August 2017

 

Um für unseren Nationalfeiertag gerüstet zu sein, hatten wir schon am Vortag unser Schiff mit einer Flaggengala festlich geschmückt. Zusammen mit den in diesem Jahr üppig blühenden Kräutern und Blumen ergab das einen ganz erfreulichen Anblick. Wie vereinbart, traf dann die Baba Jaga am ersten August gegen Abend ein und legte im Stadthafen an. Da Monica, Hans und Chico gleich nach ihrer Ankunft auch die Wimpel über die Toppen hissten, war die Schweiz für ihren Feiertag würdig vertreten. Leider war das Wetter nicht ganz mit von der Partie und es erlaubte knapp einen Aperitif auf der Terrasse. Der französische Schaumwein, den unsere Gäste noch von ihrem Aufenthalt in Toul mitgebracht hatten, weckte Erinnerungen an unsere Reisen in Frankreich und half mit, das etwas ruppige Wetter erträglich zu machen. Für das Essen mussten wir uns dann allerdings bereits in das Steuerhaus zurückziehen. Saisongerecht gab es zur Vorspeise Pfifferlingsragout mit buntem Salat und zum Hauptgang gebratene Müritzmaränen mit Kartoffelsalat. Zum Dessert hatte Monica eine feine Schoggimousse mitgebracht. Weil wegen des starken Windes keine weitere Festbeleuchtung draussen möglich war, behauptete im Steuerhaus ein roter Lampion mit weissem Kreuz tapfer die patriotische Stimmung. Wir hatten einen fröhlichen Abend, bis der Tag sich endgültig seinem Ende zuneigte.

Weil am nächsten Tag wieder die Sonne von einem fast blauen Himmel herunter lachte, nutzte Matz dies für einen längst fälligen Waschtag. Kaum hatte sie angefangen, die saubere Wäsche zum Trocknen aufzuhängen, bemerkte sie Besuch aus luftiger Höhe. Quer über den ganzen Hafen kam das elektronische Spielzeug von Hans angeflogen und bescherte uns ein paar tolle Bilder aus ungewohnter Perspektive. Weil das Ding auch seinen Heimflug dokumentierte, verriet es damit auch seinen Startort: die Baba Jaga.

  

Mit diesem Tag ging auch der Aufenthalt für unser zusätzliches Crewmitglied auf der Mizar zu Ende. In einem vielbeachteten und von allen Seiten fotografierten Manöver wechselte es über zur längsseits liegenden Baba Jaga, um dort noch etwas mehr Schiffer-Erfahrung zu sammeln, vor seiner langen Reise in die Schweiz. Chico begrüsste freudig seinen neuen Freund, der mit seiner Ankunft für nicht geringe Aufregung sorgte.
(Die Zensur sperrte prompt auch dieses Bild und verweist erneut auf das Bulletin im Dezember 2017. Siehe auch Vormonat.)

Auch die Sperrung für dieses Bild konnte mit dem Datum vom 6. Dezember aufgehoben werden. Für uns und alle Beteiligten bleibt die lange und abenteuerliche Reise unseres Bäri in die Schweiz ein unvergessliches Erlebnis und wir möchten allen stillen Helfern unseren aufrichtigen Dank aussprechen. Am heutigen Tag wurde Bäri in seinem künftigen Heim ein rauschender Empfang bereitet und er wurde umgehend in sein neues Amt eingeführt.

Obschon wir in den letzten Monaten wirklich nicht durch Wärme und Sonnenschein verwöhnt worden waren, hatte offensichtlich die frische Seeluft das Ihrige getan und unsere Tomaten, die ohnehin ziemlich versteckt unter den anderen Gewächsen sich für ihren finalen Auftritt vorbereitet hatten, kräftig reifen lassen. Während der nächsten Wochen ergänzten wir unseren Mittagstisch regelmässig mit direkt von den Stauden gepflückten Früchten. Mit ganz besonderer Ehrfurcht genossen wir dann diese Boten des Südens, die zu unserer Freude den harten Bedingungen des Nordens erfolgreich getrotzt hatten.

  

Die schnellen Wetterabläufe machten es offensichtlich, dass wir hier nicht weit vom offenen Meer entfernt lebten, wo die Fronten und Tiefdruckgebiete sich fast unbehindert bewegen können. Stürmische Winde trieben immer wieder Kaltfronten herbei, die gewittrigen Regen und Hagel niederprasseln liessen und meistens, so schnell wie sie gekommen waren, auch wieder weiterzogen.

Für den 7. August war eine partielle Mondfinsternis angesagt, die sich für uns leider erst in ihrer Endphase zeigte. Trotzdem freute uns dieses Bild vom Geschehen im astronomischen Vorgarten der Erde.

Mit Bus und Fahrrad fuhren wir in den Müritz-Nationalpark. Mit 322 km² Fläche ist er der grösste Nationalpark Deutschlands. Vor der Wende war ein Grossteil des heutigen Parks als eines der sogenannten Staatsjagdgebiete für die Parteioberen zu deren persönlichem Vergnügen reserviert. Dort wurde zuverlässig dafür gesorgt, dass sie mit ihren Gästen an einem Wochenende oft mehrere Dutzend Hirsche erlegen konnten. Gewöhnlichen Genossen war natürlich der Zutritt verboten.
Obschon die ganze Gegend der Mecklenburger Seenplatte seit der letzten Eiszeit schon mehrfach durch Menschen besiedelt, gerodet, bebaut und dadurch fortwährend gestaltet worden war, ist hier jetzt ein Nationalpark im Entstehen, der zwar erst 1990 gegründet worden ist, aber nach und nach allen menschlichen Einflüssen entzogen werden soll. So sollen Gebiete, die früher durch Dämme trockengelegt worden sind, wieder dem jahreszeitlichen Wechsel der Wassermassen ausgesetzt und damit zeitweise überflutet werden. Bestehende Äcker und Nutzwälder sollen aus dem Dienst entlassen werden und ihre Selbstbestimmung zurückbekommen. Fischerei- und Jagdverbote werden das Ihrige beitragen. Damit wird der Natur ein grosses Gebiet zu ihrer freien Entfaltung überlassen und die Landschaft soll sich entsprechend entwickeln können. Obschon die Gegend auch in jüngerer Zeit nur dünn besiedelt war, sind die Einflüsse der Menschen mannigfaltig und können nicht auf einen Schlag abgestellt werden. Trotzdem sind die Erfolge bereits heute grossartig und ermöglichen Natur-Erlebnisse auf vielfältige Weise. Für den gelegentlichen Besucher genau so, wie für interessierte Laien und Wissenschaftler. Verschiedenste Themen-Wanderungen und -Radtouren werden angeboten, sei es als Adlersafari mit Liveübertragung aus dem Adlerhorst, als Vogelstimmenwanderung, als Wildpflanzenzauber oder zur gezielten Beobachtung von Insekten, Wäldern oder Mooren. Ein Hop-on-hop-off-Bus nimmt Wanderer sowie Radfahrer mitsamt ihren Vehikeln an verschiedenen Stationen auf und befördert sie weiter, sollten sie zu müde geworden sein. So konzentrieren sich die meisten Besucher in vier Zentren, die mit einer Informationsstelle und einem gemütlichen Restaurant die vordringlichsten Bedürfnisse abdecken. Der Rest des Parks bleibt damit von zu intensivem Besuch verschont.

Ein bewusst eingeschränktes Netz von Wander- und Radwegen durchzieht den Park, bietet Einblick in die verschiedensten Biotope, ohne die neue Entfaltung des Lebens zu stark zu stören. Eine erfreuliche Initiative, die, wie man gerne hoffen würde, allen Menschen den Reichtum vor Augen führen könnte, den das Leben und die Natur bietet. Ob die Besucher allerdings bereit sind, die Botschaft zu hören und die Konsequenzen für sich daraus zu ziehen, darf füglich bezweifelt werden. Zu sehr sind wir alle verwöhnt durch die Bequemlichkeiten, welche uns Konsum und Luxus bieten und sind darum kaum bereit, das Bisschen Denkkraft aufzubringen, welches uns diese Konsequenzen unverblümt vor Augen führen würde. Das wäre doch so unbequem! Dank seit langem bewusst kurz gehaltener Bildung werden auch in Zukunft knallharte Wirtschaftsinteressen und egomanes politisches Kalkül der meisten Volksvertreter leichtes Spiel haben, die Menschen glauben zu machen, dass es immer so weiter gehen könne.

Ab und zu ermöglichen Aussichtstürme ...

... etwas mehr Überblick über eine weite Landschaft, die - wie an dieser Stelle schon früher erwähnt - den Vergleich mit ähnlichen in Kanada in keiner Weise zu scheuen braucht. Weite und Ruhe, angefüllt mit vielfältigem Leben.
Gerade während dieses Monats wurde berichtet, dass im Müritzer Nationalpark ein Uhu-Pärchen erfolgreich gebrütet hat. Diese grösste europäische Eulenart galt in der Gegend für lange Zeit als ausgestorben. Ein weiterer kleiner Anfang.

  

Im Süden des Nationalparks liegt das Luftfahrttechnische Museum Rechlin. An diesem Ort stand die grösste Erprobungsstelle der Deutschen Luftwaffe, wo fast alle wegweisenden Entwicklungen der Fliegerei vom Anfang des 1. bis zum Ende des 2. Weltkrieges vorangetrieben und auf ihre Kriegs-Tauglichkeit geprüft worden sind. Am meisten ins Auge stechen zunächst allerdings die Hinterlassenschaften der Sowjetischen Streitkräfte, die auf den Flugplätzen Rechlin und Lärz bis 1993 stationiert waren. Wenn sie auch sehr in die Jahre gekommen sind, wirken die hier ausgestellten MIG 21, MIG 23, SU-22 und Helikopter noch immer bedrohlich. Deutlicher könnte das Gesicht des kalten Krieges nicht zu Tage treten. Mit einer Speerspitze, die direkt und in erster Linie auf die andere Hälfte des eigenen Landes zielte!

Weit mehr Information findet man aber im Inneren der Hallen, wo über die Anstrengungen der Luftwaffe berichtet wird, die sich bis in ihre letzten Tage bemühte, durch forcierte technische Fortschritte den sich abzeichnenden verheerenden Ausgang des Krieges abzuwenden. Zahlreich und zugleich anspruchsvoll sind die Texttafeln und Bilder, die über die Aufgaben und Lebensbedingungen der Ingenieure, Militärs und Testpiloten (unter denen sich auch einige Frauen höchste Verdienste erworben hatten), berichten. In krassem Kontrast dazu standen allerdings die Existenzen der unzähligen Zwangsarbeiter, denen trotz härtester Arbeit kaum genug zum Leben blieb. Die Anstrengungen waren oft überaus erfolgreich und es wäre wohl nicht viel mehr Zeit nötig gewesen, bis technische Fortschritte den Ausgang des Krieges entscheidend beeinflusst hätten. Vieles, was uns heute als selbstverständlich erscheint, hat genau hier seinen Anfang genommen.

Von den Anfängen während des ersten Krieges berichtet ein Nachbau des Fokker D-VII Jagdflugzeugs in erstaunlicher, aber originalgetreuer Bemalung. Unweit davon zeugt dann ein Konglomerat von Nachbau und Original-Trümmerteilen einer Messerschmitt Me 262 bereits vom kurz bevorstehenden Ende. Immerhin steht damit das weltweit erste in Serie gebaute Flugzeug mit Strahlantrieb vor dem Besucher.

  

Fast schon gemütlich wirkt dagegen der kleinere der ausgestellten russischen Helikopter, ein MIL MI 2, ...

... während die MIL MI 8 über lange Zeit das Workhorse der russischen Streitkräfte darstellte. Das geräumige Innenleben sieht noch heute beeindruckend aus.

  

Etwas jünger sind die Exponate für die kleinen Besucher. Aber auch diese zeugen von Phantasie und Hingabe, sind bis heute funktionstüchtig und werden fleissig benutzt. Das erste in Serie hergestellte Tretflugzeug?


Für den Besuch im Müritzeum, das 2006 eröffnet worden ist, empfiehlt sich ein Tag mit schönem Wetter, denn an regnerischen Tagen mag es den Besucheransturm kaum zu bewältigen. Als Museum und Dokumentationsstelle berichtet es über die ausgeprägten Eigenarten der Seenplatte mit der Müritz im Zentrum. Mit seiner speziellen Architektur liegt es gekonnt eingebettet in einen schönen Park mit alten Bäumen, insbesondere einer über 150 Jahre alten Rosskastanie und einem eigenen See.

Im Inneren zeigt es, aufgeteilt in verschiedene Themenkreise, viel Wissenswertes über die Geschichte, sowie Wald und Moor, See und Fluss, Vogel und Landtier, Fisch und Krebs. Natürlich liegt der Schwerpunkt auf dem Thema Wasser. Ein besonderes Becken ermöglicht den direkten Blick in den See und seine Bewohner. In vielen, sehr gepflegten Aquarien lassen sich sämtliche heimischen Süsswasserfische in Ruhe beobachten, was alleine schon einen Besuch rechtfertigen würde.

  

Über zwei Etagen reicht das grösste Süsswasseraquarium Deutschlands mit 100 m³ Inhalt. Sein Fischbesatz stellt so ziemlich das dar, was wir bei verschiedenen Gelegenheiten selber hatten beobachten können: ein fast unglaublicher Fischreichtum, der sich gelegentlich, dank des klaren Wassers, sogar vom Ufer aus beobachten lässt.

Dass aus diesem Grund die Fischerei in der Müritz von grosser Wichtigkeit ist, dürfte selbstverständlich sein. Die Berufsfischer sind entsprechend innovativ, vermarkten den einheimischen Fisch in den verschiedensten Formen, kümmern sich aber auch aktiv um den Nachwuchs, der die gefangenen Tiere ersetzen soll. Sie sind auf den Märkten der Städte sowie in der lokalen Gastwirtschaft gut vertreten und betreiben an ihren Standorten oft eigene Gaststätten, wo sie ihren Fang auf kürzestem Weg absetzen.

Auch die Sportfischerei ist attraktiv und wird entsprechend intensiv ausgeübt. Jeder siebte Deutsche ist angeblich aktiver Angler. Die Fischer sind beim Deutschen Angelfischerverband eV organisiert, der mit seinen mehr als 700'000 Mitgliedern als die grösste Naturschutzorganisation(sic!) Deutschlands gilt. Als solche ist seine gesellschaftliche Bedeutung beachtlich und und er ist demzufolge in fast allen einschlägigen Kommissionen und Interessengruppen vertreten.  Darum kann es sich wohl keine Behörde und keine Partei leisten, so viele Wähler zu vergrämen. In seiner Satzung beschreibt der Verband seinen Zweck mit den folgenden Worten:

Zweck des Verbandes ist die Erhaltung, Pflege und Wiederherstellung einer für Mensch, Tier und Pflanzen
lebensfähigen Natur, insbesondere gesunder Gewässer und der damit verbundenen Ökosysteme, zum
Wohle der Allgemeinheit und zur Sicherung aller Formen einer nachhaltigen Angelfischerei unter
Beachtung des dazugehörigen Tierschutzes.

 So weit die Reklame. Dagegen wäre an sich gar nichts einzuwenden. Primäres Ziel ist aber in Wirklichkeit die Wahrung der Interessen der Sportfischerei. Was wir aber tagaus, tagein auf 'unserem' Schiffsteg beobachten konnten oder eher 'mussten', steht allerdings nirgendwo in den Satzungen. Das Problem liegt hier eher beim Präfix 'Sport'. Ganze Gruppen von Anglern, meist ältere Männer, aber auch - seltener - Familien mit heranwachsenden Kindern, verbrachten regelmässig einen Grossteil des Tages mit ihrer Fischrute. Gelegentlich konnten sie fast im Minutentakt beachtliche Fische an Land ziehen. So viel Fisch kann niemand essen und darum landete der Grossteil davon wieder im Wasser. Was die Fische aber zuvor erlebten,  hat uns gelegentlich die Lust auf ein Fischessen verdorben. Obwohl es eigentlich verboten wäre, wird trotzdem häufig mit Lebendköder geangelt. Was die Angler behielten, wurde nie korrekt getötet, sondern schlicht in einem Plastiksack aufbewahrt oder in einen viel zu kleinen Kübel einem langsamen Sterben überlassen.
Dass Fische geangelt und gegessen werden scheint uns klar. Dass die Fische daran wohl kaum Freude haben, auch. Dass sie aber zur reinen Freude gefangen werden, achtlos weggeworfen oder mit dem Fuss ins Wasser zurück gekickt, das hat nun mit Naturschutz und Nachhaltigkeit gar nichts zu tun. Wir vermissten dabei jeden Respekt vor dem Tier oder auch nur gewöhnlichen Anstand, der eigentlich jedem Menschen schon als Kind hätte beigebracht werden müssen.
Entsprechend erschien dann auch ein Teil der wieder zurückgegebenen Fische wenig später an der Wasseroberfläche auf dem Rücken schwimmend. Wenigstens dienten sie dann noch den vielen Wasservögeln als Futter. Leider konnten wir während unserem Aufenthalt  kein einziges Mal beobachten, dass eine Kontrolle irgend einer Art vorgenommen worden wäre. Dass die beim Fischen reichlich anfallenden Zigarettenstummel und Bierflaschen einfach ins Wasser geschmissen oder auf dem Steg liegen gelassen wurden, verträgt sich ebenso schlecht mit den Satzungen.

(Es ist uns klar, dass dieser Kommentar im Grunde nicht hierher gehört. Aber der Ärger musste irgendwo hin. Das Problem besteht auch nicht nur hier in Deutschland und betrifft nicht nur die Fischer. Es wäre aber toll, wenn er wenigstens den einen oder anderen zu ein paar weitergehenden Gedanken veranlassen würde.)

  

Doch zurück zum Müritzeum! Ein abschliessender Rundgang durch den Park der Anlage war fast wie ein Rundgang um die Müritz. Ein Park zwar, der aber auch als Landschaft durchgehen könnte, in der das Museum selber beinahe als Bestandteil davon erschiene.

Am 15. und 16. August wurde hier in diesem Jahr der Sommer abgehalten. Als beinahe schon keiner mehr hatte daran glauben wollen, wurde plötzlich für zwei Tage hintereinander stabiles Wetter ohne Regen angekündigt. Sogar die Temperaturen sollten zuverlässig Werte in den höheren 20ern erreichen. Für uns also ein klares Zeichen, wieder einmal auf die offene Müritz hinaus zu fahren und damit dem steten Besucherstrom für kurze Zeit zu entfliehen. Weil dort aber wie gewohnt eine schwache Brise wehte, diente der Tag dann in erster Linie dazu, unsere Wäsche an der frischen Luft zu trocknen. Zum Baden war es uns doch ein wenig zu unfreundlich.


Da wir ohnehin die Absicht hatten, das Heinrich-Schliemann-Museum in Ankershagen zu besuchen, kam uns ein Vortrag zu diesem Thema im 'Haus des Gastes' in Waren sehr gelegen. Der derzeitige Leiter des Museums, Dr. Reinhard Witte, sprach dabei über das Leben des berühmten Troja-Ausgräbers. Als Historiker, Archäologe und profunder Kenner der griechischen Mythologie und Geschichte war es dem Referenten ein Leichtes, den wenigen(5!) Zuhörern Leben und Gedankenwelt Schliemanns, der seine Jugend als Pfarrerssohn in Ankershagen verbracht hatte, näher zu bringen.

In einfachen und sehr problematischen Verhältnissen geboren, hatte der junge Schliemann offensichtlich neben seinen viel diskutierten etwas sonderbaren Charakterzügen auch einige ganz ausgeprägte Talente geerbt. Beides zusammen befähigte ihn, im Laufe seines Lebens 20(!) Sprachen zu erlernen, wobei er mindestens in deren 12 ausgedehnte Korrespondenzen führte, sowie fast nebenbei ein ungeheures Vermögen anzuhäufen. Mit diesem finanzierte er später locker seine spektakulären Ausgrabungen, mit denen er die ganze damalige Fachwelt an der Seitenlinie stehen liess. Nach der Grundschule und einem kurzen Besuch am Gymnasium, das er verlassen musste, weil sein Vater das Schulgeld nicht mehr bezahlen konnte, machte er eine Händlerlehre in einem Kramladen in Rheinsberg. Während Aufenthalten in Amsterdam und Moskau entdeckte er als begabter Händler das Geldscheffeln als seine wahre Leidenschaft. Nach dem Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft wechselte er später zur amerikanischen, damit er sich von seiner russischen Ehefrau scheiden lassen konnte. Mit rund 40 Jahren, nach einer knapp zweijährigen Reise rund um die Welt, hatte er genug vom profanen Berufsleben und widmete sich zunehmend intellektuellen Tätigkeiten. Das brachte ihn schlussendlich dazu, die historischen Grundlagen zu erforschen, die er hinter den berühmten Epen Ilias und Odyssee des Griechen Homer vermutete. Seine grossangelegte Suche nach der sagenumwobenen Stadt Troja gipfelte in den äusserst erfolgreichen Ausgrabungen bei Hisarlik in Kleinasien, wo er fand, was er selber als den Schatz des Priamos bezeichnete. Dagegen wurden seine späteren, aus archäologischer Sicht wertvolleren Grabungen zur Mykenischen Kultur auf dem Peloponnes eher weniger beachtet.

Mit dem Fahrrad fuhren wir darum nach Ankershagen. Dort steht hinter dem grossen Baum noch heute das alte Pfarrhaus und gleich daneben die Kirche, wo der Vater des berühmten Sohnes Prediger war, bis er seines Amtes enthoben wurde, weil seine Predigten zu offensichtlich nicht mit seinem allzu menschlichen Leben übereinstimmten. Das lange Wirtschaftgebäude ist neu aufgebaut worden und beherbergt den Museumsladen, ein Café und mehrere Veranstaltungsräume, in denen sich regelmässig Wissenschaftler versammeln und die neuersten Ergebnisse zur Schliemann-Forschung austauschen. Daneben steht seit 20 Jahren ein Holzpferd, das an die berühmte List von Troja erinnern soll, welche gemäss Homer zur Eroberung der Stadt geführt hatte. Aus seinem Inneren konnten während diesen Jahren die  Kinder der Museumsbesucher unfallfrei über den Schweif nach aussen rutschen, bis das Bauinspektorat herausgefunden hat, dass die Einstiegstreppe nicht heutigen Sicherheitsanforderungen entspricht. Augenblicklich wurde das Betreten des Spielzeugs verboten. Zwei Änderungsvorschläge sind seither abgelehnt worden und die Kinder, denen Troja egal ist und denen die ausgestellten Tonkrüge nicht viel sagen, wissen seither nicht so recht, was tun. Damit hat der deutsche Amtsschimmel schlussendlich sogar das Trojanische Pferd besiegt!

  

Im Inneren des Museums findet sich eine beeindruckende Ausstellung, die unendlich viele Detailinformationen liefert, welche das Staunen über den ausserordentlichen Menschen Schliemann nur noch vergrössern, aber kaum erklären können. An der Geschichte von Troja bleibt auch nach dem Besuch noch einiges sagenhaft und wird es gewiss noch lange bleiben.

  

Auf dem Friedhof der Kirche findet man als einziges Grab der Familie Schliemann jenes der Mutter, die, wie man meint, aus Kummer um das Leben ihres Mannes frühzeitig verstorben ist. Das Kreuz, gestiftet vom berühmten Sohn, trägt zuoberst dessen eigenen Namen, jener der Mutter folgt erst weiter unten...

  

Ein paar Kilometer Richtung Süden führt ein Wanderweg zu den Quellen der Havel. Weil wir schon ein gutes Stück des Flusslaufs mit dem Schiff befahren haben, wollten wir auch etwas mehr über seinen Ursprung erfahren.

Am Weg, der über weite Strecken einer alten Handelsroute folgt, liegen auch einige Megalithengräber aus der Jungsteinzeit, die von den Steinzeitmenschen aus Findlingen aufgeschichtet worden waren. Einige etwas jüngere Hügelgräber finden sich nicht weit davon. Nur wenig später dann kamen wir zum Bornsee, der ursprünglichen Quelle der Havel. Ein ganz besonders schöner Anblick. Von hier aus fliesst die Havel durch Mecklenburg und das nördliche Brandenburg nach Berlin-Spandau, Potsdam, Brandenburg, Werder und mündet nach 340 km bei Havelberg in die Elbe. Auf der ganzen Strecke hat sie ein Gefälle von lediglich 39m und bildet darum bei jeder sich bietenden Gelegenheit weite Seen aus, die noch heute die Grundlage für die touristische Bedeutung der ganzen Gegend sind. Doch das war nicht immer so. Im 14. Jahrhundert hatten Mönche, im verständlichen Bestreben, mehr Wasser auf ihre eigene Mühle zu leiten, den Abfluss im Mühlensee verlegt und damit das Wasser, das bis anhin in die Ostsee abgeflossen war, in die Nordsee umgeleitet. Es ist nicht anzunehmen, dass ihnen diese Konsequenz ihres Tuns bewusst war, ihr Vorteil lag allerdings klar auf der Hand.

  

Am Ort der Umleitung befindet sich heute eine kleine Gedenkstätte, welchen den aktuellen Ursprung der Havel sichtbar machen soll.

Unsere Rückfahrt führte einmal mehr über Strecken, wo es nicht ganz klar war, ob wir uns im Weg geirrt hatten oder ob die alte Handelsroute einfach nicht mehr so häufig benutzt wird.

Bei unserem Abschied vom Schliemann Museum begegneten wir einer wunderschönen Weinbergschnecke, in der wir sogleich einen Weg- und Gesinnungsgefährten erkannten. Auch sie trägt geduldig ihr Haus mit sich, lässt sich auf ihrem Weg viel Zeit, ist überall zu Hause und kommt schlussendlich doch erstaunlich weit. Gleichzeitig gab sie uns den Auftrag, unser Haus auch stets so gut in Schuss zu halten.

Ein weiteres eindrückliches Erlebnis hatten wir im Moment, als wir die Landstrasse erreichten. Nur einen Meter vor dem Vorderrad entdeckte Matz eine wunderschöne Ringelnatter, die sich gerade anschickte, die Strasse zu überqueren. Wir geleiteten das stattliche Tier, das rund einen Meter mass, sicher über das risikoreiche Wegstück und verfolgten auf der anderen Seite seinen Aufstieg das steile Strassenbord hinauf, der mit unendlicher Eleganz und kaum fassbarer Geschwindigkeit erfolgte. Von dort verschwand die Schlange ins Brachland, das sie sicher über die nahe Grenze in den Müritz-Nationalpark zurückbrachte. Wen wundert's, dass wir mit zufriedenem Gefühl und mit ganz besonderen Eindrücken in unsere kleine Stube zurückkehrten?


Unser letzter Ausflug von Waren aus galt der Hansestadt Rostock, der grössten Stadt von Mecklenburg-Vorpommern. Mit 200'000 Einwohnern ist sie etwa doppelt so gross wie die Hauptstadt Schwerin. Vom ersten Moment an waren wir überrascht von der Lebendigkeit und Lebensfreude, die uns förmlich entgegenbrandete. Der Empfang im Hauptbahnhof etwas ausserhalb des Zentrums war doch eher nüchtern und erinnerte an grauere Zeiten.
Der Stadtkern von Rostock ist recht klein und leicht zu Fuss zu erkunden. Trotz der massiven Schäden während des letzten Krieges sind noch etliche alte Häuser vorhanden oder wurden gekonnt wieder aufgebaut. Ein reicher Schatz, der viele Touristen anzulocken vermag. Eine wichtige Rolle spielt auch die sehr zentral gelegene Universität, der ältesten im Ostseeraum, welche die junge Elite aus dem ganzen Norden in die Stadt bringt. Trotzdem schafft es Rostock, dass nebst den vielbesuchten Zentren auch noch ruhige, aber nicht weniger attraktive Strassen übrig bleiben, die einfach dem Wohnen und dem Leben dienen. Eine gesunde Mischung von Sehenswertem und Lebenswertem.

Die Stadt wurde im Mittelalter von einem geschlossenen Mauerring geschützt, der durch nicht weniger als 22 Tore den Zugang regelte. Von den Toren sind heute noch deren vier erhalten, von der Mauer immerhin noch zwei ansehnliche Teile. Am Neuen Markt zeigen einige alte Bürgerhäuser und das Rathaus, wie reich die ehemalige Handelsstadt einst war, als sie weitgehend vom Verkauf der Waren lebte, die im Hafen angelandet wurden. 1960 wurde der neue Überseehafen in Warnemünde eröffnet, wo heute die grossen Schiffe aus aller Welt anlegen. Auch die riesigen Kreuzfahrtschiffe, welche die Stadt regelmässig anlaufen. Der Stadthafen wurde seither hauptsächlich zur Flaniermeile und zum Segler- und Rundfahrtenhafen umfunktioniert und läuft jedes Jahr während der Hanse Sail Rostock für eine Woche zu seiner Höchstform auf. Hotelbetten sind in dieser Zeit allerdings rar und teuer! Mit ein Grund, dass unser Besuch so spät im Monat erfolgte.

  

Nahe beim Neuen Markt liegt die Marienkirche, an der nach dem Einsturz der Vorgängerkirche ein halbes Jahrhundert gebaut worden war, bevor sie um 1450 eingeweiht werden konnte. Im 32m hohen Mittelschiff beeindrucken, neben der schieren Höhe, vor allem die gewaltige Orgel (1769) und die Renaissance-Kanzel (1574).

Eine ganz besondere Sehenswürdigkeit innerhalb der Kirche ist die Astronomische Uhr von 1472. Die noch heute mit dem originalen Werk laufende Uhr wurde seit ihrer Entstehung (von einigen kriegsbedingten Unterbrüchen abgesehen), während fünfeinhalb Jahrhunderten also, jeden Tag aufgezogen und regelmässig gepflegt. Damit ist sie die älteste Uhr der Welt, die noch mit ihrem ursprünglichen Werk ihren Dienst leistet. Die zentrale Scheibe mit dem immerwährenden Kalender und vielen weiteren Angaben läuft Ende dieses Jahres aus und wird dann ausgetauscht. Sie ist die vierte seit 1472 und ihr Ersatz, der bis 2150 seinen Dienst erfüllen wird, steht schon im Keller bereit.

  

Als sei sie das Herz von Rostock, liegt die Universität im Zentrum der Stadt. Sie wurde als Alma Mater Rostochiensis bereits 1419 gegründet. Bis heute ist sie mit rund 14'000 Studenten eine nicht sehr grosse Universität, die aber auch im internationalen Rahmen, besonders auf den Gebieten Medizintechnik und Biowissenschaften, Spitzenleistungen erbringt und einen ausgezeichneten Ruf geniesst. Ihr Hauptgebäude von 1870 strahlt eine angemessene Würde aus und liegt am Platz der Lebensfreude, der mit seinem überaus lebendigen Brunnen von Gross und Klein gerne besucht wird. Als eine der wenigen gelungenen Schöpfungen aus der DDR-Zeit verbindet er somit die Universität gekonnt mit dem alltäglichen Leben, was beiden Teilen ganz offensichtlich zu Gute kommt.

  

Das Hausbaumhaus ist eines der ältesten Kaufmannshäuser der Stadt und wurde um 1490 erbaut. Seinen Namen trägt es wegen eines starken Eichenstammes, der zentral die Hauptlast des Hauses trägt. Damit konnte das Erdgeschoss ohne Zwischenwand gebaut werden, was ein effizientes Abladen der Waren gestattete, welche mit Karren vom Hafen hierhergebracht, direkt im Innern des Hauses abgeladen und in die oberen Stockwerke, die als Speicher dienten, verfrachtet werden konnten. In seinem Inneren ist das Haus äusserst geschmacksvoll restauriert worden und kann verschiedensten Anlässen einen würdigen und gediegenen Rahmen bieten.

  

Ein weiterer Blickfang ist bestimmt auch das üppige Ständehaus, das zwar erst am Ende des 19. Jahrhunderts erbaut worden ist, aber gerade durch eine Verbindung verschiedener Baustile seine besondere Ausstrahlung erhält. Es liegt ganz in der Nähe des Steintors und ist heute Sitz de Oberlandesgerichtes.

  

Das Steintor wird auf seiner Innenseite von zwei beeindruckenden und ganz offensichtlich sehr wehrhaften Greifen (dem Wappentier der Hansestadt und des Landkreises Rostock) bewacht.

Vom Turm der Petrikirche, auf den man mit dem Lift hochfahren kann, hat man eine schöne, wenn auch etwas eingeschränkte Sicht auf die Stadt. Schön ist sie besonders Richtung Westen, wo man auf den Stadthafen und weit dahinter, in der Ferne, bis zum Hochseehafen Warnemünde sieht.


Zurück in Waren wurden wir von Andrea und Christian zum Kaffee eingeladen. Wir hatten die Beiden während unserer Zeit hier ein paar Mal kurz getroffen, aber trotzdem jeweils anregende und informative Gespräche geführt. Soeben waren sie von einer Fahrt mit ihrem Reisekanu quer durch Berlin zurückgekehrt und da wir die selbe Strecke auch schon gefahren sind, gab es da einiges zu besprechen. Unseren Respekt waren wir schon schuldig, da sie den ganzen Weg paddelnd zurückgelegt hatten. Ein rechtes Stück Weg! Es sieht nur auf der Karte so kurz aus!
Für uns ein besonderes Erlebnis war, dass sie von uns aus gesehen gleich auf der anderen Seite der Binnenmüritz wohnen und dort ausgerechnet in dem Haus, das der Tochter von Theodor Fontane gehört hatte und in dem diese während langer Zeit auch wohnte. Als ob Fontane selber sich für unsere treue Leserschaft während der letzten beiden Jahre bedankt hätte. Auch dieser Nachmittag war zu kurz und wir hoffen, dass wir bei passender Gelegenheit die angefangenen Gespräche werden weiterführen können.
Vielen Dank für die Einladung!

  

Am letzten Sonntag des Monats wurden wir ganz überraschend Zeugen einer besonderen Leistung. Gegen Abend entstand etwas Aufregung auf unserem Pier und wir vernahmen dabei, dass die Extremschwimmerin Anke Höhne unterwegs sei, die als erste Frau die Müritz in ihrer ganzen Länge durchschwimmen werde. Mit dem Einnachten wurden die Leute zunehmend ungeduldiger, denn die Sportlerin war um halb sieben am Morgen in Buchholz zu ihrem 32km Abenteuer gestartet und hatte den ganzen Tag gegen den Wind und den hohen Wellengang zu kämpfen gehabt. Mit etwa drei Stunden Verspätung stieg sie dann gegen halb zehn, es war schon wieder dunkle Nacht, direkt vor unserem Schiff aus dem Wasser.

  

Sie hatte die ganzen Strapazen im 19° 'warmen' Wasser, ohne Neoprenanzug in Badekleider schwimmend, durchgestanden.


Und damit gingen die zwei Monate zu Ende, die wir für unseren Aufenthalt in Waren eingeplant hatten. Der Bootsverkehr war schon während der letzten Tage sichtbar zurückgegangen und im Hafen blieben jeden Abend mehr Plätze leer. Unsere Entscheidung, die Ferienmonate etwas abseits der Reiserouten abzuwarten, war also goldrichtig gewesen.
Obschon wir keine grossen Stricke zer- und schon gar keine Bäume ausgerissen haben, war es eine spannende und angenehme Zeit. Wir hatten viele neue Erfahrungen gemacht und viele Leute kennen gelernt, von denen einige bestimmt uns in unseren Erinnerungen weiter begleiten werden. Wer weiss, vielleicht ergibt sich im einen oder anderen Fall sogar ein Wiedersehen.

Noch einmal möchten wir der Stadtbehörde unseren Dank aussprechen, dass sie uns freundlich empfangen und so unseren Aufenthalt erst möglich gemacht hat.
Ganz offensichtlich hatte sich in Waren früher einmal der Amtsschimmel nicht wohlgefühlt und ist fröhlich weitergezogen.

Den letzten Abend feierten wir mit feinen Müritzmaränen, die wir beim Müritzfischer direkt gegenüber unserer Anlegestelle bezogen haben. Wir können dieses Essen allen nur empfehlen, sind die Fische, wenn man sie 'aoK' kauft, einfach zuzubereiten, sehr schmackhaft und äusserst angenehm zu essen, da sich die Gräten in einem Stück fast vollständig herausnehmen lassen.
(Die technische Bezeichnung heisst nichts anderes als: ausgenommen, ohne Kopf)

Also verabschieden wir uns ganz freundlich von unseren Gastgebern und allen Leuten, die Freude hatten an unserem Blumenschiff und uns das auch in vielfältiger Weise mitgeteilt haben.
Auf Wiedersehen!



Monat August 2017:
- 4 h 05'
- 20 km
400m

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