Oktober 2018

Am 1. Oktober sind wir punkt 09.00 vom Quai National weg und durch die Schleuse in den Canal de Bourgogne eingefahren. So pünktlich, wie Schweizer eben sind. Gleich oberhalb dieser Schleuse liegt auf der rechten Seite das Trockendock des Atélier fluvial. Ein Becken, das geflutet werden kann, damit grössere Schiffe, welche sich nicht ohne weiteres mit einem Kran aus dem Wasser heben lassen, hineinfahren können. Wenn es dann wieder geleert wird, stehen die Schiffe auf dem Trockenen. Die einzige derartige Einrichtung weit und breit und entsprechend gut belegt. Bis dann allerdings für uns die Einfahrt zum Trockendock frei gegeben wurde, mussten wir noch ein paar Stunden warten.

Wir benutzten die Zeit für einen kleinen Rundgang um das Kanalstück, das selber auch als Hafen dient. Auf beiden Seiten liegen, oft in mehreren Reihen nebeneinander, Schiffe, an denen fleissig geschliffen, gehämmert und gestrichen wird. Sie alle sind nach Bauart und ihrem gegenwärtigen Zustand sehr unterschiedlich, aber jedes hat irgendwo einen Besitzer, der es mit Herzblut pflegt und gemeinsam mit ihm von einer schönen Zukunft träumt.

     

     

In St. Jean-de-Losne erlebten wir so etwas wie Heimkommen. Wir haben Leute getroffen, die wir als alte Bekannte empfanden und andere, die wir zwar noch nie gesehen hatten, die aber von vertrauten Erfahrungen und Erlebnissen berichteten und die uns dadurch vertraut vorkamen. Die Stadt hat es geschafft, sich während dem nicht aufzuhaltenden Niedergang der berufsmässigen Frachtschifffahrt rechtzeitig neu auf die Freizeitschiffer einzustellen. Sie ist im Laufe der Zeit zur deren Hauptstadt in Frankreich geworden. Für viele eine zweite Heimat.

Hier hatten wir vor zehn Jahren unser Schiff gekauft und so stiegen von ganz weit unten Erinnerungen auf. Unser Leben hat sich seither grundlegend verändert, was wir auch mit dem neuen Namen unseres neuen Heims ausdrücken wollten (siehe Startseite/die Mizar/der Name). Wir starteten mit keinerlei Erfahrung und holten erstes Wissen, indem wir anderen zuschauten und sie mit Fragen löcherten. Tage und Wochen verbrachten wir mit Putzaktionen tief unten in der Bilge. Mit schleifen, kratzen und bürsten auf Deck, sowie unmittelbar danach mit Pinsel und Farbroller. Zwangsläufig wurden wir zu Malern, Sanitärinstallateuren, Schreinern und Mechanikern. Manchmal mit Erfolg, manchmal mussten wir aber auch Lehrgeld bezahlen. Wir lernten dabei, dass nicht alles perfekt sein kann.
Ein Bisschen ist es wie im gewöhnlichen Leben. Wenn etwas zu auffällig glänzt und wie neu aussieht, muss es oft von etwas anderem ablenken.

Bevor wir zum ersten Mal ausfahren konnten, hatten wir uns mit Lulu (sprich 'Lülü') zusammengetan. Als ehemaliger Berufsschiffer, schon damals längst im Ruhestand, konnte er uns beibringen, was wir für die Zukunft so dringend benötigten. Mit viel Geduld und als guter Lehrer war er mit uns während fast einer Woche unterwegs, zeigte uns, was am Steuer wichtig ist. Aber auch den richtigen Umgang mit den Leinen, der genauso wichtig ist. Wie oft in den letzten Jahren haben wir uns in schwierigen Situationen bewusst seine Ratschläge in Erinnerung gerufen. Wir waren darum freudig überrascht, als er uns plötzlich entgegenkam, erstaunlicherweise kaum verändert, genauso, wie wir in in Erinnerung hatten: gepflegtes Auftreten, leise Stimme, aber klare Meinung. Und das alles mit 87 Jahren! Eigentlich hatten wir kaum damit gerechnet, ihn noch einmal begrüssen zu dürfen. Dabei verdanken wir weitgehend ihm, dass wir während der letzten zehn Jahre von gröberen Missgeschicken verschont geblieben sind.

Nur wenig später konnten wir in das Trockendock einfahren, das wir mit zwei weiteren Schiffen teilten. Alle drei wurden exakt an den ihnen zugewiesenen Plätzen festgemacht. Bevor allerdings das Wasser abgelassen werden konnte, musste ein Taucher an den richtigen Stellen massive Schemel positionieren, auf die sich die schweren Stahlkolosse mit sinkendem Wasserspiegel dann nach und nach niederliessen.

  

Wenn am Schluss die Schiffe sicher und waagrecht stehen, dann hat die ganze Equipe gute Arbeit geleistet.

Mit einem besonders kräftigen Hochdruckgerät wurde darauf der Rumpf gewaschen und dabei auch von Muscheln und Schnecken befreit, die sich im Laufe der letzten Jahre hier niedergelassen haben. Um üblem Verwesungsgeruch vorzubeugen, wurde danach auch der Dock-Boden gereinigt. Gleich darauf machte sich der Experte an die Arbeit. Er vermass den Rumpf, nahm einen ersten Augenschein und markierte die zahlreichen Stellen, an denen die Dicke der Schale mit einem Ultraschallgerät gemessen werden musste. Das Ergebnis lieferte dann die Grundlage für die Liste der notwendigen Arbeiten, die vor einer Neuzulassung ausgeführt werden müssen.

Wo die Messwerte zu gering sind, müssen neue Stahlplatten aufgeschweisst werden, Risse müssen verschlossen oder lockere Anschlüsse gerichtet werden. Bei Schiffen mit einem Baujahr vor etwa 1950, bei denen der Rupf meist noch genietet ist, wird ganz speziell der Zustand der Nieten überprüft. Diese können mit zunehmendem Alter den Halt verlieren und müssen dann sorgfältig aufgeschweisst werden. Darum ist die zuverlässige Arbeit eines gelernten Schweissers im doppelten Sinne fast unbezahlbar. Weil bei diesen Arbeiten auch auf der Innenseite echte Gluthitze entsteht, ist eine aufmerksame Feuerwache im Innern an allen Stellen unverzichtbar, an denen von aussen gerade mit dem Schweissgerät gearbeitet wird. Schon mehrere Schiffe sind in der jüngeren Vergangenheit wegen ungenügender Überwachung ausgebrannt. Wir haben darum vorgängig über die ganze Länge einen Teil des Kabinen-Bodens ausgebaut, was uns überall schnellen Zugriff verschaffte. Im Winter 2014/15 hatten wir bei der Neugestaltung des Innenraums in Holland (siehe Berichte Sept 2014 bis Mai 2015) besonders darauf geachtet und die notwendigen Voraussetzungen für eine wirksame Kontrolle geschaffen.
Kaum waren alle verlangten Arbeiten erledigt, wurde der Rumpf mit einer doppelten Schutzschicht für die kommenden Jahre fit gemacht.

  

Die gröberen und schwereren Arbeiten haben wir durch die Angestellten der Werft ausführen lassen, während wir uns selber ganz gerne um die leichteren Details kümmerten.

        

Genau eine Woche später, wir hatten ausgesprochenes Wetterglück und mussten nur einige wenige Nieten aufschweissen lassen, kam dann der grosse Moment, wo das Dock mit Wasser gefüllt wurde und wir so wieder Wasser unter den Kiel bekamen. Die Ausfahrt war damit frei und wir verbrachten die nächsten Tage am Quai National, dem Paradequai der Stadt, und bei der Slip-Anlage, wo uns das Atélier fluvial freundlicherweise Gastrecht zugesichert hatte.

  

Wir genossen die verbleibende Zeit, während der wir die Dichtigkeit des Schiffes regelmässig überprüften und betrachteten daneben mit Interesse und Mitgefühl Schiffer und Schiffe, welche jetzt, wie wir während der letzten Wochen, sich für die Prüfung durch ihren Experten bereit machten. Wir wunderten uns dabei über die grundverschiedenen Geschichten, die das Leben schreibt und die es jetzt, ganz zufällig, an diesem Ort zusammen führte. Diese Erfahrung machte uns wieder einmal klar, dass wir einer Gemeinschaft angehören, deren Mitglieder unterschiedlicher kaum sein könnten. Dennoch sprechen alle, trotz verschiedener Herkunft und breit gefächertem Hintergrund, in Schifferangelegenheiten die selbe Sprache und verstehen die Freuden und Sorgen der anderen gut. Schliesslich hat sie jeder, in dieser oder anderer Form, schon selber erfahren.

Vor einigen Tagen hatten wir mit Eric Bekanntschaft gemacht, einem jüngeren Franzosen, der seit sechs Jahren auf seiner sehr speziellen Tjalk 'Niets Bestendig' (Nicht für Immer) wohnt und mit ihr auch grössere Reisen in Frankreich und Belgien unternommen hat. Dumm war nur, dass das Schiff während der ganzen Zeit keinerlei Zulassung besessen hatte, was zwar den Besitzer in keiner Weise, dafür aber die Wasserpolizei, die ihn mal zufällig kontrollierte, umso mehr gestört hat. Die Beamten haben sich dabei offenbar so sehr geärgert, dass sie ihn umgehend auf die Werft befohlen haben, damit er sich dort die notwendigen Papiere beschaffe. Wir konnten es gut mit dem Mann, haben mit ihm auch ein Bierchen oder zwei getrunken und über Gott und die Welt geplaudert. Er hat uns von sich aus das Innere seines Schiffes gezeigt, das sehr ordentlich aufgeräumt war und einen ganz unerwarteten Charme aufwies, was uns ehrlich erstaunt hat. Seiner Katze, die ihn seit Jahren treu begleitet, hat es offenbar auch gut gefallen. Jedenfalls ist sie offensichtlich freiwillig und immer rechtzeitig zurückgekehrt, wenn das Schiff weiter fahren wollte. Schade nur, dass nun der Idylle allenfalls ein vorzeitiges Ende droht, weil der Besitzer nicht mit den unausweichlichen Kosten gerechnet hatte und jetzt nicht wusste, womit er sie begleichen soll. Der Name des Schiffes war offenbar ein böses Ohmen.

  

Mit uns im Trockendock lag die 'Snor', bestens behütet von ihrem Besitzer Roger, der, zusammen mit seiner Frau Laura (im Moment nicht anwesend) schon viele Jahre auf dem Schiff lebt. In ihrer eigenen Welt konnten sie gemeinsam das Leben ihrer Hippy-Zeit der 60er-Jahre in die Gegenwart hinüberretten und können es hoffentlich noch lange weiter geniessen.

  

Ganz besonders gewinnbringend war für uns die Begegnung mit Daphne und Pat aus den USA. Sie haben von einem Freund, der aus gesundheitlichen Gründen sein Schiff verkaufen musste, eine 14-m Tjalk erworben, die im Jahr 1887 gebaut worden war und somit gute 130 Jahre auf dem Buckel hat. Sie haben uns das Schiff als 'Dr. Alberta Gesina' vorgestellt, genau so, wie sie es gekauft hatten. Die Durchsicht älterer Dokumente hat aber gezeigt, dass nur die Schrift am Heck etwas verwirrend ist und das Schiff in Wahrheit auf den Namen 'Vr. Alberta Gesina' hört. 'Vr' ist in Holland, wo das Schiff ja herkommt, schlicht die Abkürzung für 'Vrouwe' (Frau). Geschätzte Frauen werden oft besonders geehrt, indem Mann seinem Schiff ihren Namen gibt.
Mit erstaunlicher Unbefangenheit haben die neuen Besitzer ihr Leben als künftige Schleusenschiffer angefangen. Das forsche Vorgehen kann nur verstehen, wer mehr von ihrem bisherigen Leben erfahren hat. Dieses verlief so vielfältig, dass es uns richtig schwerfiel, ihren Schilderungen immer zu folgen. Sie haben nun die Absicht, ihrem Schiff zu neuer Jugend zu verhelfen und mit ihm zusammen in den nächsten Jahren die Binnengewässer Europas zu besuchen. Sie möchten in dieser Zeit von den derzeitigen Verhältnissen in den USA etwas Abstand gewinnen. Wir zweifeln keinen Moment, dass sie mit ihrem Lernwillen und offenbar unerschöpflicher Energie dabei mehr entdecken werden, als manche von uns.

  

Auf dem Slipway, der die Schiffe seitwärts aus dem Wasser hebt und so die Rolle eines Trockendocks übernimmt, haben wir Markus und Dora getroffen. Schon seit mehreren Jahren verbringen sie ihre Ferien mit arbeiten an ihrem Schiff und legen dabei Mut und Zielstrebigkeit an den Tag, um die wir sie nur beneiden können. Sie schrecken selbst vor schwierigen Arbeiten nicht zurück, lassen sich von Rückschlägen nicht beirren und bleiben dabei stets bei guter Laune. Wir freuen uns mit ihnen auf den Tag, an dem sie mit ihrem Traumschiff in See stechen können und hoffen, dass dann ihr Traum Wirklichkeit wird.

  

An einem sonnigen Tag am Quai National erhielten wir Besuch von Ruth und Claude. Zwei Schleusenschiffer aus der Schweiz, die offensichtlich viel unterwegs sind, denen wir aber noch nie begegnet sind. Sie hatten unmittelbar hinter uns angelegt und berichteten, dass sie unser Schiff bereits in Neustrelitz getroffen hätten (siehe September 2017), wir aber dort nicht 'zu Hause' gewesen seien. Sie waren damals auf der Suche nach ihrem Traum-Schiff. Kurzerhand haben sie uns jetzt zum Kaffee auf ihrer 'Tilisuna' eingeladen und wir haben unsere Erfahrungen auf dem Weg von Deutschland nach Frankreich ausgetauscht.

  

Als wären das alles nicht schon sehr viele gute Erlebnisse, kreuzten ganz unerwartet Freddy und Willi (siehe September 2018) bei uns auf und haben uns zu einem feinen Nachtessen ins Restaurant 'Home cooking' in Brazey-en-Plaine eingeladen. Nach der gut verlaufenen Expertise erlebten wir das wie Ostern und Weihnachten zusammen. Entsprechend ausgelassen war die Stimmung. Vielen herzlichen Dank den beiden Ur-Schleusenschiffern aus der Ostschweiz!

Am Tag darauf machten wir mit der Mizar einen kleinen Ausflug nach St. Symphorien und übernachteten weit weg vom Schuss in der 'freien Natur'. Für diese Fahrt haben wir Daphne und Pat mitgenommen, was ihnen, ganz kurz vor ihrer Rückkehr für den Winter in den USA, zu einem ersten Erlebnis in Sachen Flussschifffahrt und Schleusen verhalf.
Wir hatten aus der Konditorei einen Kuchen mitgenommen und  uns damit nochmals bei Freddy und Willi bedankt. Sie leben ja gleich neben der Schleuse und dem momentan verwaisten Hafen von St. Symphorien. Mit etwas Kaffee und viel Klönschnack verflog so der ganze Nachmittag im Nu. Ein süsses und beglückendes Erlebnis! Vielen Dank auch dafür!

Das Schiff, bei dem wir längsseits gegangen waren, die 'Zofia', war uns natürlich nicht fremd. Wir hatten ganz am Anfang zwei Winter in diesem Hafen verbracht, der damals noch sehr belebt und vor allem für grössere Schiffe ein beliebter Winterplatz war. Er bildete damals auch ein Zentrum für Kauf und Verkauf von nicht ganz alltäglichen Schiffen. Wir haben aus nächster Nähe mitbekommen, wie Nadia und Rudi aus Belgien sich in dieses Schiff verliebt hatten und nach dem Kauf sogleich mit Farbkesseln angefahren kamen, ihm ein gefälliges Äusseres zu verpassen. Ihre Begeisterung und Herzblut kannten keine Grenzen und bald erstrahlte die Zofia in neuem Glanz.
Das Unglück kam dann unerwartet, als das Schiff  im Trockendock noch einige Schweissarbeiten über sich ergehen lassen musste. Nur kurz zeigten kleine Rauchwolken an, dass da etwas nicht stimmte. Minuten später stand das Schiff in Vollbrand. Für die neuen Besitzer, die zur Zeit des Vorfalls in Belgien waren, ein schwerer Schlag. Wir hatten die beiden und das Schiff seither nicht mehr gesehen, hatten nur gelegentlichen Kontakt und waren darum enttäuscht, dass jetzt niemand zu Hause war.

  

Umso grösser unsere Überraschung, als die Zofia drei Tage später in St.Jean auftauchte, um nun selber ins Trockendock einzufahren.

Natürlich holten wir all die verpassten Gelegenheiten der letzten Jahre ausgiebig nach, bei einem gemeinsamen Nachtessen und weiteren Gesprächen, für die sich die fleissigen Maler jeweils gerne bei ihrer Arbeit stören liessen.

Schon jetzt haben wir uns für den nächsten Frühling verabredet, weil wir dann wieder gemeinsam in der Gegend sein und alle mit Farbkesseln beschäftigt sein werden.

Danach blieben uns noch ein paar Tage, während denen wir unser Schiff für den kommenden Winter bereit machten. Wir hatten genügend Zeit und nutzten gerne die letzten sonnigen Tage. So machten wir auch einen kleinen Ausflug zur Schleuse 34S am Canal de Bourgogne wo Urs und Doris seit einigen Jahren einen Gite samt kleinem Restaurant führen (www.la34s.fr/de/). Sie haben sich rasch einen guten Namen erarbeitet und werden darum auch von vielen Einheimischen gerne besucht. Die zwei Schleusenschiffer haben aus dem alten Schleusenhaus ein gemütliches Heim gemacht und kompensieren den etwas rückläufigen Schiffsverkehr locker mit dem stetig wachsenden Velotourismus. Sollte sie einmal das Fernweh plagen, haben sie gut vorgesorgt. Praktisch vor dem Haus liegt der 'P'tit Baron' und wartet ungeduldig darauf, wieder einmal durch die Kanäle gesteuert zu werden.

Bevor der Monat ganz zu Ende war und auch, weil sich das schöne Sommerwetter verabschiedet hatte, machten wir uns auf eine leicht verlängerte Rückreise in die Schweiz.


Monat Oktober 2018:
- 4h 45'
- 3 Schleusen
- 17 km

Jahrestotal 2018:
- 363 h Motorzeit
- 276 Schleusen
- 108 bewegliche Brücken
- 5 Tunnel
- 1844 km


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