankreich im April 2018 (siehe auch dort!). Neben dem Rhein und der Elbe stellt der Mittelland-Kanal eine der Hauptverkehrsachsen für Schiffe in Deutschland dar und bildet über eine Strecke von 325 km das zentrale Teilstück der Verbindung zwischen dem Rhein im Westen und der Oder im Osten. Er wurde in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts gebaut, während einer politisch sowie technisch sehr bewegten Zeit und ausgelegt für Schiffe mit einer Tragkraft von rund 1'000 Tonnen. Die Schiffe, die heute auf dem Kanal verkehren, sind allerdings meist grösser und können 2'000 oder gar 3'000 Tonnen laden. Sie sind dann möglicherweise nicht ganz voll beladen, folgen sich aber zu bestimmten Zeiten in fast geschlossener Kette. Transportiert werden vorwiegend Treibstoffe (Tanker), Kies und Sand, sowie alles, was es sonst noch zum Bauen braucht. Riesige Rollen mit Stahldraht, keuzen Unmengen von Metallschrott, der in die Gegenrichtung fährt. Wir sahen auch Schiffbäuche voll ganzer Baumstämme, die wohl ebenfalls als Baumaterial enden. Bei unserem letzten Besuch vor sieben Jahren hatten wir uns noch über die vielen Schubverbände aus Polen gewundert, die bis zur Wasserlinie mit Kohle beladen waren. Diese fehlten jetzt vollständig. Ein deutliches Zeichen der veränderten politischen Umstände. Etwa die Hälfte der Schiffe hatten den Laderaum abgedeckt und schützten so ihre Ladung vor dem Wetter und neugierigen Blicken.
Im letzten Monatsbericht hatten wir die Verkehrssituation mit jener auf einer Autobahn verglichen, mit dem nicht unwesentlichen Unterschied, dass hier die Fahrzeuge eben Schiffe und nicht Lastwagen sind. Obschon der Kanal breit angelegt worden ist, sind Manöver wie Überholen und Kreuzen nicht immer ganz harmlos, besonders wenn sie in Kurven erfolgen oder bei Gegenverkehr. Beladene Schiffe verdrängen eine Menge Wasser und ihr kräftiger Motor beschleunigt viel Wasser gegen hinten, das dann an anderen Stellen fehlt. Da das Volumen des Kanals beschränkt ist, bleibt das alles nicht ohne Wirkung auf die anderen Schiffe in der unmittelbaren Umgebung und das kann für Schiffe mit schwächerem Motor gelegentlich kritisch werden.
Eine unangenehme Begegnung dieser Art hatten wir schon im letzten Monat erwähnt.

Aber der Verkehr hat auch seine schönen und beeindruckenden Seiten. Schiffe haben mehr Persönlichkeit als Lastwagen. Ihrem Reiz sind wir natürlich auch immer wieder erlegen und darum möchten wir hier, über das Folgende verteilt, einfach ein paar Beispiele aufzeigen.

    

Eine Begegnung hat uns so überrascht wie gefreut: wir trafen die Saxonia von Thurgau-Travel, dem weit über unsere Landesgrenzen hinaus bekannten Schiffsreisen-Anbieter aus der Schweiz.

 

Es geht sogar noch länger!

Und noch viel länger, wenn sich zwei solche Schiffe kreuzen!


Unseren ersten Aufenthalt haben wir in Bad Essen eingeschaltet, den zweiten in Lübbecke.
Während der erste Platz richtig romantisch war, hielt uns der zweite einige Überraschungen bereit, auf die wir in diesem Umfang hätten verzichten können.

 

Uns war bislang nicht bekannt, dass in Deutschland der Auffahrtstag auch als Vatertag begangen wird. Unser Liegeplatz, an sich ruhig gelegen, entpuppte sich dann als Schauplatz eines grenzenlosen Besäufnisses von gut zweihundert, vorwiegend jungen Leuten. Von Mittag bis weit in die Nacht hinein und ohne Unterbruch becherten und feierten sie unbeschwert. Was sie feierten und warum das an der Schiffanlegestelle zu geschehen hatte, war uns zwar nicht klar, doch schien das Motto des Anlasses zu sein:  "Sie hupen, wir saufen!"  Jedenfalls wurden wir immer wieder mit einem Plakat aufgefordert, unser Horn zu betätigen. Wohl in der Annahme, damit einen Grund zum saufen zu schaffen. Das lehnten wir allerdings ab, hatten wir doch auch so genügend laute Musik und unschönes Gegröle um die Ohren. Besonders ärgerten wir uns über ihr hemmungsloses Entsorgen ihres Abfalls im angrenzenden Wald, auf dem Weg und sogar im Wasser. Dass das Ganze zum Schluss in eine Schlägerei ausartete, welche auch die Polizei auf den Plan rief, war darum nicht weiter erstaunlich.
Nicht nur deswegen bleibt uns der angebliche Zusammenhang mit dem Vatertag bis zum heutigen Tag schleierhaft.

Entsprechend war die Hinterlassenschaft am anderen Morgen alles andere als erfreulich. So hat es ausgesehen, nachdem die erste Putzequipe des Wasserschutzamtes das Gelände bereits wieder verlassen hatte.

Trotzdem bot auch dieser Liegeplatz immer wieder spannende Szenen und eindrückliche Bilder.

     

Unser nächster Stop war in Minden, etwa einen Kilometer bevor der Mittellandkanal im Wasserstrassenkreuz Minden auf zwei Trogbrücken die Weser überquert.

Damit ja niemand auf die Idee komme, wir würden uns in immerwährenden Ferien langweilen, möchten wir noch einige Bilder der Arbeiten anfügen, die wir in der Zwischenzeit so nebenbei erledigt haben: schleifen und malen der vorderen Kabinenwand beidseits, lasieren der Steuerhausfront, Neuanstrich der Gangways sowie des Bodens unter dem Peak-Rost.
Mehr davon mit Garantie demnächst!

   

Nach sechs Tagen ging unsere Reise weiter und führte uns damit gleich über eine der oben erwähnten Trogbrücken.

 Von der Trogbrücke aus ist die Aussicht auf beide Seiten bescheiden. Dabei überquert man gerade die Weser auf einer Höhe von rund 13 Meter. Diese ist an dieser Stelle durch Schleusen mit dem Mittellandkanal verbunden und so Teil der vielbefahrenen Wasserstrasse.
Wir schauten diesmal mit Interesse hauptsächlich gegen Süden und versuchten, dort der Weser zu folgen. Vor  knapp zwei Monaten sind wir ja vor dem Weserstein in Hann.Münden gestanden (siehe März 2024), wo beim Zusammenfluss der beiden kleinen Flüsse Fulda und Werre die Weser erst ihren Namen bekommt.

 

Als Ergänzung der mangelhaften Aussicht fügen wir hier eine Übersicht aus dem Internet zu.


(Foto Internet)

Die Weiterfahrt auf dem Mittellandkanal gingen wir gemächlich an. Der breite Kanal bot auch ruhige oder fast romantische Aussichten. Er führte uns durch Industriegebiete, aber auch durch offene, weite Landschaften. Auch vorbei an sehr viel frühlingshaftem Grün. Auffällig waren die vielen Vögel, deren lautes Gezwitscher für uns sogar trotz des Motorengeräuschs hörbar war. Mit einer entsprechenden App auf dem Handy identifizierten wir dann während unseren Aufenthalten gar Vögel, die wir bisher nur vom Hörensagen kannten. Jetzt kennen wir sie vom Hörensingen!
Der Schiffsverkehr der 'Grossen' nahm zwar stetig zu, aber die Kapitäne schienen rücksichtsvoller zu sein, hatten wir doch nirgendwo Probleme. Während wir bei Pollhagen, Lohnde und im Brinker Hafen in Hannover Halt machten, füllten wir den den Rest des Tages jeweils mit kleineren Arbeiten auf dem Schiff.

 

Kurz danach kamen wir zur Schleuse Anderten. Sie war 1928 eingeweiht worden. Vor uns wartete bereits ein kleines Sportboot und 500 Meter vor der Schleuse hiess uns der Schleusenwärter schneller zu fahren, damit er nicht zu lange warten musste. Normalerweise hat die Berufsschifffahrt Vortritt und wir Sportschiffer müssen warten, bis wir irgendwann reinpassen. Nun hievte er uns verzugslos fünfzehn Meter in die Höhe.

   

Damit erreichten wir das Scheitelstück des Mittellandkanals. Zehn Kilometer später machten wir am Liegeplatz bei Sehnde fest.

Was sich für uns anfühlte wie Ferien, war für andere lange Arbeit, die zumeist bis weit in die Nacht andauerte.

   

   

Wir blieben nicht lange alleine an diesem Platz in Sehnde. Im Laufe des Nachmittags machten noch vier weitere Sportboote vor uns fest.
Eines davon war die Winga, ein Schiff aus Basel, das Regina und Udo gehört. Kurz danach folgte die Esperanza mit Elfriede und Bruno aus Österreich. Am Abend wurden wir zu einem gemeinsamen Umdrunk eingeladen und da wir drei Amateur-Schifferpaare alle einen unterschiedlichen nautischen Hintergrund hatten, ergab sich rasch ein spannendes und für alle bereicherndes Gespräch.
Weil die einen, nach langjähriger Hochseesegelerfahrung, das Leben nun etwas ruhiger angehen wollen, sind sie nun regelmässig für ein paar Wochen mit ihrer Linssenyacht unterwegs. Die anderen haben sich nach vielen Jahren strenger Berufsarbeit vorgenommen, für die Pensionierung ihr Leben weitestgehend auf dem Schiff zu verbringen. Nach ihrem ersten halben Jahr als nautische Nomaden erzählten sie mit Begeisterung von ihren Erfahrungen während dieser Zeit.

Während der zwei Tage, an denen wir hier lagen und das schöne Wetter genossen, öffneten sich nach und nach immer mehr Mohnblüten auf unserem Schiff. Ihre direkten Vorfahren hatten wir im Juni 2014 (siehe dort) an Bord genommen, anlässlich eines Gedenkanlasses in Diksmuide (B), wo an seinem 100. Jahrestag an den Ausbruch des 1. Weltkriegs erinnert wurde. Dort diente der überall blühende Klatschmohn als Symbol für die Unmengen von Blut, das in diesem Krieg in den Schützengräben vergossen worden war.
Seither verwöhnen uns diese treuen Zeugen jedes Jahr mit ihrem üppigen Blütenschmuck (siehe auch Juni 2017 und Juli 2017). In diesem Jahr ergänzten sie die schönen, aber unscheinbaren blauen Leinblumen aufs Beste.

Sie blühten heuer wohl besonders intensiv, weil sich in den letzten dreissig Jahren kaum jemand hätte vorstellen können, dass wir in Europa noch einmal ein solch sinnloses Blutvergiessen erleben würden.

Nur einige Kilometer später kamen wir am Steinkohle-Kraftwerk Mehrum vorbei. Wir hatten wohl zu früh angenommen, dass diese Form der Energiegewinnung der Vergangenheit angehöre. Die gewaltige Ladeeinrichtung ruhte, weil zufälligerweise Wochenende war. Die Zentrale und der Kühlturm sind allerdings während 24 Stunden in Betrieb und im Hintergrund gerade noch erkennbar.

Die nächsten Halte machten wir in Peine und dann in Braunschweig.
Dort lagen wir dem Industriehafen gerade gegenüber und bestaunten die effizienten Bewegungen des Kranführers, der kurzentschlossen immer irgendwo den richtigen Container fand und ihn dann, ohne auch nur im Ansatz zu zögern, im engen Bauch des Schiffes präzise an seinen Platz versenkte. Das Schiff - zwei als Schuber hintereinander - wird wohl, knapp 15 km weiter, nach Backbord abbiegen und über den Elbe-Seitenkanal nach Hamburg fahren.
Und die Container von dort dann wohl in alle Welt!
Etwas erstaunt waren wir, dass ausgerechnet bei unserer Wegfahrt uns ein doppelter Schuber mit Steinkohle entgegen kam. Der erste, den wir in diesem Jahr gesehen haben. Doch irgendwer muss das Kraftwerk Mehrum ja füttern!

 

Nach so viel Technik tat der Blick durch die frisch gereinigte Windschutzscheibe gut!
(Auch putzen gehört zur täglichen Routine.)

Nach einem Halt in Edesbüttel, wo der Elbe-Seitenkanal vom MLK abzweigt, der die Schiffe nach Hamburg bringt, verliessen wir mit der Schleuse Sülfeld das Scheitelstück des MLK und stiegen 9 Meter ab zum 88 km langen östlichen Teil des grossen Kanals.

Bei der nächsten Brücke kam uns ein Fahrgastschiff entgegen, das schon von weitem durch seine Form und Erscheinung aus dem Rahmen fiel. Nachdem wir daran vorbeigefahren waren, lag die Erklärung auf der Hand: wir hatten mit der Elbe Pricesse eine moderne Form der Mississippi-Dampfer vor uns, ein Typ der besonders geeignet ist, auch bei Niedrigwasser zu verkehren. Mit einem Tiefgang von lediglich 80cm sind ihm dabei kaum Grenzen gesetzt.

 

Etwas Recherche zeigte, dass das Schiff in Frankreich immatrikuliert ist und durch die Firma CroisiEurope betrieben wird. Es verkehrt zumeist zwischen Prag, Berlin und Hamburg.


Allein die Tatsache, dass der weitere Verlauf des MLK durch den Ort Fallersleben führt, der heute ein Stadtteil von Wolfsburg ist, veranlasste uns, hier, nach einer kurzen Fahrt von nur 8 km, schon wieder Halt zu machen. Zu offensichtlich war der Zusammenhang des ungewöhnlichen Ortsnamens mit dem deutschen Dichter August Heinrich Hoffmann von Fallersleben.
Bereits ein kurzer Blick in seine Biografie hat uns klar gemacht, dass wir dem Wohnort dieses Vorkämpfers für Demokratie und Deutsche Einheit, sowie unermüdlichen Dichters und Liederschreibers einen Besuch abstatten wollten. So suchten wir uns einen günstigen Moment, wo es nicht gerade regnete und fuhren mit dem Velo dahin.

Im 19. Jh. hatte er durch sein Einstehen für einen gemeinsamen Deutschen Staat den Unmut der verschiedensten Adelsfamilien auf sich geladen. Diese hatten bis anhin unangefochten ihre Ländereien regiert und sorgten sich in allererster Linie um ihre althergebrachten Privilegien. Hoffmann war einer der ersten Professoren für deutsche Sprache und begründete mit anderen Literaten zusammen, darunter auch den Gebrüdern Grimm, aus Respekt vor der Sprache und Liebe zum Land das Lehrfach Germanistik. Trotzdem wurde er vielfach verfolgt, vertrieben und unterdrückt und verlor zuletzt sogar seine Stelle. Fast rastlos erwanderte er halb Europa, forderte weiterhin Freiheit und gleiches Recht für jeden und das Ende unverdienter Privilegien.



Splitter seines umfangreichen dichterisches Werkes sind noch heute in jedem von uns präsent, sogar wenn wir es selber gar nicht wissen. Denn nicht nur die Nationalhymne von Deutschland, das Lied der Deutschen, sondern unzählige weitverbreitete und jedem Kind bekannte Verse und Volkslieder entstammen seiner Feder. Jeder Deutschsprechende hat irgendeinmal diese Lieder gesungen und einige seiner Verse gelesen:

Alle Vögel sind schon da
Ein Männlein steht im Walde
Summ, summ, summ...
Morgen kommt der Weihnachtsmann
Kuckuck, kuckuck, ruft's aus dem Wald

 ... zumeist ohne zu wissen, wer sie geschrieben hat.

Erstaunlicherweise sind Hoffmanns Gedanken so ehrlich und gradlinig, dass selbst heute in der Politik sie so manche gerne für sich in Anspruch nehmen, unabhängig davon, welcher politischen Richtung sie sich persönlich auch zurechnen mögen. Das tönt zwar gut, aber der Missbrauch ist direkt programmiert.

Im kleinen Ort mit vielen schönen Riegelhäusern findet man Hoffmanns Geburtshaus und ein kleines Schloss mit Museum, das seinem Werk gewidmet ist. Und, fast ebenso wichtig, ein eindrückliches altes Brauhaus.
Die unerwartete Begegnung mit Hoffmann von Fallersleben war für uns Erlebnis und Bereicherung zugleich.

   

Am letzten Tag des Monats legten wir nach einer knapp halbstündigen Fahrt im Zentrum der Autostadt Wolfsburg an, gerade gegenüber der Fabrik.
(Siehe auch Mai 2016 und April 2018)

 

Monat Mai 2024:
- 30h 30'
- 2 Schleusen
- 217 km

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