November 2019 |
Ein paar Tage brauchten wir schon, uns am neuen Ort einzuleben. Zunächst galt es, viele neue Eindrücke zu verarbeiten. Zum ersten Mal waren wir für längere Zeit im Süden von Frankreich und hatten damit Gelegenheit, uns in Ruhe umzusehen.
'Unser' neues, temporäres Heim liegt weit abgelegen, in einer sanften, hügeligen
Landschaft mit ausgesprochen südlichem Flair. Für die Jahreszeit
erschien uns die Natur beinahe als zu sommerlich, obschon die riesigen Felder abgeerntet und
darum vorwiegend braun waren. Spürbar waren wir dem Mittelmeer näher als
je zuvor. Reben und Oliven prägen die Landschaft,
Pinien und Zypressen folgen den Bächen. In unserem Garten trug gar ein Granatapfelbaum reife Früchte. Wenig
erstaunt waren wir ob dem vorwiegend windigen Wetter. Wir waren
ja hierher gekommen, während gut vier Monaten eine alte Mühle zu
hüten. Gleich zwei Windmühlentürme stehen im Vorgarten. Sie tragen allerdings kein Windrad mehr und
werden wohl nach und nach zu
Wohnzwecken umgebaut. Allerdings gibt es in nächster Umgebung
immer noch
intakte Mühlen (Titelbild). Das alles hilft, in der Zeit wieder mal
etwas zurück zu wandern und Geschichte zu erleben. Eines der wichtigen
Ziele unserer Reise mit dem Schiff!
Rasch war uns aufgefallen, dass es in der Gegend eine starke
englische Community gibt. Offenbar hat die vermehrte Zuwanderung von
Engländern schon vor 10 bis 20 Jahren angefangen. Wegen der stetig
zunehmenden Abwanderung von Einheimischen in Richtung wirtschaftlich
erfolgreichere Gebiete, entpuppten sich die leer werdenden Häuser für die Inselbewohner
als günstige Kaufgelegenheit. Teils wurden diese Häuser,
die für schweizer Begriffe zu äusserst attraktiven Preisen gehandelt
wurden, mit verhältnismässig geringem Aufwand als fester Wohnsitz
ausgebaut, teils nur als gelegentlich benutzes
Ferienhaus. Dieser Aufwand aber gab den hiergebliebenen Franzosen
einige der Verdienstmöglichkeiten zurück, die zuvor durch die
globale Entwicklung verloren gegangen waren. Alles Folgen der
fortschreitenden Konzentration in der Landwirtschaft, wo immer mehr kleine Betriebe von
grösseren aufgekauft werden, sowie der steten Anstrengungen in der Industrie
zur Steigerung von Effizienz und Gewinn. Beinahe nebenbei wurden so einige Gebäude vor dem endgültigen Verfall gerettet.
Sie können
damit weiterhin Zeugnis ablegen über das Leben in vergangenen Zeiten.
Gegen Süden hin ging der Blick über nur sehr schwach besiedeltes Gebiet und über die nächste Hügelkette bis hin zum Horizont, der an guten Tagen durch die schneebedeckten Spitzen der Pyrenäen gebildet wurde. Die zumeist schmalen Landstrassen waren über weite Bereiche von Platanenalleen gesäumt. Etwas romantisierend, aber leicht nachvollziehbar, dass vor nicht allzu langer Zeit, als anstelle der Autos noch Pferdefuhrwerke hier verkehrten, Fahrer und Zugtiere im Sommer für den Schatten der Bäume äusserst dankbar waren.
Castelnaudary liegt im Departement Aude (Region
Okzitanien) und ist damit
Teil der Gegend, die vorwiegend durch das tragische Schicksal der
Katharer in die Geschichte eingegangen ist.
Katharer nannte man eine im Laufe des 12.Jahrhunderts entstandene religiöse
Bewegung, die, als Reaktion auf die anstössige Zusammenarbeit von
Klerus und Adel zur Wahrung von Macht und Reichtum, eine Neuausrichtung
des katholischen Glaubens forderte. In ihrem Glauben unterschieden die Katharer klar
zwischen göttlichen und weltlichen (in ihren Augen: satanischen) Werten. Sie bezahlten
keine Kirchensteuer, lebten in
strikter Armut und moralischer Reinheit, lehnten das alte Testament ab und befolgten
umso strenger das neue. Damit auch einfache Leute
verstanden, wovon die Rede war, wurden Lesung und Predigt von männlichen
und weiblichen (!) Priestern konsequent in
der Volkssprache und nicht in Latein gehalten. Mit diesem Denken kamen sie
natürlich mit dem Vatikan und den Bischöfen in Konflikt, welche sie als
Häretiker (Ketzer) anklagten. Rücksichtslos wurden
sie durch
die katholische Kirche und den französischen König verfolgt und bekämpft. Im
Laufe des 13.Jarhunderts wurden sie bis auf wenige Reste durch die
Inquisition und dem alten Glauben verbunden gebliebene Adlige aufgerieben.
Wobei viele von ihnen es vorzogen, den Feuertod zu erdulden, statt ihrem Glauben abzuschwören.
Dabei hatten sie einige Gedanken vorweggenommen, die danach weitere 350 Jahre
warten mussten, bevor die Reformation ihnen zum Durchbruch verhalf. Die
Spuren dieser Epoche sind heute noch überall ersichtlich, in Form von
Burgen und stark befestigten Städten. Wenn auch
viele nur noch als Ruinen zu besichtigen sind, an der Geschichte kommt der
interessierte Besucher nicht vorbei.
Vielleicht hat die Erinnerung an dieses
Geschehen auch dazu beigetragen, dass das wichtigste Ausbildungszentrum für die Fremdenlegion
heute
in
unmittelbarer Nähe der Stadt Castelnaudary liegt.
Zuerst besuchten wir Castelnaudary, weil die Stadt am Canal du Midi gelegen und mit ihrem grossen Hafen für die Binnenschiffer wichtig ist. In früheren Zeiten gab es hier auch eine Schiffswerft, die in ihrem Trockendock Schiffe baute und reparierte. Eine vierfache Schleusentreppe, die 1678 erbaut worden war, bringt die Schiffe, die nach Nordwesten fahren, auf das Niveau der Stadt. Sie bedeutete auch die erste Übernachtung für die Passagiere, die, von Agde (siehe Oktober 2019) herkommend, sich in einer viertägigen Reise per Schiff nach Toulouse bringen liessen. Im Hafen selber sind uns sofort zwei grössere Schiffe in die Augen gestochen, die beide eine Schweizerflagge zeigten. Da wir sie wenigstens dem Namen nach bereits kannten, war es klar, dass über kurz oder lang sich unsere Wege mit denen ihrer Besitzer kreuzen würden.
Und weil man nicht nur vom Schifferlatein leben kann, mussten wir zum Einkaufen in die Stadt. Jeweils am Montag ist Markt und damit die Gelegenheit günstig
Zufällig trafen wir dort auf Maria und Mende, die stolzen Besitzer der Constanta, einer Tjalk mit Baujahr 1901. Die Beiden hatten das Schiff 2011 gekauft. Weil es in einem etwas verwahrlosten Zustand war, benötigten sie viel guten Willen und noch mehr handwerkliches Können, es in der Form wieder erstehen zu lassen, in der es sich heute präsentiert. Auf ihre Arbeit dürfen sie mit gutem Recht stolz sein, denn das Schiff erstrahlt in neuer Frische. Seit sechs Jahren sind sie damit nun unterwegs und haben unter anderem Paris, Berlin und Strassburg besucht.
Die Polaris ist mit Muriel und Hans unterwegs, die zuvor viele Jahre in Australien gelebt hatten. Leider hatte sich bis dahin noch keine Gelegenheit ergeben, ausführlich gegenseitig Erfahrungen auszutauschen. Das kurze Gespräch, anlässlich des Treffens der englisch sprechenden Schiffer bei deren traditionellem 'fish and chips' Essen, war dafür etwas zu hektisch. Aber es bleibt uns ja noch etwas Zeit!
Das Wetter war zumeist herbstlich grau und so benutzten wir die erste Gelegenheit für einen Besuch in Carcassonne. Die Fahrt dahin, vorwiegend über kleine Landstrassen, dauerte eine knappe Stunde. Wir genossen an diesem nebeligen Morgen die weite, friedliche Landschaft, trotz der leicht gedämpften Sicht.
In der Stadt besuchten wir zunächst den Hafen, in dem, zu unserem Erstaunen, keine Boote lagen. Auch das Büro der Capitainerie war geschlossen. Leider hatte man vergessen, einen Vermerk oder wenigstens eine Telefonnummer anzubringen. In der Mairie, wo eigentlich der Chef zu Hause wäre, wusste man kaum mehr. Umso erfreulicher war etwas später der Blick vom Pont Vieux, der von der Ville Basse hinüber zur Cité führt und eine atemberaubende Aussicht bietet, die jede Filmkulisse erblassen lässt.
Im Innern der Ringmauer liegt das Château Comptal, massiv befestigt und einst gedacht als letzte Fluchtburg in wirklich schlimmen Zeiten. Trotzdem musste der Burgherr vom Geschlecht der Trencavels, anlässlich der Belagerung im August 1209, sich bereits nach 12 Tagen ergeben. In der Sommerhitze machten fehlendes Wasser und grassierende Seuchen jeden weiteren Widerstand unmöglich. Mit dem Grafen hatten die Katharer einen ihrer wichtigsten Schirmherren verloren und der Krieg gegen sie ging in Form wahrer Kreuzzüge (Albigenserkriege) bis zum bitteren Ende weiter.
Dank der fortgeschrittenen Jahreszeit und nicht gerade grossartigem Wetter konnten wir uns in Ruhe einen Rundgang durch die Cité leisten. Im Sommer sind die engen Gassen offenbar verstopft von Abertausenden von Touristen (man spricht von 3 Millionen jedes Jahr!) die dieses einzigartige Denkmal überfluten.
Wenn immer das Wetter sich von seiner sonnigen Seite zeigte, machten wir
weitere kleine Ausflüge in die nähere Umgebung.
Obschon wir durch die schöne Aussicht von der Mühle aus schon recht
verwöhnt waren,
liessen wir uns bei solchen Gelegenheiten gerne zusätzlich überraschen,
dass sich hinter jedem noch so unscheinbaren Hügel, ganz unerwartet,
noch schönere auftun konnten.
(mit nur ganz wenig Zoom nachgeholfen)
Als besonderes Ziel eines dieser Ausflüge galt das Scheitelstück des Canal du Midi. Der vielbesuchte Kanal ist das östliche Teilstück einer Schiffsverbindung vom Mittelmeer zum Atlantik. Nachdem die Bauarbeiten 1667 begonnen hatten, dauerte es nur 15 Jahre bis zur feierlichen Eröffnung des Kanals von Sète nach Toulouse. Dabei ist er doch immerhin 240 Kilometer lang und fliesst durch 64 ovale Schleusen. Mit diesen überwindet er einen Höhenunterschied von 194m. Die Möglichkeit, auf dem neuen Wasserweg Waren und Passagiere in bislang unerreichten Mengen zu befördern, löste damals in der Region einen wahren Boom aus, der über zwei Jahrhunderte anhielt. In den besten Zeiten wurden jährlich über 100'000 Passagiere und rund 100 Mio Tonnen Fracht registriert. Die Eröffnung der Eisenbahn entlang der Strecke brachte dann aber rasch den Verkehr auf dem Kanal zum Erliegen. Er war angesichts der höheren Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit der Bahn einfach nicht mehr konkurrenzfähig. Erst Jahre später entdeckten Besucher den Reiz, den eine Reise auf dem Wasser hat und der Kanal wurde zu einer der wichtigsten Attraktionen für den Tourismus.
Unser Weg führte am Lac de Ganguise vorbei, ein kleiner Stausee in einer Senke, der während des trockenen Sommers für die Landwirtschaft ausreichend Wasser bereit hält. Bei unserer Fahrt entlang dem Ufer huschte, leider viel zu schnell, diese gut einen Meter lange Schlange (Kreuzotter?) über die Strasse. Solches erlebt man nicht alle Tage.
Das Hauptproblem bei der Planung eines Kanals ist immer die Sorge, dass
an seiner höchsten Stelle während des ganzen Jahres genügend Wasser zur
Verfügung steht. Jede Schleusung lässt soviel
Wasser talwärts fliessen, wie das Schleusenbecken zu fassen vermag.
Wenn der Nachschub versiegt, steht der
Schiffsverkehr still und der Kanal wird wertlos. 1664 fand hier der Ingenieur
Paul Riquet die Lösung zu diesem Problem, indem er die Flüsse der
Montagne Noire fasste und ihr Wasser in einem Stausee bei Saint Férréol
speicherte. Von dort führt seither die künstliche Rigole du Canal du Midi
über 34km talwärts, bevor sie den Kanal erreicht. Ein weiteres Bauwerk, dem
man nur mit Respekt begegnen kann!
Unser Weg zum Wasser führte durch diese wunderschöne Allee.
Das Bief de Partage (Langue d'oc: Biez!) ist das höchste Stück eines Kanals, von aus dem das
Wasser auf beide Seiten hin zu Tal fliesst. Im zweiten Bild die Stelle,
wo die Rigole (von links kommend) in den Kanal mündet.
Bei unserem Besuch, im 'Winter' war der Kanal allerdings leer und der
'Zufluss' ein
ärmliches Bächlein.
Im Sommer aber erfüllt die Rigole bis heute zuverlässig ihre Aufgabe und der Canal
du Midi ist einer der ganz wenigen Kanäle in Frankreich, der stets
über genügend Wasser verfügt und kaum je wegen Wassermangel geschlossen werden muss.
(Foto aus der Website www.laworldcoolture.com)
Der im Winter wasserlose Kanal macht aber deutlich, dass er dringend Unterhalt nötig hätte. Er müsste ausgebaggert und seine Böschung befestigt werden. Aber dafür fehlt das Geld. Für die Schiffer im Sommer ist es offensichtlich ein Glück, dass sie vom Zustand des Kanals unter der Wasseroberfläche keine Ahnung haben.
In Richtung Atlantik fliesst das Wasser zur Écluse de l'Océan ...
... in Richtung Mittelmeer jedoch zur Écluse de la Méditerranée.
In einem Kanalstück, dem noch etwas Wasser verblieben war, wartete
dieses verlassene Schiff auf bessere Tage. Bevor das Wasser abgesenkt
wurde, hat man es in die Kanalmitte gebracht, wo es jetzt bis zum
Frühling auf dem Kanalboden
aufliegt.
Trotzdem ein schönes Bild von einem Teilstück des Kanals, wo die alten
Bäume noch stehen.