Mai 2020

Schifffahrt sieht anders aus. Nach den Wintermonaten, die wir im Süden von Frankreich verbracht hatten, und dem danach verordneten Corona-Lockdown verspürten ganz offensichtlich nicht nur wir akuten Bewegungsmangel. Dichter Pflanzenbewuchs hatte sich nach und nach auf dem Ruder der Mizar angesiedelt. Wahrlich kein Zeichen von Aktivität, sondern vielmehr Beweis, dass es nun Zeit wäre, endlich die Leinen los zu machen. Aber noch immer hatte die VNF, die staatliche Aufsichtsbehörde über die Flüsse und Kanäle Frankreichs, den Verkehr nur für jene Schiffe frei gegeben, die gewerbliche Gründe geltend machen konnten. Das bedeutete Fahrverbot für den gesamten Freizeitverkehr. Da bis zum 11. Mai alle Werkstätten und Betriebe um den Hafen in St. Jean de Losne gemäss amtlicher Weisung ohnehin geschlossen waren, ruhte auch das Gewerbe. Viel konnten wir deshalb nicht unternehmen und es gibt darum auch nicht viel zu erzählen. Die Beschränkung der Bewegungsfreiheit in Frankreich war deutlich strenger als beispielsweise in der Schweiz und hat das öffentliche Leben fast vollständig zum Erliegen gebracht. Darum waren wir auf unserem Schiff im Hafen von St.Jean de Losne praktisch blockiert.

Unser Aufenthalt hatte also nicht viel mit Schifffahrt zu tun und Reisen zu Land waren ebenfalls nicht gestattet. Auf der anderen Seite hatten wir während dieser Zeit fast ideale Bedingungen, den allgemein akzeptierten Forderungen nachzukommen. Persönliche Einschränkungen erfuhren wir während dieser Zeit kaum. Wir konnten einkaufen, was wir brauchten, begnügten uns dabei, selbst ohne spezielles Dazutun, fast von alleine mit deutlich weniger, als wir normalerweise für notwendig gehalten hätten. Immerhin erlebten wir bei jedem Gang ins Einkaufszentrum, dass dort ein wesentlicher Teil der Kunden sichtbar beunruhigt, wenn nicht gar verängstigt war. Viele trugen Masken über Nase und Mund oder versuchten fortwährend, möglichst jeder Begegnung auszuweichen. Andererseits wurde weiterhin jeder Apfel, jede Gurke ausgiebig in der Hand umgedreht, bevor er oder sie schlussendlich im Einkaufskorb landete oder - leider nicht selten - wieder ins Gestell zurückgelegt wurde. Die verordneten Abstände zwischen den Kunden verunsicherten viele und sorgten für lange Warteschlangen vor der Eingangstür und vor der Kasse. Natürlich hatten wir uns für strengere Anforderungen gewappnet und entsprechend vorgesogt. Immerhin lebten wir jetzt schon etwas mehr als zwei Monate unter diesen Bedingungen und hatten uns einfach entsprechend eingerichtet. Soziale Kontakte waren unter diesen Umständen sehr eingeschränkt.

Mittels Radio und Fernsehen verfolgten wir die Vorgänge im Rest der Welt und waren einigermassen erstaunt, dass in den meisten Ländern vergleichbare Entwicklungen zu verzeichnen waren, selbst wenn die Regierungen in vielen Punkten unterschiedliches Vorgehen beschlossen hatten. Natürlich erzeugten Einzelereignisse einzelne abweichende Resultate. Mangelndes Wissen wurde oft durch forsches Handeln übertüncht und die rasch getroffenen Anordnungen mussten entsprechend häufig korrigiert werden. Natürlich versuchten die Verantwortlichen jeweils, ihr Vorgehen in ein gutes Licht zu stellen und so waren aussagekräftige Vergleiche der Ergebnisse schwierig. Dabei spielte der zunehmende Druck aus der Wirtschaft eine immer grössere Rolle, weil die eiligst angeordneten Hilfsprogramme rasch beeindruckende Ausmasse annahmen, aber trotzdem nie alle Bedürftigen zu erreichen vermochten. Da exakte Wissenschaft bekanntlich immer viel Zeit braucht, versuchten gewiefte Geschäftsleute, ambitionierte oder weltfremde Politiker, notorische Besserwisser, Angstmacher oder Heilsverkünder aus der unübersichtlichen Situation möglichst viel Kapital zu schlagen. Oftmals im wörtlichen Sinn! Denn bekanntlich macht Gelegenheit Diebe! Zeitungen und Medien, die schon während der letzten Jahre keinen leichten Stand gehabt hatten, berichteten ohne Unterlass über beängstigende Entwicklungen. Weil sie aber auch nicht klüger waren als die Akteure, war gelegentliches Abgleiten in Effekthascherei unvermeidlich. Immerhin ergab sich damit für viele 'Experten', ob dazu berufen oder nicht, ein willkommener Anlass, wieder einmal vor der Öffentlichkeit aufzutreten. Einmal mehr zu kurz kamen dabei allerdings jene Millionen von Leuten, die schon lange vor der Pandemie wegen den raschen Veränderungen in der Welt und den mörderischen kriegerischen Auseinandersetzungen allergrösste Not gelitten hatten. Für die Politik blieben sie weiterhin Statisten und für die Geschichte werden sie kaum mehr als eine Fussnote sein.

Dankbar waren wir für unsere Terrasse, auf der wir ein Bisschen Freiheit atmen, die Sonne geniessen und wie in einem Garten, Blumen und Insekten beobachten konnten. Sie alle blieben von der ganzen Aufregung unberührt und gingen weiterhin fleissig ihren Aufgaben nach. Und wir hatten dabei unsere Freude an den allerkleinsten Dingen des Lebens. Mit etwas Verspätung wurden schliesslich unsere neuen Blumenkisten geliefert. Erst beim Abbau der alten wurde uns wirklich bewusst, in welch schlechtem Zustand sie waren. Die Arbeit in unserem 'Garten' verkürzte uns das Warten auf eine hoffentlich erfolgreiche und spannende neue Schiffersaison.

  

Auch unser Orange Poppy, der kalifornische Mohn, der uns schon seit Jahren treu begleitet und sich immer wieder spontan aus seinen eigenen Samen erneuert, schien von dieser Vorfreude angesteckt worden zu sein. Er wird auch Schlafmützenmohn genannt, weil die noch geschlossene Blüte durch ihre zwei Kelchblätter als spitze Hülle bedeckt wird. Beim Öffnen fällt diese in einem Stück ab und gleicht dann tatsächlich einer altmodischen Schlafmütze. Ein beruhigendes Erlebnis in Zeiten, wo allein das Wort 'Ansteckung' eine echt bedrohliche Bedeutung angenommen hatte.

Dass das Leben auch ausserhalb von Corona weiter ging, zeigte uns eine auffällige Rauchsäule an einem schönen Abend. Ganz in der Nähe hatte offenbar eine gemütliche Grillparty ein unerwartetes Ende genommen.

  

Endlich konnten wir uns auch aufraffen, die Glasscheibe in einem der Bullaugen zu ersetzen, die schon vor Jahren gesprungen war. Weil die Reparatur ein etwas ungewohntes Vorgehen erforderte, hatten wir sie immer vor uns hergeschoben. Aber schliesslich wagten wir den Sprung ins kalte Wasser. Allerdings war schon die Demontage des Fensterflügels eine gröbere Übung. Schliesslich waren Scharnier und Feststellschrauben für härteste Bedingungen gedacht.

Die geborstene Scheibe war ganze 18 Millimeter dick und massiv verkittet. Sie wehrte sich hartnäckig gegen den Ausbau.

  

Aber 'Geduld bringt Rosen' meint das Sprichwort. In unserem Fall brachte offenbar der Mohn erst Geduld ...

... und damit Erfolg!

Wie sich die Dinge weiter entwickeln sollten, wurde durch einen ausgeklügelten Plan dargestellt, nach dem die Behörden ihre künftigen Entscheide ausrichten wollten. Dabei galt es zu berücksichtigen, dass wir in einem 'Dépatement à circulation épidémique elevée' wohnten. Es war also weiterhin Geduld angesagt.

Trotzdem reichte es am Samstag, dem 17. Mai zu einem ersten Bier am Quai National.
(Im Plastikbecher, im Take-Away, mit Sicherheitsabstand!)
Aber immerhin!

Mit all diesen Neuerungen schien es uns möglich, bis zum 2. Juni warten zu können. Dann wird der französische Staat die neuen Massnahmen zur Bekämpfung der Coronakrise bekannt geben. Das wird dann auch für uns aufzeigen, wie unsere nähere Zukunft aussehen wird.
Eigentlich hatten wir geplant, dieses Jahr über Nancy und Metz zur Mosel zu fahren. Dies hätte jedoch zwingend vor der Feriensaison geschehen müssen, weil dort Anlegeplätze für Schiffe in der Grösse der Mizar dünn gesät sind. Wir haben aber in der Zwischenzeit für den nächsten Winter einen Liegeplatz in Strassburg reserviert. Den wollen wir unbedingt auf Anfang Oktober erreichen.
Bis dahin nehmen wir einfach jeden Tag wie er kommt.


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