Oktober 2019 |
Mit etwas gemischten Gefühlen haben wir Ende September unsere Mizar in St.Jean de Losne zurückgelassen. Wir hatten zwar alles vorgekehrt, damit sie den kommenden Winter ohne Probleme überstehen sollte. Aber, wie es im Leben eben so geht, nicht alles lässt sich vorhersehen und es bleibt immer etwas Ungewissheit. Nach dem langen Sommer waren noch immer einige Blüten an den Kräutern in unserem kleinen Garten übrig geblieben und so haben wir diese stehen lassen und den letzten Bienen vermacht.
Zunächst fuhren wir mit unserem gut geladenen kleinen roten Smart zurück in die Schweiz, wo er am allerersten Tag unseres Aufenthalts in der Motorfahrzeugkontrolle beweisen musste, dass er, trotz seiner 15 Jahre und vielen, vielen gefahrenen Kilometern noch immer gut im Schuss war. Aber es häuften sich Vorzeichen, dass wir uns wohl dennoch bald nach einem neuen Gefährt würden umsehen müssen. Allerdings machten uns irgendwelche irrationalen Gefühle diesen Entscheid echt schwer. Verlässliche Treue müsste doch anders belohnt werden, meinten wir!
Obschon wir fast das ganze Jahr ausserhalb der Schweiz unterwegs sind,
lässt uns die Rückkehr in die alte Heimat jeweils das Herz etwas
höher schlagen. Matz ist Vollblut-Zürcherin und ihr
seien darum die unbestreitbar schönen Bilder ihrer engeren Heimat ganz
besonders gewidmet:
- ein Blick von der Quaibrücke die Limmat hinunter ...
- und eine genussvolle Übersicht über die ganze Stadt vom Turm des Grossmünsters.
Natürlich benutzten wir die Gelegenheit auch für Besuche von Freunden
und Verwandten:
- hier mit Vreni und Hanspi, zwei
unvergessliche und daher wichtige Freunde seit der schon sehr lange zurückliegenden Studienzeit
...
- oder ein fast zufälliges, doch gerade deshalb erfreuliches Wiedersehen mitten in Zürich mit Andrea und Christian von Waren (siehe August 2017). Während ihrer kurzen Städtetour sind sie in zwei Wochen wohl mehr Kilometer gefahren als wir in zehn Jahren! Wir möchten ihnen wünschen, dass sie von ihrer Reise ebenso viele schöne Erinnerungen mitnehmen durften wie wir.
Am wichtigsten waren uns aber die Besuche bei Nina und Dani, die am 2.Oktober ihren zweiten Sohn hatten begrüssen dürfen. Gemeinsam mit ihnen verbrachten wir viele schöne Stunden und nahmen Teil am ungetrübten Glück der jungen Familie. Selbst wenn sie gelegentlich nur wenige Stunden ungestörten Schlaf hinter sich gehabt hatten, liessen sie uns als Grosseltern manchmal reichlich alt aussehen. Jugend und Verantwortung schafft offensichtlich Energie.
Dass es aus zeitlichen Gründen nicht für jeden Besuch gereicht hat, den wir eigentlich geplant hatten, das hat uns selber weh getan. Trotzdem möchten wir uns bei all jenen dafür entschuldigen, die das auch empfunden haben.
Nach einem kurzen Besuch in Solothurn, bei dem auch Hansruedi seine engere Heimat wieder einmal besuchen konnte, wurde es aber schon bald wieder Zeit, in unser Winterquartier aufzubrechen.
Während der langen Verweilzeit in St.Jean de Losne hatten wir immer
wieder an den Reiseplänen für die nächste Saison
gearbeitet. Schon seit Jahren hatten der Süden Frankreichs und
der Canal du Midi auf unserer Wunschliste gestanden.
Aber nach Berichten von mehreren Kollegen, die selber kürzlich
diese Gegend besucht hatten und danach fast gleichlautende Vorbehalte ansprachen,
kamen in uns zunehmend Zweifel an unseren Plänen auf. Das nicht nur,
weil mehrere Tausend der alten und riesigen Platanen, die bislang
dem Canal du Midi sein charakteristisches Flair verliehen hatten,
in der letzten Zeit hatten gefällt werden müssen, sondern im fast selben
Umfang war es auch die zunehmend überbordende touristische Vermarktung, die uns
Unbehagen bereitete. Darüber hinaus sorgen zahlreiche Mietboote angeblich für fast
unerträgliche Wartezeiten vor den Schleusen und machen die ohnehin schon
anspruchsvolle Suche nach Liegeplätzen äusserst schwierig. Auch die Fahrt die
Rhone hinunter und später dann wieder hinauf, ist wegen der starken
Strömung mit einem Schiff wie
das unsere nicht ganz problemlos.
Als Alternative hatten wir darum immer wieder eine erneute Fahrt nach Deutschland
in Betracht gezogen. Unsere guten Erfahrungen während der letzten Jahre
hatten uns fast zu einer solchen Entscheidung gedrängt und lediglich der
Wunsch nach Abwechslung liess uns noch zweifeln.
So kam uns das Angebot, während gut vier Monaten eine alte Mühle bei Castelnaudary zu hüten, ganz gelegen und setzte unseren Bedenken ein vorläufiges Ende. Es gab uns die Gelegenheit, die Situation in Ruhe selber zu beurteilen. So fuhren wir mit viel Spannung und Vorfreude ab gegen Süden.
Unsere Reise ging dann (übrigens mit einem neuen kleinen Wagen!) zunächst über Lausanne (wo Hansruedi wieder einmal eine seiner Schwestern besuchen konnte) und Genf nach Annecy, wo wir unseren ersten Nachtstop einlegten. Die Stadt hat schon ausgeprägtes südliches Flair und passte damit ausgezeichnet in unser Programm für die nächsten 18 Wochen.
Über Grenoble und Montélimar ging es am nächsten Tag weiter nach Avignon. Diese Stadt, die selbst die Päpste in der Vergangenheit ihrem angestammten Wohnsitz in Rom vorgezogen hatten, vermochte auch uns in ihren Bann zu ziehen. Es gibt hier aber weit mehr als nur die halbe Brücke über die Rhône zu sehen, welche durch das Kinderlied, das jeder kennt, weltberühmt geworden ist. Sie erhält beachtliche Konkurrenz durch den Papstpalast, sowie die beinahe vollständig erhaltene mittelalterliche Stadtmauer und die vielen stimmungsvollen Strassen und Gassen, durch die sich selbst in der aktuellen Nachsaison ein unablässiger Strom von Touristen bewegte.
Der Papstpalast, der während siebzig Jahren verschiedenen Päpsten und Gegenpäpsten als Residenz diente, thront hoch über der Stadt und sorgte dafür, dass es den Kirchenfürsten auch fern ihrer Heimatstadt an gar nichts mangelte. Mehrere Päpste liessen den Palast immer weiter ausbauen und vergrösserten die Gärten fortwährend, bevor schliesslich im Jahre 1376 Gregor VI als erster Papst wieder nach Rom zurückkehrte. Damit fand jene Periode ihr Ende, in der das ewige Zusammenspiel weltlicher und kirchlicher Macht zu beidseitigem Nutzen seine offensichtlichste Ausprägung erreichte.
Von der Terrasse des Palastes bietet sich dem Besucher eine überwältigende Aussicht.
Die gut erhaltene Stadtmauer zeigt sich auf ihrer Aussenseite trutzig und vermochte glaubhaft ungebetene Gäste fernzuhalten.
In der Rue des Teinturiers drehen sich auch heute noch einige alte Wasserräder, die an Zeiten erinnern, als verschiedenste Handwerker die Strassen mit echtem Leben füllten. Vom 15. bis ins 19. Jahrhundert war die Gegend geprägt durch eine ausgedehnte Textilindustrie. Das Wasser, welches heute nur noch mit Mühe die Räder zu drehen vermag, stammte damals aus dem gefüllten Wassergraben vor der Ringmauer und floss wohl viel reichlicher. Jedenfalls vermochte es die die Hämmer der Textilfärber zu treiben, welche die schweren Tücher in der Farblösung bearbeiteten und so für eine regelmässige und fasertiefe Färbung sorgten.
Am nächsten Tag besuchten wir den Pont du Gard, das
letzte gut erhaltene Teilstück einer gewaltigen antiken Wasserleitung, die das
Wasser von der
Quelle des Flusses Gardon bis in die Stadt Nîmes
brachte. Über rund 50 km erstreckte sich diese Leitung insgesamt und sie
umfasste auf ihrem Weg gegen zwanzig brückenähnliche Bauwerke. Einen
grossen Teil des restlichen Weges wurde sie durch Tunnels unterirdisch geführt. Der
heutige Pont du Gard ist das grösste gut erhaltene Teilstück
der ganzen Anlage. Erbaut wurde das Ganze durch die Römer im 1. Jahrhundert n.Chr. Eine Leistung, die uns auch heute
noch sehr viel Respekt
abverlangt, selbst wenn man berücksichtigt, dass sie nur mit äusserster
Härte
und Disziplin hatte vollbracht werden können. Der fast 2000 Jahre alte, gut erhaltene
Aquädukt ist immerhin rund 250 m lang und etwa 50 m hoch. Das Ziel war
eigentlich die Versorgung
der Stadt Nîmes mit ausreichend frischem Wasser. Dass dieses jedoch zu
allererst für die Wasserspiele und Schwimmbäder der Villen
der Oberschicht verwendet wurde, während sich das gemeine Volk mit einigen Brunnen in
den Strassen begnügen musste, das macht die alltägliche soziale Situation im alten
Römerreich deutlich.
Eine grosszügige Anlage empfängt und kanalisiert heute die Besucher,
die in einem riesigen Gebäude mit Kino und einem gut gemachten
Museum viel Wissenswertes über den Bau des Werkes erfahren. Man muss
sich viel Zeit lassen für den Besuch des Museums, will man versuchen, die Leistung
der römischen Planer zu verstehen und die Ausdauer der damaligen Steinmetze
zu würdigen. Die
unendliche Mühsal der Bauarbeiter nachzuvollziehen, das bleibt wohl dennoch unmöglich.
(Dass
die grosse Kantine aber bereits um 14.00 nichts Essbares mehr anzubieten
hatte, das beunruhigte jedoch die modernen Angestellten in keiner
Weise. Ein kurzes Achselzucken war der Erklärung genug.)
Weiter fuhren wir dann über Montpellier nach Sète. Dort kamen wir zum ersten Mal an die Küste des Mittelmeers, was durch die grossen Schiffe im Seehafen deutlich wurde. Die Stadt, sie wird oft als das Venedig des Languedoc bezeichnet, ist auf einer schmalen Landzunge gelegen, welche den etwa 18 km langen Étang de Thau vom Meer trennt. Durch dieses Becken müssen die Schiffe fahren, die am seinem anderen Ende zum Anfang des Canal du Midi gelangen wollen.
Es war ja unser Ziel, möglichst viel von diesem vielgepriesenen Kanal zu sehen und deshalb war die Stadt Agde, an jenem anderen Ende gelegen, logischerweise unser nächstes Ziel. Weil es mittlerweile sichtbar Abend geworden war, richteten wir uns für die Nacht ein und mussten bei einem kleinen Bummel in der Stadt auf der Touristeninformation erfahren, dass während der Saison sich die Gäste in den Strassen drängen und am Strand derart zahlreich dem textilfreien Baden frönen, dass der Ort als Europas Hauptstadt der Nudisten gilt. Glücklicherweise waren bei unserem Besuch die Strassen vollkommen leer!
Am nächsten Morgen fuhren wir knappe zwei Kilometer bis zum richtigen Eingang, wo der Canal du Midi beginnt.
Im Hintergrund breitete sich der Étang de Thau
aus und wir fragten uns, ob und wann wir wohl jemals mit unserer Mizar hier durchfahren
würden. Immerhin verbietet eine Tafel jede Schiffahrt, wenn der Wind mit
mehr als Beaufort 3 weht.
Vorsicht wäre also auf jeden Fall angesagt.
In der Nähe von Béziers liegen die berühmten neun Schleusen von Fonséranes, eines der Herzstücke des Kanals. Sie überwinden in enger Folge über eine Distanz von 312 m einen Höhenunterschied von fast 22 m. Ihre charakteristische, ovale Form macht sie für die Zuschauer sehr speziell und für die Schiffer zu einem Prüfungsstück. Das Festmachen ist nicht ganz ohne! Auch hier gibt es eine grosse Besucheranlage, die allerdings die überteuerte Parkgebühr nur schlecht zu rechtfertigen vermag. Es wäre denn, man ergötze sich als Zuschauer ausgiebig ob der Mühen der überforderten Schiffer.
Der Kanal kennt viele Eigenheiten. Dazu gehört ohne jeden Zweifel auch der Pont de Capestang. Während er bei den vielen Mietbootskapitänen kaum Beachtung findet, da ihre Boote entsprechend dimensioniert sind, stellt sie für die Besitzer grösserer Schiffe wegen ihres sehr engen Profils eine harte Probe dar. Sehr oft muss darum vor der Durchfahrt zumindest das Steuerhaus abgebaut werden.
Vorbei an Carcassonne fuhren wir danach weiter nach Castelnaudary,
dem Ziel unserer Reise und unsere Bleibe für die nächsten Monate. Wir hatten
die Gelegenheit bekommen, hier das Wohnhaus einer ehemaligen
Windmühlenanlage zu hüten, während die Besitzer ihre Ferien anderswo
verbringen. Das Haus liegt weit abgelegen in einer offenen und damit
sehr ansprechenden Landschaft.
Etwas erschöpft durch die vielen verschiedenen Eindrücke der letzten Tage, liessen wir uns auf der Terrasse nieder und genossen ein
erstes Bier.
Nicht nur die Aussicht von der Terrasse, sondern ebenso die Aussicht auf
die kommenden Wochen, liessen uns im Nu jede Müdigkeit vergessen.