März 2018

Im Januar haben wir an dieser Stelle berichtet, dass wir unser Haus in der Schweiz auf den ersten März neu vermietet hatten und darum ab diesem Zeitpunkt auf Umwegen zu unserem Schiff zurückkehren würden. Die Umwege erklären sich dadurch, dass die Neu-Vermietung eigentlich auf Anfang April vorgesehen war, weil erst dann der Vertrag für den Winterplatz ausläuft, wo unsere Mizar in Plaue bei Brandenburg die kalte Jahreszeit verbringt. Wir reisten also früher weg als geplant und hatten darum plötzlich deutlich mehr Zeit zur Verfügung.
Diese Umstellung war für Matz Signal und Aufforderung zugleich, eine Idee voranzutreiben, die ihr schon während Monaten keine wirkliche Ruhe mehr gelassen hatte. Als etwas unruhige Seele hatte sie seit längerer Zeit mit Möglichkeiten herumgespielt, welche sich mit der rasanten Entwicklung der Internets immer häufiger anbieten: die Vernetzung von Leuten, die gleiche Interessen pflegen oder korrespondierende Bedürfnisse haben. So hatte sie längst festgestellt, dass es, verteilt übers ganze Jahr und über die ganze Welt, immer wieder Menschen gibt, die für ein paar Wochen oder länger wegfahren wollen, dabei aber ihr Heim samt allfälligen Haustieren nicht unbetreut lassen wollen. Wenn man also während dieser Zeitspanne eine Bleibe sucht und ein Angebot ansprechend gelegen ist, können gleich zwei Seiten von der Situation profitieren. Die entsprechenden Websites sind voll von spannenden Angeboten, wo zuverlässige Betreuer gesucht werden. Mit ein paar kurzfristigen Bewerbungen in unserer Nähe hatten wir uns vorgängig die notwendigen Referenzen erworben, die uns nun bei unserem ersten grösseren Versuch gute Dienste leisteten. Nur darum wurde uns auf unsere Anfrage hin für drei Wochen ein Haus in Cambridge angeboten, wo zwei Katzen betreut werden mussten.

Ein Haus aus dem 18.Jahrhundert mit Garten und in Gehdistanz zum Stadtzentrum! Allein der Name der Stadt weckt allerhand Assoziationen aus Geschichte und Kultur und 'unser' Haus hatte einiges davon selber erlebt. Motivation genug also, dort ein paar Tage zu verbringen und sich die Stadt in Ruhe anzuschauen.

Die Katzen, Rosie und Daisy, zwei (really!) British Shorthair Cats, waren sehr scheu und genügsam. Beide brauchten einige Zeit, bis sie sich an ihre neuen Betreuer gewöhnt hatten. Aber, was lange währt, ...

  


Wenn man von Cambridge spricht, wird unweigerlich die berühmte Universität zum Thema. Bei allen gängigen Bewertungen der bedeutendsten Universitäten der Welt gehört sie fast immer zu den fünf besten und keine andere wird öfter unter die besten zehn eingereiht. Gegründet wurde sie 1209 und ist damit hinter jener von Oxford die zweitälteste Uni im englischsprachigen Raum. Heute prägt sie mit ihren 31 Colleges die Stadt, die 125'000 Einwohner hat, von denen jeder fünfte als Student angemeldet ist. Während die Colleges sich vorwiegend um die Auswahl und Betreuung der Studenten kümmern, erfolgt die eigentliche Ausbildung an den über 150 Departements, Fakultäten und Schulen der Universität. Bis in die 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts erfolgten die anspruchsvollen und entscheidenden Interviews für die Aufnahme in ein College in lateinischer oder alt-griechischer Sprache. Ein Umstand, der alleine für sich schon eine hohe Hürde darstellte. Doch auch noch heute bilden beste Noten der vorgängig besuchten Schulen eine unabdingbare Voraussetzung für einen Studienplatz. Dass die verschiedenen Colleges auch gesellschaftlich unterschiedliche Werte vertreten, versteht sich von selbst. Und gratis gibt es schon gar nichts!
Die Liste der berühmten Absolventen und Professoren der University of Cambridge ist so illuster, dass man sie sich nicht erlesener vorstellen könnte. Sie umfasst Namen wie Sir Isaac Newton, Charles Darwin, James Clerc Maxwell, Francis Crick und James Watson, ebenso Ernest Rutherford und Jane Goodall, sowie Stephen Hawking, der ausgerechnet während unseres Aufenthaltes in der Stadt verstorben ist. Die Liste liesse sich fast beliebig fortsetzen und ist ein eindrücklicher Leistungsausweis für die Uni. Nobelpreisträger sind hier immer in zahlreicher Gesellschaft.
Neun Museen und der grosse Botanische Garten, die alle zur Universität gehören und dem Publikum zugänglich sind, decken verschiedenste Wissensbereiche ab, zwar meist auf etwas verstaubte, aber gerade dadurch ansprechende, unverkrampfte britische Art.

Der Name Cambridge kommt von der Stelle, wo die Cam, der Fluss, der durch die Stadt fliesst, schon in frühen Tagen über eine Brücke zu queren war. Bereits zu römischen Zeiten wurde das Gewässer bis zum Meer rege mit kleinen Booten befahren und war damit wichtiger Verkehrsweg für den Transport von Waren in beide Richtungen. Im steten Bemühen, diesen Verkehrsweg zu verbessern, wurden, mit unterschiedlichem Erfolg allerdings, immer wieder Bäche und Flüsse der eher sumpfigen Region umgeleitet, kanalisiert oder gestaut. Erst der Bau von vier Schleusen um das Jahr 1699 verbesserte die Situation nachhaltig. Ganz besonders, weil neben jeder, wie durch Zauberhand, sehr rasch ein Pub aus dem Boden wuchs. Immerhin wurde damit eine zuverlässige Verbindung zum Meer bei King's Lynn geschaffen und für das Wohl der Bootsleute war auch gesorgt. Mit dem Bau der Eastern Counties Railways von London nach Norwich um 1850 kam allerdings der Verkehr auf der Cam nach und nach fast vollständig zum erliegen. Bis heute überlebt haben nur noch die engagierten Freizeitschiffer und die Punts (kleine, flache Holzboote, beladen mit bis zu 12 Touristen), die meist von Studenten mit Hilfe langer Stangen unter den Brücken hindurch durch die Stadt gestakt werden. Für jeden Besucher der Stadt ein unvergessliches Muss, für die Studenten eine geschätzte Einnahmequelle.
Natürlich besuchten wir als als Schleusenschiffer mit Interesse die markanten Punkte dieses Wasserwegs.

 

Die beste Aussicht auf die Stadt hat man vom Turm der Great St Mary's Church. Die erste Kirche an dieser Stelle wurde 1205 errichtet, während das aktuelle Gebäude um 1500 herum erstellt wurde. Ursprünglich Eigentum der Krone, gehört die Kirche jetzt zum Trinity College und bildet das Zentrum der Universität. Die Melodie ihrer Glocken wurde zum Vorbild für das viel berühmtere Geläut des Big Ben in London. Seit jeher war St Mary's die offizielle Kirche der Universität und damit Brennpunkt der Geschichte, ganz speziell während der Englischen Reformation unter König Heinrich VIII, welche er nur losgetreten hatte, weil ihm während langer Zeit ein männlicher Nachkomme versagt geblieben war und ihm der Papst eine Scheidung verweigerte. Ein ganz besonderer Anlass war darum 1564 die vielbeachtete Antrittsrede seiner Tochter, der Königin Elisabeth I, die sie hier vor den versammelten Professoren in Lateinisch gehalten hat.
Nach unserem Aufstieg über die 123 Stufen sahen wir gegen Norden hin das Gonville und Caius College, dahinter Trinity College und St.John's College. Gegen Osten blickt man auf den Markt, während im Westen das Kings College und die Kings Chapel dominieren.

     

Die Glocken werden heute noch von der Gesellschaft der Jugendlichen von Cambridge geläutet, die 1724 gegründet worden ist und damit die älteste ihrer Art darstellt. Der Stundenschlag tönt immer noch genau wie der des Big Ben.

  

Entsprechend dem jeweiligen Gründungsjahr (von 1284 bis 1976) sind die meisten Colleges in ehrwürdigen alten Häusern untergebracht, sind aber eng mit der belebten Innenstadt verwoben. Bis zur Reformation und gelegentlich weit darüber hinaus hatte die katholische Kirche bekanntlich die gesamte Wissensvermittlung monopolisiert. Diese bestand jedoch ausschliesslich im Wiederholen der Lehren der griechischen Philosophen und jener der Kirchenväter. Sie verschloss sich damit jeder neuen Erkenntnis. Darum gehörte zu jedem College eine Kapelle oder Kirche, deren Personal das Wohlverhalten der Schüler, die bereits im Alter von 13 - 14 Jahren ihr Studium aufnahmen, aufs Strengste überwachte. Wie befreiend muss es darum für die Universität gewesen sein, als im Laufe des 18. Jahrhunderts nach und nach die Freiheit des Denkens zur Selbstverständlichkeit wurde und so eine moderne Wissenschaft entstehen konnte, die auf Experimenten und Beobachtungen aufbaute.

Der Innenhof von Peterhouse, das älteste College von Cambridge, gegründet 1284, und Innenansicht der dazugehörigen Kapelle.

  

Kreuzgang vom Sidney Sussex College, das auf dem Boden eines durch Heinrich VIII aufgehobenen Mönchsklosters gebaut worden ist, nachdem er dessen Bausteine für den Bau seiner Trinity-Chapel geklaut hatte. Ganz in der Nähe: die belebte Bridge Street.

  

Das Trinity College ist das grösste und wohl bekannteste College. Der eher berüchtigte Heinrich VIII hatte es 1546 kurz vor seinem Tod gegründet. 32 Nobelpreisträger haben in späteren Zeiten hier studiert, sowie 5 Träger der Fields-Medaille. Sir Isaac Newton hat in den Räumen über dem Eingangstor gearbeitet. Der Apfelbaum, der rechts im Bild steht, soll ein Nachkomme jenes Baums sein, von dem ein fallender Apfel Newton zu seinen Überlegungen zur Schwerkraft inspiriert hatte.

Daneben die Trinity Lane als Beispiel einer recht ursprünglichen Strasse und der Blick in den Innenhof des Trinity College, wo zwei würdevolle Wächter (immer mit 'Melone') dafür Sorge tragen, dass kein Unbefugter den Hof betritt.

  

Clare College ist neben Peterhouse das zweitälteste und bekannt für seinen Kirchenchor sowie die grosszügige Gartenanlage, die bis zur Cam hinunterreicht. Über die älteste, heute noch erhaltene Brücke von Cambridge erreicht man dort das andere Ufer. Das College gilt als fortschrittlich, denn es gestattete, zusammen mit zwei anderen, ab 1972 auch Frauen die Aufnahme als Studentinnen.

  

Als letztes College soll hier Gonville & Caius (sprich 'Keys', 1348) vorgestellt werden. An diesem College hat Stephen Hawking während 52 Jahren als Fellow und Inhaber des Lukasischen Lehrstuhls gearbeitet. Als weitere wegweisende Leistung erforschten hier Francis Crick und James Watson in äusserst unkonventioneller Arbeitsweise die Struktur der DNA und legten damit den Grundstein für die rasante Entwicklung der Genetik und der Biologie im Allgemeinen.

   

 

Ein Tagesausflug führte uns nach Oundle. Das kleine Städtchen hat für uns eine besondere Bedeutung, weil Matz während ihrer Ausbildung zur Primarlehrerin hier ein obligatorisches Praktikum an der noblen Privat-Schule absolviert hatte und darum jetzt diesen Ort erneut besuchen wollte.

Den Weg dahin legten wir mit einem scheinbar normalen Bus zurück, der im Zentrum von Cambridge abfuhr. Wir waren allerdings erstaunt, als dieser ausserhalb der Stadt plötzlich auf eine Art Geleise einschwenkte, auf dem er offensichtlich automatisch gesteuert und getrennt vom anderen Verkehr mit unverminderter Geschwindigkeit seinem Ziel entgegen fuhr. Gewöhnlichen Autos wird durch eine letale 'car-trap', sprich: Fallgrube!, die Zufahrt verwehrt. Erst nachträgliches Googeln konfrontierte uns mit der Tatsache, dass wir auf der weltweit längsten Spurbusstrecke unterwegs gewesen waren. Die Strecke des Spurbus Cambridgeshire, zwischen Cambridge und St.Ives, ist 25 Kilometer lang und am 7. August 2011 eröffnet worden. Verschiedene andere, ähnlich gelagerte Versuche und Projekte, sind längst wieder aufgegeben worden. Die Möglichkeit, dass der selbe Bus auch ganz normal in der Stadt unterwegs sein kann, aber auf ausgesuchten Strecken die Vorteile einer Eisenbahn übernehmen und entsprechend ungehindert verkehren kann, hat uns beeindruckt.

   

Oundle ist eine kleine, gut erhaltene Stadt, die offenbar fast ausschliesslich von ihrer privaten Schule sehr gut leben kann. Sie wird von Kindern wohlhabender Eltern aus der ganzen Welt besucht und bietet Unterricht von der Grundschule bis zur Universitätsreife. Das ist nicht billig, aber es gibt genügend vermögende Leute und ein Teil des Ertrages wird dazu verwendet, dass die örtliche öffentliche Schule, im Vergleich zu anderen Schulen, über wesentlich mehr Mittel verfügen kann. Ein seltenes und gelungenes Beispiel des Zusammengehens von privatem Unternehmertum und Dienst an der Öffentlichkeit.

   

Bei unserer Rückkehr nach Cambridge überquerten wir die Cam an jener Stelle, wo die erste Brücke stand, die der Stadt zu ihrem Namen verholfen hatte. Nach der langen Fahrt über weites Sumpfland begegneten wir hier wieder dem städtischen Leben.

Die Corpus Clock, entworfen von John C. Taylor, wurde 2008 von Stephen Hawking enthüllt. Sie mahnt den Betrachter mit ihrer Zeit fressenden Heuschrecke, jeden Tag zu geniessen. Frisst sie doch eine Minute nach der andern und sticht mit ihrem Stachel jede Stunde tot. Ihr Leib ist mit Blut und Gold gesprenkelt, als Zeichen für das, was den Menschen wichtig scheint. Thema des Künstlers:  'Und die Welt vergeht mit ihrer Lust'.

Die gemütliche 'Eagle-Bar', in der sich amerikanische Bomberpiloten mit dunklen Vorahnungen vor ihrem Feindflug an der Decke verewigt hatten, und wo Francis Crick und James Watson das Ergebnis ihrer Forschungen zur Struktur der DNA bekannt gemacht hatten, besuchten wir ein paar Mal. In einem ausnehmend ruhigen Moment machten wir diese Bilder. Normalerweise waren diese Räume brechend voll.

  

Eine ganz andere Stimmung empfing uns im 'Fitzbillies', wo es allerdings eher um Kaffee und Süssigkeiten ging.

Nachdem wir lange geduldig gewartet hatten, zeigte sich, dass sich Spekulation auch lohnen kann. Das kleine Tischchen am Fenster wurde endlich frei.

     

Über die Mathematische Brücke werden viele Geschichten erzählt, von denen aber kaum eine stimmt. Wahr ist, dass sie ausschliesslich aus geraden Balken konstruiert wurde. Die Punts, die gerade unter der Brücke durch geschoben wurden, waren wohl nur wegen der kalten Witterung so schwach besetzt.

Für den Besuch im Botanischen Garten war, ganz besonders bei diesem Wetter, noch nicht die richtige Jahreszeit. Umso schöner und gemütlicher muteten darum die alten Gewächshäuser an. Nebst Unbekanntem begegneten wir dort wieder einer Strelitzie, die wir dank unserer Erfahrung vom letzten Jahr (siehe September 17) sofort erkannten und vielleicht sogar die Angestellten mit unserem Wissen hätten erstaunen können.

     

Am Ende der zweiten Woche war das Wetter etwas wärmer, was uns zu einem Ausflug nach Ely (sprich 'ii-l-ii') ermunterte. Der volle Name wäre eigentlich Isle of Ely und berühmt ist das Städtchen wegen seiner riesigen Kathedrale. Diese war während Jahrhunderten Sitz des Bischofs der gleichnamigen Diözese. Die Stadt liegt auf einem kleinen Hügel, der auch in Zeiten, in denen das Wasser höher stieg, meist trocken blieb und dann den Eindruck einer Insel erweckte. Die ganze Gegend ist Fenland, das heisst sumpfiges Land, das schon bei mässigem Regen immer wieder überschwemmt wird. Durch das Graben von Kanälen und Tieferlegen des Flusses Ouse (Unterlauf der Cam) wurde ab dem 16. Jahrhundert immer wieder versucht, den Boden zu entwässern und so mehr fruchtbares Landwirtschafts-Land zu gewinnen. Doch sobald der Boden austrocknete, verlor er an Volumen und sank so immer tiefer. Damit trat das alte Problem beim nächsten Regen umso früher wieder auf.

Die Kathedrale ist wirklich beeindruckend und macht zusammen mit dem Bischofshaus und der Schule verständlich, dass eine derartige Anlage vor hunderten von Jahren die einfache Bevölkerung, die selber in kleinsten Hütten hauste, gewaltig eingeschüchtert hat. Das war damals wohl auch ihre wichtigste Aufgabe.
(Leider waren wegen Renovationsarbeiten grosse Teile nicht zugänglich oder durch Baugerüste verdeckt.)

  

Der Innenraum ist wirklich überwältigend.

Wegen der Bauerei kehrten wir etwas früher als geplant zum Hafen zurück, wo wir bei einem Bier an einem sonnigen Plätzchen die Narrowboats betrachteten, die dort festgemacht hatten. Die traditionsreichen Wohnschiffe der Engländer sind mindestens so speziell wie ihre Besitzer. Als Konsequenz der schmalen Kanäle sind die Schiffe maximal 2,2 Meter breit, aber bis zu 22 Meter lang. Natürlich waren sie ursprünglich als Frachtschiffe gebaut und genutzt worden. Ihre Ladekapazität betrug bis zu 25 Tonnen. Zumeist von Pferden getreidelt (gezogen), dienten sie dem Frachtverkehr zur Versorgung der Städte. Als besondere Tatsache sei angemerkt, dass es den Pferden nicht gestattet war, sich auf dem Land der Colleges zu bewegen. Sie mussten an diesen Stellen jeweils ins Flussbett ausweichen, wo sie gelegentlich bis zum Bauch im Wasser arbeiten mussten. Da die Kanäle im sumpfigen Fenland von Hand ausgehoben worden sind und im weichen Boden schlecht zu befestigen waren, blieben sie entsprechend flach und schmal. Immerhin so breit, dass zwei Narrowboats kreuzen konnten.

Am nächsten Tag, weil das Wetter immer noch schön war, machten wir uns auf zu einem Spaziergang entlang der Cam. Wir wollten weitere Boote sehen und die nahe Schleuse besuchen. Dabei durchquerten wir zunächst den Hauptfriedhof von Cambridge. Wie die Museen, wirkt auch der wie aus der Zeit gefallen, und passt damit sehr gut zu vielem, was wir in den letzten Tagen erlebt haben. Wahrlich ein Ort, wo die Zeit stehen geblieben ist.

Die Wohn-Schiffe entlang der Cam kämpfen aktuell um ihren Liegeplatz. Weil die Behörde ihre Zahl deutlich reduzieren will, hat sie angekündet, die Gebühren empfindlich zu erhöhen.
Der Pub der Schleuse Jesus Green liegt nur wenige Meter stromabwärts und damit in bequemer Gehdistanz. Die Schleuse wird immer noch genutzt und von Hand betrieben.

     

Im letzen Winter hatten wir viele spannende Stunden beim Hören von Alfred Lansing's Hörbuch '635 Tage im Eis' verbracht, welches derart eindrücklich über die Antarktisexpedition von Sir Ernest Shackleton berichtet, dass wir in Cambridge die entsprechende Ausstellung im Polarmuseum einfach besuchen mussten. Shackletons Schiff, die 'Endurance' war auf der Fahrt ins Südpolarmeer nur eine Tagesreise vor dem Ziel im Packeis festgefroren und dort während Monaten dem ständig wechselnden und damit zerstörerischen Druck des Packeises ausgesetzt. Das wurde auch für das besonders massiv gebaute Schiff zu viel, so dass es zuletzt zerbrach und sank. Dank der hervorragenden Führungsarbeit Shackleton's während der folgenden Monate, konnten alle 28 Teilnehmer der Expedition nach fast zwei Jahren Aufenthalt im Eis und unvorstellbaren Strapazen wohlbehalten gerettet werden. Im Polarmuseum sind einige der schlichten Ausrüstungsgegenstände dieser Leute ausgestellt. Welch ein Vergleich zu ähnlichen Unternehmungen in unseren Tagen!
Unmittelbar neben dem Museum steht auch ein Nachbau des ehemaligen Walfängerbootes 'James Caird'. Mit diesem kleinen Rettungsboot gelang Shackleton und seinem Kapitän Frank Worseley, gemeinsam mit vier weiteren Männern der Expedition, die schier unglaubliche Reise über eine Distanz von 800 Meilen durch die stürmischste See der Erde. Sie waren von Elephant Island nach Südgeorgien gesegelt, um dort Hilfe zu holen für ihre zurückgelassenen Kameraden. Die ganze Geschichte ist so abenteuerlich, wie sie eben nur das Leben schreiben kann.

Ganz zum Schluss leisteten wir uns bei Harriet's an der Green Street ganz nobel einen traditionellen Afternoon Tea. Einmal wenigstens wollten wir doch wie richtige Engländer 'tafeln'. Mit Tea, Scones and Sandwiches.

Auf unserer Rückreise machten wir einen kurzen Halt in London.
Mit der Eisenbahn waren wir von Cambridge hierher gefahren und in der King's Cross Station auf die U-Bahn umgestiegen. Die neue, spektakuläre Schalterhalle wurde im Laufe des Umbaus um 2010 erstellt und rechtzeitig auf die Olympischen Sommerspiele von 2012 eröffnet.

 

Schon am Nachmittag führte uns ein längerer Spaziergang mitten ins Herz des ehemaligen Weltreichs und wir staunten auf dem Picadilly Circus ob der immer noch sichtbaren Grösse und Würde. Wir liessen uns treiben in der für alle Grossstädte übliche Geschäftigkeit.

In Cambridge hatten wir uns an einem besonders kalten und nassen Abend in ein Kino zurückgezogen und eine Vorstellung des mehrfach preisgekrönten Films 'Darkest Hour' von Joe Wright angesehen. Auf sehr menschliche Weise erzählt er von der ungewöhnlichen Persönlichkeit Winston Churchill's und wie dieser in den wohl schwierigsten Stunden des Empires immer wieder die Kraft fand, trotz heftigster Widerstände seiner Gegner, die um jeden Preis auf einen Deal mit Hitler eingehen wollten, konsequent seinen eigenen Weg zu verfolgen. Gary Oldman erhielt für seine grossartig gespielte Rolle als Churchill, für die er sich mit viel Zigarrenrauchen gründlich vorbereitet hatte, einen verdienten Oscar.
Darum besuchten wir in Westminster den Ort des Geschehens, die unterirdischen Räume, in denen während des ganzen Krieges der Führungsstab die unheimlichen Geschehnisse in der Oberweltverfolgte und wo in schwierigster Lage die richtigen Beschlüsse gefasst werden mussten. Churchills Stuhl hebt sich deutlich von allen anderen ab. Am Tag der Kapitulation stürmten alle Beteiligten erleichtert ins Freie und liessen die Räume zurück, wie sie gerade waren. Und genau das verleiht der Ausstellung heute ihre Authentizität.
Dank der Tatsache, dass wir früh aufgestanden waren, begegneten wir einer sehr gemässigten Warteschlange vor dem Eingang zum Churchill War Room.

     

Im Kartenraum wurde auf verschiedenen Karten, die unter Klebern und Stecknadeln fast verschwanden, die militärische Lage auf der Welt dargestellt und von fleissigen Händen nachgeführt. Sie zeigten oft genug eine bedrückende Lage.
Churchill's Schlafraum und das Pult, von dem aus er seine regelmässigen Reden an die Nation über BBC verbreitete. Angeblich ist auch der Nachttopf benutzt worden. Selbst in den schwierigsten Situationen fand er immer wieder die richtigen Worte.

     

Ein weiterer Abstecher gehörte der Tower Bridge. Als eines der wichtigsten Wahrzeichen Londons diente sie oft den anfliegenden Flugzeugen als Richtpunkt, wurde selber aber während des Krieges kaum beschädigt. Sie überragt aus dieser Perspektive das einst so mächtige Zentrum der Macht des Weltreiches, den Tower of London, noch nicht.

Der Blick von der Brücke zurück auf das moderne Zentrum lässt aber den Tower (in der Mitte des Bildes) sehr klein erscheinen. Dabei war er einst wichtigstes Zeughaus, Gefängnis, Richtstätte und Königliche Münz in einem.

Die beiden oberen Brückengänge sind für die vielen Touristen mit einem Glasboden ausgerüstet worden und bieten unvergessliche Ein- und Ausblicke.

  

Das grösste Erlebnis des Besuches bietet eindeutig der Maschinenraum. In diesem Ofen wurden jede Woche rund 30 Tonnen Kohle verbrannt, damit die Dampfmaschinen genügend Druck erzeugen konnten, der dann seinerseits eine Wasserpumpe betrieb, die zwei mächtige Gegengewichte in die Höhe stemmte, welche als Energiequelle zum Öffnen und Schliessen der beiden Brückenhälften diente. Der selbe Mechanismus trieb auch die beiden Fahrstühle in den Türmen an, welche den Fussgängern den Aufstieg erleichterten. Was so kompliziert tönt, ist eine Meisterleistung des Ingenieurwesens der 80er-Jahre des 19. Jahrhunderts. Der Bau der ganzen Anlage wurde in nur acht Jahren vollendet.

  

Ein Blick zurück von der Schleuse des St.Kathrine's Dock zeigt die wahre Grösse der London Tower Bridge!

Als ob die Königin selber uns daran erinnern wollte, wer hier das Sagen hat, fuhr in dem Moment gerade die Königliche Ruderjacht in die Schleuse zum Hafen ein und zeigte stolz die Insignien E II R, wenn auch die Königin selber nicht anwesend war. Ihr Leitspruch 'DIEU EST MON DROIT' macht der ganzen Welt klar, wer der einzige ist, vor dem sich zu verneigen sie allenfalls gewillt ist.

     

 

Im Rückblick bleibt die Erfahrung, dass England immer noch ein ganz besonderes Erlebnis ist. Zurückhaltend und traditionsbewusst pflegen die Engländer einen liebenswürdigen Lebensstil, der in vielem etwas verquer erscheinen mag, aber damit dem Erhalt wichtiger Traditionen und Werten dient. Dass so der Fortschritt keineswegs ausgesperrt wird, zeigen die weltweiten Erfolge vieler Schulen und Universitäten, die besonderen Wert legen auf traditionelle Werte wie Disziplin, Respekt und Leistungsbereitschaft.
Daneben müssen wir festhalten, dass das Leben in Cambridge im Vergleich zu Deutschland (z.Bsp.) recht teuer ist. Die kleinen Dinge des täglichen Lebens werden zu Preisen gehandelt, die locker mit jenen in der Schweiz mithalten können. Auswahl und Qualität sind dabei aber zumeist bescheidener. Auch Wohnungsmiete und Hauskauf sind, selbst bei deutlich geringeren Ansprüchen, wesentlich teurer als anderswo. Da aber das Durchschnitts-Einkommen offenbar etwa jenem in anderen EU-Staaten entspricht, bedeutet hier das tägliche Leben für eine durchschnittliche Familie eine ganz besondere Herausforderung.
Das zeigt sich dann auch dann, wenn man etwas genauer hinschaut. Viele der alten Häuser, immer noch ganz normal bewohnt, sind in einem Zustand, der an bei uns sofort den Handwerker auf den Plan rufen würde. So sind einfach verglaste Fenster immer noch die Norm. Die Scheiben haben sich bei diesem kalten Wetter nur nicht beschlagen, weil die alten Fenster durch alle Ritzen zügig kalte Luft herein liessen. Das ist übrigens nicht nur bei den armen Leuten so. Selbst der Staat scheint mit dem Erhalt der Infrastruktur verbreitet seine liebe Mühe zu haben, wenigstens wenn man sich etwas ausserhalb der wichtigsten Touristenströme bewegt.

Dass daneben die (Finanz-)Industrie allüberall absurde Türme in den Himmel schiessen lässt und damit ihre Macht und ihren Reichtum protzig zur Schau stellt, macht deutlich, wer hier wirklich das Sagen hat.

 

Schlussendlich sind wir nach Berlin zurückgereist und waren froh, als wir in Plaue unsere MIZAR in etwa so vorgefunden haben, wie wir sie von 5 Monaten verlassen hatten.
Sie scheint den Winter gut überstanden zu haben und wird uns in den nächsten Tagen nach und nach erzählen, was sie alles erlebt hat.

Wir haben, als Andenken, sowie als Beleg für den glücklichen Abschluss der spannenden Bäri-Geschichte (siehe Jul 17, Aug 17 und Nov/Dez 17) dieses Bild mitgenommen. Seine Reise von Waren in die Schweiz glich einer kleinen Odyssee und wird allen Beteiligten unvergesslich bleiben.
Es wird einen Ehrenplatz bekommen.

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