März 2022 

Unsere Reise nach Berlin verlief weit besser als wir in diesen schwierigen Zeiten erwartet hatten. Zwar kündeten schon auf dem Bahnhof in Strassburg die Anzeigetafeln eine um 35 Minuten verspätete Abfahrt unseres Zuges an.  Das mag in Frankreich vielleicht nicht ungewöhnlich sein, stellte aber unseren Anschluss in Karlsruhe akut in Frage. Wir riskierten damit, dort unseren ICE nach Berlin zu verpassen. Dieser hätte uns in 5½ Stunden an unser Ziel gebracht. Mit etwas Glück und dank einer zügigen Fahrweise des Lokführers, sowie unserem kräftigen Sprint zum richtigen Bahnsteig, schafften wir den Anschluss dann doch noch ganz knapp.
Im Berliner Hauptbahnhof kamen wir planmässig an und nach einer kurzen Fahrt mit der S-Bahn landeten wir im Bahnhof Friedrichstrasse.
Für uns war das fast so etwas wie Heimkommen, hatten wir doch im Winter 2016/2017 während fünf Monaten in Berlin Neu-Kölln gelebt (siehe die entsprechenden Berichte unter 'Reisetagebuch'). Das war, ohne jeden Zweifel, eine spannende und erlebnisreiche Zeit. Trotzdem waren wir uns am Schluss darin einig, dass wir nicht für längere Zeit in Berlin leben möchten.
Aber eines muss man den Behörden der Stadt lassen: beim Entwerfen von Aufschriften, sei es bei Bus oder Tram, aber auch bei den Abfallkübeln, fehlt es ihnen nicht an Humor! (Titelbild)
(Wer darüber mehr wissen möchte, der googelt: Sprüche Berliner Stadtreinigung Bilder oder Sprüche Berliner Verkehrsbetriebe Bilder.)

So besuchten wir in lockerer Folge erneut einige der verschiedenen Sehenswürdigkeiten und frischten dabei unterschiedlichste Erlebnisse auf. Vieles erschien unverändert und trotzdem schauten wir so manches mit neuen Gefühlen an. Wir hatten dabei stets die aktuellen Nachrichten aus der Ukraine im Kopf und diese gemahnten uns immer wieder an die üblen Zustände in dieser Stadt, die vor noch nicht allzu langer Zeit eine geteilte Stadt in einem geteilten Land war.

      

Der Neubau Schloss Berlin, bei unserem letzten Besuch noch eine Baustelle, dort wo Honeckers 'Lampenpalast' (offiziell 'Palast der Republik') gestanden hatte, erstrahlt heute in neuem Glanz. Das markante Gebäude steht im Zentrum Berlins, exakt an jener Stelle, wo einst brandenburgische Kurfürsten, preussische Könige und Deutsche Kaiser gewohnt hatten. Nach dem Abbruch des Lampenpalasts wurde auf den vielfältigen Trümmern einer irren Geschichte von 2013 bis 2020 ein funktionales, vollkommen neues Gebäude errichtet. Lediglich mit seiner rekonstruierten Schloss-Fassade versucht es, die Erinnerung an prunk- und machtvolle Zeiten wach zu halten.

Die Lage unseres Hotels, zentral, unweit des legendären Checkpoints Charly, hielt uns das Stadtzentrum in Gehdistanz. Am Abend liessen wir trotzdem gerne bei einem Bier den Tag ausklingen, sei es im Irischen Pub gleich gegenüber, oder - etwas weiter weg - in Schmitz Katze.

      

Zwischendurch zog es uns ans Wasser, wo wir auch mit unserer Mizar gelegen hatten, oder ...

... zum Panoramapunkt beim Potsdamerplatz, wo uns fast die ganze Stadt zu Füssen lag.

     

Einen etwas ausführlicheren Besuch machten wir im Museum für Naturkunde

Das Museum beherbergt eine naturwissenschaftliche Sammlung von 30 Millionen Objekten, die während der letzten 300 Jahre durch beinahe alle bedeutenden naturkundlichen Forscher zusammengetragen worden ist. Fast noch mehr verwundert hat uns allerdings die Tatsache, dass sie offensichtlich alle kriegerischen Katastrophen bis heute überlebt hat. Sie bietet einen weitgefächerten Blick auf das, was wir gemeinhin unter dem Begriff 'Natur' verstehen. Selbstverständlich haben wir bei weitem nicht alle Objekte angeschaut, aber wir waren beeindruckt, mit welchem Aufwand und mit welcher Gründlichkeit die ganze Sammlung gegenwärtig digital erfasst, neu geordnet und uneingeschränkt der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wird. Damit erschliesst der gelegentlich etwas obskur anmutende Schatz bisher ungeahnte, neue wissenschaftliche Möglichkeiten, die uns helfen könnten, künftig unsere Umwelt und unser eigenes Wesen besser zu verstehen. So öffnen sich Forschungsfelder, die viel zukunftsweisender sein könnten, als es uns im Moment erscheinen mag.

Die Visitenkarte des Museums steht in der Eingangshalle mit dem grössten, montierten Dinosaurier-Skelett der Welt. Als ein erstes, kleines Ergebnis der neuen Forschungen fand das Tier, das vor 150 Millionen Jahren auf unserer Erde gelebt hat,  im Jahr 2009 einen neuen Platz in der Systematik des Tierreichs. Aus diesem Grund wurde ihm auch sein neuer Name 'Giraffatitan brancai' verliehen .

Für den Besucher ist nur ein kleiner Teil der ungeheuren Sammlung zugänglich. Damit lässt sich die hier angesammelte Vielfalt bloss erahnen.
Neu und dem aktuellen Zeitgeist entsprechend, ist auch die geschichtskritische Aufarbeitung der Epoche, während der die ganze Sammlung zusammengetragen worden ist. Dabei verliert so manches, was bisher als grossartig und heldenhaft galt, einiges von seinem Glanz.

  

Wir waren nur wenige Tage in Berlin, doch begegneten wir bei unserer Abfahrt im Hauptbahnhof bereits den ersten Flüchtlingen aus der Ukraine, die gerade mit dem Zug aus Warschau angekommen waren. Schlagartig wurden wir durch dieses Erlebnis in das brutale und düstere Hier und Jetzt zurückgeholt. Einmal mehr mit dem dankbaren Gefühl, wie gut es doch das Schicksal bis jetzt mit uns gemeint hat.

  

Auf unserer Rückreise mussten wir erneut in Karlsruhe umsteigen. Diesmal blieben uns dafür knapp zwei Stunden, die wir für einen kurzen Spaziergang durch die Stadt nutzten. Auch hier ist es das Schloss, das alle Blicke (und Wege!) auf sich lenkt. Hier wohnten bis 1918 die Grossherzöge von Baden.

Kaum waren wir zu Hause, besuchte uns eine Freundin von Matz. Die beiden hatten sich seit 20 Jahren, seit ihren gemeinsamen Motorrad-Zeiten, nicht mehr gesehen. Andrea kurvt allerdings noch heute voller Begeisterung mit ihrer schweren Harley Davidson durch die Welt. Unsere beiden Motorräder hatten wir beim Kauf der Mizar an Zahlung gegeben.

Endlich fanden wir auch die Zeit für einen Besuch im Historischen Museum der Stadt Strassburg.
Eine reiche Sammlung von Exponaten aus den verschiedensten Epochen vom Mittelalter bis in die heutige Zeit erwartete uns hier. Ein kleines Museum mit einigen sehenswerten Preziosen.

        

Einen geschäftigen Tag für uns Hafenbewohner bescherte uns die obligatorische Kontrolle und Revision sämtlicher vorgeschriebenen Feuerlöscher. Im amtlichen Bemühen, die Sicherheit der Schiffer zu steigern und wohl auch mangels anderer Aufgaben, bestehen die Behörden jedes Jahr auf dieser Arbeit. In Wahrheit besteht allerdings die Kontrolle im umständlichen Abstauben des Gerätes, während als Revision der Ersatz der Plombe bezeichnet wird, welche die korrekte Durchführung der verlangten Prozedur bestätigt. Die schwierigste Aufgabe bleibt das Erstellen einer korrekten Rechnung.
Ein gutes Geschäft!

Das Wetter leistete sich um die Monatsmitte ausgesprochene Kapriolen. Eine anhaltende Wetterlage, die in unserer Gegend für eine kräftige Südwestströmung sorgte, brachte während Tagen Saharastaub in einem Ausmass, wie man das nur sehr selten beobachten kann (oder je nach Betroffenheit - beobachten muss).
Während orangefarbenes Licht oder ein Sonnenuntergang in ungewohnten Farbtönen noch attraktiv erscheinen mögen, zeigte ein schwacher Regenschauer, was für diese besondere Beleuchtung verantwortlich zu machen ist: Unmengen von Saharastaub, der sich nur mit brachialen Mitteln wieder entfernen liess.

     

Etwas später schlenderten wir an einem besonders schönen Nachmittag durch den Park der Orangerie. Der Ort hat eine vielfältige Geschichte (siehe Dezember 2021), ist gefällig angelegt und in französischer Manier sehr sorgfältig gepflegt. Er zieht damit zahlreiche Besucher an und auch wir waren schon mehrfach dabei. Zu dieser Zeit kündigten die ersten schüchternen Vorzeichen sein baldiges Frühlingserwachen an.

Das hatten offensichtlich auch die Weiss-Störche bemerkt, die wenige Tage zuvor von ihrem Winterquartier zurückgekehrt waren. Auf einer kleinen Fläche haben wir mindestens zwanzig Nester gezählt, die grösstenteils bereits bewohnt waren. Im ganzen Park wären es wohl noch viel mehr gewesen. Die prächtigen Tiere schienen der Welt zu verkünden, dass sie gekommen waren um zu bleiben.

     

Den einbrechenden Abend nutzten wir dann für einen würdigen Abschied von der Stadt. Erstmals ganz ohne Einschränkungen und inmitten zahlreicher Leute, die wohl nichts anderes taten, als den schönen Abend zu geniessen. Wir machten da gerne mit, waren wir doch zu dieser Zeit noch der festen Meinung, dass wir kurz nach dem ersten April den Hafen von Strassburg verlassen und unsere jährliche Schifffahrt wieder aufnehmen würden.

Doch nur wenige Tage später kündeten die VNF an, dass die Schleuse 51 am nördlichen Rand der Stadt wegen Reparaturarbeiten mindestens bis zum 25. April geschlossen bleiben wird.
Damit würde sich unsere Abreise um einen weiteren Monat verschieben, weil ausgerechnet diese Schleuse am Anfang unseres Weges liegt. Wir hatten allerdings längst gelernt, dass man am einfachsten lebt, wenn man die Dinge auf sich zukommen lässt.


Darum fuhren wir, wie geplant,  zu unserem gewohnten Frühlingsbesuch in die Schweiz. Wir kauften dort ein paar Sachen ein, die uns im Ausland ab und zu fehlen (z.B. Cervelats oder Mokkajoghurt) und diverse Farben, mit denen wir während der Saison ab und zu und da und dort unser Schiff verschönern werden.

Ein Besuch in ihrer Heimatstadt ist für Matz offenbar immer wieder ein ergreifendes Erlebnis, das ausgeprägte Heimatgefühle aufkommen lässt.
Gefühle die schön sind, aber gelegentlich sogar etwas weh tun können (Schweizerkrankheit).

  

Diesmal zeigte sich die Stadt Zürich allerdings auch von ihrer schönsten Seite.

Danach durfte jedoch ein Besuch in der Bodega Española an der Münstergasse nicht fehlen.
Mit Freuden konnten wir feststellen, dass dieses Lokal seinen Charakter seit mindestens fünfzig Jahren unverändert beibehalten hat.

Mindestens ebenso wichtig waren allerdings auch die Besuche bei Freunden und bei der Familie, denn bei unserem Leben als Wassernomaden kommen die persönlichen Kontakte mit den Daheimgebliebenen leider immer etwas zu kurz.

  

Bei unserer Rückkehr nach Strassburg blieben nur ein paar Tage bis zum Monatsende. Diese waren prall gefüllt mit Reinigungs- und Unterhaltsarbeiten am Schiff. Schliesslich wollten wir startbereit sein, sobald unsere Reiseroute freigegeben würde. Dabei waren wir bei weitem nicht die Einzigen. Wir hatten festgestellt, dass emsiger Eifer auch unsere anderen Mitbewohner ergriffen hatte. Nicht unähnlich der Unruhe, wie sie die Zugvögel im Herbst befällt, bevor sie zum Abflug in die weit entfernten Wintergebiete aufbrechen.

Nur, dass dieser Drang uns offensichtlich regelmässig im Frühling befällt!

 

 


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