Juni 2018

Endlich kam der Sommer. Die Blumen auf unserem Schiff erfreuten viele andere Leute, noch mehr aber uns selber!

Das Treffen der DBA (siehe vorangegangener Monat) war zwar vorbei, aber ausser uns waren noch die Teilnehmer von zwei oder drei weiteren Schiffen geblieben und so wurde aus den vorgesehenen ein oder zwei zusätzlichen Tagen schliesslich eine ganze Woche. Diese Tage füllten sich beinahe von selbst mit Streifzügen durch die Stadt, die mit zahlreichen Sehenswürdigkeiten aufwarten kann. Noch nirgendwo sonst hatten wir derart viele gut restaurierte und voll funktionierende Häuser aus so vielen verschiedenen Jahrhunderten gesehen. Sie ergeben, oft unmittelbar nebeneinander stehend, ein geschlossenes und lebendiges Stadtbild. Das scheint sich auszuzahlen, denn neben den vielen Touristen füllen, wie selbstverständlich, immer auch Bewohner der Stadt diese mit aktivem und gut gelauntem Leben. Das wirkt ansteckend und man fühlt sich wohl. Den Vergleich mit Paris oder London hat das viel kleinere Gent damit gar nicht zu fürchten. Durch seinen Tuchhandel im Mittelalter war Gent reich geworden und stand in Bezug auf Grösse und Bedeutung schon damals höchstens hinter Paris zurück.

Besondere Erwähnung verdient der 91m hohe Glockenturm (Belfort). Zusammen mit vielen ähnlichen Bauten in Flandern und Wallonien, sowie jenen in Nord-Frankreich, wurde er dem UNESCO-Weltkulturerbe zugerechnet. Bereits im 14. Jahrhundert war mit seinem Bau begonnen worden. Er war zunächst mit Stadtwächtern bemannt, die auch während der Nacht die Sicherheit der Stadtbewohner im Auge behielten. Die Glocken dienten neben der Ankündigung der üblichen Gebetsstunden dem normalen Stundenschlag. Sie warnten aber auch vor Feuer und gaben Alarm, wenn fremde Krieger gesichtet wurden. Diese bedrohten damals das Leben der Bevölkerung mindestens ebenso häufig wie der gefürchtete rote Hahn. Die erste Glocke, die 1325 montiert worden war, wurde Roland genannt, zur Erinnerung an einen Kanzler von Karl dem Grossen. Sie wurde dann allerdings, wohl weil sie allzu zuverlässig ihren Dienst erfüllt hatte, im 16. Jahrhudert durch Kaiser Karl V entfernt, nachdem dieser, trotz ihrem heftigen Läuten, nach einem Aufstand die Stadt wieder unterworfen hatte. Später durfte sie allerdings wieder auf den Glockenturm zurückkehren. 1914 ist sie dann - offenbar aus Schmerz und Scham wegen dem Ausbruch des mörderischen Krieges - gesprungen und ausser Dienst gestellt worden. (Sie kann heute in einem besonderen kleinen Gebäude bei der St. Nikolauskirche besichtigt werden.) Im 17. Jahrhundert wurde ein erstes Glockenspiel (Carillon) mit etwa 30 Glocken eingerichtet, das stolze 30 Tonnen auf die Waage brachte. Die Anzahl der Glocken wuchs bis zum heutigen Tag nach und nach auf 53. 1993 wurde, als Ersatz für den alten Roland, eine neue Glocke mit vollem, tiefem Ton zugefügt und im Volksmund spöttisch Robert genannt.
Nur an wenigen ausgesuchten ruhigen Plätzen in der Stadt ist es heute noch möglich, dem Glockenspiel ungestört vom Stadtlärm zu lauschen.
(Auf den Link klicken! mp3)

Um 1380 wurde der Turm erstmals vollendet und auf seinem Gipfel ein goldener Drachen montiert (rechts im Bild). Aus Maul und Nüstern konnte er Feuer speien und hat damit bestimmt die Leute tief unter ihm beeindruckt. Was vom ersten Drachen aus dem Jahr 1377 übrig geblieben ist, das kann man heute im Untergeschoss besichtigen. Der Aufstieg auf den Turm ist empfehlenswert, zumal der grösste Teil davon bequem mit einem Lift erfolgt. Oben angekommen, steht man vor der Mechanik des Carillons, das wie eine riesige Spieldose funktioniert. Natürlich wird das Glockenspiel bei besonderen Gelegenheiten auch von Hand bespielt. (Siehe dazu auch Belfried Douais, Juni 2013)

  

Die Aussicht von der Terrasse unmittelbar unter dem grossen Zifferblatt gibt einen Überblick über die Stadt und zeigt die drei Türme der St. Nikolauskirche, des Belfrieds und jenen der St. Bavo Kathedrale, die alle in einer geraden Linie stehen.
Angebaut an den Turm ist die Tuchhalle aus dem frühen 15. Jahrhundert, ein beeindruckendes gotischen Gebäude, das dem einträglichen Tuchhandel diente und damit mitgeholfen hat, die Stadt reich zu machen.

  

Wem es Spass macht, der kann zum Abstieg auch die engen Treppen benutzen.

Eine Spezialität, die man nicht verpassen sollte, sind die Belgischen Waffeln. Die besten findet man, nach der einhelligen Meinung vieler Genter, in der Konditorei MAX. Da kann man doch nur schlecht nein sagen.

So gegen Abend trafen wir uns jeweils zum Erfahrungsaustausch auf der Maria Magdalena von Els und Jan oder auch auf der Ailsa von Sally und Mike.

     

Aber dann kam sie doch, unsere Abreise von Gent. Auf der Leie fuhren wir zu Berg über Kortrijk bis Deûlemont, wo wir in den Canal de la Deûle einbogen, der uns nach Lille brachte.

In Lille verbrachten wie vier weitere Tage. Unser Liegeplatz war nahe der Stadt und diese hatte sich in den letzten Jahren kräftig zu ihrem Vorteil herausgeputzt. Sie verdient heute mit viel Sehenswertem einen ausgedehnten Besuch.

  

Nach der Passage des Zusammenflusses der beiden grossen Kanäle sieht man beim Zurückschauen auf der rechten Seite den Canal de la Deûle, auf dem wir hergekommen waren und links die Liaison à Grand Gabarit, welche die grossen Frachter nach Dünkirchen und zurück führt. Erwartungsgemäss war ab dieser Stelle der Frachtverkehr wiederum sehr dicht.

Kurz danach fuhren wir durch eine schmale Abzweigung nach rechts in den Kanal nach Lens. Die Reise war in der Rückschau ein eher mässiges Erlebnis, war doch der Wasserweg sehr verschmutzt und die auf der Karte verzeichneten Anlegestellen meist gar nicht mehr vorhanden oder wurden als Abfallhalden missbraucht. Aber einige schöne Aussichten machten die aufkeimende Enttäuschung mühelos wieder wett.

Die Stadt Lens war gross geworden, als um 1850 in der Gegend Kohle entdeckt und umgehend in grossem Massstab abgebaut wurde. Die durch die neue Energie ausgelöste industrielle Entwicklung liess die Stadt rasch wachsen, aber ebenso schnell wieder in sich zusammenfallen, als um 1980 die letzte Kohlenmine aus Rentabilitätsgründen geschlossen wurde. Die Arbeit in der Kohlemine war zwar äusserst hart und ungesund gewesen, hatte aber über lange Zeit ein sicheres Auskommen für einen grossen Teil der Bevölkerung garantiert. Die folgende Beschäftigungslücke traf die Gegend empfindlich. Als Kompensation und Entwicklungsprojekt wurde 2012 in der Stadt die Ablage des Louvre-Museums von Paris eröffnet, wo Ausstellungsstücke, welche dort wegen Platzmangels im Keller eingelagert werden mussten, hier restauriert und der Öffentlichkeit gezeigt oder einfach preiswerter weiter aufbewahrt werden können. Obschon die ganze Anlage von bekannten japanischen Architekten sehr grosszügig geplant und von der EU noch grosszügiger bezahlt wurde, vermag sie heute kaum Besucher anzuziehen und wirkt in der eher heruntergekommenen Umgebung etwas verloren. Ausser uns tummelte sich kaum eine Handvoll anderer Leute auf dem weitläufigen Gelände. Darum mussten wir hier jeweils nicht lange warten, bis für ein hübsches Foto nicht zu viele Touristen herumstanden.

  

Dass die Franzosen in Bezug auf Velowege von den Holländern noch viel zu lernen haben, zeigt dieses Bild, aufgenommen im Stadtzentrum von Lens. Hier kann man nur noch absteigen und Kopfschütteln.

In Douai fanden wir einen Liegeplatz bei den grossen Schiffen und wurden beim Blick von der Brücke ganz diskret aber eindrücklich belehrt, dass wir eigentlich nur ein ganz kleines Schiffchen  besitzen. Man muss schon genau hinschauen, will man die Mizar auf dem Foto ausmachen.

Im alten Hafen der Stadt liegen noch einige Schiffe, die früher wohl alle bessere Zeiten gesehen haben. Von kleinen Schicksalen, die aber auch schwer wiegen können, erzählt der Tierfriedhof gleich daneben. Hier sind nur Tiere beerdigt, welche ihre Meister ein ganzes Hunde- oder Katzenleben lang auf dem Schiff begleitet haben. Wie viele einsame Stunden sie dabei wohl mit Wärme und Nähe bereichert haben mögen?

  

Der Canal du Nord wird immer noch sehr intensiv benutzt. Er führt, wie manche andere Kanäle in Frankreich auch, von einem Flusstal ins andere. Hier vom Tal der Scarpe zunächst ins Tal der Somme und dann weiter in jenes der Oise. Weil in grauer Vorzeit sich die Flüsse noch ihr eigenes Bett selber suchen durften und dabei auch ihr eigenes Tal gegraben haben, liegt zwischen zwei Flusstälern meist ein Hügel oder gar ein kleiner Berg. Es ist darum die Aufgabe eines Kanals, mit seinem Verlauf und mit seinen Schleusen den Weg von einem Tal ins andere zu ebnen. Hier heben sieben Schleusen die Schiffe insgesamt rund 50m in die Höhe, bevor ...

... das Scheitelstück, Bief de Partage genannt, sie dorthin bringt, wo der Abstieg ins nächste Tal beginnt. In diesem obersten Abschnitt wird gelegentlich ersichtlich, dass für den Kanal manchmal eine tiefe Kerbe ins Gelände gegraben werden musste, bevor er, um die grössten Erhebungen zu unterfahren, in einem Tunnel weitergeleitet wurde. Le Souterrain de Ruyaulcourt (Tunnel) ist 4350m lang und hat in seiner Mitte eine 1000m lange Ausweichstelle, wo die Schiffe unterirdisch kreuzen können. Der Verkehr wird von einer Zentrale überwacht und mittels Lichtsignalen gesteuert.

  

Das Fahren im Tunnel ist eine Konzentrationsübung, die knapp eine Stunde anhält und nicht immer einfach ist, obschon der Weg schnurgerade verläuft. Dazu kommt die ständige Unsicherheit, ob das Schiff auch ganz sicher durch das kleine Loch dort vorne passt???

Umso mehr entspannt sich die Stimmung, sobald man nach der langen Fahrt im Dunkeln wieder ans Tageslicht kommt.

Auf der anderen Seite des Hügels sind es in diesem Fall fünf Schleusen, die den Abstieg ermöglichen.
Bei Kilometer 45 biegt dann nach rechts der Canal de la Somme ab, den zu erkunden, wir uns vorgenommen hatten.

  

Damit waren wir im Departement Somme angekommen, das gemeinsam mit den Departementen Oise und Aisne die frühere Region Picardie gebildet hatte. (Diese drei Departemente wurden 2016 zusammen mit Pas-deCalais und Nord in der neuen Region Hauts-de-France zusammengefasst.) Die Gegend zählt gewiss nicht zu den beliebtesten Feriendestinationen der Franzosen und ist etwas strukturschwach. Aber sie hat sich wohl gerade deswegen einen besonderen Charme bewahren können. Die Somme fliesst durch ein sehr wasserreiches Gebiet und ist teilweise auf dem ursprünglichen Flusslauf befahrbar. In anderen Abschnitten dagegen ist sie, um die Schiffbarkeit über die ganze Strecke zu gewährleisten, kanalisiert worden. Vor einiger Zeit ist die Verantwortung für den Wasserweg von der nationalen Behörde VNF (Voies Navigables France) an die regionalen Behörden abgegeben worden, weil auf diese Weise zugleich die finanzielle Zuständigkeit abgetreten werden konnte. Das entlastet zunächst einmal das Budget, schafft weniger Hierarchiestufen und steigert so das persönliche Engagement. Aber die Mittel bleiben gleichwohl knapp. Eine typisch politische Lösung eben.

  

Die Schleusen sind hier klein und heimelig, und das Personal durchwegs ausgesprochen freundlich und dienstbeflissen. Ein Erlebnis, an das wir uns nach den Erfahrungen der letzten Jahre erst gewöhnen mussten. Jedes Mal, wenn wir diese Erfahrung an die Angestellten weitergaben, haben sich diese sichtlich gefreut.

Selbst die Bollards (Poller), an denen in den Schleusen die Schiffe festgemacht werden, haben eine ganz eigenwillige Form und erinnern von Ferne an Patisserie.

Der Weg auf dem Fluss ist gelegentlich eng, oft von Wasserpflanzen verwachsen. Das Wasser aber ist klar, was beim herrschenden Wetter viele Leute zum Baden einlud. Die grüne Landschaft und die sanften Hügel trugen das ihre bei zu einer erholsamen Ferienstimmung.

Das Tal der Somme hat eine lange und vielfältige Geschichte. Es hat viele Wirren gesehen und viele Kriege überstanden. Betrachtet man die Welt heute, muss man sich fragen, ob sich das Leiden gelohnt hat.

Am stärksten wach blieb die Erinnerung an die Schlacht an der Somme. Die blutigste Auseinandersetzung, die in Frankreich während des ersten Weltkrieges ausgefochten worden ist. So überraschend schnell waren zuvor die deutschen Truppen bis kurz vor die Atlantikküste vorgedrungen, dass die alliierten Regierungen beschlossen, mit allen verfügbaren Kräften im Tal der Somme vereint einen Gegenangriff zu unternehmen. Dieser sollte die deutschen Linien durchbrechen und damit den Vormarsch stoppen. Nach einem einwöchigen Bombardement aus allen Rohren wurde am 1. Juli 1916 um 07.28 der Befehl zum Angriff gegeben. Die Truppen, die zu drei Viertel aus den verschiedensten Staaten des Commonwealth stammten, waren dabei der festen Überzeugung, dass nach dem heftigsten Beschuss in der Geschichte der zu erstürmende Raum frei von Gegnern sei. So liefen sie in alter Manier, in Reih und Glied, als feste Kampfformationen hinter einem schottischen Dudelsackbattalion in das gnadenlose Maschinengewehrfeuer der Deutschen hinein. Die Franzosen, deren Hauptkräfte in Verdun gebunden waren, brachten nur ein Viertel der Truppen auf. Und sie kamen anfänglich ohne Helm, dafür in roten Uniformhosen, was sich recht schnell als nicht zweckmässig erwies und darum rasch geändert wurde. Bereits am ersten Tag starben 20'000 britische, sowie 20'000 französische und 8'000 deutsche Soldaten. Da Generäle schon damals unbelehrbar waren, tobte das sinnlose Gemetzel unvermindert weiter bis Mitte November des selben Jahres, wobei sich die Fronten lediglich zwischen 400m und maximal 12 km verschoben haben. Auf dem Schlachtfeld blieben schliesslich rund eine halbe Million Soldaten zurück, während mehr als 700'000 verwundet wurden. Der Krieg verdiente sich hier die Bezeichnung 'Weltkrieg' im wahrsten Sinne des Wortes, waren doch Soldaten aus 35 verschiedenen Nationen an dieser Schlacht beteiligt.
Nach dem ersten Weltkrieg war die Welt verändert und der Krieg hatte sich selber neu erfunden. Der Kaiser und die meisten Könige gehörten der Vergangenheit an und der Adel war aus seinen Landsitzen vertrieben worden. Bunte Uniformen, Pomp und Ehre waren vom Schlachtfeld verschwunden. Monatelanges Ausharren unter schwierigsten Bedingungen und qualvolles Sterben wurden zur Norm. Zugleich sind neue Waffen aufgekommen. Die ersten Tanks und Flugzeuge, sowie etwas später Senfgas, sorgten für effizienteres Töten. Die neuen deutschen Maschinengewehre feuerten rund 550 Schuss in einer Minute!

Von Corbie aus machten wir eine kleine Velotour in die Umgebung und besuchten auf einem Hügel bei Sainte-Colette die Gedenktafel für Freiherr Manfred von Richthofen. An dieser Stelle war der berühmt-berüchtigte Rote Baron, der selber mit seinem blutroten Dreidecker-Flugzeug 80 Maschinen der alliierten Kräfte abgeschossen hatte, durch einen australischen Infanteristen mit dem Maschinengewehr vom Himmel geholt worden.

Der Ruf des Barons war aber selbst bei seinen Gegnern derart legendär, dass sie ihm ein militärisches Begräbnis mit allen Ehren ausrichteten. Dabei wurde das offene Grab von Flugzeugen seiner vormaligen Feinde in enger Formation überflogen. Keinem anderen deutschen Soldaten war auch nur annähernd ähnliches vergönnt.

Doch die Picardie hat noch viel mehr zu bieten, als unzählige (über 400!) Soldatenfriedhöfe und Kriegsdenkmäler.
Wir hatten in Corbie angelegt, kurz vor der Schleuse, wo ein komfortabler Steg für die Schiffe bereitsteht. Das Liegen war kostenlos, für Wasser und Strom war ein Münzautomat vorhanden.
Die Stadt ist unspektakulär aber lebendig und hat ihre dramatische Geschichte hinter sich gelassen. Ein grosses Portal im Zentrum zeigt, was vom Eingang einer Benediktiner-Abtei übrig geblieben ist, die hier im 7.Jahrhundert gegründet worden war. Über die Jahrhunderte hatte sie sich zu einem der wichtigsten Klöster Europas entwickelt und wurde von bis zu 300 Mönchen bewohnt. Sie war ein Zentrum, führend im kopieren und später übersetzen aller kirchlichen Schriften. Ihre Mönche missionierten halb Europa, auch im Norden, hinauf bis nach Schweden. In mehreren Anläufen bauten sie sich ab 1501 die Kathedrale Saint-Pierre. Mit einem Schiff von 117 m Länge muss sie sehr beeindruckend gewesen sein. Was von ihr heute noch steht, ist, was die Französische Revolution 1792 übrig gelassen hat. Kaum 1/3 von dem, was Generationen zuvor aufgebaut hatten. Im Norden der Stadt sind heute noch die Steinbrüche sichtbar, von denen die weissen Kalksteine herangeschafft worden sind.

     

Wir mussten unerwartet etwas länger in Corbie bleiben, weil in unserem Wassersystem das Wasser ganz plötzlich woanders ausgeflossen ist, als wir es gerne gehabt hätten. Bis alle Ersatzteile da waren und alles wieder funktionierte, vergingen insgesamt fünf Tage.

Eine ganz besondere Freude erlebten wir, als am Sonntag, vollkommen unerwartet, die Aquamarijn neben uns anlegte und wir Marie-Odile und Michel begrüssen durften, die wir vor vier Jahren das letzte Mal in Holland gesehen hatten (Siehe Juli 2014). Zufälle des Schifferlebens und Grund genug, mit einem guten Tropfen anzustossen!

Die Freude blieb allerdings nicht lange ungetrübt. Am Montag, kurz nach Mittag, wurden unsere beiden Fahrräder vom Schiff weg geklaut, während wir uns unter Deck eine kurze Weile von den Strapazen des Vormittags erholten. Dabei waren beide Räder zusammen mit einem Drahtseil gesichert. Das Bild vom Denkmal für den Roten Baron, erhielt damit ganz unerwartet noch eine zweite historische Komponente! Es zeigt die letzte Aufnahme unserer Velos. Und das hat uns fast mehr getroffen.

Am Tag darauf sind wir dann weiter gefahren, unter blauem Himmel durch eine grüne Landschaft. Wenn man sich ganz vorne im Bug hinsetzte, hörte man vom Motor lediglich ein kaum vernehmbares Brummen, dafür ein vielstimmiges Konzert der verschiedensten Singvögel.

  

Nach kurzer Fahrt legten wir oberhalb der Schleuse von Lamotte-Brevière für die Nacht an. Mit uns lag da die Aslaug von Bente und Kurt, die schon seit mehreren Jahren unterwegs sind und ihren Gästen die Schönheit der Binnenschifffahrt näher bringen. Die Somme hat ihnen so gut gefallen, dass sie jetzt bereits ihre vierte Saison hier verbringen. Gleichzeitig unterstützen sie damit die touristische Attraktivität der Picardie. Sie nützten ein paar ruhige Tage, um da und dort die Farbe etwas auszubessern. Das hatte für uns etwas Beruhigendes, denn wir bekamen dabei bestätigt, dass auch ein neues Schiff nie aufhört, nach intensiver Pflege zu verlangen.

Gegen Abend, es hatte inzwischen wohl kaum mehr als ein Schiff die Schleuse benutzt, füllte sich diese mit ganz anderem Leben. Immer mehr Jugendliche kamen auf ihren Fahrrädern angefahren und nutzen das ruhige Wasser in der Schleusenkammer für ausgelassenen Badespass. Das ist zwar laut des Warnschildes streng verboten. Aber in Frankreich nimmt man das halt nicht so wörtlich. Was streng verboten ist, wird toleriert, so lange es niemandem weh tut. Damit lässt sich gut leben. Übrigens liegt unmittelbar neben der Schleuse ein etwas alternatives, aber gemütliches Café mit dem sinnigen Namen MELBA (Maison Eclusière de Lamotte-Brebière Amiens). Durch die geschickte Um-Nutzung des nicht mehr benötigten Schleuserhäuschens steigert es die Attraktivität des Ortes ungemein.

Gegen Mittag des zweiten Tages sind wir auf diese Weise ganz gemütlich in Amiens angekommen. Die Stadt erschien uns vielversprechend, hat sie doch mit einigen Superlativen aufzuwarten. Doch mehr davon im nächsten Monatsbericht. Im Augenblick hatten wir kein Auge für die Sehenswürdigkeiten, denn uns beschäftigte im Moment nur eines: wir brauchten dringend neue Drahtesel!

  


Monat Juni 2018:
- 53 h 50'
- 31 Schleusen
- 4 Brücken
- 1 Tunnel (4.4km)
- 275 km


  zurück zur Reisetagebuchseite