September 2021 |
Unsere Wünsche für ein paar schöne, spätsommerliche Tage, wie wir sie am Ende
des letzten Monats für die Leser und uns geäussert hatten, haben sich
grosszügig erfüllt. Nach zwei, drei Regentagen über den Monatswechsel
erinnerte sich der Sommer endlich an seinen eigentlichen Auftrag und schenkte uns
zum Abschied was wir uns gewünscht hatten. Fast zwei Wochen
lang schien die Sonne vom Morgen bis zum Abend. Es war nicht wirklich
heiss, aber doch schön warm. Und wir waren offensichtlich
nicht die einzigen, die dieses Geschenk mit Freuden entgegen genommen
haben
(Titelbild: Inschrift über einem Ladeneingang in Sarreguemines). Wir haben
auch versprochen, über unsere Erlebnisse in Sarreguemines
(Saargemünd) in diesem Monat zu berichten.
Wir hatten
einen guten Liegeplatz in prachtvoller Umgebung und die
Capitainerie war auf dem Schiff gleich hinter uns untergebracht. Mit
Bemalung und Anschrift beweist sie eine gute Portion Humor.
Ein Anlass, der die ganze Gegend beschäftigte, hätte allerdings noch etwas besseres Wetter verdient. Am Samstag, dem 28. August, wurde die Boucle des FAÏENCIERS à Sarreguemines bei regnerischem Wetter durchgeführt. Ein Schwimmwettbewerb des FFN (Französischer Schwimmsportverband) im offenen Gewässer über verschiedene Distanzen bis zu 5 km. Besondere Beachtung erfuhr dabei die Schwimmerin Aurélie Muller aus Saargemünd, welche 2015 Weltmeisterin über 10 km geworden war. Kein Wunder, dass sie alle anderen Schwimmer mühelos weit hinter sich liess.
Das schöne, leider aber schlecht unterhaltene Gebäude vor dem wir angelegt hatten, nennt sich das Casino und beherbergt heute ein gepflegtes Restaurant. Erst nach genauerem Hinschauen erfuhren wir seine Herkunft. Erbaut wurde es als 'Begegnungsstätte und Ort des Zeitvertreibs' für Arbeiter und Angestellte der hiesigen Steingutfabrik (Faïencerie). Es umfasste, nebst einem Aufenthaltsraum, eine Bibliothek, eine Turnhalle und ein Theater. Geht man etwas den Hang hinauf, findet man noch heute bewohnte Arbeiterwohnungen in zahlreichen Vierfamilienhäusern und mehrere Doppeleinfamilienhäuser für die höheren Angestellten. Gebaut in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Einfach, aber zweckmässig und alle mit Garten, gross genug für Gemüse und Kleingetier. So hatte man für seine Arbeiter gesorgt, als diese noch als Menschen geschätzt und wie solche behandelt wurden.
Diese Fabrik, gegründet um 1790, produzierte nach einer Pionierphase, ab der Mitte des 19.Jahrhunderts, in Zusammenarbeit mit der Firma Villeroy&Boch (siehe August 21) in grossem Umfang kunstvolle Keramik, Majolika (Fayence) und Porzellan. Den Löwenanteil exportierte sie in die ganze Welt. Mit über 3000 Angestellten am Anfang des 20.Jahrhunderts hatte der Betrieb eine überragende Bedeutung für die ganze Umgebung, die bis heute spürbar ist.
Ab 1982 produzierte ein Nachfolgeunternehmen allerdings nur mehr Kacheln für den Baubedarf, bis es 2002 mit der ausländischen Konkurrenz nicht mehr mithalten konnte und die Bilanz deponieren musste. Rund um das ehemalige Fabrikgelände stösst man heute überall, wo die Oberfläche durch Bauarbeiten angeschnitten wurde, auf riesige Mengen von gebrannten und zum Teil bunt gefärbten Keramikscherben. Überbleibsel der Kacheln, die hergestellt worden waren, die dann aber niemand mehr kaufen wollte.
Auf der anderen Seite der Sarre (Saar) steht heute noch ein Brennofen, in
dem die Steingutwaren gebrannt worden sind. In seiner Blütezeit war er
lediglich einer von
dreissig!
Ihn zu befüllen, genau nach Vorgabe zu heizen und dann auszuräumen, das war wohl nur im tiefsten Winter ein gesuchter Arbeitsplatz.
Bei unserer Weiterfahrt trafen wir gleich ausserhalb der Stadt auf ein
einmaliges Schiff, das wir sofort wieder erkannten, obschon wir
ihm erst einmal begegnet waren. Es trägt den
stolzen Namen MAJESTY of the SEAS und ist das Produkt
eines wirklich engagierten Modellbauers der besonderen Art. Sein
'Modell' ist 33,5m lang und 4,75m breit!
Der Schöpfer war der frühere Bergmann und gelernte Elektriker François Zanella (1949-2015),
der das Abbild der Royal Caribbean 'Majesty of the Seas', im Massstab 1:8
praktisch im Alleingang gebaut hat. Während 11 Jahren arbeitete er
insgesamt rund 30'000 Stunden an seinem Traum. Das Modell ist in seinem Inneren
äusserst luxeriös
als Binnenschiff ausgebaut, zT mit Originalteilen, die von der Werft des
Vorbilds gespendet worden waren. Mit seinen Massen passt es in die
französischen Kanäle und Schleusen und wurde ab 2006 auch für
ausgedehnte Fahrten benutzt. So auch, als wir es am
14. August 2009 im Hafen von Nancy gesehen hatten.
Bis zu
seinem Tod lebte der Erbauer zusammen mit seiner Frau - bestimmt
glücklich - auf seinem aussergewöhnlichen Werk.
Heute wird nach Mitteln gesucht, das Schiff auf ein Grundstück der
Familie im 40 km entfernten Spittel zu verbringen.
(Wer sich speziell für das luxuriöse Innenleben interessiert, möge hier
nachschauen:
https://www.youtube.com/watch?v=mkBirhoKnzY )
(Ende 2020 hat Royal Caribbean das Original, ihre 'Majesty of the Seas' an eine andere Reederei verkauft.)
Wie schon mehrfach erwähnt, wird der Canal de la Sarre nicht mehr kommerziell genutzt und hat damit, zumindest vordergründig, an Charme zugelegt. 'vordergründig' steht für die Tatsache, dass der Unterhalt des Kanals oft arg vernachlässigt wird.
Und weil es so schön war, machten wir schon in Zetting, auf
offener Strecke, wieder Halt.
Wir nutzten das gute Wetter, kramten Schleifpapier, Pinsel und Farbe hervor
und verhalfen der rechten Kabinenseite zu einem neuen Anstrich.
Als wir nach zwei Tagen bis Wittring weiterfuhren, bekamen wir kurz nach dem Anlegen interessanten Besuch. Hinter uns legte ein Narrowboat an, wie es auf den britischen Inseln üblich ist. Weil fast alle englischen Kanäle sehr schmal angelegt wurden, waren lokale Frachtschiffe seit jeher auf eine Breite von 7 Fuss (ca 2,2 m) beschränkt. Dafür waren sie bis zu 22 m lang. Ein Narrowboat eben, mit denen früher aber durchaus erfolgreich Fracht transportiert wurde.
Die Anlegestelle gehört der VNF, liegt aber unmittelbar vor dem Restaurant Victoria, das während des ganzen Tages sehr gut besucht war. Diese Tatsache und der kurze Weg dorthin konnten auch uns zu einem Besuch verführen. Wir genossen zur Abwechslung ein gemütliches Nachtessen aus fremder Küche.
Das Narrowboat heisst Vector und seine Besitzer, Sabine
und Alistair, wohnen während des ganzen Jahres darauf.
Allein diese Tatsache und unsere Ahnungslosigkeit, wie man das
bewerkstelligt, waren Grund genug, unserer Neugierde nachzugeben.
Schnell war der Kontakt geknüpft und ein Besuch auf dem Schiff
vereinbart. Wir waren erstaunt ob der gemütlichen und äusserst
stilvollen Einrichtung, die auch auf engem Raum ein komfortables Leben
gestattet. Dazu ist allerdings eine strikte Ordnung Bedingung. Ein jedes Ding
muss jederzeit an seinen Platz! Aufhorchen liess uns der Motor, der aus der
selben Fabrik kommt wie der unsere: hier allerdings ein GARDNER 3LW,
ein Dreizylinder mit 47 PS. (Unsere MIZAR fährt mit einem GARDNER 5LW,
einem Fünfzylinder mit 75 PS.) Das sorgte sogleich
für nahezu familiäre Gefühle.
Seit mehreren Jahren und nach vielen Gesprächen mit Vollblut-Briten tragen wir uns mit dem Gedanken, bei
der ersten sich bietenden
Gelegenheit für mindestens einen Monat selber ein solches Schiff in
England zu mieten. Das gäbe uns die Chance, den Charme englischer
Kanäle zu erleben und englisches Leben und Denken am eigenen
Leib zu spüren.
Kaum 200 m neben der aktuellen Anlegestelle liegt ein Trockendock, das man für
Arbeiten am Unterschiff mieten kann. Solche Arbeiten fallen in regelmässigen Abständen
immer wieder an. In diesem Dock hatten die beiden für die nächsten
Wochen einen Platz reserviert und so lag wohl kaum Zuckerschlecken vor ihnen.
Bei Ablegen und ihrer Einfahrt in das Dock waren wir natürlich
interessierte Zuschauer, bevor wir dann selber die Leinen losmachten für
unser nächstes Wegstück.
Dieses führte uns bei schönstem Wetter über offenes Land, ...
...
trotzdem legten wir nach kurzer Fahrt in Sarralbe wieder an. Unser Liegeplatz
war
neben einer offensichtlich neuen, kleinen Parkanlage. Er war gut
ausgerüstet, bot Wasser und Strom (allerdings nur 5A!) gratis an.
Die Anlegestelle war gepflegt und wir waren zufrieden. Mit entsprechenden Erwartungen gingen wir in die Stadt, die in nur wenigen Minuten leicht zu Fuss zu erreichen war. Auf dem Weg dorthin bestaunten wir bereits auf der Brücke, dann entlang der Strasse und bei der Wegkreuzung immer wieder Blumenarrangements, wie man sie nur in Frankreich findet. Vor Jahren schon hatten wir mehrfach darüber berichtet, hatten sie aber in der letzten, etwas schwierigeren Zeit, zunehmend vermisst. Solche Farben, solch gekonnte Pflanzenauswahl, das findet man nirgends sonst und erst noch immer in äusserst gepflegtem Zustand. Alle diese Prädikate zusammen kann man für andere Themen in Frankreich nur selten anwenden. Hier musste jemand, weit oben in der Hierarchie, ausgesprochenes Gespür und viel Liebe zur Schönheit haben.
Der erste Eindruck war entsprechend gut, eine gepflegte Kleinstadt am
Zusammenfluss der Flüsse Saar und Albe. In der Nähe eine grosse Chemieanlage
von Solvay, die eigentlich für Arbeitsplätze und Einkommen gut sein
sollte.
Kurz danach kam in uns aber das starke Gefühl auf, dass hier etwas nicht stimmt.
Etwa zwei Drittel aller Ladengeschäfte waren leer, endgültig
geschlossen. Bei fast der Hälfte stand gar das ganze Haus zum Verkauf.
Ein Metzger, zwei Bäckereien, drei Coiffeurgeschäfte, vier Restaurants.
Und das wars. Eine halb tote Stadt. Hätten wir hierher ziehen müssen, wäre uns bange geworden.
Und draussen am Stadtrand, ein riesiger SuperU! Ist dieser die Ursache
für das Sterben der Innenstadt?
Unser Liegeplatz hat offensichtlich auch anderen Schiffern gefallen. Am Schluss lagen drei
grössere Schiffe beieinander. Ein Anblick, der sich immer seltener
bietet. Die EPATANT, die gerade vor uns lag, kannten
wir von früher. Im Juni 2013 (siehe dort) waren wir ihr in Douai
begegnet. Damals waren noch die Schweizer Cathérine und Bernard ihre Eigner und hatten uns
stolz ihr Schiff gezeigt. Heute ist die EPATANT in französischem Besitz.
Aber sie
hatte ein Problem: das Schiff besitzt kein übliches Ruder. Es hat seinen
Antrieb in einem beweglichen Pod. Und mit diesem hatte sie Grundberührung gehabt
und seither ist das Schiff ohne Antrieb. Dafür stand die rote Flagge. Die
Schiffschraube musste ersetzt werden und dazu musste das Schiff ins
Trockendock. Zum Glück lag das nächste ja in Wittring, nur 10 km von
hier.
Aber wie gelangt man dorthin, ohne Antrieb und ohne Ruder. Eine
anspruchsvolle Aufgabe für das Schifferpaar.
Wir blieben eine Woche in Sarralbe, fuhren dann weiter und waren, einmal mehr, beeindruckt von der offenen Landschaft, die trotz ihrer Weite nie eintönig wirkte.
Unser nächster Halt war kurz vor der Schleuse 16. Daneben
steht, auf dem Bild links vom Kanal, das Restaurant mit dem selben
Namen. Und der Name steht für ein Restaurant der gehobenen Klasse mit
einer Speisekarte für Anspruchsvolle.
Uns wurde die Wahl leicht gemacht: das Haus war für drei Tage geschlossen!
Dafür hatte der Himmel in der Nacht so viele Sterne, wie das teuerste
Restaurant sie nie haben könnte.
Und nebenbei: unsere Küche ist auch nicht ganz ohne. ;)
In Mittersheim fanden wir einen bequemen Platz gerade vor dem Gebäude der VNF. Gleich gegenüber, auf der anderen Seite des Kanals, entdeckten wir ein Geschäft, bei dem verschiedenste Tanklastwagen unablässig vor- und wieder wegfuhren. Da der Platz neben unserem Schiff für ein solches Fahrzeug gerade gross genug war, lag die Idee nahe. Wir bestellten den Tankwagen für den nächsten Tag und konnten so unseren Dieseltank einfach füllen. Er soll ja, um der Kondenswasserbildung vorzubeugen, den Winter über möglichst voll sein. Am anderen Tag legte sich die Tjalk Dageraad längsseits und profitierte ebenfalls von der angebahnten Gelegenheit.
So fuhren wir nach zwei Tagen weiter in ein Gebiet, das mit mehreren Seen und Weihern gesegnet ist. Ein Paradies für Camper und Wassersportler. Hier die Aussicht vom Kanal aus auf den Lac Vert, Teil des Étang de Mittersheim.
Kurz danach folgen sich die Schleusen 15 bis 1 in kurzen Abständen. Der frühere Kohlenkanal brachte über diese Treppe die Kohle aus dem Saarland in den Rhein-Marnekanal und auf diesem bis zu den Industrien in Strassburg und Müllhausen. Der Kanal folgt, etwas erhöht, dem Lauf der Saar und steigt so von Schleuse zu Schleuse um rund 2,6 m. Bis zu seinem Scheitelstück überwindet er damit eine Höhe von über 73 m.
Wir schleusten uns also fleissig weiter bergwärts bis zum Pont d'Albeschaux, wo wir für den Abend festmachten.
Kurz nach unserer Ankunft wurde es lebendig um unser Schiff herum. Zunächst fuhr ein Minibus vor, dessen Besatzung in Windeseile einen Tisch und ein reichhaltiges Buffet aufbaute. Wir freuten uns schon über diese besondere Willkommensgeste. Nur eine Viertelstunde später legten aber drei Ruderboote an, aus denen 16 wackere Ruderer und -innen kletterten. Wanderruderer, eine urdeutsche Tradition. Sie verdrückten sich alle zunächst in die umliegenden Büsche und stärkten sich danach ausgiebig an den anmachend hergerichteten Esswaren. Sie hatten es verdient, waren sie doch irgendeinmal in Saarbrücken gestartet, mit dem Ziel Strassburg! Wenn wir dann einmal in Strassburg sein werden, sind sie dann alle schon längst wieder zu Hause!
Erneut führt der Kanal durch ein Gebiet von reich verzweigten Seen, die als Reservoir dienen, wenn im Sommer das Wasser knapp wird. Und das für den Saarkanal sowie den Rhein-Marnekanal in beide Richtungen. In einem kurzen Teilstück verläuft der Kanal über eine Brücke, den Pont-canal du Stock zwischen zweien dieser Gewässer.
Dann kam sie doch noch, die Schleuse 1, mit der wir den höchsten Teil des Saarkanals erreicht hatten. Für uns die letzte auf der Saar. Fast ein wenig wehmütig schauten wir zurück, über die Schleuse hinaus, auf unsere Reise auf Mosel und Saar, die uns durch neue, uns bislang unbekannte Gegenden geführt hat.
Nach gut 2 km erblickten wir voraus den Canal Marne-au-Rhin, genau an der Stelle, an der wir im Juni (siehe Juni 2021) schon durchgefahren sind. Damals waren wir allerdings, von Strassburg kommend, geradeaus Richtung Nancy weitergefahren.
Jetzt drehten wir also nach Osten ab, machten aber kurz danach fest und
schauten weit zurück. Auf dem Bild sieht man vorne den Petit Étang, an
dessen südlichem Ufer (links im Bild) der Rhein-Marnekanal verläuft, auf
dem wir im Juni unsere Reise begonnen hatten. Vor dem
Grand
Étang de Gondrexange (weiter hinten), führt der Canal de la Sarre (wo
wir jetzt herkamen) nach rechts, während der
Rhein-Marnekanal weiterhin dem südlichen Ufer folgt. Das ist der Weg, den wir im
Juni gewählt hatten. Das Ganze ist also
Bief-de-Partage, gemeinsames Scheitelstück von drei Kanälen.
In allen drei Richtungen geht es bergab. Entsprechend
grosszügig müssen die Wasserreservoirs ausgelegt sein. Zieht man in
Betracht, dass dieses Werk um 1850 gebaut worden war, muss man der
weitsichtigen Lösung viel Respekt entgegen bringen.
Die Nacht war einzigartig. Es war, abgesehen von Mond und Sterne,
absolut dunkel. Kein einziges Licht war zu sehen, weit und breit.
Von nun an führte unser Weg zurück nach Strassburg, auf der selben Strecke, die wir bereits im Mai und Juni (siehe dort) in der Gegenrichtung befahren hatten. Entsprechend beschränkt sich ab diesem Punkt der Bericht unserer Reise auf Dinge, die sich von der Hinfahrt wesentlich unterscheiden. Allerdings hat uns die Erfahrung gelehrt, dass das gleiche Wegstück in der Gegenrichtung immer wieder für Überraschungen gut ist. Immerhin, wer mehr über einen Ort wissen will, findet das allenfalls unter den entsprechenden Monatsberichten von 2021.
Auch auf der Rückfahrt macht das Reisen Freude!
Den ersten Halt machten wir am Quai von Niderviller, im Bassin d'Altmuhle. Dort hatten wir im Frühling auch gelegen und waren zum ersten Mal der Barge Nilaya begegnet. Diesmal lag am gegenüberliegenden Ufer das Hotelschiff Panache. Nach einem Spaziergang zum Tunneleingang gingen wir auf der anderen Seite des Kanals zurück und hatten dort Gegenheit, mit der Besatzung der Panache zu reden. Wir waren natürlich interessiert, mehr über deren Reisepläne zu erfahren. Auf den engen Kanälen ist es hilfreich zu wissen, wo sich die grossen Schiffe bewegen. Etwas bedrückt erklärten uns die Leute, dass sie die Touren der nächsten zwei Wochen gestrichen hätten, weil ihre Passagiere aus den USA die Reise nicht hatten unternehmen wollen oder können. Eine harte Zeit für dieses Geschäft und trotzdem waren immer noch mehrere Hotelschiffe unterwegs.
Am nächsten Tag fuhren wir weiter durch die beiden Tunnel zum Plan incliné d'Arzviller. Nach einer kurzen Wartezeit fuhren wir mit dem Lift die schräge Rampe hinunter und wir verbrachten den Rest des Tages im Bassin unterhalb der Anlage, wo wir hinter dem blauen Hotelschiff Daniele anlegten. Eine gute Stunde später liess die Daniele, die übrigens von einer Kapitänin gefahren wird, sich in die Höhe fahren und wir waren froh, damit wenigstens ein Kreuzungsproblem mit einem grossen Schiff auf elegante Art umgangen zu haben.
Recht früh fuhren wir am nächsten Tag weiter. In der Nacht hatte es ausgiebig geregnet und das Wetter brauchte noch etwas Zeit richtig zu erwachen. Die zweite Schleuse hatte offenbar das selbe Problem. Während unserer Anfahrt füllte sie zwar noch anstandslos das Becken, wollte danach aber die Schleusentore nicht öffnen. Zwar gibt es beim Schleusenwärterhäuschen keinen Wärter mehr, aber zum Glück immerhin noch ein Telefon. Die angerufene Dame vom Dienst meinte ganz gelassen, wir sollen zunächst mal versuchen, an den Toren zu rütteln, das könne allenfalls helfen. Wenn nicht, würde sie dann schon Hilfe schicken. Es brauchte allerdings gröberen Einsatz von Händen und Füssen, bis sich die schweren Tore schliesslich entschieden, ihre Arbeit zu tun. Erstaunt? Nicht wirklich, sind wir doch in Frankreich.
Schon um 11.00 Uhr legten wir in Lützelburg an. Kurz vor der Einfahrt begegneten wir dieser Treidellokomotive, die zu besseren Zeiten wohl tausende von Schiffen dem Kanal entlang getreidelt hatte. Ob sie sich wundert, warum die jetzt so schwerelos vorbeifahren?
Nach dem Festmachen trafen wir auch die oben erwähnte Barge Nilaya, die hier geduldig auf ihre nächsten Gäste wartete. So hatten die Besitzer Platz und Zeit, uns zu einem Kaffee am Nachmittag zu empfangen, was wir natürlich gerne ausnützten. Ein Gespräch mit Leuten, die mit dem, was wir in der Freizeit betreiben, auch noch ihr Geld verdienen, ist immer sehr aufschlussreich. Vielen Dank Izzy und Kevin für die Gastfreundschaft!
Nachdem wir bis hierher schon drei Hotelschiffe angetroffen hatten, waren wir recht zuversichtlich, dass wir kaum mehr weiteren begegnen würden. Doch kaum zwei Schleusen später zeigte unser AIS an, dass ein 40m-Schiff hinter der nächsten Biegung zu erwarten sei. Wir legten auf der Bergseite der Schleuse an und brauchten nur wenige Minuten zu warten, bis die SAROCHE in die Schleuse einfuhr. Sie ist in dieser Gegend das grösste traditionelle Schiff, das als Barge Hotelgäste befördert. Wir wussten allerdings, dass die meisten Schiffe nur mit ein paar vereinzelten Passagieren unterwegs waren und auch nur verkürzte Touren anboten (Croisières Découvertes). So hart war der Kampf um die letzten Kunden, die sich zu einer Flussreise hatten entscheiden können und das stete Bemühen, neue zu gewinnen. Trotzdem begegneten wir auf unserem Weg noch der RAYMONDE, der APRÈS-TOUT, der MADELEINE und der PRINCESS. Selbst die DANIELE hatte uns schon wieder überholt.
Unser Ziel war Saverne das wir nach gut drei Stunden Fahrt erreichten. Allein die Schleuse vor der Stadt, welche die Schiffe auf das Niveau der Hafens hinunter bringt, brauchte mit der Wartezeit beinahe eine ganze Stunde.
Wir hatten unseren Platz reserviert und weil wir noch bei weitem
genügend Zeit hatten, gerade für eine ganze Woche gebucht. Das Wetter
war super, sonnig und warm, als wollte sich der Sommer mit seinen
letzten Tagen für vielen grauen und nassen entschuldigen, mit denen wir
uns so lange hatten zufrieden geben müssen.
Wir wären ganz bestimmt noch schwimmen gegangen, wäre nur das Bad noch offen gewesen.
Wir waren plötzlich beflügelt von Feriengefühl und genossen die beinahe vollständig wiedergekehrte Freiheit. Die Kontrolle des Covidpasses erfolgte, wo nötig, so problemlos und unaufgeregt, dass sie das gute Gefühl nicht zu beeinträchtigen vermochte.
So verbummelten wir noch ein paar schöne Tage in Saverne, bevor wir bereit waren für das letzte Teilstück unserer diesjährgen Reise: zurück nach Strassburg.
Ganz unerwartet ergab sich die Möglichkeit, dass Daphne und Pat, ein amerikanisches Paar aus Idaho, die wir in Saint-Jean-de-Losne vor drei Jahren kennen gelernt hatten (siehe Oktober 2018) uns in Saverne besuchen konnten. Sie waren mit ihrem Schiff in Toul und hatten vor ihrer Rückkehr in die Staaten ein paar Tage Zeit. Daher war es naheliegend, dass sie die gute Zugsverbindung nach Saverne nutzten und von dort aus uns auf unserer Reise während der nächsten Tage begleiten würden. Weil wir sie lange nicht mehr gesehen hatten, waren wir froh um die unerwartete Gelegenheit.
Gemeinsam machten wir uns auf den Weg und konnten endlich ohne Zeitdruck
über alles reden, was sich in den letzten Jahren ereignet hatte.
Wir hatten Glück mit dem Wetter und machten uns darum mit viel Freude auf die
Reise nach Strassburg.
Die erste Nacht verbrachten wir unmittelbar oberhalb der Schleuse 41,
die zweite bei Brumath. Drei gemütliche Tage bei schönstem Wetter und
kurz nach Mittag des dritten Tages erreichten wir unseren reservierten
Liegeplatz im Hafen von Europe-Boat-Trading, unserem Gastgeber für
diesen Winter in Strassburg.
Der nächste Monatsbericht wird daher davon erzählen, wie wir uns für den zweiten Winteraufenthalt in dieser Stadt einrichten.
Zum Monatsende
Einmal mehr hatten wir uns während Wochen auf Kanälen und Flüssen, den Haupthandelswegen der frühen
Industrialisierungszeit bewegt. Handelswege, die damals eine kaum zu
überschätzende Bedeutung hatten und mit ungeheurem Aufwand erbaut worden
waren. Berücksichtigt man die technischen Möglichkeiten jener Zeit, muss
man den planerischen und handwerklichen Leistungen höchsten Respekt zollen.
Wir haben verschiedene Industriebetriebe gesehen, die entlang dieser
Routen entstanden sind und lange gut gediehen, aber heute ihre Blütezeit
längst hinter sich haben. Sie stehen jetzt als Ruine oder Museum etwas
verloren in der Gegend. Sie legen Zeugnis ab von einem bewegten Kapitel
der Europäischen Geschichte, das von raschem technischem Fortschritt,
aber auch von grässlichen kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt
war. Die Kriege brachten das Ende des Feudalsystems und veränderten
damit die Gesellschaft grundlegend. Die Behebung von Kriegsschäden
brachte einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung. Billige Arbeitskräfte, die aus dem Ausland
herbeigerufen wurden, beschleunigten diesen Aufschwung zusätzlich. Der Niedergang
begann, zunächst unbemerkt, mit der Erkenntnis, dass
es noch billiger war, Industrieprodukte direkt in fernen
Niedriglohnländern herzustellen oder sie gar gänzlich von dort
einzuführen. Euphemistisch nannte man das Globalisierung und sah darin
fast unbeschränkte Möglichkeiten für die Wirtschaft. In Wirklichkeit
raubte man aber den Hunderttausenden, die zuvor in den Fabriken und
Bergwerken gearbeitet hatten, den Verdienst. Ihre Arbeit war zwar hart und
oft gesundheitsschädigend. Der
Lohn sicher nicht üppig, aber er erlaubte ein sicheres und
selbstbewusstes Leben. Was zunächst als die gute Idee für die
Unternehmen galt, entpuppte
sich bald als giftige Droge mit schlimmen Folgen für die Gesellschaft. Unmerklich war die Wirtschaft der Sucht nach
einfachem Gewinn
verfallen und sie scheint sich bis heute nicht davon befreien zu können.
Die Herstellungskosten ihrer Produkte wurden nicht mehr in erster Linie durch Innovation
und Wettbewerb gesenkt,
sondern durch Auslagerung der Arbeit an billigere Standorte.
Damit
konnte man gleichzeitig von den freizügigen arbeitsrechtlichen Bedingungen und den viel
weniger strengen Umweltsanforderungen in jenen Ländern profitieren.
Gleichzeitig machten wir alle uns abhängig von regelmässigen Zulieferungen
aus allen Teilen der Welt. Es hätte nicht einmal die Covid-Krise
gebraucht, eine kurze Blockade des Suezkanals genügte vollkommen, uns zu zeigen, dass selbst lebenswichtige Produkte plötzlich
nicht mehr zur Verfügung stehen können. Übrig
geblieben sind aber zahlreiche prekäre Arbeitsstellen
im eigenen Land, von denen jede
einzelne nicht ausreicht, eine Familie zu ernähren und ein anständiges Leben zu führen. Befristete
Verträge und Minijobs wurden zum Standard. Vor allem bei Dienstleistern,
wie z.B. Paketzustellern,
Uber, Amazon und ähnlichen internationalen Firmen. Firmen, die ihre Gewinne nicht
selber schaffen,
sondern lediglich abschöpfen. Diese Art zu wirtschaften ist
rücksichtslos, aber effizient. Sie führte zu unerwartet stark
sinkenden
Preisen, welche vor allem in der Mittelschicht eine bisher nie gesehene Konsumwut
weckten,
die ihrerseits fortwährend mehr Geld in die Kasse der Betriebe spült. Digitalisierung, Internet und
soziale Medien zündeten für diesen Wirtschaftszweig förmlich den
Nachbrenner.
Dass diese Entwicklung soziale Probleme fördert, wertvolle Resourcen frisst und Umweltprobleme
ins Uferlose wachsen lässt, ist unausweichlich.
Wenn wir uns heute über den Zustand unserer Welt Sorgen machen müssen,
ist das weitgehend eine direkte Folge des wirtschaftlichen Raubbaus. Es
gibt keine einfache Lösung. Gute Vorsätze bringen nichts und CO²-Zertifikate
im Ausland noch weniger.
Ein kalter Entzug wäre nötig, doch der täte uns allen sehr, sehr weh!
Es dürfte klar sein, dass dies nicht eine umfassende Geschichte der
Vorkommnisse der letzten 150 Jahre ist. Auch keine politische Analyse
der Situation von heute. Andere Faktoren müssten sicher auch noch
berücksichtigt werden. Ebenso sind nicht alle Länder im gleichen Ausmass
betroffen. Es sind aber Gedanken, die aufkommen, wenn man
Artefakten aus dieser Zeitspanne persönlich gegenübersteht und sie ernst nimmt.
(Dieser kleine Exkurs steht als Beispiel für
Beobachtungen, wie sie nur langsames Reisen möglich macht. Es gibt nicht nur
Burgen und Schlösser zu besuchen, Kathedralen und Riegelhäuser, Weinkeller und
Gourmetrestaurants, obschon all dies durchaus auch interessant ist.)
> Monat September 2021:
44 h
- 59 Schleusen
- 145 km
- 2 Tunnel
- 1 Schräglift