Oktober 2022   

Am Morgen des nächsten Tages erwachten wir im Hafen der Jachtwerf Nerushoek.
Das ist ein kleiner, gemütlicher Hafen im kaum grösseren Dorf Terherne. Der Besitzer des Hafens wohnt mit seiner Frau auf dem Hafengelände, gemeinsam mit seinen Eltern. In zwei kleinen Gebäuden, denen man ihre lange Geschichte ansieht. Schon seine Grosseltern hatten hier gelebt, allerdings vom Fischen und vom Betrieb einer kleinen Schenke. Heute ruhen diese auf dem Friedhof bei der kleinen Kirche ganz in der Nähe. Ein paar andere Fischereibetriebe hatte es damals wohl auch noch gegeben, zusammen mit ein paar Bauernhöfen. So lebten alle Bewohner wahrscheinlich ein bescheidenes Leben von den Ressourcen der kleinen Insel im Sneekermeer. Erst nach 1908 wurde eine Verbindung zum Festland gebaut.

  

Seither hat sich Terherne entwickelt, zusammen mit der ganzen Region, vom einfachen Fischerort hin zum Freizeit- und Ferienzentrum. Dass das Dorf heute fast ausschliesslich für und von den Touristen lebt, das haben wir bemerkt, als am 3. Oktober, einem Montag, der einzige Lebensmittel-Laden seine Türen geschlossen liess. Bis Ende März 2023 würden sie geschlossen bleiben, verkündete der Zettel - fast beiläufig - im Schaufenster. Innert weniger Tage wurde es deutlich ruhiger auf der Strasse. Für die Verbindung zur Aussenwelt sorgte lediglich eine Busverbindung nach Leeuwarden im Norden und Heerenveen im Süden. Ansonsten waren wir auf das Velo angewiesen oder gingen zu Fuss. In diesem Ausmass hatten wir die Veränderung nicht erwartet. Immerhin öffneten einige der Restaurants wenigstens über die Wochenenden.
Natürlich gibt es noch mehrere Betriebe, die während des Sommers Boote vermieten und reparieren, Jachten im Schuss halten und damit deren Besitzern die Arbeit abnehmen, die Schiffe halt so mit sich bringen. Aber die meisten vermieteten um diese Jahreszeit schlicht Liegeplätze für den Winter und hatten gerade jetzt alle Hände voll zu tun.

Am ersten Sonntag reiste Matz nach Leeuwarden zu einem Treffen der Urban Sketchers Nederland (was sind Urban Sketchers?).
Die Sektion Urban Sketchers Friesland  hatte zu einem National Sketch Day eingeladen.

Allerdings meinte es Petrus anfangs nicht so gut mit den ca 70 Teilnehmern - es regnete in Strömen!

Die meisten fanden aber immer wieder einen trockenen und warmen Platz in einem Café mit guter Aussicht. Später, als der Regen etwas nachliess, auch draussen unter grossen Schirmen.

     

Zum Abschluss des Tages versammelten sich alle gegenüber dem Wahrzeichen von Leeuwarden, dem Oldehove (der schiefe Turm von Leeuwarden), um ebendiesen zu zeichnen.
Den ganzen Tag mit dabei war auch die jüngste Teilnehmerin, die sechsjährige Ineke, hier mit ihrer Version des schiefen Turms!

  
Ein gelungener Tag, besten Dank an die Urban Sketchers Friesland für die Organisation!

Wenn immer das Wetter uns es gut mit uns meinte, fuhren wir mit dem Velo über die langen, oft schnurgeraden Strassen durch die Landschaft, wie hier nach Akkrum ...

  

... oder durchwanderten die kleineren Wege zu Fuss. Während sich im ersten Fall zumeist der unausweichliche Wind uns entgegenstellte, der hier fast pausenlos von irgendwoher über die Ebene weht, waren es im zweiten gelegentlich die unterschätzten Distanzen, die endlos in diese Ebene hinaus zu wachsen scheinen. Dabei haben wir hier erstmals ein Knotenpunkt-System für Fussgänger angetroffen, wie wir es im Juli dieses Jahres (siehe Juli 2022) schon für die Velofahrer beschrieben hatten. Auch hier wiesen kleine Wegweiser die Richtung nach den nächstgelegenen Knotenpunkten, welche auf überall erhältlichen Karten verzeichnet sind. Diese wiederum erleichtern das Planen von Wanderungen ganz erheblich. Aber hier lohnt es sich besonders, recht gründlich hinzuschauen, will man nicht plötzlich statt als Spaziergänger, als echter Wanderer viel länger unterwegs sein. Eindrücklich machte uns die weite Landschaft klar, dass der (Lebens-)Weg immer weitergeht, bis man, oft unerwartet, vor einem (Wasser-)Graben steht.
Zum Glück gibt es fast überall Brücken!

     

Im Wissen, dass unsere Zeit hier langsam ihrem Ende entgegen geht, mussten wir darauf achten, dass bei unserer Abreise der Vorratsschrank (und vor allem der Tiefkühler) möglichst leer sein wird. Darum gab es halt unser erstes Fondue, bevor es wirklich Winter wurde.

Aber auch andere eilten der Zeit offensichtlich voraus. Bei einem Besuch in Joure waren wir doch sehr erstaunt, dass - in der Mitte des Monats Oktober, kaum waren die Äpfel reif geworden - wir bereits vor endlosen Auslagen mit Weihnachtsschmuck standen. Ein Anblick, den wir so wirklich nicht erwartet hätten.

  

Dafür überraschte uns das Museum Joure mit seinen sehenswerten Ausstellungen zu verschiedenen Betriebs- und Handwerksberufen, die das Leben vor nicht allzulanger Zeit geprägt haben.
Den Anstoss zu diesem Museum hatte der erste Laden von Douwe Egberts gegeben, der an dieser Stelle eröffnet worden war.
Egbert Douwes war als junger Mann und typischer Holländer während Jahren zur See gefahren und hat dabei so manches entdeckt, was er gerne nach Hause mitbrachte. In seiner Heimat eröffnete er dann einen Laden und handelte erfolgreich mit Kolonialwaren. Vor allem mit Kaffee, Tee und mit Tabak. 1780 wurde der Laden von seinem Sohn Douwe Egberts übernommen, dessen Name der Betrieb noch heute trägt. Im Laufe der Zeit und durch die Arbeit von mehreren Generationen der Familie Egberts ist daraus ein Weltkonzern hervorgegangen, dessen Markenzeichen und Signete für jeden Holländer zum Alltag gehören: D· E und Pickwick.

Da diese Genussmittel zum plaudern und geniessen auffordern, gehört in die Eingangshalle das entsprechende 'Werkzeug': ein gemütlicher Sessel zum plaudern und geniessen.

Die komplizierte Maschine, die unermüdlich Teebeutel faltet, abfüllt und verpackt, steht hier genau so vor dem Vergnügen wie eine kunstvoll gestaltete Kaffeemühle vor der duftenden Tasse.

     

Nach genauer Anleitung kann jeder Besucher selber seinen 'eigenen' Teebeutel herstellen und mit nach Hause nehmen.

Das Museum zeigt aber auch andere Berufe, welche in der Gegend erfolgreich betrieben worden waren, wie etwa Uhrmacher, Buchdrucker, Kupferstecher und Messinggiesser. Das alles in alten Betriebsgebäuden oder Wohnhäusern der Famile Egberts und ihren Angestellten.
 Bei uns etwas weniger bekannt sind die friesischen Pendeluhren, deren Herstellung von Grund auf und detailliert dargestellt wird.

  

Oder die Metallgiesserei, die Uhrenbestandteile, Werkzeuge und Gebrauchsartikel herstellte ...

  

... und die Druckerei, in der ein freundlicher Mann extra für uns ein persönliches Buchzeichen druckte (Titelbild), das kaum zutreffender hätte sein können:
Lerne von gestern - träume von morgen - lebe heute

  

So beschaulich hatte Industrie einmal angefangen!

Inzwischen war es endgültig Herbst geworden.
An den Spinnennetzen glitzerten Wassertropfen im feuchten Morgenwind, während draussen verschiedene Pilze unsere Aufmerksamkeit auf sich lenkten.

  

Am letzten Wochenende, sozusagen zu unserem Abschied, hatte sich die kleine Gemeinde etwas besonderes einfallen lassen. Mit grossem Aufwand wurde eine Ausstellung aufgebaut, die das ganze Dorf mit einschloss: Die Proef de Kunst 2022. An 35 Standorten, die über das ganze Gemeindegebiet verteilt waren, boten unterschiedlichste Künstler oder sonst begabte Einwohner Kostproben ihrer Tätigkeit an. Da sie sich ganz unterschiedlicher Techniken bedienten, um ihren Ideen und Fähigkeiten Ausdruck zu verleihen, musste sich der Zuschauer immer wieder auf Neues einstellen. Die Lokalitäten waren so unterschiedlich wie die Protagonisten, vom Wohnhaus zum Restaurant bis zur Werkstatt.
So verschlafen der Ort in den Tagen zuvor ausgesehen hat, so lebendig wurde er während diesen beiden Tagen. Damit der Weg zwischen den verschiedenen Standorten nicht zu weit wurde, sorgten mehrere Wassertaxis für einen bequemen Transport zwischen den Schwerpunkten. Mit dem Kauf einer Couponkarte (5-hapjes strippenkaart) konnte man sich je nach Geschmack in mehreren Restaurants kleine Leckereien zum passenden Getränk auswählen. Selbst mehrere kleine Orchester sorgten an wechselnden Orten für Stimmung, während für das jüngere Publikum kreative Workshops zur Verfügung standen. Kurz, ein bunter Strauss von Ideen, mit denen wirklich jedem etwas geboten wurde.

  

  

     

Bei einer der kleinen Bootsfahrten zwischen den Ausstellungsorten sind wir unerwartet unserem 'Partnerschiff' begegnet. Mizar ist ja der Name eines bekannten Doppelsterns in der Konstellation 'Grosser Bär' im nördlichen Nachthimmel. Alcor ist sein kleiner Begleiter, der eigentlich erst den grossen wirklich berühmt gemacht hat. Gelegentlich auch als Reiterlein bezeichnet, ist er für Leute mit guter Sehkraft und bei guten Bedingungen von blossem Auge gerade noch sichtbar und dient so als Augentest.
(Mehr dazu unter dem Link 'die Mizar' auf unserer Startseite und folge dann dem Link 'Name')

     

Einer mit eindrücklichem, weissem Schnauz liess sich von diesem ganzen Betrieb nicht aus der Ruhe bringen. Er hat sich ganz offensichtlich unser Motto zu Herzen genommen:
Lerne von gestern - träume von morgen - lebe heute

 

Damit erwies sich unser Winterliegeplatz als gar nicht derart gottverlassen, wie wir im ersten Moment gemeint hatten. Auch wenn der einzige Lebensmittelladen zu gemacht hatte und die meisten Restaurants während der Woche geschlossen blieben, gaben sich die Einwohner alle Mühe, das Dorf lebendig zu erhalten. Darum stellten sie ihre Wohnstuben, Werkstätten und Lagerräume für diese Werkschau zur Verfügung und luden ihre Freunde aus der weiteren Umgebung zu einem Besuch ein. Und sie konnten mit ihrem Erfolg zufrieden sein. Wollte man allerdings während des ganzen Winters hier bleiben, müsste man entweder sportlich und auf dem Velo holländisch wetterfest sein oder über ein Auto verfügen.

Ins gleiche Bild passt auch die ehemalige Kirche, die heute als begehrte Hochzeitslocation dient.
Während die Hochzeitsgesellschaft, üblicherweise wohl versorgt mit sprudelnden Getränken, auf das Brautpaar wartet, nähert sich dieses auf gepflegte Art und von einer eher unerwarteten Seite - mit dem Schiff natürlich! Ein idyllisch gelegener Anlegeplatz gleich neben der Kirche empfängt das Paar und geleitet es durch eine grün eingefasste Gasse zu seinen Gästen.

 

Die festlichen Installationen im Garten können mithalten mit der Atmosphäre im Innern der Kirche. Alles zusammen bietet einen würdigen Rahmen für einen unvergesslichen Anlass.

     

Während den letzten Tagen des Monats haben wir sorgsam unser Schiff eingewintert und es fit für die kalte Jahreszeit gemacht. Die Wassersysteme mussten entleert, Pumpen und Ventile frostfest gemacht werden. Was wir nicht im Innern verstauen konnten wurde mit Planen abgedeckt und so vor dem schlechten Wetter geschützt. Zum Schluss haben wir alle Flaggen eingeholt.
Damit wir das alles in Ruhe angehen konnten, haben wir uns für die zwei letzten Nächte ein Zimmer im Hotel t'Schipperhuis gemietet. Dieses Vorgehen hat sich in den letzten Jahren für eine ruhige Einwinterung bewährt.

Für unsere Abreise am Samstag um 9 Uhr mussten wir allerdings am Vortag einen Belbus (Rufbus) bestellen, weil der normale Busbetrieb am Wochenende den Betrieb erst ab 10 Uhr aufnimmt. Für den einfachen Bustarif wurden wir allerdings dann minutengenau von einem Taxi abgeholt und zur Busstation in Joure geführt, von wo dann die Reise plangemäss mit einem anderen Bus bis zur Bahnstation Heerenveen weiterging. Ganze zwei Stunden brauchte dann der Zug bis zum Flughafen Schiphol. Holland ist doch grösser als man denkt und Friesland liegt an seinem nördlichen Ende.

Mit dem kurzen Flug nach Zürich ging dann unsere Fahrsaison für dieses Jahr zu Ende. Obschon wir es nicht, wie geplant, nach Berlin geschafft hatten, haben wir unser Ziel dennoch erreicht. Wir hatten viele wunderschöne Tage in der weiten Natur erlebt, hatten viele Begegnungen in belebten Städten und genossen überall das Leben in unserer zwar kleinen, aber gemütlichen Umgebung.
Einmal mehr hat sich unser Motto bewährt!

Unser nächster Monatsbeitrag wird wieder unter dem Titel 'Bericht' veröffentlicht werden, weil er unser Leben weit weg von der Mizar schildern wird und wir selber jetzt noch nicht wissen, wohin unser Weg uns führen wird.

 

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