Januar 2017 |
Bei einem unbeschwerten und dennoch feierlichen Konzert des
Neuen Kammerorchesters Potsdam in der dortigen Erlöserkirche
hatten wir die letzten Stunden des vergangenen Jahres verbracht. Nach
der Aufführung drückte man den Besuchern ein Glas Sekt in die Hand,
damit sie auf dem Platz vor der Kirche auf ein gutes neues Jahr anstossen konnten.
Gerne nutzten die Leute diese Gelegenheit und manch einer kam so ins Gespräch mit
einem bisher unbekannten Gegenüber. Die erschreckenden Erfahrungen der letzten Tage wirkten
nach und unter der Fröhlichkeit lag daher auch immer etwas Bedächtigkeit
verborgen. Das feierliche Glockengeläute um Mitternacht ging dann allerdings fast
vollständig unter im Zischen und Krachen der Myriaden von
Feuerwerkskörpern, die von der Bevölkerung zu diesem Anlass in die Luft
geschossen wurden.
Das neue Jahr hat angefangen mit einer ungewöhnlich hohen Zahl grosser
Fragezeichen. England hatte beschlossen, eigene Wege zu gehen, jedoch
keine Ahnung, wohin diese führen sollten. In den USA war soeben das
Undenkbare Wirklichkeit geworden und twitterte unaufhaltsam
gewöhnungsbedürftige Töne in die Welt hinaus. Diese reagierte
verunsichert und konnte sich keinen Reim darauf machen. Die Zukunft
schien ungewisser als sonst. Der kleine Mann in Moskau mit den blauen
Augen hatte sein Land gerade ans Schaltpult der Macht zurückgeboxt, indem
er
die gespaltene Lage seines grossen Widersachers geschickt zu seinen
Gunsten ausnützte. Schon mehrmals hatte er mit entblösstem Oberkörper
in maskuliner Art der Welt Potenz und Selbstsicherheit demonstriert und
damit lediglich amüsiertes Erstaunen ausgelöst. Nun hat sein
rücksichtsloses Muskelspiel auf der Krim, in der Ukraine und in Syrien
für seine Politik Früchte getragen. Die lame ducks in Washington
waren so gut wie abgetreten und die Politiker in Brüssel zu sehr mit sich
selbst beschäftigt, als dass sie hätten angemessen reagieren können. Ein Beben geht
durch ihre Union und entscheidende Wahlen in verschiedenen Ländern
stehen vor der Tür. Auch diese sind so ungewiss wie nie zuvor. Der
türkische Partner, der zunächst Hand geboten hatte, Deutschland bei
seinen Migrationsproblemen beizustehen, entpuppte sich selber als
Problem.
Da die Polizei nach dem Anschlag in Berlin
zunächst einen Unbeteiligten verhaftet hatte und die ersten Stunden
damit verbrachte, ihn aufs Gründlichste zu überprüfen, konnte der
wirkliche Täter sich vor den Videokameras beim Bahnhof Zoo freundlich
verabschieden und dann mit öffentlichen Verkehrsmitteln über Holland und
Frankreich nach Italien verreisen. Dort erledigten dann zwei Polizisten
gekonnt das Problem, weil sie auf einer Routinestreife den Mann rein
zufällig kontrollierten und ihn, nachdem er selber von seiner
Schusswaffe Gebrauch gemacht hatte, reaktionsschnell ausser Verkehr
setzten. Zwei Jahre lang hatte er zuvor mit den verschiedensten
Behörden in Deutschland, denen er als Gefährder bekannt war, Katz und Maus gespielt. Wie lange die
deutsche Polizei nach seinem Anschlag noch hätte suchen müssen, wäre ihr nicht Kommissar Zufall zu Hilfe gekommen, darüber kann man nur
spekulieren. Frei von jeder Bescheidenheit berichteten allerdings danach während
Tagen sowohl Behörden wie Politiker aller Couleur von ihrem erfolgreichen
Vorgehen. Dabei hatten lediglich die automatischen Bremsen des
Lastwagens weit grösseres Unglück verhindert. Das Bild, welches die Stadt am nächsten Morgen auf all ihren Strassen, Plätzen und Brücken dem ausgeschlafenen Besucher bot, war entsprechend nicht eines von Stärke und Zuversicht. Es bleibt also viel zu tun und es ist nur zu hoffen, dass sich Leute finden, die tüchtig zupacken können.
Wir waren froh, dass wir die guten Vorsätze für unser sportliches
Training schon im November gefasst
hatten. Gute Vorsätze an Sylvester haben bekanntlich ein kurzes Leben.
Bisher war es uns mit wenigen Ausnahmen gelungen, jeden
zweiten Tag etwas für unsere Fitness zu tun. Und das, obschon hier zu
dieser Jahreszeit der Tag erst eine halbe Stunde später beginnt und am
Abend eine gute Dreiviertelstunde früher zu Ende geht, als wir uns das
gewohnt sind. Die Tage hier sind spürbar kürzer. In dieser Stimmung durfte Matz ihrem plötzlichen Anflug von Heimweh nachgeben, der sich während eines Rundgangs durch das noble KaDeWe (Kaufhaus des Westens) beim hier abgebildeten Anblick einstellte. Mit gutem Gewissen konnte sie sich eine wohldosierte Versüssung des Alltags durch diese bekannten Grüsse aus Zürich leisten. Bei einem unserer zahlreichen Ausflüge besuchten wir das Olympiastadion, das für die Olympiade 1936 erbaut worden war und noch heute Zeugnis abgibt für das Selbstverständnis und den Baustil der damaligen Führung. Beeindruckend ist es immer noch, wenn es heute auch bloss als Heimstadion für den Fussballclub Herta-Berlin dient. Auf unserem Heimweg setzte dann zum ersten Mal Schneefall ein und bescherte der Stadt ein ganz neues Angesicht. Etwas später ging es zum Park Inn Hotel am Alexanderplatz. Hier befindet sich die höchste Aussichtsplattform der Stadt (abgesehen vom Fernsehturm natürlich), die dazu den Vorteil hat, dass sie leicht mit dem Aufzug erreichbar ist. Leider ist dann der Ausblick nur in eine Richtung möglich, was man eigentlich gerne gewusst hätte, bevor man den Eintrittspreis von 4 € bezahlte. Obschon die Festtage vorbei waren, hat sich der stete Strom der Leute in den Strassen kaum vermindert, wie dieser Einblick in die Halle des S-Bahnhofes Alexanderplatz zeigt.
Ohne die Verkaufsstände des Weihnachtsmarktes wirkt der Gendarmenmarkt
fast etwas verlassen. Im Deutschen Dom, der hier rechts vom Konzerthaus
Berlin und dem Schiller Denkmal flankiert wird, zeigt eine Ausstellung über vier Etagen den
schwierigen Weg, den die unzähligen Länder und Fürstenhäuser zu gehen
hatten, bis sie sich endlich zum gemeinsamen Deutschen Reich
zusammenraufen konnten. Erst 1871 war es dann so weit und weil Frankreich den
Deutsch-Französischen Krieg soeben verloren hatte, wurde der neue Staat
pikanterweise im Spiegelsaal von Versailles ausgerufen.
Der Französischen Dom, der dem
Deutschen Dom direkt gegenübersteht, besitzt rund um seine Kuppel eine
Aussichtsterrasse, die wir uns aber für einen Tag mit besserer Sicht
reservierten. Ein paar Tage danach erlebte Hansruedi eine verspätete Weihnachtsüberraschung. Nachdem es nach Einbruch der Dunkelheit an der Haustüre geläutet hatte, erschienen beim Öffnen der Wohnungstüre ganz unerwartet Ninas und Danis Gesichter im Türspalt. Natürlich hatten die Frauen mit klandestinen Vorbereitungen für dieses Erlebnis gesorgt und freuten sich grenzenlos über den überrumpelten Vater und Ehemann. Die Überraschung musste natürlich gefeiert werden. Zum Glück liegt ganz in unserer Nähe ein Restaurant, das für das grösste Schnitzel in Berlin bekannt ist. Da wir Danis gesunden Appetit kennen, war die Wahl schnell getroffen. Nun standen aber gleich alle vier vor einer unlösbaren Aufgabe! Es gab einfach nichts kleineres. Immerhin hatten wir damit ausreichend Zeit, alle Erlebnisse der letzten Monate in Ruhe auszutauschen. Und weil man uns ungefragt mindestens zwei Meter Alufolie offerierte, hatten wir mit den Resten für längere Zeit ausgesorgt. Obschon das Wetter winterlich und manchmal unfreundlich war, versuchten wir mit unseren Gästen, in der kurzen Zeit möglichst viel der lebendigen Stadt mit zu bekommen. Vor dem Brandenburger Tor musste zunächst ein amerikanischer Tourist aushelfen, damit wenigstens einmal ein vollständiges Familienfoto möglich wurde. Jede Fahrt in der U-Bahn wurde bei diesem Wetter zu einem erholsamen Erlebnis und diente als willkommene Gelegenheit zum Aufwärmen. Wir fuhren so zum Alexanderplatz, wo offenbar bereits während der Vorbereitung für den Besuch ein Fensterplatz im Drehrestaurant des Fernsehturms reserviert worden war. Wo sonst lange Reihen von Touristen für einen Sitzplatz anstehen, blieben bei der etwas eingeschränkten Aussicht etliche Tische leer. Das tat unserer Freude keinen Abbruch, wir genossen den Kaffee mit Kuchen und konnten uns nach einer 360° Reise ohne Eile auf weitere Entdeckungstouren begeben. Wir besuchten den Tränenpalast beim Bahnhof Friedrichstrasse, die Abfertigungshalle für den Personenverkehr von Ost- nach Westberlin während der Zeit, in der die Stadt geteilt war. Seinen Namen erhielt das Gebäude wegen der ungezählten schmerzlichen Abschiedsszenen, die sich in seinem Inneren regelmässig abgespielt hatten. Den letzten gemeinsamen Tag begannen wir mit einem gemütlichen Frühstück im Café A. Horn beim Urbanhafen am Landwehrkanal. Die Atmosphäre war heimelig, das Frühstück sehr gepflegt und stilvoll serviert. Danach besuchten wir die Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauerstrasse, einem der wenigen Orte, wo noch in anschaulicher Weise an die traurige Situation in dieser Stadt während der Zeit des kalten Krieges erinnert wird. Während die wenigen verbliebenen Mauerreste an anderen Stellen in beinahe unerträglicher Weise den Touristen zum Frass vorgeworfen werden, zeigt dieser Ort nachvollziehbar den stetig perfideren Ausbau der Grenzsperre durch das grausame und zynische Regime der 'Deutschen Demokratischen Republik'. Mit brutaler Rücksichtslosigkeit wurde damals versucht, das Versagen des Systems und die groteske Unfähigkeit der Führung zu kaschieren. Wenn auch die direkten Erfahrungen im Gedächtnis der Bevölkerung immer mehr verblassen, hilft vielleicht doch diese Anlage ein wenig mit, dass wenigstens die entscheidenden Kräfte unserer Tage sich ihrer Verantwortung bewusst bleiben.
Vor der Heimreise nutzten die zwei in der Es-S-Bahn am Flughafen Tegel noch die
letzte Gelegenheit,
eine richtige Berliner Currywurst zu kosten.
Nachdem alle Teller schön brav leergegessen worden waren, gab es am
folgenden Tag, der alten Kinderregel gemäss, strahlend schönes Wetter.
Solches hätte unserem Besuch sicher auch gefallen.
Die Aussicht reichte hier über den grossen Park des Tiergartens hin zu Kanzleramt, Bundestag, Brandenburger Tor und den grossen Neubauten beim Potsdamer Platz. Von der Ausstellung im Sockel des geschichtsträchtigen Turmes möchten wir hier nur ein einziges Foto anfügen und damit unterstreichen, dass wir nie vergessen sollten, mit unserem Schicksal in diesen Tagen doch ganz zufrieden zu sein. Ein weiterer unverzichtbarer Programmpunkt war unser Besuch im Reichstag. Schon lange im voraus muss man sich dafür online in einer Liste eintragen, was umso wichtiger ist, will man von der Zuschauertribüne aus auch einer Sitzung des Parlamentes beiwohnen. Dass man an diesem wichtigen Ort Sicherheitsmassnahmen über sich ergehen lassen muss, vergleichbar jenem an einem Flughafen, das konnten wir ohne weiteres nachvollziehen. Dass die Listen aber mindestens drei Mal durch verschiedene Leute kontrolliert und abgehakt werden mussten, während die so kontrollierten 'Gäste' weiterhin an der Kälte vor dem leeren Wartepavillon warten mussten, konnte nur der deutschen Gründlichkeit geschuldet sein. An diesen Umgang mit Kunden gewöhnten wir uns nur langsam.
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1991 und dem Beschluss, den
Regierungssitz von Bonn nach Berlin zu verlegen, wurde der Bundestag zum
letzten Mal in seiner wechselvollen Geschichte umgebaut. Dabei erhielt
er die beeindruckende, oben offene Glaskuppel, die vielfältigen
Funktionen gerecht werden muss. Einerseits nimmt sie die Form auf, die
beim Reichstagsbrand von 1933 zerstört worden war, dient als Wahrzeichen
und Besucherraum und sammelt das Tageslicht für den darunter liegenden
Tagungsraum des Parlaments. Die Aussicht auf die Stadt war bei unserem Besuch wieder einmal etwas eingeschränkt durch tiefhängende Wolken draussen und Schneeverwehungen an den Scheiben. Doch waren auch so das Kanzleramt und die Schweizerische Botschaft zu erkennen.
Unserem Aufstieg zur Kuppel war ein zweistündiger Besuch einer
Plenarsitzung vorausgegangen, wo verständlicherweise jedes Fotografieren
verboten war. Recht ernüchtert hatten wir nach zwei Stunden den Saal verlassen, aber der Besuch der berühmten Kuppel hat uns wieder vollständig zufrieden gestellt. Einen ganz unterhaltsamen Abend verbrachten wir zum Monatsende gemeinsam mit Bernadette und Heinz beim Besuch einer Vorstellung von STOMP. Mit unglaublichem Geschick beleben die Künstler ganz banale Szenen des Lebens mit raffiniertesten Trommel-, Klopf- und Wischgeräuschen. Bereits vor etwa 20 Jahren hatten wir in Zürich eine Vorstellung des Teams mit seiner damals neuen Trash-Rhythmus-Show gesehen. Vieles war diesmal neu, anderes wiederum kam uns sehr bekannt vor. Einiges erschien uns genau wie damals. Es spricht für die Qualität einer einzelnen Nummer, wenn die konkrete Erinnerung daran über so lange Zeit bestehen bleibt. Zunächst mussten wir uns in unserer kleinen Wohnung auf den langen Abend etwas vorbereiten, ... ... dann machten wir uns auf zum Admiralspalast an der Friedrichstrasse, ... ... wo wir uns während den nächsten zwei Stunden von der phantasievollen Aufführung begeistern liessen. |
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