Oktober 2017 |
Das Titelbild erläutert mit der Sicht auf die Kirche von Werder ohne Worte, warum Oktober der letzte Monat war, den wir dieses Jahr an Bord unseres
Schiffes
verbrachten. Wir fuhren also zurück auf den Oder-Havel-Kanal, wo wir allerdings bereits nach wenigen Kilometern wieder anlegten und ein Versprechen vom Frühjahr einlösten. Wir waren damals (Mai 2017) von der Belegschaft des Gasthaus zum Weissen Schwan derart freundlich empfangen worden, dass wir uns sogleich auch für unsere Rückfahrt im Herbst anmeldeten. Wiederum fanden wir den grosszügigen Anlegesteg leer vor und wurden im Gasthaus wie alte Bekannte begrüsst. Natürlich reservierten wir uns für den Abend einen Tisch in der Gaststube. Wir wurden nicht enttäuscht, verbrachten bei einem unkomplizierten Essen einen gemütlichen Abend an einem heimeligen Ort und wurden dabei liebevoll betreut. Offenbar ist der Geheimtipp aber nicht mehr sehr geheim, war die Stube doch bis auf den letzten Platz besetzt. Da für Gäste die Übernachtung am Steg gratis ist, machten die eingesparten Liegegebühren die Auslagen für das Nachtessen gerade um die Hälfte kleiner. Das darf an dieser Stelle ruhig erwähnt werden. Auf der Havel fuhren wir am nächsten Tag zu Tal und legten in Spandau an der Kanalmauer an. Schon seit Tagen war das Sturmtief Xavier angekündigt worden, das von Hamburg Richtung Berlin ziehen würde. Es wurden Windböen bis zu Beaufort 12 erwartet! Das ist recht stark und wir suchten uns darum eine geschützte Stelle an der Quaimauer in Spandau, wo wir hinter grossen, dem Ufer entlang gebauten Gebäuden unser Schiff besonders sorgfältig vertäuten. Der Sturm kam dann wie vorhergesagt, so gegen 4 Uhr am Nachmittag und war vorbei, genau so schnell wie er gekommen war. Die Bäume standen um diese Jahreszeit noch voll im Laub und boten darum dem Wind viel Widerstand. Allein auf dem Berliner Stadtgebiet wurden mehrere Tausend davon gebrochen oder entwurzelt. Der gesamte Bahn- und Busverkehr musste eingestellt werden und die Feuerwehren arbeiteten Tag und Nacht im Ausnahmezustand. Bei uns verlief alles glimpflich, nur ein Baum, der etwas vor uns in der Lücke zwischen zwei Häusern stand, demonstrierte uns während des Sturms eindrücklich seine Entschlossenheit zu überleben. Er kam, genau wie wir, mit dem Schrecken davon. In den folgenden Tagen realisierten wir bei unserer Fahrt durch Berlin allerdings erst so richtig, wie gewaltig der Sturm in der Stadt gewütet hatte. Sieben Tote waren in Deutschland zu beklagen und der Bahnverkehr brauchte mehrere Tage, bis wieder alles funktionierte. Das Wasserschutzamt (WSA) leistete gute Arbeit und befreite sämtliche Wasserwege innerhalb von etwa zwei Tagen von umgestürzten Bäumen und herab gerissenen Ästen. Wir fuhren dann allerdings nicht direkt ins Winterquartier, denn im letzten Jahr hatten wir es versäumt, die Gewässer im Südosten von Berlin zu besuchen. Wir haben uns darum entschieden, dies in diesem Monat noch nachzuholen. Zugleich ermöglichte das uns eine oder zwei weitere Fahrten auf der Spree quer durch die Stadt. Ein Erlebnis, dem wir während Jahren entgegen gefiebert hatten und das wir nun nur allzu gerne erneut erfahren wollten.
Die selbe Gelegenheit benutzte auch Christian, der sich
zusammen mit seiner Partnerin Andrea in Waren schon im
Sommer (Aug 2017) für diese Fahrt angemeldet hatte. Leider war Andrea
just an
diesem Tag verhindert, aber Christian hatte keine Mühe, rasch Ersatz zu
finden. Er brachte kurzentschlossen seinen Vater und seinen Sohn mit,
welche dann, als drei Generationen von Architekten (!), die
architektonischen Schätze und Sünden der Hauptstadt, diesmal vom Schiff
aus, begutachteten und ausgiebig kommentierten. Der Grossvater, 1925
in Berlin geboren, hatte die Stadt und ihre wechselvolle Geschichte
seither ganz direkt selber erlebt.
Dabei hatte er von jung auf lernen müssen, anzupacken und auszuhalten. In den frühen 50er-Jahren, unmittelbar nach seinem Studium, hatte er als Architekt im
Wallis gearbeitet und während dieser Zeit alle Viertausender der Schweiz bestiegen,
wobei ihm diese zwei Fähigkeiten bestimmt zu Gute kamen.
Es gab darum derart viel zu erzählen, dass die Fahrt durch die Stadt
viel, viel, viel zu kurz war. Wir fuhren danach weiter auf der Spree zu Berg, schauten jetzt auf all die bekannten Sehenswürdigkeiten der Stadt mit einem Gefühlsgemisch von Habitués und Wehmut und liessen dabei die ganze Zeit, die wir in Berlin verbracht hatten, vor unserem inneren Auge vorüberziehen. Wir waren uns dabei einig: es gibt bestimmt schönere Städte, aber wohl kaum eine, die derart im Aufbruch ist, so voller Energie und Betriebsamkeit, derart von Selbstbewusstsein strotzend. Mit all dem, was wir von der Geschichte kennen im Kopf und mit den Erzählungen unseres betagten Gastes vom Vortag immer noch im Ohr, wussten wir: das ist kein Zufall. Für uns zwei, alles in allem, eine ganz besondere Erfahrung! In Friedrichshagen legten wir an und besuchten spontan den Weinhandel und Feinkostladen von Manfred und Linda (August 2017). Die hier ausgestellten Spezialitäten trieben uns das Wasser im Mund zusammen. Leider erklärte uns die freundliche Verkäuferin, dass die beiden Besitzer im Moment nicht zu Hause seien. Am nächsten Tag ging es weiter quer über den Grossen Müggelsee, der mit Motorschiffen nur auf einer ausgetonnten Fahrrinne befahren werden darf. Weiter dann über die Müggelspree durch eine Gegend, die wohl zu den attraktiveren Wohnlagen in Berlin gehört. Etwas sehr abseits der Stadt zwar, dafür in der freien Natur, mit Wasseranstoss und, gemessen an den sehr unterschiedlichen Wohnhäusern, mit einer gesund durchmischten Bevölkerung. Der öffentliche Verkehr wird durch ein regelmässig verkehrendes kleines Fährschiff gewährleistet, das auf de sinnigen Namen 'Fähr-Bär' hört. Durch den Gossener-Kanal und den Seddinsee kamen wir nach Schmöckwitz. Damit erreichten wir wieder die Dahme-Wasserstrasse (DaW) und fuhren darauf weiter südwärts nach Königs-Wusterhausen. Dieser Name war uns als Endstation einer Berliner S-Bahn wohlbekannt, nun waren wir aber auf eigenem Kiel hierher gekommen. Wie doch die Welt, aus unterschiedlichem Blickwinkel betrachtet, verschieden aussehen kann! Am nächsten Tag war es zunächst nur ein kurzes Wegstück bis zur Schleuse Neue Mühle, die dem anfahrenden Schiff wegen der drei verschiedenen Einfahrtsmöglichkeiten einen etwas verwirrenden Anblick bietet. Natürlich aber ist nur eine davon die Richtige!
Über den
Krüpelsee und das Bindower-Fliess ging es weiter auf der DaW auf einem
gewundenen, langen Gewässer durch wenig bebautes Gebiet und durch
mehrere kleine Seen, bis uns schliesslich ein enger Kanal mit
ebensolchen Kurven in den Wolziger See brachte. Wer allerdings diesem letzten
Teil
ausgerechnet
den Namen 'Sauwinkel' verpasst hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Über
den Grund dazu lassen sich aber lebhafte Vermutungen anstellen. Der Storkower Kanal gehört zu den Storkower Gewässern (SkG) und führte uns weiter durch - wen wundert's? - abwechslungsreiche, schöne Gegenden und ... ... durch zwei ausgewachsene Schleusen nach Storkow und den gleichnamigen See. Die Schleuse im Flecken ist kombiniert mit einer Hebebrücke und wohl auch darum eine Attraktion für alle Durchreisenden. Dabei ist sicher die Schadenfreude ein gewichtiges zusätzliches Motiv. Sie überkommt den Zuschauer fast zwangsläufig jedes Mal, wenn ein grosses BunBo (Bungalow-Boot) sich wieder zwischen den eng gesetzten Dalben durchzwängen muss, die eigentlich dazu da sind, dass die Schuber der WSA ihre Lastkähne einfacher in die Schleuse schieben können. Für die BunBo's eine Schikane, die sich leicht zum Albtraum mausert. Am Ende unserer langen Flussreise und am Ende des langen Scharmützelsees liegt Bad Saarow, der eigentliche Endpunkt unserer Exkursion in den Südosten von Berlin. In den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts haben sich vermögende Bürger aus der Stadt entschieden, hier eine Siedlung zu bauen, die ihren Ansprüchen entsprechen, aber für weniger Begüterte eher nicht erschwinglich sein sollte. Dem Seeufer entlang wurden deshalb grössere Grundstücke ausgeschieden und eine ausgeklügelte Bauordnung sorgte dafür, dass nur gefällige, stattliche Wohnhäuser erstellt werden durften. Nebst angenehmer Umgebung bot der Ort, dank einer Thermalquelle, auch die Gelegenheit für ein entsprechendes Heilbad. Die halbe Prominenz der Stummfilmzeit wohnte hier, genauso wie die Boxlegende Max Schmeling und zahlreiche andere bekannte Persönlichkeiten. Theodor Fontane, dem es der Ort auch angetan hatte, bezeichnete den Scharmützelsee als das 'Märkische Meer'. Bad Saarow ist auch heute noch eine gediegene kleine Stadt, die sich sehr schnell auf ihre ursprüngliche Bestimmung zurückbesann, als 1994, fünf Jahre nach der Wende (!), endlich die russische Besatzungsmacht das Heilbad freigab, in dem sie eine eigene Klinik erstellt hatte und wo sie es sich lange hat gut gehen lassen. Wir nehmen an, dass sich die betroffenen Beamten eher murrend in Richtung Osten verabschieden mussten. Unserem Schiff gefiel es im Hafen, wohlbewacht durch einen etwas aussergewöhnlichen Neptun. Rund um Bad Saarow liegen weite Mischwälder und sanfte Hügel, die zu ausgedehnten Spaziergängen und Wanderungen einladen, welche das Gesundheitsprogramm im Heilbad bestens ergänzen. Nicht allzu weit entfernt liegen die zwei Markgrafen Steine, der Grosse und der Kleine, die zwei grössten Findlinge in Brandenburg. Sie waren vor Tausenden von Jahren durch die Gletscher der Saaleeiszeit aus Südschweden hierher verfrachtet worden. Wieder einmal haben wir unsere Fahrräder gesattelt um dahin zu kommen. Allerdings hatte uns auch hier das Sturmtief Xavier einige Hindernisse in den Weg gelegt, mit denen wir nicht gerechnet hatten. Trotzdem haben wir es am Ende geschafft. Die Begegnung mit den Steinen ist nicht mehr ganz so eindrücklich, wurde doch der grössere der beiden, der ursprünglich ein Gewicht von gut 700 Tonnen gehabt hatte, auf kurfürstlichen Wunsch hin und gemäss den Plänen des kurfürstlichen Baumeisters Schinkel 1827 in drei Teile zerlegt. Aus dem mittleren Teilstück sollte eine beeindruckende Schale gemeisselt und diese vor dem alten Museum in Berlin aufgestellt werden. Eine Aufgabe, die schlussendlich selbst kurfürstliche Kräfte zu übersteigen drohte und dem adligen Wunsch etliche sprichwörtliche Steine in den Weg legte. Heute ist darum der ursprünglich Kleine Markgrafenstein der grössere. Eine deutlich jüngere Errungenschaft ist der Rauener Aussichtsturm. Am Ort eines ehemaligen Triangulationspunktes, der in der Vor-Satellitenzeit der genauen Landvermessung diente, wurde 2011 ein 40 m hoher Turm errichtet, der dem Besucher eine (höchstens durch widriges Wetter etwas eingeschränkte) grenzenlose Aussicht ermöglicht. Der Aufstieg auf das luftige Gebilde ist allerdings für Leute, die etwas anfällig für Höhenangst sind, nicht ganz problemlos. Die Aussicht gegen Süden zeigt in der Ferne den Scharmützelsee, auf dem wir hierher gefahren waren. Während unserer Wegfahrt aus Bad Saarow zeigte der Blick vom Scharmützelsee zurück den Rauener-Aussichtsturm in der Ferne, rechts neben dem etwas näher stehenden Fernsehturm. Also genau in die entgegengesetzte Richtung als das Panorama oben. Die Fahrt zurück durch den Storkower-Kanal machte klar, dass während der letzten paar Tage der Herbst sichtbar Fortschritte gemacht hatte. Anlässlich unserer allerletzten Durchfahrt durch Berlin blieben ein paar kleine, aber besondere Einzelheiten haften. Nach unserer Rundreise im Südosten von Berlin haben wir in Spandau erneut einen Nachthalt eingelegt. Bei der Weiterfahrt am Morgen machte uns dort der Nebel endgültig klar, dass der Sommer vorbei und damit die Fahrsaison zu Ende war. Während wir die Sicht auf der Havel noch als genügend beurteilt hatten, sahen wir bei der Einfahrt in den Wannsee, dass man gar nichts mehr sah. Kurzerhand kehrten wir um und legten bei der nächstbesten Gelegenheit an. Bei einem zweiten Versuch nach dem Mittagessen, gute zwei Stunden später, sah die Welt anders aus. So ging auch der letzte Reisemonat dieses Jahres zu Ende. Er setzte einen Schlusspunkt unter eine längere Zeit, die wir in Deutschlands nordöstlichen Ländern und in Berlin verbracht haben. Wenn auch diese Gegend für uns zuvor nicht als ausgesprochenes Ferienland gegolten hatte, hat sich wieder einmal bestätigt, dass sich genaueres Hinschauen meistens lohnt. Wie wir in den letzten Berichten mehrfach erwähnten, beeindruckte uns in erster Linie die grosszügige Landschaft, ihre schier endlosen Wälder und die unzähligen Seen. Diese Grösse bringt es mit sich, dass die Natur, Tiere wie Pflanzen, hier noch ausreichend Raum zum Leben findet, obschon die Probleme, die sich in erster Linie durch die intensive Landwirtschaft ergeben, hier die selben sind wie anderswo auch. Es ist einfach Raum genug vorhanden, dass das eine (vorläufig noch) neben dem anderen bestehen kann. Im weiteren haben wir erfahren, dass die Probleme einer Grossstadt eben auch gross sind. Darum wirken die meist etwas hilflosen Worte der Politiker gelegentlich noch hilfloser. Trotzdem haben wir in einer Gegend, die wegen ihrer Geschichte während der letzten Jahrzehnte ganz aussergewöhnliche Probleme hat meistern müssen, immer noch viele Menschen angetroffen, die gegenüber den anderen offen, freundlich und hilfsbereit sind. Viele Gespräche haben uns verschiedenste Biografien, Ansichten und Lebensbedingungen gezeigt, die nebeneinander existieren und nur spürbar sind, wenn man sich genügend Zeit nehmen kann, zuzuhören und hinzuschauen.
Am Ende des Monats haben wir die Mizar eingewintert und so für die kalte
Jahreszeit bereit gemacht. Im nächsten Jahr läuft das Zertifikat für das
Schiff, das ja in Frankreich registriert ist, aus. Wir hatten zwar
versucht, eine Neuzulassung in Holland zu erwirken, wo die Mizar
ursprünglich herkommt, was
aber offensichtlich trotz vielgepriesenen EU-Normierungsbemühungen nicht ganz einfach ist. Weil unser Haus in der Schweiz etwas unerwartet einen neuen Mieter sucht, haben wir das Winterprogramm fürs Erste gestrichen und fuhren, entgegen unserem ursprünglichen Plan, in die Heimat. Wir werden dort einiges zu richten haben, damit wir im nächsten Jahr wieder frei sind für Dinge, die dann unsere Aufmerksamkeit benötigen. Ursprünglich war diese Reise mit Air Berlin geplant gewesen. Die Ereignisse während der letzten Tage hatten es aber angedeutet und der Tag vor unserer Abreise hatte es zur Gewissheit werden lassen: unser Flug hätte ausgerechnet am Tag nach dem Letztflug der zweitgrössten Airline Deutschlands stattgefunden. Die Nachrichten während dieser Zeit hatten uns immer wieder an die schwierigen letzten Tage der Swissair erinnert. Die Reaktionen von Angestellten und Fluggästen waren in vielen Punkten vergleichbar. Für uns war der materielle Schaden nicht gewaltig. Wir konnten schnell auf eine Fahrt mit der Bahn umstellen. Obschon diese etwas umständlicher und war und deutlich länger dauerte, sind wir noch am geplanten Tag in der Schweiz angekommen.
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