November 2021 |
Bereits im Oktober waren wir nach Strassburg gekommen in der Hoffnung, hier all das nachholen zu können. was wir bei unserem Aufenthalt während des letzten Winters wegen der Corona-Pandemie verpasst hatten. Damals waren wir noch sehr zuversichtlich, schien doch das normale Leben weitestgehend zurückgekehrt zu sein. Es dauerte allerdings gar nicht lange, bis erste Meldungen ankündigten, dass zumindest in den Ländern um die Schweiz herum sich die kurzfristigen Prognosen wieder eindüsterten.
Im Laufe der letzten Jahre war es fast zur Gewohnheit geworden, dass wir jeweils im Frühling und im Herbst für
ein paar Tage in die Schweiz zurückfahren. Meistens gibt es dort einige Termine
wahrzunehmen, sei es bei Handwerkern oder beim Zahnarzt. Oder, viel
angenehmer, Besuche bei Freunden und Familie. Diesmal wollte
Matz die Gelegenheit zusätzlich nutzen, in Freiburg im Breisgau
den 'Stoffmarkt Holland' zu besuchen. Fahrende Händler aus Holland bieten
ihre Produkte traditionsgemäss auf diesen speziell auf textiles Arbeiten
ausgerichteten Märkten in
Deutschland an. Bekanntlich hat der entsprechende
Bedarf von Matz mit ihrer neuen Leidenschaft für historische Kleidung
(Steampunk, siehe Oktober 2021)
sprunghaft zugenommen.
Ihr Besuch auf dem Markt verlief erfolgreich und es blieb danach genügend Zeit,
der Stadt selber auch noch einen Besuch zu widmen. Enge Gässchen,
prunkvolle Häuser und natürlich das eindrückliche Münster bieten dazu
Gelegenheit im Überfluss. Im Stadthotel Freiburg hatten wir für die
Nacht ein Zimmer
reserviert und so waren wir ohne jeden Zeitdruck.
Am nächsten Tag machten wir auf der Fahrt in die Schweiz einen kleinen Umweg und besuchten in Luzern unsere Freunde Monika und Hans (siehe Oktober 2020), die uns zu einem Rundgang und einem gemütlichen Nachtessen eingeladen hatten. Während des Sommers waren sie mit ihrer Baba Jaga unterwegs, die kalten Wintermonate verbringen sie lieber in ihrer Heimatstadt.
Der Zufall wollte es, dass an diesem Wochenende die Museggtürme der alten Stadtmauer zum letzten Mal in diesem Jahr geöffnet waren. Wir nutzten die Gelegenheit und besuchten diese eigenwillige Befestigungsanlage mit ihren neun Türmen, die, etwas erhöht über der Stadt, auf diese eine prächtige Aussicht bieten.
In einem dieser Türme berichtet eine Ausstellung über alte Uhrwerke und die entsprechende Handwerkskunst. Selbst Chico, der Hund, hat die steilen Aufstiege in den Türmen mit viel Neugierde unternommen, gerade so, als ob er noch nie da oben gewesen wäre.
Eine Woche später stand ein Besuch der Heimatstadt von Hansruedi auf dem Programm. Ein Abstecher in die alte Heimat ist immer wieder ein Erlebnis und weckt Erinnerungen, die mit diesem Ort verbunden sind. Solothurn ist eine ausgesprochen schöne Barockstadt und darf sich zeigen. Sei es mit ihrem gepflegten Wochenmarkt, mit der St.Ursen-Kathedrale und dem Landhaus am Aareufer, oder mit dem Zeitglockenturm, dessen Schlagwerk immer wieder die Zuschauer fasziniert. Selbstredend ist diese Aufzählung nicht abschliessend.
Jedes Jahr im November findet hier (oder auch anderswo) das Treffen der Maturaklasse von
Hansruedi statt (siehe auch jeweils November 2014,2016,2018). Dieses Jahr zum 58. Mal!
Während der Nacht sticht das beleuchtete Landhaus ins
Auge. Als
ehemalige Anlegestelle für Schiffe, die in früheren Zeiten mit
Fässern Wein aus dem Welschland zunächst durch den Neuenburger- und den Bielersee
fuhren und danach über die Aare nach Solothurn gelangten, wartet es seit
langem vergeblich auf die mit kostbarer Fracht beladenen Schiffe. Mit
dem Wein brachten diese regelmässig auch etwas französischen Charme mit,
was der Stadt, in der damals die
französischen Botschafter (Ambassadoren) residierten, nur gut anstand.
Sie nennt sich darum auch gerne 'Ambassadorenstadt'. Dass die Schiffsführer damals
keine Hemmungen hatten, während der Fahrt ausgiebig von ihrem Frachtgut zu
kosten, bezeugt der heute noch in der Westschweiz benutzte Ausdruck:
"être sur Soleure" für jemanden, der etwas mehr als nicht mehr ganz
nüchtern ist. Wenn auch ein Bisschen weit hergeholt,
ist damit in diesem Monatsbericht wenigstens ein Bezug zur
Flussschifffahrt geschafft.
Unser Hotel war gut gewählt und bei diesem Ausblick aus dem Zimmer könnte einem leicht der Fehler unterlaufen, den Besuch in der Stadt zu vergessen. Das wäre allerdings jammerschade.
Die weitere Entwicklung in Bezug auf die Folgen der erneut aufflammenden Corona-Epidemie zeigte, dass quer durch Europa zunehmend strengere Massnahmen angeordnet wurden. In geschlossenen Räumen Masken zu tragen genügte vielerorts längst nicht mehr, denn selbst im Strassencafé wurde immer häufiger die Covid-App kontrolliert. Begriffe wie 3G, 2G oder gar 2G+ boten zunehmend Diskussionsstoff. Selbst Überlegungen, allenfalls eine Impfpflicht einzuführen, die lange Zeit verpönt waren, wurden in verschiedenen Ländern plötzlich wieder salonfähig. Unwillen über diese Entwicklung wurde nicht mit den wöchentlich stattfindenden Demonstrationen im Stadtzentrum von Strassburg geäusssert. Auch Nachrichten und Tagesschau brachten diese Meldungen mit zunehmender Dringlichkeit in die gute Stube. Gegen Ende des Monats kamen auch uns Zweifel, ob das Leben an unserem Winterstandort dieses Jahr wirklich so normal sein würde wie wir erwartet hatten. Dabei haben wir uns auf die Weihnachtsmärkte gefreut, für welche die Stadt sich in der Vergangenheit einen guten Namen gemacht hatte.
Gegen Ende des Monats waren erneut ein paar sonnige Tage angesagt, was
uns dazu veranlasste, wieder einmal einen Ausflug zu unternehmen.
Die Nacht war klar und kalt, was sich auf unserem Schiff durch die entsprechenden
Wintervorzeichen deutlich machte. Immerhin versprachen diese einen
sonnigen Tag.
Unser erstes Ziel war das Château du Haut-Koenigsbourg, einst eine mächtige Burg aus dem 12. Jahrhundert, die uns auf der Fahrt zwischen Strassburg und der Schweiz schon mehrfach aufgefallen war. Stolz ziert heute ein Schloss den Gipfel der markanten Hügelkette leicht westlich von Sélestat. Es überschaut gleich zwei wichtige alte Handelsrouten, die sich hier kreuzten. Schon im frühen Mittelalter hatten die Mächtigen ein sicheres Gespür dafür, wie und wo man am einfachsten ein einträgliches Gewerbe betreiben kann. So auch einer aus dem alten Geschlecht der Staufer, der an diesem Ort seine Burg erbauen liess, um mit Zöllen auf den transportierten Gütern sein Geld zu verdienen. Da den Herzögen auch die Rechtsprechung übertragen war, konnten sie beim Handel mit Getreide, Wein, Salz und Silber tatkräftig mitverdienen. Durch ewige Streitereien unter den Adligen wechselte die Burg mehrfach ihren Besitzer, bis sie schliesslich gegen Ende des Dreissigjährigen Krieges von den Schweden vollkommen zerstört wurde. Erst um 1900 schenkte das verarmte Städtchen Sélestat die Ruine dem Deutschen Kaiser Wilhelm II von Hohenzollern, der zu jener Zeit über das Elsass herrschte. Dieser erkannte die Gelegenheit, mit dem Bau eines Prachtschlosses Grösse und Glanz des deutschen Kaiserreiches zu demonstrieren und den deutschen Anspruch auf die Gegend zu festigen. Das Schloss war nie als Residenz gedacht, sondern diente von allem Anfang lediglich der Repräsentation und als Museum.
Von 1900 bis 1908 schuf der Architekt Bodo Ebhardt im Auftrag des Kaisers aus den kümmerlichen Ruinen das heute so prachtvoll anmutende Schloss Haut-Koenigsbourg. Wie das Modell in der Ausstellung zeigt, hatte er viel Arbeit zu leisten. Aber die Geschichte wollte es anders. Bereits nach dem ersten Weltkrieg kam mit dem Frieden von Versailles das Schloss 1918 wieder in französischen Besitz.
Nur ein paar Kilometer südlich des Schlosses liegt das Städtchen Ribeauvillé. Mit seinen gut erhaltenen Fachwerkhäusern und blumengeschmückten Brunnen wurde es zum Vorzeigeort des Elsass. Der stetig wachsende Tourismus brachte zwar das Geld für die Pflege und den Unterhalt der Stadt, wurde aber schliesslich selber zur Plage. Die Stadt ist wunderschön, wirkt bunt und sauber, ist aber durch und durch auf die Besucher ausgerichtet. Das Auge wird beinahe müde beim Anblick der zahllosen, bunten Fassaden und der - saisonbedingt - etwas gar üppigen Weihnachtsdekoration. Immerhin, sie ist sicher einen Besuch wert, aber ein wenig Zurückhaltung täte der Stadt gut.
Nur noch ein Bisschen weiter südlich kamen wir nach Riquewhir. Beinahe zum Verwechseln ähnlich mit der obgenannten Stadt, wird auch diese zunehmend zum Opfer ihres Erfolgs. Dem feuchten und kalten Wetter verdankten wir, dass nur ganz Unentwegte sich draussen aufhielten, was dem Besucher zu etwas mehr Raum verhalf.
Wegen des unfreundlichen Wetters verbrachten wir auf dem Weg nach
unserem nächsten Ziel eine komfortable Nacht in einem warmen Hotelzimmer
im ländlichen Villé und sahen dort die offensichtlich nicht
fremdenverkehrsverwöhnte Seite des Elsass. Der Ort war einfach und viele
Geschäfte und Lokalitäten geschlossen. In der Nacht wirkte er wie
ausgestorben.
Am anderen Morgen besuchten wir die Gedenkstätte Struthof,
die auf dem Gelände des NS-Lagers mit diesem Namen errichtet worden ist.
Auf nüchterne, aber eindrückliche Weise wird dort an die ungeheuerlichen
Ereignisse erinnert, die sich auf diesem Gelände während des zweiten
Weltkrieges innert der verhältnismässig kurzen Zeit von nur vier Jahren ereignet hatten.
Diesmal unterstützte das Wetter die bedrückende Stimmung und es wäre
einmal mehr zu hoffen, dass es der Menschheit endlich gelingen möge,
etwas aus ihrer Geschichte zu lernen.
Gerade weil es heute in der ganzen Welt nicht danach aussieht, sollte man zumindest die
Hoffnung am Leben halten.
Kurz vor Monatsende besuchten uns Helen und Dave, die nur drei Schiffslängen von uns entfernt auf ihrer Brontë ebenfalls im Hafen überwintern, zum Nachtessen. Ganz saisongerecht servierten wir unser erstes Fondue des Jahres und bereiteten damit nicht nur unserem Besuch, für den unser Nationalgericht eine neue Erfahrung war, sondern auch uns selber eine grosse Freude, die wir mit dem Titelbild des Monats festhalten wollen. Der Abend selber wird uns wegen der angeregten und vielseitigen Unterhaltung in bester Erinnerung bleiben.
Am letzten Wochenende des Monats erwachte Strassburg zu neuem Leben.
Keiner konnte in dem Moment vorhersagen, wie lange das anhalten wird und
was die nächsten Wochen bringen würden. Aber ein unzähmbares Verlangen,
wieder ein normales Leben zu führen hatte offensichtlich die Bevölkerung
ergriffen.
So mischten auch wir uns voller Zuversicht unter die Leute und genehmigten uns den ersten Glühwein des Jahres.