Oktober 2020 

Dieser Monatsbeitrag wird in der Übersicht Reisetagebuch als Bericht angeführt. Damit soll angezeigt werden, dass wir in diesem Zeitraum nicht wirklich mit unserem Schiff unterwegs sind. Trotzdem möchten wir über unsere Erlebnisse Buch führen, denn wie wir schon an anderer Stelle betont haben, dient unsere Website uns selber auch als persönliches Tage(Monats-)buch. Seit mehr als zehn Jahren leben wir nun nach dem Motto 'unterwegs zu Hause'. Daher sind wir ab und zu und immer öfter auf eine zuverlässige Gedächtnisstütze angewiesen, wenn wir einzelne Erinnerungen örtlich oder zeitlich einordnen wollen. Darum berichten wir hier gelegentlich über Ereignisse, die nicht unbedingt weltbewegend sein wollen, aber wir möchten unsere Erinnerung daran wach halten.
Dem Leser soll mit der klaren Zweiteilung Gelegenheit gegeben werden, einfach zwischen unseren Berichten von der Schifffahrt und jenen über die Zeiträume dazwischen zu unterscheiden.

Strassburg ist Hauptort der Region Grand Est. Dieser Name ist noch nicht überall geläufig und bezeichnet eine neue Region, die erst 2016 auf Weisung des Conseil d'État geschaffen worden ist. Dieser hatte die Zusammenlegung der drei früheren Regionen Elsass, Lothringen und Champagne-Ardenne angeordnet. Während den letzten Wochen war der Name allerdings immer wieder und überall zu lesen. Er bezeichnete die letzte übrig gebliebene Region Frankreichs, aus der Reisen nach Deutschland und in die Schweiz noch uneingeschränkt möglich waren. So hat uns die Corona-Geschichte wenigstens etwas über die allerjüngste Geschichte Frankreichs gelehrt. Für alle drei Länder hat der Verkehr zwischen diesen Grenzregionen allerdings eine besondere wirtschaftliche Bedeutung und das hat für den rücksichtsvollen Entscheid eine grosse Rolle gespielt. Für unseren geplanten Besuch in der Schweiz war er sogar ausschlagebend, denn wir lebten während dieser Zeit ja mittendrin in der Region. Darum müssen wir die weitere Entwicklung sorgfältig verfolgen.

Eine wesentlich längere Geschichte hat dagegen der Kougelhopf (Titelbild), der als traditionelle elsässische Spezialität allgegenwärtig ist. Unter leicht abgeändertem Namen hat das beliebte Gebäck später die halbe Welt erobert. Konkurrenz erwächst ihm hier höchstens durch den Flammekueche, dem wir vor zwei Monaten schon in Besançon, dort allerdings typischerweise in der Bar L'Alsacien, begegnet sind (siehe August 2020).

Eines der malerischsten Quartiere von Strassburg ist das ehemalige Gerberviertel, das sich heute fast liebevoll La Petite France nennt. Das alte, damals eher verabscheute Gewerbe der Gerber, das auf viel Wasser angewiesen war und von ihm reichlichen, aber nicht sehr sorgfältigen Gebrauch machte, prägte durch enge Gassen mit verwinkelte Häusern, Mühlen und niedrige Brücken über die zwei Ill-Arme das Quartier. Es zeichnete sich aber auch aus durch die Armut seiner Bewohner, viel Schmutz und Gestank. Heute hat sich die Gegend für die Touristen herausgeputzt. Die alten Häuser sind renoviert und blumengeschmückt, das Wasser ist sauber und verschiedene Brasseries und Cafés haben Plätze und Gassen für ihre Gäste möbiliert. Hier lässt es sich gut leben und es gibt viele Leute, die das auch gerne tun. Fast vergessen geht dabei, dass der Name des Quartiers von einem alten Spital herrührt, in dem früher vor allem Syphilispatienten behandelt wurden. Eine Krankheit, die damals, etwas schadenfreudig, vor allem den lebensfrohen Franzosen zugeschrieben wurde.

  

Durch die zwei Arme der Ill fahren heute Fahrgastschiffe (vergleichbar mit jenen auf der Limmat in Zürich) und zeigen den Besuchern die prächtige Kulisse im bequemen Vorübertuckern. Dabei fährt man durch Schleusen und die Brücken müssen gedreht werden, wenn die Schiffe durchfahren wollen. Daran haben nicht nur die Passagiere ihre Freude, denn jede Durchfahrt zieht auch viele Zuschauer auf dem Land an. Für diese beschreibt eine Tafel das richtige Verhalten auf der Drehbrücke und gibt gleichzeitig einen guten Eindruck vom speziellen Dialekt der Gegend, der wiederum die wechselhafte Geschichte dieser Grenzregion widerspiegelt.

   

Gegen Südwesten wird das Quartier vom Ill-Wehr begrenzt, der Barrage Vauban, die in den 1680er Jahren nach Plänen des berühmten Festungsbauers errichtet wurde. Damit wollte er in der Not die Gegend unterhalb der Stadt fluten können und sie so für allfällige Angreifer unpassierbar machen. 1966 baute die Stadt Strassburg eine Aussichtsterrasse oben darauf und diese bietet heute eine Postkartensicht auf das hübsche Quartier.
Leider kann man beim Anblick der Bilder die wehmütige Lautenmusik nicht hören, mit der während unserem Besuch ein einsamer Spieler (am Flussufer, links vom weissen Haus im rechten Bild) die Szene untermalte.

  

Bei etwas weniger schönem Wetter besuchten wir später das Musée Alsacien, das einen Einblick in das Leben der Leute gibt, die hier vor etwa 300 Jahren gelebt haben. Natürlich gab es schon damals Reiche und vor allem auch Ärmere. Spuren, die in einem Museum ausgestellt werden, hinterliessen eher die ersten.

Gemütlich war es sicher im warmen Bett und vorher geheiratet wurde normalerweise in schwarz!

  

Die unangenehme Pflicht, Militärdienst leisten zu müssen, wurde unter den jungen Männer jedes Jahrgangs durch das Los bestimmt. Wer dabei ein Los mit einer hohen Nummer gezogen hat, konnte sich erhoffen, damit über der Zahl der auszuhebenden Soldaten zu liegen. Den Überzähligen wurde damit unerwartete Freiheit und eine selbstbestimmte Zukunft geschenkt, was Anlass zu ausgiebigem Feiern gab. Für dieses Fest kleidete man sich in weiss. Das glückbringende Los wurde, wie heute beim Zahnarzt das Diplom, reich verziert an die Wand in der guten Stube gehängt. Zur Erinnerung und zum Dank für das 'grosse Los'.
Über das Schicksal und den Verbleib der weniger Glücklichen schweigt allerdings das Museum.
Mit dem verlorenen Krieg von 1870 und der Annektion der elsässischen Gebiete durch Deutschland änderten die Gebräuche gründlich: fertig lustig, der Militärdienst wurde für alle obligatorisch.

  

Der Innenhof stellt eine gutbürgerliche Umgebung dar und man kann sich darin die alltäglichen Szenen gut vorstellen.

Das Elsass und damit auch Strassburg durchlebte wegen seiner Lage inmitten Europas eine wechselhafte und oft tragische Geschichte. In mehreren Kriegen wurde um diesen Landstrich gestritten und die Bevölkerung wurde danach immer wieder neuen Machthabern unterstellt. Dieses Schicksal verdeutlicht das Monument aux Morts (Denkmal für die Toten), das 1936 auf dem Place de la République (früher Kaiserplatz!) in der Neustadt errichtet wurde. Es soll an die Opfer erinnern, die der Erste Weltkrieg von 1914-1918 gefordert hatte. Es zeigt eine Mutter, welche die Stadt Strassburg darstellt. Auf Ihrem Schoss ruhen ihre zwei sterbenden Söhne, von denen jeder auf einer anderen Seite der Front gefallen ist: der eine für Frankreich, der andere für Deutschland. Im Sterben geben sie sich die Hand, während beide zurückschauen, jeder auf sein 'Vaterland'. Der erste Weltkrieg hatte das Elsass, das 1870 im Deutsch-Französischen Krieg verloren gegangen war, erst gerade wieder Frankreich zurückgebracht. Die neu gewonnene Ruhe sollte allerdings nicht lange währen, wie die Jahreszahlen für die später gefallenen verdeutlichen.

Die Neustadt (quartier allemand oder quartier impérial) wurde auf den Trümmern der vom Krieg 1880 am stärksten betroffenen Gebiete errichtet. Das Quartier besteht vorwiegend aus Berliner-Monumentalbauten, die in den 1880er Jahren nach dem Deutsch-Französischen Krieg durch die neuen Herren des Deutschen Kaiserreichs in ungebremster Siegerlaune errichtet wurden. Sie repräsentieren die verschiedenen Baustile der hoffnungsvollen Jahrhundertwende und unterscheiden sich damit deutlich vom Rest der Stadt, sind aber gerade dadurch sehenswert. Später wurden die beeindruckenden Gebäude vom französischen Staat übernommen und beherbergen jetzt vorwiegend Verwaltungsabteilungen. Während vergleichbare Bauten in Deutschland den 2. Weltkrieg kaum überlebt haben, hatte Strassburg dieses eine Mal etwas mehr Glück. Darum wurde das Quartier auch ins Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen.


Es ist bei uns Tradition, dass wir möglichst keine Gelegenheit auslassen, wenn man irgendwo einen Turm besteigen kann. Also war es keine Frage, die Münsterplattform zu besuchen, die immerhin 66 Meter über dem Münsterplatz liegt. Ist man erst einmal die 330 Stufen hochgestiegen, ragt der berühmte Münsterturm allerdings immer noch weit in den Himmel hinauf, bis seine Spitze auf 142 m beinahe im Blau verschwindet. Leider ist er für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Während fast 250 Jahren, bis ins Jahr 1874, war mit diesem Turm das Strassburger-Münster das höchste Bauwerk der Menschheit. Mit der Fertigstellung des Nordturms waren aber wohl die Mittel erschöpft, denn der ursprünglich geplante Südturm wurde nie gebaut. An seiner Stelle blieb lediglich die Plattform und darauf, mit dem gleichen Grundriss wie der geplante Turm, das Wärterhaus. Dieses war allerdings bei unserem Besuch wegen Covid geschlossen. Der Aufstieg ermöglicht mehrfach ungewohnte Einblicke in die Konstruktion und die Hinterhöfe der Kirche.

      

Von der Terrasse geht der Blick frei, zumindest in zwei Richtungen: gegen Nordwesten hin in die Vogesen und in der anderen Richtung weit in den Schwarzwald.
Und natürlich über die ganze Stadt.

  

Die Turmwärter waren zumeist Steinmetze und als solche ständig mit Reparaturen beschäftigt. Gerne verdienten sie aber noch etwas nebenbei, indem sie Erinnerungstafeln für zahlungswillige Touristen anfertigten. In der Mitte des 19.Jahrhunderts wurde dieser Zusatzerwerb dann allerdings unterbunden.

Im Laufe des Monats nahmen die Meldungen zum Verlauf der Corona-Pandemie in Europa plötzlich wieder bedrohlichere Formen an. Hatte man sich während des Sommers so langsam an einen Rückgang der Krankheitsfälle gewöhnt, wurden in den ersten zwei Wochen die Einschränkungen fast überall wieder verstärkt. Auf dem ganzen Stadtgebiet wurde das Maskentragen zur Pflicht erklärt und dieser wurde auch weitestgehend nachgelebt. Ausnahmen tolerierte man nur beim Sport, beim Fahren mit dem Velo und beim Essen und Trinken, sofern man dazu sitzt.
Das liessen wir uns im Hafen nicht zweimal sagen. Wir trugen Stühle zusammen und versammelten uns jede Woche einmal auf dem Ponton zu einem gemütlichen Schwatz. Es gab zwar sehr viele Schiffe im Hafen, aber nur ein paar wenige waren ständig bewohnt. Damit blieb auch die Gruppengrösse überschaubar und innerhalb der erlaubten Grenzen. Sollte das Wetter aber weiterhin kühler werden, müssten wir an unserem luftigen Aufenthaltsort wohl bald zum Glühwein wechseln. Daran könnte man sich gewöhnen.
Diesmal trafen wir uns mit Chris und Liz (USA) von De Halve Maen, Helen und Dave (GB) von der Bronté und Rosemary und John (CAN) von der Forty Roses III. Ihre unterschiedlichen Biogafien und Meinungen, auch bedingt durch die verschiedene Herkunft und vielfältigen Erfahrungen, sorgten dafür, dass es nie an Gesprächsstoff mangelte.

Daneben ergab sich einmal ganz unerwartet eine Möglichkeit für einfache nachbarschaftliche Hilfe. Auf der roten Amphitrite gegenüber hatte der fürsorgliche Vater seiner Tochter auf deren 10. Geburtstag hin ein kleines, eigenes Boot gebaut. Es trägt stolz die gleichen Farben wie das grosse Mutterschiff. Die ersten Böen der frischen Herbstwinde hatten dann leider das kleine Schiff unter das grosse gedrückt, wobei es mit Wasser voll lief und sank. Für einen Mann allein war das massiv gebaute Beiboot dann doch zu schwer zu bergen. Mit vereinten Kräften gelang das dann wesentlich leichter. Hat allen gut getan!

 

Die letzten Tage des Monats waren geprägt durch die überall rasch zunehmende Nervosität wegen der Corona-Pandemie. Die Anzahl der auf das Virus positiv getesteten Fälle nahm in ganz Europa sprunghaft zu und das Hochrechnen der dadurch sichtbar werdenden Kurven ergab erschreckende Zahlen für die allernächste Zukunft. Die wachsende Angst vor dieser Entwicklung bei den einen, traf auf die etwa gleich schnell zunehmende Verärgerung über die Folgen der bisher angeordneten Massnahmen bei den anderen, die deswegen in grosse Not geraten waren. Deren Probleme konnte durch die staatlichen Hilfsmassnahmen natürlich nur zu einem kleinen Teil gelindert werden. Dass die plötzliche Verschlechterung der Lage nun auch jene Staaten ungebremst traf, die sich bisher über einen guten Verlauf der Pandemie freuen durften, erstaunte natürlich in erster Linie deren Behörden, die sich gerade diesen guten Verlauf als ihren persönlichen Verdienst angerechnet hatten. So wurden beide Seiten immer nervöser und die Diskussionen hitziger. Angstmacher trafen auf Verharmloser und auf der Strecke blieb gelegentlich die Vernunft. Die Wahrheit liegt sicher zwischen diesen beiden Extremen. Sie ist aber von erhitzten Köpfen kaum zu erkennen. Würde man bei jedem positiven Test nach fünf oder zehn Tagen kontrollieren, ob der Patient tatsächlich erkrankt ist und auch dieses Ergebnis veröffentlichen, könnte das helfen, die Wogen etwas zu glätten. Und die Testergebnisse liessen sich so besser einordnen.

Für uns bedeutete das, dass wir den Entscheid für unseren geplanten Besuch in der Schweiz bis zum letzten Tag aufschieben mussten, während wir die täglich wechselnden Anordnungen und Vorschriften sorgfältig prüften. Wir wollten auf jeden Fall vermeiden, dass wir in der Schweiz wegen der extrem hohen Werte in Frankreich plötzlich in Quarantäne müssten, oder nach dem Besuch nicht mehr nach Frankeich zurückkehren könnten, weil auch die Schweiz inzwischen zum Risikogebiet erklärt wurde. Zugegeben, nicht ein lebensbedrohendes Problem, aber für uns persönlich gleichwohl einschneidend.

Trotzdem reisten wir am 28. Oktober mit viel Zuversicht Richtung Schweiz. Es galt, einige wichtige Termine wahrzunehmen, aber viel mehr freuten wir uns auf Besuche bei der Familie und Freunden.
Natürlich fuhren wir zunächst zu Tochter und Schwiegersohn mit ihrer Familie. Im März (siehe März 2020) hatte uns der überraschende und etwas Besorgnis erregende Ausbruch der Corona-Epidemie einen richtigen Besuch verunmöglicht. Wir mussten uns damals mit einer kurzen Begegnung unter der Haustüre begnügen. Das hat den Erwachsenen zwar weh getan, war aber vorallem für den grösseren Enkel vollkommen unverständlich.
Umso ausgiebiger haben wir diesmal die gemeinsame Zeit genossen.

Am zweiten Tag fuhren wir nach Luzern zu Monika, Hans und Chico, die wegen der aktuellen Lage es vorgezogen hatten, diesen Sommer vermehrt Zeit in ihrem Haus zu verbringen und damit etwas weniger Risiko einzugehen. Sonst sind sie seit Jahren regelmässig mit ihrer Baba Jaga unterwegs und wir sind uns dabei schon mehrfach begegnet (siehe Juni 2017, August 2017 und Oktober 2017). Einen unvergesslichen Ruf haben sie sich als Gotte und Götti unseres berühmten Bäri erworben, dem sie zu einer sicheren und komfortablen Reise von Mecklenburg in die Schweiz verholfen haben. Dort füllt er seither zufrieden lächelnd das Kinderzimmer unserer beiden Enkel fast zur Hälfte und überwacht geduldig das Leben der Kinder als gütiger, warmherziger Freund.

Doch schon am  zweiten Tag unseres Aufenthaltes in der Schweiz sind wir auf die Anordnung eines fast vollständigen Lockdowns gestossen, der von den französischen Behörden kurzfristig anberaumt worden war. Spätestens am Sonntag, dem 1.November 2020, mussten wir wieder auf unserem Schiff sein. Bis zu diesem Datum wurde Ferienrückkehrern Zeit gegeben, nach Hause zu kommen. Nach diesem Datum waren Reisen in Frankreich, gleich wie für alle anderen Einwohner ab sofort, nur noch während einer Stunde pro Tag und in einem Umkreis von maximal einem Kilometer vom Wohnort gestattet. Natürlich wurde dazu jedes Mal wieder eine aktuelle Attestation verlangt, genau wie schon im Frühling (siehe März 2020). Und ebenso natürlich würde dieser Forderung bei Nichtbeachtung mit saftigen Bussen zur Nachachtung verholfen.

So mussten wir kurzfristig alle anderen Termine absagen und fuhren unverzüglich nach Strassburg zurück.
Die Betroffenen möchten wir um Verständnis bitten, aber wir freuen uns auf die Gelegenheit, bei der wir alles Verpasste unter entspannten Verhältnissen werden nachholen können.

 

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