September 2022  

  

Bis zum 3. September blieben wir am Pier Christiaanssleat in Echternerbrug liegen. Zuverlässig gegen sechs Uhr kam jeden Abend ein freundlicher Herr mit seinem Fahrrad vorbei, die Liegegebühr für den Tag einzuziehen. Es war schönes Wetter und somit hatten wir keine grösseren Bedürfnisse. Wir lagen darum an einem Platz, wo weder Strom noch Wasser zur Verfügung standen. Auf die Liegegebühr hatte das allerdings keinen Einfluss. Sie wird per Meter Schiffslänge berechnet und erscheint am Ende für das blosse Festmachen an drei Holzpfosten doch recht beachtlich. Der freundliche Herr rechnete aber offensichtlich nicht gerne und gab sich darum mit gerundeten Zahlen zufrieden.
Weiter vorne, etwas näher zum Ort, wären alle sonst so wichtigen Einrichtungen wie Strom und Wasser vorhanden gewesen. Diese Plätze waren jedoch als Jahresliegeplätze vergeben und hätten, selbst wenn sie gerade frei waren, in dem Moment an den Mieter zurückgegeben werden müssen, wann immer dieser zurückkehren sollte.
Ab und zu machten wir kleinere Spaziergänge oder erweiterten die Veloausflüge, die wir gewöhnlich zum Einkaufen machten, um bei einem Kaffee im Restaurant neben der Brücke dem regen Schiffsverkehr zuzuschauen. Routiniert kassierte dort der Brückenwärter von jedem durchfahrenden Schiff 3 Euro ein, mit einem Holzschuh, der an einer Fischerrute baumelte.

Am Freitag bekamen wir Besuch von Bruce. Unser langjähriger Freund, den wir im Februar 2014 (siehe dort) beim Tauchen in Raja Ampat (West Papua, Indonesien) auf der Insel Kri kennen gelernt hatten, liess sich diesmal auch durch die lange Autofahrt nicht davon abhalten, uns an seinem arbeitsfreien Tag zu besuchen. Zwar hatten wir ihn während unseren Aufenthalten in Holland auch schon getroffen (siehe Juli 2014, August 2014 und Mai 2018), hatten aber offensichtlich jedes Mal vergessen, ein Foto zu schiessen. Bei zahlreichen gemeinsamen Tauchgängen hatten wir in jenem einmaligen Tauchrevier so viele beeindruckende Erlebnisse gesammelt, dass wir uns immer wieder gerne gemeinsam daran zurück erinnern. Auch dieses Mal verging die Zeit zu schnell und der Abend kam zu früh. So haben wir unsere Gästekabine, die wir in diesem Sommer lediglich als Abstellraum (miss-)braucht hatten, in einem kurzen Kraftakt auf Vordermann gebracht, damit wir den schönen Abend länger nutzen konnten. Am anderen Morgen konnte Bruce nach einem gemütlichen Frühstück wieder ausgeschlafen und frisch gestärkt nach Hause fahren.

Unsere Fahrt an diesem Samstag war daher nur kurz und wir machten auf der Marrekrite Tsjûkepôlle im Tjeukemeer fest. Schon diese zungenbrecherischen Namen machen klar, dass wir uns von diesem Moment an in Friesland bewegten. Wie man sieht, braucht es in dieser Umgebung nicht viel Vorstellungsvermögen, sich irgendwohin auf einer einsamen Insel im Pazifik zu wähnen. Dabei ist es unerheblich, dass das Wasser zumeist nur ein bis drei Meter tief ist.

Unser Nachtessen genossen wir offensichtlich so sehr, dass wir erst am Ende daran dachten, die wunderschöne Aussicht auf den Film zu bannen (veraltete Sprechweise!).
Kaum verwunderlich, könnten wir doch in unserer Heimat von einer solchen Aussicht auf den See nur träumen.

Auch hier blieben wir einige Tage, bevor wir in der Langwarder Wielen an der Boje 70 festmachten. Mehrere Anlegestellen dieser Art werden in Friesland angeboten. Sie machen unkompliziertes 'Ankern' möglich, ohne dass man den eigenen Anker bemühen muss. Die schwarze Ankerkugel am Mast ist allerdings trotzdem Pflicht.
Während der Nacht drehte das Schiff sich zuverlässig mit dem Wind und wir konnten ohne Anstrengung die Sterne des ganzen Himmels beobachten. Natürlich schickten wir einen speziellen Gruss zum Mizar im grossen Bären!
Am Tag beobachteten wir Schwärme von Vögeln, zumeist Gänse und Kormorane, aber auch Schwäne in kleineren Gruppen, die majestätisch und in gekonnten Formationen quer durch die Gegend flogen. Wir bestaunten auch die vielen Rauchschwalben, die knapp über dem Wasser mit akrobatischen Manövern nach Insekten jagten und sich so die Energie für ihre baldige Reise nach Afrika zulegten. Wahrlich ein Gebiet für Vogelfreunde!

Mit den Marrekrite Anlageplätzen wurde in Friesland, wo die Bevölkerung mit Schiffen aufgewachsen ist und entsprechend Schiffe liebt, ein weit verbreitetes System von Anlagen geschaffen, wo viele Schiffe für 1 bis 3 Tage festmachen können, ohne dass sie in grossen Gruppen beieinander liegen müssen. Die Liegegebühr wird auf Vertrauensbasis entrichtet, indem man im Voraus die Marrekrite-Flagge kauft (siehe Titelbild), die sozusagen als Parkkarte dient. Um die Landschaft zu schützen, bestehen die Liegeplätze oft nur aus einzelnen Bojen oder Tuigsteigern (eine Reihe von Pfählen im Wasser, die mit Querbalken verbunden sind), von denen kein Landzugang besteht. In Einzelfällen ist höchstens ein Streifen des Ufers zugänglich, ohne Zufahrts- oder Wegfahrtsmöglichkeit. Damit wird mit einem Minimum an Infrastruktur und minimalen Kosten ein maximaler Service geboten, der die Landschft kaum beeinträchtigt.

Während diesen Liegezeiten in der freien Natur ist uns einmal mehr bewusst geworden, dass die Solarpanele, die wir auf dem Dach des Steuerhauses mit uns führen, ihren Dienst immer noch erstaunlich gut leisten, obschon sie über 25 Jahre alt sind. Seit wir im Frühling von Strassburg weggefahren sind, haben wir erst einmal externe Stromversorgung in Anspruch genommen. Damit haben wir die elektrische Energie für unsere täglichen Bedürfnisse, zumal während längeren Liegezeiten, ausschliesslich von der Sonne bezogen. Zugegeben, wir profitierten von einem wahren Ausnahmesommer. Trotzdem sind wir daran, zeitgemässe und leistungsfähigere Kollektoren zu suchen, die uns auch in den Randstunden des Tages und ausserhalb des Sommers genügend Energie liefern.

     

Unsere entspannte Reise während der letzten Wochen, bei schönstem Wetter und durch grossartige Landschaften, bescherte uns ab und zu auch Momente von schlechtem Gewissen:
 Warum dürfen wir so sorglos durch die Gegend tuckern und an ausgesucht schönen Plätzen verweilen, während an anderen Orten Menschen Hunger leiden, um ihr Leben bangen oder es gar gegen übermächtige Gegner mit Waffen verteidigen müssen. Weiteren Millionen, die vor all diesen Gefahren flüchten mussten und jetzt, irgendwo auf der Welt, eine neue Bleibe suchen, geht es auch kaum besser.
Unsere Welt, die zwar nie ein Ort des Friedens war, hat in den letzten 150 Jahren etliche verheerende, kriegerische Fieberschübe erleben müssen und fällt trotzdem immer wieder auf Wahnideen und falsche Versprechen von verblendeten Potentaten und Egomanen herein. Unter dem Motto: "Wehret den Anfängen!" müssste man doch längst gelernt haben, rechtzeitig und konsequent zu reagieren. Aber die süsse Verlockung, durch billige Energie und billige Produktionsmöglichkeiten rasch zu Reichtum zu kommen, macht immer wieder Entscheidungsträger blind und damit anfällig für erpresserische Drohungen. Als hätten wir in unserer Zeit wegen unserem konsumgesteuerten Leben nicht schon der Probleme genug, deren Lösung wir alle gemeinsam angehen müssen, wenn wir wenigstens mittelfristig auf diesem Planeten überleben wollen.
Offensichtlich haben die Menschen nicht ausreichend Vernunft, ihren angeborenen Trieben zu widerstehen und vereint den Weg zu suchen, der allen ein erfüllendes Leben erlauben würde.

 

 Während der letzten Tage hatten wir festgestellt, dass Bernadette und Heinz mit ihrer Dagens 2 ebenfalls in dieser Gegend unterwegs waren. Mit einigen Whatsapp-Meldungen hin und her verabredeten wir einen Treffpunkt im Goaiingarypster Puollen, dem südlichsten Teil des Sneekermeers.
Da beide Schiffe mit dem obligatorischen AIS-System ausgerüstet sind, liess sich unsere Begegnung auf der Website Marinetraffic fast metergenau verfolgen. Was sich digital angekündigt hatte, erfolgte alsbald auch in der realen Welt: die Dagens 2 legte hinter uns an.

  

Es ist schon einige Zeit vergangen, seit wir vier uns zum letzten Mal gesehen haben. Im September 2017 (siehe dort) waren wir uns auf der Havel in Brandenburg begegnet, nachdem beide Schiffe den Winter in Berlin oder seiner näheren Umgebung verbracht hatten (siehe Januar und Februar 2017).
Bernadette und Heinz waren diesmal mit Gästen unterwegs und so arrangierten wir ein gemeinsames Nachtessen auf ihrem geräumigen Schiff. Wieder einmal zeigte sich, dass beim Leben auf dem Wasser alle den selben Freuden, aber auch den selben Problemen begegnen. Entsprechend fehlte es keinen Moment an Gesprächsstoff.

  

  
(Danke, Heinz, für die Fotos!)

Mitten im Abend platzte dann die Nachricht vom Tod der englischen Königin in unsere gemütliche Runde und wir wurden so Zeugen einer Zeitenwende, die nicht nur für das englische Königreich bedeutende Folgen haben wird. Bedenkt man Grösse und Bedeutung, welche dieses Königreich bei der Krönung von Elisabeth II hatte, wirkt der heute verbleibende Rest eher bescheiden. Und was daraus in der nahen Zukunft werden wird, ist heute noch kaum absehbar.

Nach der Abfahrt der Dagens 2 blieben wir noch zwei weitere Tage an unserem Platz und wurden dabei Zeugen mehrerer Regatten mit Skûtsjes, den historischen Frachtseglern, die für Friesland so typisch sind. Gespannt verfolgten wir die gekonnten und oft hautnahen Manövern der nur scheinbar schwerfälligen Schiffe, die sich direkt vor unseren Augen abspielten. Mehrfach bestaunten wir das Geschick der routinierten Skipper.

Vor der Weiterfahrt begrüsste uns der Morgen kurz nach Sonnenaufgang mit einer beinahe magisch-hoffnungsvollen Aussicht.

In einer gut einstündigen Fahrt kreuzten wir den südwestlichen Arm des Sneekermeers und fuhren durch den Houkesleat in den Hafen von Sneek. Weil wir rechtzeitig ankamen, haben wir auch diesmal eine gute Anlegestelle am Zomerrak gefunden.

Wir hatten Sneek vor ein paar Jahren (siehe August 2015) schon einmal besucht, hatten damals allerdings etwas weiter vorne festgemacht, etwas näher beim Stadtzentrum.

Der Hafen bietet echten Komfort und wir waren bestens aufgehoben. Selbst die sanitären Anlagen waren zweckmässig und makellos gepflegt. Die nicht gerade billige Hafengebühr erschien daher angemessen. Die Stadt selber wirkte äusserst lebendig, obschon die Ferienzeit nun endgültig vorbei war.
Schon beim ersten Spaziergang trafen wir auf die gleichen Sehenswürdigkeiten wie damals, aber auch wir haben uns offenbar seither kaum verändert: Bitterballen gehörten auch diesmal zu unserem Besuch.

  

So fiel uns der Entschluss leicht, eine ganze Woche hier zu bleiben, auch weil die Wetteraussichten nicht gerade grossartig waren. Einige Schönwetterphasen in ständigem Wechsel mit heftigen Regenperioden und starkem Wind. Die Temperatur ging rasch auf herbstliche Werte zurück, so dass wir uns gerne mal in die gemütliche Stube zurückzogen. Weil wir im Hafen lagen, konnten wir trotzdem dem regen Schiffsverkehr zuschauen, bei dem zwischen unzähligen Mietbooten ab und zu auch nautische Leckerbissen an uns vorbeifuhren.

  

Unseren Aufenthalt in Sneek haben wir zuletzt sogar um einen Tag verlängert, weil das uns die Gelegenheit gab, die Trauerfeierlichkeiten für Königin Elisabeth II am 19. September zu verfolgen.

Auch wenn man nicht ein ausgesprochener Verfechter der Monarchie ist, wird der Ausklang einer Periode, wie sie von der verstorbenen Monarchin geprägt worden ist, zu einem Erlebnis, das man kaum vergessen wird. Der Regierungszeit von Elisabeth II wird in der Geschichte mindestens eine gleich grosse Bedeutung erhalten, wie jene von Königin Victoria. Während Victorias Regnum durch die aufkommende Industrialisierung geprägt worden war, musste Elisabeth II zusehen, wie genau diese dem Königreich immer mehr abhanden kam.
Es wird spannend sein zu sehen, wie das Land mit diesen Herausforderungen umgehen wird.

Danach sind wir gegen Westen weitergefahren und wollten die letzten Sommertage noch auskosten.
Durch den 'Fulken' und den 'Wimerts' glitten wir durch Gewässer mit für uns unverständlichen Namen. Einmal mehr beeindruckte uns die Landschaft, die grenzenlos weit ist, aber trotzdem intensiv landwirtschaftlich genutzt wird. Riesige Schaf- und Kuhherden weideten in scheinbar unendlichen Ebenen. Dazwischen schnitten mächtige Maschinen das letzte Gras und packten es in Ballen, die in der Nähe der zuständigen Farm zu wahren Gebirgen aufgeschichtet wurden.

Am zweiten Tag erreichten wir Bolsward. Eine kleine, aber malerische Stadt, mit erstaunlich vielen Restaurants, Cafés und Eisdielen. Die Bewohner scheinen Gemütlichkeit zu schätzen.
Das bezeugte uns auch der Hafenmeister, als er die Liegegebühr kassierte. Er war der selbe, der schon in Sneek das Geld eingezogen hatte und erklärte uns diesen Umstand dadurch, dass er lieber auf dem Land und in einem kleinen Ort wohne. Weil es hier gemütlicher sei.

     

Bolsward

Der Rest unserer kleinen Zusatzschlaufe glich einer mehrtägigen Ausfahrt durch das weite Land, mit ein paar Übernachtungen an einsamen Marrekriten-Liegeplätzen, die uns am Schluss wieder zurück nach Sneek brachte. Dieses Mal aber fanden wir, weil von der anderen Seite herkommend, einen Liegeplatz direkt beim Stadtzentrum.

Sneek

Wir blieben noch fünf Tage hier, erledigten ein paar Einkäufe und genossen das Gefühl, in einer lebendigen Stadt zu sein. Zwischendurch machten wir uns Gedanken, wie wir unser Leben während des nächsten Winters gestalten könnten.

Während der letzten zwei Tage des Monats fuhren wir zu unserem Winterquartier. Noch einmal übernachteten wir bei einer Marrekrite im Sneekermeer. Der Sommer war Geschichte. Ab und zu tuckerte ein kleines Schiff vorbei. Ansonsten waren wir aber allein, mit einem Flecken Land im Rücken und sonst nur Wasser um uns herum. Die Nacht war sternenklar, nur am Horizont flackerten ein paar vereinzelte Lichter. Eine riesige, schlanke Mondsichel senkte sich im Westen langsam zu Horizont. Am Morgen erwachten wir bei dichtem Nebel. Wir warteten zwei Stunden bis die Sicht aufklarte und fuhren dann weiter nach Terherne, wo unser Schiff den nächsten Winter verbringen wird.
Aber auch wir werden wenigstens einen Monat lang hier leben.

 

Monat August 2022:
17 h 15'
- 25 Brücken
- 83 km

>  Jahrestotal 2022
227h 50'
1114 km
174 Schleusen
71 Brücken
4 Tunnels
1 Lift

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