Mai 2022 

Die ersten drei Tage des Wonnemonats waren geprägt durch eine Reise von Matz an das Steampunk-Picknick im Schlossgarten Ludwigsburg. Gemeinsam mit ihrer Feundin Susi aus Saverne, die vom gleichen Virus befallen ist, ist sie nach Deutschland gefahren. Nach ihren ersten Versuchen im August und im Oktober des letzten Jahres (siehe unser Reisetagebuch dieser beiden Monate) hat sie tagelang genäht und gebastelt an ihrer neuen Gewandung, bis sie endlich damit zufrieden war und hat dann noch einmal viel Zeit gebraucht, die notwendigen Accessoires zusammen zu tragen. An solchen Veranstaltungen versuchen Gleichgesinnte, der oft garstigen Gegenwart auf humorvolle Art entgegen zu treten, indem sie in einer Art Zeitreise in nicht so weit zurückliegende Epochen zu entfliehen versuchen. Damals erschien die Zukunft noch hell und hoffnungsvoll und damit deutlich weniger düster und bedrückend als in unseren Tagen.

Bei strahlendem Sonnenschein bauten die Teilnehmer ihre Picknickausrüstung auf.
Plastik und andere neuartigen Materialien sind verpönt, auch wird Wert auf Stil, ausgeprägte Höflichkeit und passende Darstellung gelegt.

  

Wir freuen uns am Schönen und an dem, was uns gefällt. Und uns gefällt auch die tagelange Vorbereitung eines solchen Anlasses zu Hause.

      

 

Im Grunde genommen ist unsere lange Reise mit der Mizar auf Flüssen und Kanälen jedoch gar nicht so weit von all dem entfernt. Die Langsamkeit des Verkehrsmittels und die historische Bedeutung der Verkehrswege, die wir benutzen, ermöglichen uns Aussichten auf weite, oft unberührte Landschaften und gestatten gleichzeitig Einsichten in Zusammenhänge, die ansonsten gar nicht so augenfällig wären. Die Schleusen, wie jene im aktuellen Titelbild, machen Grenzen auf unserem Weg deutlich, bieten zugleich aber auch die Möglichkeit, diese zu überwinden. Schliesslich führt jeder Kanal früher oder später von einem Flusstal ins andere und muss auf seinem Weg dahin zumindest eine Geländeerhebung oder einen Hügelzug überwinden, wenn nicht gar ein kleineres Gebirge. Auf diese Art wurden seit mindestens dreihundert Jahren immer wieder neue Wege eröffnet, die dem zuvor undenkbaren Transport von schweren Gütern zwischen den verschiedenen Zentren dienten und damit den Bau solcher Städte überhaupt erst möglich machten. Wenn wir uns heute auf diesen alten Handelsrouten bewegen, kommt das ebenfalls einer Zeitreise gleich, bei der wir jeden Tag nach dem Frühstück mühelos von der Gegenwart fünfzig oder gar hundert Jahre und mehr in die Vergangenheit zurückfallen. Erst der Fortschritt beim Bau von Eisenbahnen und Strassen hat diese Routen innert weniger Jahrzehnte obsolet gemacht.
 
Darum empfanden wir es auch nicht als Nachteil, dass wir einen guten Teil unseres Weges von Saverne nach Nancy im letzten Jahr schon einmal befahren hatten. Zum Teil sogar in beiden Richtungen. Wir sahen trotzdem jeden Tag neue Bilder oder hörten Vögel, von denen wir bisher höchstens den Namen kannten. Zwar fuhren wir ab und zu auch durch riesige Industriezonen oder vorbei an ausgedehnten Ackerflächen. Daneben aber immer wieder auch durch unerwartet grosse, ausgesprochene Naturidyllen. Alles einigermassen ausgewogen. Wir wurden damit Zeugen eines einst normalen Gleichgewichts, das wir Menschen heute beängstigend schnell und unwiederbringlich zerstören, ohne dass wir es sehen oder sehen wollen. Meistens verläuft der technische Fortschritt so schnell, dass wir Mühe haben, mit ihm Schritt zu halten. Die oft verheerenden Folgen zeigen sich zumeist erst viel später.

     

Der Plan Incliné de Saint-Louis Arzviller (siehe Mai 2021) wurde zu einer Zeit gebaut, in der er wegen des stetig abnehmenden Schiffverkehrs eigentlich gar nicht mehr notwendig gewesen wäre. Weil der Berufsverkehr seither vollkommen zusammengebrochen ist, dient das vermeintliche Meisterwerk von damals heute praktisch nur noch als touristische Kuriosität.

      

Immerhin erreicht man auch heute noch mit dem Schiffslift das Scheitelstück (Bief de Partage) des Canal de la Marne au Rhin. Häufig verlaufen die Scheitelstücke durch einen Tunnel, weil es einfacher war, die letzte verbleibende, oft kleine Erhebung zu durchbohren, als sie mittels weiteren Schleusen oder mit langem Umweg zu umfahren. Hier sind es gar zwei Tunnels kurz hintereinander. Eine weitere entscheidende Aufgabe des Scheitelstücks ist die Wasserhaltung, wo mittels Reservoirs in Form von zumeist künstlich angelegten Seen genügend Niederschlag zurück gehalten wird, dass auch während der trockenen Sommerperioden immer ausreichend Wasser für den Betrieb des Kanals zur Verfügung steht. Denn jede Schiffsbewegung, ob auf- oder absteigend, erfordert zumindest eine Schleusenfüllung an Wasser. Wenn dieses fehlt, war die Wasserstrasse vergeblich gebaut worden.

Die grosse Schleuse von Réchicourt wurde erst 1965 eingeweiht und ersetzte mit ihrer Fallhöhe von 16 Metern sechs alte, nun ausgediente Schleusen. Rund 3800 m³ Wasser fliessen mit jeder Füllung zu Tal. Fünf riesige Teiche um Réchicourt le Château halten genügend Wasser für das ganze Jahr in Reserve.

Bald waren wir schon wieder seit ein paar Tagen unterwegs und hatten es erneut mit Zungenbrechern wie Xouaxange und Gondrexange versucht und waren an der Abzweigung in den Saarkanal vorbeigefahren, bevor wir bei der zweiten Schleuse nach jener von Réchicourt (Schleuse 8) wieder einmal anlegten. Idyllischer geht es kaum mehr!

Das Becken gegen Norden führt zum alten Fabrikgelände der Siedlung Bataville.
Diese Siedlung wurde in den 1930er Jahren vom tschechischen Industriellen Thomas Bata nach dem Vorbild seiner Schuhfabrik in der Stadt Zlin erbaut. Dank ihrem Erfolg, erstellte er später in der ganzen Welt ähnliche Anlagen. Der Komplex umfasste neben den Produktionsstätten mit Kantine und Festsaal auch eine Gartenstadt für die Familien der Angestellten mit Sportanlage, Schwimmbad, Schulen, Kirche und sogar einem kleinen See. Das sozial vorbildliche Projekt überzeugte darüberhinaus auch mit architektonischen Stilelementen, die noch heute absolut modern wirken.
Bata-Schuhe galten für Jahrzehnte als preisgünstiges Qualitätsprodukt, welches sogar berühmte und viel teurere Marken wie Bally das Fürchten lehrte. Ab 1980 verlief das Geschäft allerdings eher harzig und der Betrieb wurde im Jahr 2002 geschlossen.

     

Ein weiterer Stop bei der Schleuse 16 liess bei uns erneut Feriengefühle aufkommen. Wer hat schon einen solchen Garten vor dem Haus?

  

Auf unserer Weiterfahrt begegneten wir, nicht ganz unerwartet, denn man weiss ja immer etwa wo die Freunde sind, der Nilaya von Isabelle und Kevin (siehe Juni 2021). Sie waren mit Gästen unterwegs, gedenken allerdings, sich in naher Zukunft in ihrem Haus in Frankreich niederzulassen. Ab dann wollen sie mit ihrem Schiff nur noch zur ihrer eigenen Freude unterwegs sein. Kurz danach machten wir in Sommerviller für die Nacht fest, nachdem wir an einem der in dieser Gegend häufigen Concours de Pêche vorbeigefahren waren. Eine Plaisir, der wir nicht viel abgewinnen können.

  

Die weitere Fahrt nach Nancy führte über weite Strecken durch Gebiete, deren Umgebung durch riesige Betriebe der chemischen Industrie (zumeist Solvay) geprägt sind.
Kurz vor Nancy begegneten wir einmal mehr einem alten Bekannten, dessen Odyssee uns seit Jahren im Bann hält. Bryan mit seiner Fidutia muss sich, gemessen an Geduld und Durchhaltevermögen, von Odysseus gar nicht lumpen lassen.

Nancy hatten wir im letzten Jahr ausgiebig besucht (siehe Juni 2021) und wir legten wiederum am selben Ort und am selben Schiff, der Shangri-La, an.
Vom gegenüberliegenden Ufer waren wir wohl kaum zu erkennen ...

... die Aussicht auf den Hafen bestätigt aber die obige Aussage bis ins Detail.

Wir mussten uns nur umschauen und sahen dabei viele Bekannte. Auf der anderen Seite lag bereits die Brontë, die nur wenige Tage vor uns angekommen war. Vor unserem Bug begrüssten wir mit viel Freude Katia und Gilles, die beiden vielseitigen und nautisch versierten Besitzer der Alicante. Mit ihnen hatten wir eine kompetente und bewährte Verbindung zum Hafen und zur Stadt. Selbst der Chef der Capitainerie war der selbe wie im Vorjahr: der sympathische Althippie Manu.

  

Wir blieben nur zwei Nächte und fuhren dann weiter Richtung Toul, denn dort wurden wir mit einiger Ungeduld erwartet.
Dabei kamen wir genau an dem Ort vorbei, von dem Gilles, ein begnadeter Zeichner, uns eines seiner Aquarelle geschenkt hat.

  


Während der Weiterfahrt trafen wir, obschon der Schiffsverkehr im Allgemeinen äusserst schwach war, zwei weitere Bekannte. Zunächst kreuzten Lucy und Peti mit ihrer La Vie unseren Weg. Zwei langjährige Schleusenschiffer aus unserem gleichnamigen Schweizer Verein. Am Quai von Champigneulles, zuverlässig festgemacht, wartete die gekonnt restaurierte Albertine, der wir letztes Jahr mehrfach begegnet waren, offenbar auf ihre Eigentümer

  

Nur wenig später kam Leben in unsere Fahrt. Wir passierten kurz nacheinander zwei beeindruckende Schleusen. Zunächst die Écl. de la Jonction und danach die Écl. de Frouard-Clévant, welche uns zur Weggabelung brachte, wo rechts uns nach Metz führen würde, während links uns den Weg nach Toul wies.

Endlich waren wir der Enge des Kanals entronnen und fuhren auf der weiten Mosel zu Berg. Was für ein Gefühl der Freiheit!

Unser nächster Halt war entsprechend grosszügig. Wir lagen unterhalb des Städtchens Liverdun. Vom Städtchen aus gesehen waren wir in Blumen eingebettet; aus der Luft betrachtet, der grossen weiten Welt ausgesetzt.

  

Etwas später fuhr die Brontë an uns vorbei, die nur wenig nach uns von Nancy weggefahren war.

Am nächsten Tag kamen wir schliesslich in Toul an.

Hiert trafen wir auf Daphne und Pat, die mit ihrem Schicksal haderten, weil es ihnen im Moment nicht so gut gesinnt war.
Im September des letzten Jahres (siehe September 2021) waren sie mit uns von Saverne zurück nach Strassburg gefahren. Ihr Schiff hatte derweil in Toul überwintert, während seine Besitzer in ihre Heimat zurückgekehrt waren. Ihre Rückreise aus den USA nach Europa verlief in diesem Jahr wegen verschiedener Reisebeschränkungen allerdings nicht ganz planmässig.

Eigentlich hatten wir vereinbart, dass wir uns im Becken unter dem Schräglift von Arzviller treffen und dann hintereinander nach Toul zurückfahren wollten. Wie es im Leben so geht, kam alles anders. Zwei Tage vor ihrer Ankunft an unserem Treffpunkt mussten sie feststellen, dass ihr Schiff immer schneller Wasser aufnahm und nur ständiges Pumpen es überhaupt am Schwimmen hielt. In einer eher ungemütlichen Übung kehrten sie um und fuhren, wohl in Rekordzeit, nach Toul zurück. Dort fanden wir das Schiff aufgebockt und die zwei verständlicherweise etwas bedrückt daneben. Das Leck liess sich nicht ohne weiteres lokalisieren, was auch eine genaue Diagnose erschwerte.
Drei Tage Arbeit durch die Firma des Hafenbesitzers brachten dann die Angelegenheit so weit in Ordnung, dass ihrem weiteren Reiseprogramm für dieses Jahr nichts mehr im Wege stehen sollte.

  

Nach zwei Tagen verschoben wir unser Schiff in die Nähe des offiziellen Hafens und machten im Wassergraben der alten Festungsmauer fest. Innerhalb weniger Gehminuten zum Stadtzentrum und auch an historisch attraktiver Lage, bei der offensichtlich wieder einmal der bekannte Herr Vauban seine Hände mit im Spiel hatte.

Dort erreichte uns dann auch die frohe Botschaft, dass unsere beiden Enkel in der Zwischenzeit einen kleinen Bruder bekommen hatten.
Diese Meldung hat uns natürlich riesig gefreut und wir wünschen dem Kind und der ganzen Familie von Herzen alles Gute.

Nach weiteren zwei Tagen machten wir die Leinen los und uns auf den Weg. Dieser bescherte uns im ersten Teil 13 Schleusen dicht nacheinender, im Abstand von jeweils nur wenigen hundert Metern. Die erste Nacht verbrachten wir, festgemacht an einer kleinen Insel, unmittelbar vor dem Tunnel von Foug.
An diesem Standort fanden wir einige grosse Exemplare der Bocksriemenzunge (Himantoglossum hircinum), der wohl grössten Orchidee in unserer Gegend. Sie steht überall auf der roten Liste und war im Jahr 1999 aus diesem Grund zur Orchidee des Jahres gewählt worden.

  

Am nächsten Tag fuhren wir weiter durch den stark mit Unkraut verwachsenen Kanal bis Pagny sur Meuse, wo wir an einem gepflegten Steg anlegten, bei dem für die Plaisanciers sogar Wasseranschlüsse zur freien Verfügung standen. Wir blieben aber nicht lange alleine, denn nach weniger als einer halben Stunde war der Ponton mit vier Schiffen voll belegt. Zu unserer Überraschung waren auch Daphne und Pat wieder mit von der Partie.

Die Geschichte mit dem Unkraut zog sich über die ganze weitere Strecke hin, mal ausgeprägter, mal etwas weniger. Wir waren nicht ganz so stark davon betroffen, weil unser Motor mit einem geschlossenen Kühlsystem mit Kielkühlung ausgerüstet ist. Es gibt darum keine Filter, die von aussen verstopft werden können.

Mit der Schleuse 1 des Canal de la Meuse haben wir den Canal de la Marne au Rhin verlassen und sind auf die Route nach Commercy - Saint Mihiel - Verdun eingebogen.

Auch hier ging das Wechselspiel zwischen offenen Landschaften und riesigen Industriekomplexen weiter.

     

Einmal ist uns eine 'Wasserkuh' begegnet, die in einem relativ kleinen Kanalabschnitt, der an beiden Seiten abgesperrt war, die Wasserpflanzen schnitt und gleichzeitig einsammelte. Die Arbeit ging allerdings langsam vor sich und das Resultat überzeugte nur mässig.
Überall schwammen halbe Bäume und abgebrochene Sträucher im Wasser und mehr als einmal, arbeiteten die Schleusentore nicht korrekt, weil eingeklemmtes Material sie blockierte.

     

Dass dann selbst das eingebaute Telefon am Schleusenhaus nicht richtig funktionierte und lange Wartezeiten erforderte, erstaunte uns darum auch nicht mehr besonders.

Die Schleuse vor Commercy machte beim Näherkommen ebenfalls nicht einen überaus guten Eindruck. Der anwesende Schleusenwärter, kurz auf alle diese Probleme angesprochen, kündete gar an, dass derzeit Gespräche stattfänden, an denen die Möglichkeiten geprüft werden sollten, diesen Kanal gelegentlich endgültig zu schliessen. Als denkbaren ersten Termin nannte er ganz locker den 1. Januar 2023! Aber sicher ist im heutigen Frankreich bekanntlich gar nichts!

Nach seinen Angaben gehört im Übrigen die Anlegestelle mit dem gesunkenen Boot kurz vor der Schleuse nicht der VNF sondern der Communauté de Communes (ComCom) und das gesunkene Boot einem Neffen des Bürgermeisters!
Kommentar überflüssig.

Wir machten dann, etwas abgelegen, an der Mauer vor dem ALDI Geschäft fest, weil der offizielle Steg von Commercy voll belegt war. Allerdings mit vergammelten Dauerliegern, denen die letzten Jahre Nichtstun ganz offensichtlich nicht gut getan haben.
Das alles lässt befürchten, dass sich da kaum mehr etwas zum Guten ändern wird und damit auch unsere Zeitreise früher zu Ende gehen dürfte als erwartet.

Der Ruf von Commercy, das wir schon vor 13 Jahren besucht hatten (siehe September 2009) wird von zwei Begriffen geprägt. Vom letzten Herzog von Lothringen, Stanislaus I. Leszczynski und dem süss-lieblichen Gebäck Madeleine, das seinerseits wieder auf Stanislaus zurückgeht, weil es offenbar an seinem Hof erfunden worden ist. Das 'Jagdschloss' im Stadtzentrum mit seiner Anfahrt durch eine zwei Kilometer lange Allee diente dem noblen Herrn, der eigentlich in Nancy residierte (siehe dazu Juni 2021), als Repräsentations- und Ferienresidenz. Das süsse Dessert verdankt seine Existenz der Tatsache, dass es dem noblen Herrn einst an einer feinen Nachspeise mangelte und eine findige Köchin namens Madeleine rasche Abhilfe wusste.

Die Weiterfahrt brachte uns wiederum durch schöne Abschnitte. Dabei durfte die Meuse über weite Strecken frei fliessen, zwischendurch war sie aber kanalisiert. Entsprechend wechselte die Qualität des Wassers von einwandfrei bis bedenklich.
Trotzdem, es ist lange her, seit wir gleich vier Eisvögel (Alcedo atthis) miteinander haben fliegen sehen!
(Leider sind sie kaum fotografisch festzuhalten.)

  

Immer schön blieb allerdings die Aussicht auf eine weite, grüne Landschaft.

Immer gleich blieben allerdings auch die Überraschungen, die der notorisch lockere Umgang der VNF mit ihrer Aufgabe für uns Schiffer immer wieder bereithält (Schleuse 9, Les Koeurs). Die kleine Faucardeuse, die uns den Eingang zur Schleuse versperrte, gehörte der VNF! Mindestens drei Mal mussten wir Hilfe anfordern, weil die automatisch bewegten Schleusentore wegen Holzbalken, sperrigen Ästen oder einfach wegen zuviel Gras in der Schleuse nicht mehr die vorgesehenen Endstellungen erreichen konnten.
Immer jedoch erschienen die Schleusenwärter nach einer erträglichen Wartezeit und alle waren sie jederzeit freundlich.

In Saint-Mihiel legten wir an der De Silveren Welt an, einem alten, einst zweimastigen 38m-Lastensegler, der allerdings auf 20m Länge eingekürzt worden ist. Ein beeindruckendes Schiff, das einem schweizerisch-französischen Paar, Stefan und Camille, gehört. Wir blieben dort über das Wochenende.

Am Montag war das Wetter gewitterig und teilweise stürmisch. Wir nutzten die etwas ruhigere Zeit am Morgen und fuhren durch vier manuell bediente Schleusen (Am Vortag bis 15.00 Uhr anmelden!) nach Ambly-sur-Meuse. Dort fanden wir an einem grossen VNF-Kahn und einem anschliessenden 10m-Steg einen ruhigen und sicheren Liegelatz für einen regnerischen und windigen Abend.
Am nächsten Tag wollte dann gar nichts mehr klappen mit den VNF. Zur vereinbarten Zeit waren zwar wir an der Schleuse, doch niemand war bereit, sie zu bedienen. Beim Telefon kam nur der Anrufbeantworter und so vergingen gute zwei Stunden, bis wir die drei Meter hinunterschleusen konnten. Über weite Strecken war das Wasser derart mit Algen verwachsen, dass es mit dem Schiff kaum ein Weiterkommen gab. Einmal lag gar ein Baum quer zum Kanal und zwang die Schiffe ganz am rechten Rand zu fahren, wo das Wasser nur knapp ausreichend war.

Auf diese Weise brauchten wir rund fünf Stunden bis nach Verdun.

Das war nun schon das dritte Mal, dass wir mit unserer Mizar in diese Stadt gekommen sind. Sie steht in erster Linie für die Gräuel des ersten Weltkriegs. Die Stadt und ihre Umgebung bieten eine Vielzahl beeindruckender Sehenswürdigkeiten, welche an die Vorgänge von damals erinnern. Hier das Monument aux Morts aux Enfants de Verdun, das an die unzähligen Toten der Schlacht um Verdun erinnert. Dabei steht jede Figur für eine Waffengattung der damaligen Armee. Gemeinsam bilden sie eine Mauer zur Verteidigung der Stadt.

Die Mehrzahl der Monumente ist wirklich besuchenswert. Wir haben sie umfassend erwähnt in unserem Beitrag vom August 2009 (siehe dort). Damals hätten wir uns kaum vorstellen können, dass ähnlicher Wahnsinn in unserer Zeit in Europa wieder aufflammen könnte. Wir waren darum diesmal, angesichts des unglaublichen Krieges in der Ukraine, nicht in der Stimmung, diese Gedenkstätten erneut zu besuchen und uns im selben Atemzug darüber zu wundern, wie schwer sich Politik und staatliche Interessen heute tun, in vergleichbaren Situationen die richtige Antwort zu finden. Und ganz besonders Deutschland, das sonst unüberhörbar die Führungsrolle in Europa beansprucht.
Das Land täte gut, sich auf einen seiner bedeutendsten Vertreter zu besinnen:

„Man spricht vergebens viel, um zu versagen; der andre hört von allem nur das Nein.“
(Goethe: Iphigenie auf Tauris)

Ein paar Mal schlenderten wir gleichwohl durch die Stadt, die so viel erlebt hat. Heute steht historisch Bedeutendes und Modernes nebeneinander, genau so wie Überfluss und Ärmliches.

Der Pont-Écluse Saint-Amant, entworfen von Vauban (Ende 17. Jahrhundert), der die Vorstadt damit unter Wasser gesetzt hätte, um die Stadt aus der Reichweite der Kanonen zu halten.
Die Porte Châtel, als Teil der mittelalterlichen Befestigung der Stadt (13. Jahrhundert). Im Hintergrund ein Turm der Kathedrale (10. Jahrhundert).
Der Kreuzgang der Kathedrale.
Der Bischofspalast (18. Jahrhundert), der zur Kathedrale gehört, aber absichtlich nicht dahinter zurückstehen will.

        

Unsere Anlegestelle ...

... im Hafen von Verdun.

Am 28. des Monats machten wir uns weiter auf unserem Weg auf dem Canal de la Meuse, zunächst in Richtung Stenay, Mouzon und Sedan.
Wir kamen dabei immer wieder durch wunderschöne Landschaften, wo zu beiden Seiten, oft bis hin zum Horizont, kein einziges Haus und kein einziges Bauwerk zu sehen war. Eine Weite, die dem Auge und der Seele wohl tat.

Über unsere Erfahrungen auf diesem Teilstück werden wir in unserem nächsten Monatsbeitrag berichten.

 

Monat Mai 2022:
73 h
- 86 Schleusen
- 284 km

- 3 Drehbrücken
- 1 Schräglift
- 2 Tunnel


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