April 2019

 

Nach einem kurzen Aufenthalt in der Schweiz waren wir wieder nach St.Jean de Losne zurückgekehrt. Unsere Mizar hatte hier, im untersten Teil des Canal de Bourgogne, den Winter über darauf gewartet, dass wir aus den etwas wärmeren Gegenden dieser Erde zurückkommen würden. Der Winter war aber auch hier offensichtlich nicht sehr streng gewesen, zeigten doch die Thermometer, die wir im Schiff aufgestellt hatten, eine Minimaltemperatur von nur -3°. Entsprechend erlebten wir keinerlei unangenehme Überraschungen und konnten uns rasch gemütlich einrichten.



Die kleine Stadt St.Jean de Losne war seit jeher Brennpunkt der Binnenschifffahrt in Frankreich. Auf ihrem Gebiet mündet der Burgunderkanal von Westen kommend in die Saône und nur wenige Kilometer stromaufwärts öffnet der Canal du Rhône au Rhin den Weg in die östlichen Gebiete Frankreichs. Drei bedeutende Wasserstrassen kreuzen sich also hier. Um 1840, als die hochgehende Saône einmal mehr festgemachte Schiffe, sowie schweres Flösserholz losgerissen hatte und damit die Brücke der Stadt ernsthaft bedrohte, wurde endlich ein Hafen gegraben, der 'Gare d'Eau'. Darin sollten bei Hochwasser alle Schiffe Zuflucht finden können und er bot auch genügend Platz, die geflössten Holzstämme sicher umzuschichten. Sie wurden hier für den Transport durch die Schleusen neu gebündelt und dann durch den Burgunderkanal bis nach Paris gebracht. Um den neuen Hafen herum siedelten sich rasch verschiedene Handwerker an, die sich den vielfältigen Bedürfnissen der Binnenschiffer annahmen. Damit hatte die Stadt ein regelmässiges Einkommen und erlangte eine Bedeutung, die weit über ihre Umgebung ausstrahlte. Ohne leistungsfähige Binnenschiffahrt, welche damals allein in der Lage war, die notwendigen schweren Lasten zu transportieren, hätten Städte wir Paris gar nicht erst erbaut werden können. Nur per Schiff waren ausreichende Mengen an Steinen, Kohle, Holz und Getreide überhaupt herbei zu schaffen.

Allerdings raubte dann im letzten Jahrhundert der stetige Ausbau des Strassennetzes der Schifffahrt zunehmend ihre Bedeutung. Der dadurch verursachte Rückgang des Warenverkehrs auf dem Wasser machte Platz für Touristikunternehmen und Freizeitschiffer. Diese füllten rasch die neu enstandenen Lücken und hielten so das ehemalige Schiffer-Zentrum am Leben. Der Gare d'Eau ist heute mit Yachten und Schiffen der unterschiedlichsten Bauarten vollgestellt. Ihre Überwinterung und die damit zusammenhängenden Arbeiten schaffen wertvolle Arbeitsplätze. Die Bevölkerung von St.Jean hat allerdings während dieser Zeit dennoch abgenommen und viele Geschäfte in der Stadt mussten schliessen. Ohne die Umlagerung auf den Freizeitverkehr wäre der Rückschlag aber viel härter ausgefallen. Verschiedene alte Pénichen, fest vertäut in ihrem endgültigen Ruhestand, sind heute noch Zeugen jener bedeutenden Vergangenheit. Einige davon dienen, oft liebevoll umgebaut, als stilvolle und begehrte Wohngelegenheit. Andere befinden sich in unterschiedlichstem Ausbaustand auf dem langen und oft mühsamen Weg zu diesem Ziel hin. Viele werden während der wärmeren Jahreszeit von ihren Besitzern durch alle denkbaren Wasserstrassen von Frankeich und den umliegenden Ländern gefahren. So bleibt wenigstens die Erinnerung an einen einst äusserst bedeutenden Wirtschaftszweig wach.
 Weil die Umgebung auch heute noch attraktiv und die Bedingungen günstig sind, bieten zusätzlich verschiedene Unternehmen regelmässig Flusskreuzfahrten an und Mietboot-Firmen geben den Leuten die Gelegenheit, das Leben auf dem Wasser zu geniessen, auch wenn sie kein eigenes Boot besitzen.

So war unser Schiff immer in guter Gesellschaft und konnte sich bestimmt nicht über Langeweile beklagen (rechtes Bilddrittel).

Wir wussten, dass die trägen Mühlen französischer Bürokratie uns einige Zeit hier festhalten würden und hatten uns vorgängig mit Geduld gewappnet. Darum liessen wir entspannt die Dinge auf uns zu kommen. Immer noch warteten wir auf die Erneuerung des europäischen Zertifikates für die Mizar, obschon sie alle technischen Prüfungen bereits im letzten Herbst anstandlos hinter sich gebracht hatte. Auf einem Schiff gibt es bekanntlich immer genügend Arbeit und Langeweile ist darum ein Fremdwort. Viel mehr muss man dazu Sorge tragen, dass der Müssiggang nicht zu kurz kommt. Wir (unten rechts im Bild) hatten während dieser Zeit fast uneingeschränkte Aussicht auf das unterste Kanalstück. Einzig ein kleines Sportboot hatte sich an unserer Aussenseite festgehalten. Wir trafen viele alte Bekannte, aber auch einige neue Gesichter. Alle hatten sie gemeinsam, dass sie an irgend einem Punkt eines laufenden Projektes ihr Herzblut dafür verwenden, eben dieses Projekt voran zu treiben. Wenn sich jemand in der Mitte der zweiten Lebenshälfte so etwas antut, dann hat er schon in der ersten Lebenshälfte gelernt, dass einem normalerweise nichts in den Schoss fällt. Entsprechend spannend waren ihre Biografien und ebenso spannend die Gespräche mit diesen Leuten.

Margarethe und Heiri mögen hier für viele andere stehen. Sie hatten letztes Jahr in Holland ein Schiff gefunden, haben es umgehend adoptiert und nach Frankreich gebracht. Beim Ausbau mussten sie feststellen, dass ein erster Eingriff gelegentlich einen zweiten nötig macht. Wir bewunderten die Beiden, dass sie sich niemals ärgerten und mit unerschütterlichem Humor auch die härtesten Arbeiten bei gleichbleibend guter Laune erledigten.

Im Vergleich dazu waren unsere Arbeiten bescheiden. Wir mussten neu auch am Heck den Namen des Schiffes anbringen und für die Nummer wurde ein neues Format verlangt. An einigen Stellen haben wir die Farbe ausgebessert und an unserem alten Gardner-Motor wollte die Brennstoffpumpe wieder einmal revidiert werden.

  

Trotzdem nutzten wir, wenn immer sich die Möglichkeit ergab, die wenigen wirklich warmen Sonnenstunden für einen gemütlichen Schwatz auf unserer Terrasse.

Ostern kündete dann schon bald das nahe Monatsende an. Wie immer liessen wir es uns nicht nehmen, einige Eier auf herkömmliche Weise zu färben. So konnte der Osterhase auch wirklich einige unserer Freunde überraschen. Doch erst kommt die Arbeit ...

  

... und dann das Vergnügen.

  

Weil die Osterzeit so passend und das Anliegen auch für uns dringend war, organisierten wir unsere eigene kleine Demonstration zur aktuell so heiss laufenden Umweltdebatte.
(Mit den 'gilets jaunes' hatte das aber nichts zu tun, selbst wenn wir mit den französischen Behörden im Moment ebenfalls nicht so ganz zufrieden waren.)
Unsere Demonstration fand aber trotzdem viel Beachtung!

Am letzten Wochenende des Monat wurde der 'Salon Fluvial' abgehalten. Üblicherweise eine Mischung zwischen Volksfest und Messe, an der alle Organisationen, die mit dem Leben auf dem Wasser etwas zu tun haben, für ihre Tätigkeit werben können. Irgendwie war es nicht nur das kühle, regnerische Wetter, das dem Anlass etwas Wehmütiges gab und die sonst so frohe Laune der Leute trübte. Es waren nur wenige Besucher gekommen und man hatte das Gefühl, dass diese vor allem zurückschauten und von Vergangenem redeten. Die Schifffahrt in Frankeich sieht schwierigen Zeiten entgegen. An allen Ecken und Enden fehlt das Geld, überall wird gespart. Und nun fehlt auch noch in den meisten Speicherseen das Wasser. In diesem Sommer werden wohl wieder einige Kanäle wegen Wassermangel gesperrt werden müssen. Trotzdem war es ein Treffen von vielen, deren Herz noch immer für die Binnenschiffahrt schlägt. Uns ermöglichten die zwei Tage viele Begegnungen mit Leuten, die wir schon lange nicht mehr gesehen hatten, aber mit ihnen trotzdem auf Anhieb den Gesprächfaden wieder aufnehmen konnten. Von Herzen hätten wir den Organisatoren und den Ausstellern etwas mehr Wetterglück gewünscht. Es hätte ihnen und der Sache gut getan!
Es hätte wahrlich noch viel Platz gehabt für weitere Besucher.
Selbst die grosse Ausstellung von modernen Freizeitschiffen der gehobenen Klasse döste in einer fast gespenstischen solitude splendide.

  

Andere hielten durch, was sie versprochen hatten und trotzten tapfer zwei Tage Wind und Wetter.

  

Die 'Vagabondo', die normalerweise von St.Jean aus Rundfahrten anbietet, führte ihre Gäste diesmal gratis von der Stadt ins Ausstellungsgelände und wieder zurück. Wir liessen uns die Gelegenheit für eine kleine Rundfahrt - mit Schleuse - nicht nehmen.

  

Das Geschäft mit diesem Schiff hatte schon lange nicht mehr rentiert und wurde vor kurzem von ''Petit Louis'' erworben, der offenbar dem Niedergang nicht mehr weiter zusehen wollte. Seine Schwester, ebenfalls eine lebenslange Berufsschifferin, kommentierte mit launigen Bemerkungen die Fahrt und erklärte den Gästen ohne nautische Kenntnisse, was es mit den Schiffen hier so auf sich hat.
Zufälligerweise reisten wir mit einer grösseren Gruppe von ehemaligen und aktiven Berufsschiffern, die sich an diesem Tag immer ein Stelldichein geben. Es war eine Freude, ihren Gesprächen zuzuhören.

  

Bei der Rückfahrt kamen wir wieder an der Mizar vorbei und wir spürten dabei das angenehme Gefühl, auch ein Bisschen dazu zu gehören.


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