Februar 2020

 Selbst in einem Schaltjahr ist der Februar der kürzeste Monat des Jahres. Darum nehmen wir uns die Freiheit, diesen Bericht etwas kürzer zu gestalten.
Die Blüten des - zugegeben, etwas kümmerlichen - Mandelbaums im Garten machten deutlich, dass der Frühling nahe war und damit das Ende unseres Aufenthaltes in der Mühle rasch näherkam. Nach den Aufregungen nach dem Jahreswechsel drehten unsere Gefühle angesichts des nahen Abschieds nach und nach Richtung Wehmut und wir gingen die Zeit ganz bewusst etwas ruhiger an. Wir genossen ausgiebig die ersten wirklich warmen Tage und machten kleinere Spaziergänge. Meist gemütlich, gelegentlich auch etwas sportlicher. Weil hier die Leute offensichtlich wenig zu Fuss gehen, gibt es zwischen den riesigen Feldern praktisch keine Wege und jene, die von den Strassen wegführen, verlaufen um enige Kurven bloss zum nächsten Bauernhof und sind privat. Entweder sind sie entsprechend ausgeschildert oder gar abgesperrt. Und weil es auf den kleinen Nebenstrassen eher wenig Verkehr gibt, fahren die Autos umso schneller. Man tut also gut daran, seine Wanderwege sorgsam auszusuchen. Den Bächen entlang und quer durch den Wald gibt es überhaupt keine Wege. Spaziergänger scheint man hier nicht zu kennen. Natürlich gibt es auch hier, wie überall, die bekannten Routen entlang den Kanälen, die für Fernwanderer und Radfahrer ganz besonders geeignet sind.
Aus der Ferne blickten wir gelegentlich zurück auf das Haus, das für uns mittlerweile fast wie ein Zuhause geworden war.

  

Noch immer hatten wir es aber nicht fertig gebracht, die lokale kulinarische Spezialität, das Cassoulet zu versuchen. Ein unbedingtes 'must-do' für den nächsten Monat. Dabei bezeichnet sich Castelnaudary selber als Welthauptstadt des Cassoulet. Unabdingbarer Bestandteil des regionalen Lieblingsessens, ohne das hier gar nichts zu gehen scheint, sind ganz normale weisse Bohnen. Werden diese mit Gemüse, Würsten und Fleisch von Huhn oder Schwein, Ente oder Lamm, zusammen gekocht, entsteht, je nach Zusammensetzung und Gewürzen das Gericht, um das hier sich die Welt zu drehen scheint. Unbedingt dazu gehört allerdings die richtige irdene Schüssel, ohne die alles nichts ist.
Und diese Schüssel wird hier gemacht:

Bei unseren Erkundungsfahrten entlang des Canal du Midi sind wir darauf gestossen. Auf diesen Betrieb, der sich mit jedem denkbaren Recht auf Tradition berufen kann. Seit Generationen werden hier die tönernen Schüsseln geschaffen, ohne die das Gericht wohl nie zu seinem unverwechselbaren Ruf gekommen wäre.

Mit Hingabe und Geschick wird hier getöpfert, auf eine Art und Weise, die sich kaum davon unterscheidet, wie unser Geschirr seit hunderten von Jahren hergestellt wurde.

Es war ein ganz besonderes Erlebnis, durch eine Welt zu gehen, die sich nur in wenigen kleinen Details von einer Vergangenheit unterscheidet, die wir längst entschwunden glaubten.

     

Allerdings werden nicht nur die Cassoulet-Töpfe hier hergestellt. Für alles, was man in Küche, Haushalt und Garten in ein Gefäss verstauen kann, findet man hier das Geeignete.

Wer sich die Zeit nehmen will, alles weitere zu erfahren, kommt hier auf seine Rechnung:
les cassoles de la famille Not (kurze Doku, 5 Minuten)

     

Immer wieder gab es kleine Momente, die ausreichten, einen Tag zu etwas Besonderem zu machen: Ein Sonnenaufgang etwa, oder die Larve einer Haubenfangschrecke (Empusa pennata), die nach einer kühlen Nacht an der Fassade auf die wärmende Sonne wartete.

  

Weil wir solche und andere kleine Erlebnisse gerne teilen, haben wir Maria und Mende von der Constanta (siehe November 2019) eingeladen, die dann zusammen mit Eugen, dem Bruder von Maria, uns besucht haben. An diesem Tag hat die Sonne uns so sehr verwöhnt, dass wir gelegentlich sogar in den Schatten ausweichen mussten.

Eugen, ein passionierter Fotograf, hat uns bei dieser Gelegenheit einige Erinnerungsbilder von unserem gemeinsamen Besuch des Marktes in Mirepoix (siehe auch Dezember 2019) mitgebracht. Gerne fügen wir seine Bilder hier an.

Die Eindrücke, die ein anderer Beobachter am selben Ort sammelt, machen individuelle Schwerpunkte deutlich.
(Vielleicht hatte er aber einfach nur Hunger.)

        

Aber er sah, neben kulinarischen Leckerbissen, auch architektonische.

  

Gegen Ende des Monats hat uns dann noch einmal das Reisefieber gepackt. Trotz schlechter Wetterprognose und Regen am Morgen haben wir uns voller Zuversicht auf den Weg gemacht. Aber die Götter hatten offenbar ein Einsehen und kurz nach Mittag erstrahlte der Himmel im schönsten Blau. So konnten wir bei Sonnenschein aber stürmischem Wind die Stadt Narbonne erkunden. Obschon hier die erste römische Kolonie ausserhalb Italiens errichtet worden war, findet man heute an dieser Stelle eine Stadt, die kaum mehr an ihre Bedeutung in Antike und Mittelalter anknüpfen kann.  In der Römerzeit war sie an der Via Domitia gelegen, welche Italien mit den spanischen Gebieten verband. Zugleich zweigte hier die Via Aquitania nach Westen ab, die über Toulouse nach Bordeaux und von dort zum Atlantik führte. Damit und wegen ihrer Nähe zum Mittelmeer hatte der Ort eine bedeutende verkehrstechnische Lage. Während ihrer wechselvollen Geschichte wurde die Stadt nach dem Zusammenbruch des Römerreichs zuerst einmal westgotisch und dann im Jahre 719 als erste fränkische Stadt von der Mauren erobert. Obschon der Fränkische König Pipin der Kleine die Stadt bereits 40 Jahre später für die französische Krone zurückeroberte, ging sie knapp vor dem Ende des Jahrhunderts erneut verloren. Diesmal kam der Emir von Cordoba, der sie gründlich zerstörte und die Bevölkerung fast gänzlich aufrieb. Im Mittelalter geriet sie dann unter die Herrschaft der Herzoge von Toulouse und teilte damit das Schicksal aller Katharer während der mörderischen Albigenser Kriege (1209-1229) bis zum bitteren Ende.

Ab 1270 wurde dann, wohl um die Macht der fränkischen Könige und deren Treue zum Papsttum zu manifestieren, mit dem Bau der Kathedrale Saint-Just begonnen. Es hätte einer der bedeutensten Sakralbauten in Frankreich werden sollen. Offenbar waren aber die Erbauer zwar gute Bau- aber schlechte Kaufleute. Darum stand leider erst der riesige Chor, als alles Geld aufgebraucht war. So besteht heute, als Kuriosum, die Kathedrale einzig aus einem grossartigen Chor. Dieser allerdings mit einer beachtlichen Höhe von 41m. Die Hoffnung, später auch ein Kirchenschiff für die Gläubigen zu bauen, ist inzwischen wohl längst aufgegeben worden. Nichtsdestotrotz wurde für den Erzbischof ein schlossähnlicher Sitz unmittelbar an die Kirche angebaut.

  

Trotzdem ist das Innere des Chors sehenswert.

  

Das Stadtzentrum wird durch den Canal de la Robine zweigeteilt, der die Stadt seit jeher direkt mit dem Mittelmeer verbindet. Leider verzichtete diese beim des Bau des Canal du Midi (siehe November 2019) aus finanziellen Gründen darauf, selber einen direkten Zugang zum neuen, wichtigen Verkehrsweg zu erstellen. Es vergingen dann weitere 100 Jahre, bis der Erzbischof(!) die notwendigen Mittel fand, mit dem lediglich etwa 5km langen Canal de Jonction diesen Fehler zu beheben. Damit war der Anschluss von Narbonne an den Canal du Midi gewährleistet.

Übernachtet haben wir in einem kleinen Hotel (Hôtel de France), keine fünfzig Schritte neben der Markthalle, das als Einmannbetrieb von einem äusserst netten und zuvorkommenden jungen Mann geführt wurde. Der hatte unsere Sympathie innert kürzester Zeit gewonnen und sein Angebot war entsprechend. Nicht üppig, aber durch und durch ehrlich und jeden Euro wert. Auch sein Tipp für das Nachtessen auf der anderen Seite des Marktes erwies sich als goldrichtig.

Auch am anderen Morgen hat er sich jede Zeit genommen, uns auf der Karte den besten Weg zu erklären durch den südwestlichen Teil des Departements Aude, was, wie sich bald herausstellte, seine engere Heimat war.
Es wurde eine Fahrt durch eine wunderschöne Landschaft, die anscheinend vor allem Wein und Oliven hervorbringt und bei gutem Wetter eine prächtige Aussicht auf die Pyrenäen böte.

Unser Ziel waren die Katharerburgen, die als Teil der blutigen Geschichte der Katharer, diesen zeitweise als Schutzburgen dienten. Beinahe in einer Linie standen deren fünf, immer in Sichtverbindung von einer zur anderen, beinahe von der Küste des Mittelmeers bis hinauf nach Carcassonne. Weil dort der Chef zu Hause war, wurden sie als 'die fünf Söhne von Carcassonne' bekannt (Château de Puilaurens, Ch. de Peyrepertuse, Ch. de Quéribus, Ch. d'Aguilar, Ch. de Termes). Fast alle wurden auf steilen Felsen in unzugänglicher Lage erbaut, vermochten aber offensichtlich das Schicksal, das die Anhänger des 'reinen Glaubens' erwartete, nicht abzuwenden. Zu Hunderten wurden die angeblichen Ketzer hingemetzelt und verbrannt. So traurig das Los der Verfolgten war, so beeindruckend sind die Burgen, in denen sie Zuflucht gesucht hatten (siehe November 2019).

Unser Ziel war Château de Peyrepertuse, die grösste der Katharerburgen. Im 11. Jahrhundert wurden auf den Felsen nördlich des Dorfes Duilhac-sous-Peyrepertuse die ersten Schutzmauern erbaut und die Anlage während der folgenden 200 Jahre stetig erweitert. Die Lage auf den steilen Felsen sollte grösstmöglichen Schutz gewähren und allfälligen Angreifern keine Chance lassen. Die Burg selber verschmilzt förmlich mit dem Kalkstein und ist aus der Ferne kaum zu sehen. Nach dem Ende der Albigenserkriege wurden die fünf Burgen von König Ludwig IX übernommen und als Wehrburgen für den Krieg gegen die Spanier (Aragonien) weiter ausgebaut. Erst im Jahre 1659 gelang es Ludwig XIV, dank seiner Ehe mit der Infantin Maria Theresa von Spanien, den Konflikt endgültig beizulegen.

 

Erst aus kleinerer Distanz sind Fels und Wehrmauern wirklich auseinander zu halten.

Der Weg hinauf ist steil. Er strengt die Besucher etwas an, lässt der Natur aber damit mehr Freiheit. An den steilsten Stellen, wo die Gäste während ihrem Aufstieg sich immer wieder festhalten müssen, da hinterlassen sie sichtbare Spuren an den Buchsbäumen. Selbst vorspringende Felsnasen, die Halt zu geben vermögen, wirken wie blankgewetzt.

  

Erst von ganz oben lässt sich die Grösse der Anlage einigermassen überschauen. Allein der Versuch, sich eine grobe Vorstellung der Gefahren und Mühen zu machen, denen die Arbeiter während der Bauzeit ausgesetzt waren, schafft grossen Respekt. Auch das tägliche Leben der Garnisonen auf diesen windigen Höhen wäre für uns wohl kaum erträglich.

  

Ob die grandiose Aussicht die Bewohner wohl für all ihre Mühsal ausreichend entschädigt hat?

     

In der Ferne sieht man die Burg Quéribus, die das nächste Glied in der Kette gegen Osten darstellt.

Die Gipfel der Pyrenäen blieben hinter den Wolken versteckt. Dafür kam die abwechslungsreiche Landschaft im Vordergrund besser zum Tragen.

Die Rückfahrt nach Castelnaudary führte uns, zumeist entlang des Flusses Aude, durch eine äusserst abwechslungsreiche, zeitweise echt spektakuläre Landschaft in Richtung Quillan. Früher empfing die Gegend, dank einiger Thermalquellen, viele Kurgäste, selbst aus Paris, die sich hier Genesung von allerlei Zivilisationskrankheiten erhofften. Heute bietet sie, dem Zeitgeist eher entsprechend, erfolgreich vielfältige Gelegenheiten für Canyoning, Riverrafting, Kayakfahren und Klettern an.

Diese kurze Reise bildete einen würdigen Abschluss unserer Erkundungen im Südwesten Frankreichs. Etwas müde, aber mit unvergesslichen Eindrücken kehrten wir auf 'unsere' Mühle bei Castelnaudary zurück

 

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