Juni 2023   

Es gehört zum Wesen des Unterwegsseins, dass sich die Umgebung immer ändert und damit auch die Bedingungen, mit denen man sich auseinandersetzen muss. So überraschte es uns auch nur für einen kurzen Moment, als eine unserer Toiletten plötzlich nicht mehr funktionierte. Schwieriger wurde es, als wir feststellen mussten, dass es einen geeigneten Ersatz in Holland offenbar nicht gibt. Unser System ist mit französischen Komponenten aufgebaut, von denen es entsprechendes in Holland nicht gibt. Also bestellten wir bei einer Firma in Frankreich, aber die liefern nicht nach Holland. Darum musste eine Mediatorfirma her, welche den Transport übernimmt. Was schon kompliziert tönt, ist in Wirklichkeit noch viel komplizierter: es klappte überhaupt nicht. So mussten wir uns mit warten und organisieren zwei Wochen um die Ohren schlagen und versuchen, trotzdem aus der Zeit das Bestmögliche zu machen.

Wir verliessen Alkmaar am 2. Juni, fuhren aber nur eine gute Stunde südwärts ins Alkmaarder-Meer und machten dort bei einer kleinen Insel fest. Diese gehört zwar einem privaten Verein, ist aber offenbar gerade darum sehr gepflegt und hat viele schöne Liegeplätze. Kaum hatten wir das Schiff vertäut, wurden wir aufs Freundlichste vom Gärtner begrüsst, der auch gleich die Liegegebühr einzog. Danach hatten wir es einfach mal behaglich und waren beinahe allein.

    

 Am dritten Tag tauchten aber zwei resolute Damen auf und erkärten, sie gehörten zum Vorstand des Vereins. In dieser Funktion befahlen sie uns, die Insel umgehend zu verlassen. Für Schiffe von mehr als 15 m sei hier kein Platz. Das war für uns neu. Dagegen hatten wir nur schlechte Argumente und reisten darum weiter. In der Markervaart fanden wir einen Liegeplatz, der zwar weniger romantisch war und deutlich lärmiger, dafür aber nichts kostete. Hier konnten wir sogar vier Tage liegen bleiben. Wir nutzen die Gelegenheit für ein paar kleine Wanderungen in der weiten Landschaft und einige kleinere Malerarbeiten am Schiff.



 Um auf die andere Seite des Kanals zu gelangen, mussten wir jeweils mit der Fähre übersetzen. Das ging etwa 20 Sekunden und kostete 1.20 Euro pro Person. Die kurze Fahrt brachte uns nach De Woude. Ein üppig blühendes und gerade dadurch gemütliches, kleines Dörfchen, das auf einer Insel liegt und daher einzig über diese Fähre erreichbar ist. Oder mit dem Schiff! Kein Wunder also, dass es gerne von Schiffausflüglern besucht wird und darum meist viel mehr Gäste als Einwohner hat. Am Abend kehrt dann wieder Stille ein.

     

Zweimal wanderten wir auf dem Damm um den ganzen Polder herum. Jedes Mal etwas mehr als sieben Kilometer. Ein Polder, wir wissen es doch bereits, liegt unter dem Pegel des Wassers in seiner Umgebung und muss entsprechend ständig, zumeist mit Windmühlen, entwässert werden.

 

Als unsere Zeit hier abgelaufen war, kehrten wir wieder nach Alkmaar zurück und legten erneut an der Bierkade an. Genau dort, wo wir doch erst vor ein paar Tagen weggefahren waren. Als am Sonntagabend die Wasserpfadi zurückkehrte, machten wir an deren Mutterschiff fest und hatten so für die nächsten Tage ein geschütztes Plätzchen. Gleichzeitig war der Meldesteiger wieder frei, genau so, wie es die Hafenmeisterin gewünscht hatte. Bei dieser Gelegenheit konnten wir einmal mehr feststellen, dass die Wasserpfadi jungen Leuten offenbar eine gründliche Ausbildung im Umgang mit Schiffen bietet. Jeweils übers Wochendende fahren die Gruppen auf den See hinaus, wo sie auf dem Mutterschiff leben und während des Tages mit den kleinen Schulschiffen Wind, Wellen und Wasser kennen lernen. Ganz nebenbei lernen sie noch einiges über Tradition und Geschichte ihres Landes. Jedenfalls waren sie alle ausserordentlich freundlich, als sie uns beim längsseits gehen behilflich waren.

  

Während der folgenden Tage haben wir uns erneut in der gemütlichen Stadt umgesehen und das nun endlich vorherrschende Sommerwetter genossen.
Als besondere Sehenswürdigkeit gilt das Haus mit der Kugel, wo die Jahrzahl unter der Kugel Zeugnis abgibt, über den Krieg mit den spanischen Besetzern, bei dem sich ausgerechnet in Alkmaar das Kriegsglück nach mehreren Jahrzehnten auf die Seite der Holländer zu schlagen begann. Nach der Überlieferung hatte diese Kugel allerdings nur ein Spinnrad zerstört und den Stuhl, auf dem das Mädchen gesessen hatte, das gerade am Spinnrad arbeitete. Dass dabei das Mädchen unverletzt blieb, ist wohl schönstes Zeugnis dafür, wem das Glück damals hold war. Das letzte Bild in der unteren Reihe ist eine fast identische Wiederholung einer Foto, die wir auch schon im Juni 2015 gemacht hatten (siehe dort).

       

Da weiteres Warten offensichtlich kein Ergebnis bei unseren Bemühungen für die dringliche Reparatur brachte, sind wir gegen Mitte Juni weitergefahren. Erneut durch das Alkmaarder-Meer und weiter südwärts auf der Zaan bis nach Wormerveer. Der Name bezeichnet den Ort, wo früher die Fähre nach Wormer weggefahren war. Dort gab es in einer weiten Flussbiegung viele freie Anlegeplätze und wir hatten ebensoviel Zeit. Das Wetter war weiterhin sommerlich und die Leute schienen sich für die Sommerferien warm zu laufen.
Am Abend fühlte es sich an unserem Anlegeplatz gerade so an, als wären wir irgendwo im Süden.

Am Morgen war dann zwar etwas vom Zauber weg, aber schön war es noch immer.
Darum blieben wir gleich für ein paar weitere Tage da.

Ganz in der Nähe sind wir auf ein beeindruckendes Haus gestossen, das offenbar zum Verkauf ausgeschrieben war. Der Beruf des Besitzers ist deutlich angeschrieben. Auch die Rückseite lässt kaum Wünsche offen. Ein dichter Baumbestand im Garten sorgt für Idylle und reichlich Privatsphäre.

 

Unmittelbar hinter dem Garten liegt unter mächtigen Eichen ein etwas verwunschener, alter Friedhof. In seiner unmittelbaren Nähe zur Arztpraxis wirkte er wie eine Parodie. Hatte der Mediziner nur hoffnungslose Fälle behandelt oder kannte er 'todsichere' Behandlungsmethoden?

  

Während wir uns - etwas amüsiert - die möglichen Antworten durch den Kopf gehen liessen, sind wir an verschiedenen Stellen auf hellblaue Eierschalen gestossen. Ostern war doch schon lange vorbei! Manchmal waren auch Futterreste zu sehen, die uns erste Hinweise auf den Ursprung unserer Funde gaben. Erst danach ist uns das fortwährende laute Krächzen aufgefallen, das uns rasch auf andere Gedanken brachte. Mit der BirdNET-App, mit der wir schon öfter sehr gute Erfahrungen gemacht hatten, suchten wir nach dem Schreihals und erhielten eine klare Auskunft: Kanada-Reiher (Ardea herodias), ganz sicher! Die anschliessende Google-Suche zeigte dann, dass es sich dabei um den grössten Reiher des amerikanischen Kontinents handelt.

  

Er ist deutlich grösser als unser Graureiher und vorwiegend in Nordamerika zu Hause. Eigentlich kommt er bei uns nicht vor.
Tut er aber offensichtlich doch!
Bei genauerem Hinsehen fanden wir einen der Vögel prominent in einer Baumkrone und rundherum mehrere Nester, die alle besetzt waren. Unter allen Nestern war der Boden grossflächig weiss versch ... mutzt. An Futter fehlt es also offensichtlich nicht.
Und vielleicht gefällt es diesen Einwanderern gerade darum hier, genauso wie es den grünen Papageien (Halsbandsittiche) in Amsterdam gefällt, die wir auch hier schon ein paar Mal gesehen und gehört haben.

Am nächsten Tag erschien hinter unserem Schiff die Feuerwehr, ohne Blaulicht und ganz ohne Eile. Es war also nichts passiert. Die Uniformierten legten Schläuche und entnahmen damit dem Kanal Wasser. Dann bildeten sie zwei Gruppen, als wollten sie sich mit dem Wasserschlauch duellieren. Aber sie richteten die Wendrohre in der Weise, dass sich die Wasserfontänen in der Luft begegneten.
Dazu sprach Gruppenführer ein paar besinnliche Worte. So feierten sie den Gedenktag für ihre im Einsatz verstorbenen Kameraden, wie sie das offenbar jedes Jahr tun, immer am dritten Donnerstag im Juni.
Eine kleine und trotzdem besinnliche Feier.

 

Auf der Weiterfahrt in Richtung Zaandam kam es während der Wartezeit vor der Eisenbahnbrücke zu einem kleinen Stau. Wir legten der Einfachheit halber am Hotelschiff  'Sarah' an und hielten einen kurzen Schwatz mit dem Kapitän, der seinen Gästen vorausfuhr, die ihm mit ihren Fahrrädern über den Landweg folgten. Am Abend werden sie es schätzen, ein gepflegtes Nachtessen zu bekommen und wieder im selben Bett schlafen zu können, wie in der letzten Nacht. In Holland eine offensichtlich beliebte Art, mit wenig Aufwand und mit dem eigenen oder gemieteten Fahrrad das Land kennen zu lernen. Für weniger sportliche gibt es das selbe für etwas mehr Geld auch mit Elektrofahrrad.
Eigentlich schön, dass wir auf unserer Mizar so leben dürfen, wie andere Ferien machen.

Nur ein paar hundert Meter nach der Eisenbahnbrücke legten wir auf der linken Kanalseite an, unmittelbar vor einem DEKA-Markt. Wir waren damit am nördlichen Rand von Zaandam, hatten eine bequeme Anlegestelle und einen Einkaufsmarkt unmittelbar vor der Türe. Die Stadt lag, mit dem Fahrrad schnell erreichbar, vor uns. Der Verkehr auf dem Wasser war erstaunlich rege. Die Holländer bewegen bekanntlich gerne und mit sichtbarem Stolz gut gepflegte, historische Schiffe. Zeitweise folgten sich mehrere Frachter unterschiedlicher Art und Länge kurz hintereinander. Vervollständigt wurde die Parade durch Kreuzfahrtschiffe und unzählige Ausflugsboote. So wurde uns während diesem Stopp keinen Moment langweilig.

 

Unsere Aufmerksamkeit unter all diesen Schiffen erregte vor allem die Augusta Maria, in der Matz innerhalb von Sekunden die ehemalige Saudade erkannte. Mit dieser waren Annette und René während Jahren unterwegs gewesen, zu Zeiten, als dabei vielleicht noch etwas mehr Neuland befahren wurde als heute. Wir hatten die zwei zum ersten Mal in Leer getroffen (siehe November 2012), als wir den Hafen dort als allfälligen Winterliegeplatz erkundeten. Seit sie von ihrem Schifferleben und von ihrer Saudade Abschied genommen hatten, wohnen sie in einer schönen Wohnung direkt am Stadthafen von Leer, von der aus sie einen wunderschönen Blick über die ganze Schifferszene geniessen.

Im Oktober 2015 (siehe dort und April 2016) hatten wir dann unseren Plan ausgeführt und unsere Mizar direkt unter ihren Augen für den Winter geparkt. Wir waren froh zu wissen, dass immer mindestens vier wachsame Augen auf unserem Schiff ruhen würden. Rein zufällig wohnte in diesem Winter ohnehin eine kleine Schweizer-Schiffs-Kolonie in der ostfriesischen Stadt.

In der Hoffnung, für unser immer noch hängiges technisches Problem endlich eine Lösung zu finden, machten wir einen Besuch in jener Werft in Zaandam, bei der wir vor neun Jahren (siehe Oktober 2014) mit unserer Mizar im Trockendock waren. Die Werft, die damals unter dem Namen Schiffswerft Vooruit arbeitete und vorwiegend Frachtschiffe betreute, firmiert heute unter dem Namen Amsterdam Yacht Service. Entsprechend findet sie ihre Kunden jetzt eher unter den Besitzern beeindruckender und eleganter Yachten. Wir gehören da nicht wirklich dazu. Trotzdem hätten sie, so die Auskunft des Geschäftsführers, unsere Toilette, sogar das französische Produkt, selbstverständlich liefern und einbauen können. Unsere Bestellung war zu dieser Zeit aber immer noch irgendwo unterwegs und wir entsprechend ratlos. Man hat bekanntlich nie ausgelernt und wir erfuhren einmal mehr, dass viele Dinge gerne anders laufen, als wir das geplant hatten.


Ein nachhaltiges Erlebnis war unser Besuch im Zar-Peter-Haus in Zaandam. In diesem Haus wohnte im Jahr 1697 der russische Zar Peter der Grosse. Als einfacher Zimmermann, unter dem Pseudonym Peter Michailow, erlernte er hier, obwohl er schon seit 15 Jahren Russischer Zar war, den Schiffsbau von der Pieke auf. Ganz so, wie es ihm während seiner Jugendzeit der holländische Kaufmann Franz Timmermann empfohlen hatte.
Der kleine Peter, 1672 in Moskau geboren, wurde bereits im Alter von 10 Jahren auf Grund der Thronfolgeregeln zum Herrscher über Russland ernannt. 1695 hatte er als Zar Peter der Grosse, der übrigens mit über 2 m Körpergrösse diesen Namen zu Recht trug, in seiner Heimat den Bau einer russischen Marine veranlasst. Erst zwei Jahre später erlernte er hier in Zaandam, mittlerweile als 25-jähriger Mann, selber die handwerklichen Fähigkeiten für den Schiffsbau. Beeindruckt von dem, was er hier sah und lernte, schickte er mehrere hundert holländische Schiffsbauer zur Arbeit nach Russland. Schon nach weiteren zwei Jahren gewann er mit seiner neuen Flotte eine Seeschlacht gegen die Osmanen und eroberte deren Festung Asow am östlichen Ende des Asowschen-Meers. Mit diesem Sieg über das Osmanenreich verschaffte er seinem bislang eher als rückständig geltenden Land die Grösse und Bedeutung, gegen die in den folgenden Jahrhunderten mehrere Armeen vergeblich anrannten.
Für uns war es ein beklemmendes Gefühl, dass ausgerechnet während unseres Besuchs um die selbe Gegend erneut ein Krieg entbrannt war, aus dem einzigen Grund, weil ein Kleiner gerne selber so gross wie Peter der Grosse sein möchte.

Trotz aller Möglichkeiten, die einem Zaren eigentlich zur Verfügung gestanden hätten, hat Peter der Grosse es immer wieder vorgezogen, auch das Leben der einfachen Leute kennen zu lernen. Darum hatte er sich für seinen Aufenthalt in Zaandam ein kleines Holzhaus mit drei winzigen Räumen bauen lassen. Dieses Holzhaus, auf so manches anfällig, wie es eben Holzhäuser sind, wurde im 19. Jh dank enger Zusammenarbeit vom russischen Zaren und holländischem Adel mit einem kunstvollen Überbau geschützt. Dieser ist heute fast eindrücklicher als das ursprüngliche Haus selber. Immerhin erlaubt er uns, eines der ältesten Holzhäuser in Holland noch jetzt in gutem Zustand zu besuchen. Dass man bei einem solchen Besuch nirgendwo seinen Namen hinkritzeln sollte, ist offensichtlich seit jeher nicht allen Besuchern bekannt.

 

        

Wir nutzten die Gelegenheit und blieben über eine Woche an diesem bequemen Ort, während der wir immer wieder versuchten, unser 'Problem', das uns schon den ganzen Monat beschäftigt hatte, zu lösen. Regelmässig versuchten wir, die zuständigen Firmen zu kontaktieren, erhielten aber kaum eine Antwort und schon gar keine, mit der wir etwas hätten anfangen können. Immerhin herrschte während der ganzen Zeit schönes, warmes Sommerwetter und wir konnten uns entsprechend sorglos um alles kümmern, was uns im Moment beschäftigte.

Am Ende des Monats bekamen wir eine Email mit der Nachricht, dass unsere Bestellung wegen Lieferproblemen storniert worden sei und uns das Geld bald rückerstattet würde.
Auch eine Art von Happy-End, obwohl es uns zurück auf Feld eins brachte ...

So fuhren wir kurz vor dem Monatsende weiter südwärts, über Strecken, die wir schon ein paar Mal befahren hatten. Zuerst auf der Zaan, dann durch den Zijkanal. Danach fuhren wir auf dem riesigen Nordseekanal Richtung Westen. Dabei wechselte die Kulisse gründlich und das trübe Wetter half mit. Wir bewegten uns zwischen Hochseeschiffen auf dem Wasser und Container-Terminals am Ufer.

     

Wir kamen an den zwei unermüdlichen, herzergreifenden kleinen Holländern vorbei, die schon in unserem Beitrag vom Mai 2018 (siehe dort) für das Titelbild Modell gestanden hatten.

Beim Abbiegen in die Spaarne wurden wir von der Besatzung eines Segelbootes auffallend freundlich begrüsst und wir bemerkten dabei zu spät, dass die Begeisterung nicht uns, sondern dem Namen unseres Schiffes gegolten hat. Denn das Segelschiff, von dem die Grüsse kamen, hiess ... Mizar.

Bevor wir unser Ziel erreichten, mussten wir noch eine Schleuse und ein paar Brücken passieren. Dann legten wir, einmal mehr, im Zentrum von Haarlem an!
Doch davon mehr (und hoffentlich noch viel mehr!) im nächsten Monat.

Monat Juni 2023:
- 12h 40'
- 2 Schleusen
- 10 Brücken
- 62 km

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