August 2016

  

Zum Monatsanfang starteten wir also in das Abenteuer Finowkanal. Wir schauten ein letztes Mal zurück auf die Ruhlsdorfer Schleuse, bei der wir eine geruhsame Nacht verbracht hatten ...

... und voraus in eine abwechslungsreiche Landschaft mit ständig wechselnden Stimmungen.

  

Natürlich waren wir nicht kopflos auf diese Wasserstrasse geraten. Die nicht genau abschätzbaren Risiken liessen sich nur durch besonders wertvolle Erfahrungen rechtfertigen, die vor uns lagen. Schliesslich gab es nur wenige Stellen, die ein problemloses Wenden gestattet hätten und Rückwärtsfahren über längere Strecken ist mit unserem Schiff kein Ferienjob.
Der Finowkanal ist heute noch eine Bundeswasserstrasse und als solche eine der ältesten, immer noch befahrenen Schiffstrassen Deutschlands. Mit seiner schwarzen Null vor Augen würde sie der Bundesfinanzminister jedoch nur allzu gerne an Kommunen und Länder abtreten. Diese zeigen bis heute jedoch wenig Lust, ein Geschenk anzunehmen, dass sie teuer zu stehen kommen könnte.

Die ersten Vorbereitungen zu einem schiffbaren Wasserweg in dieser Gegend hatten schon um 1560 begonnen, mit der Absicht, die Havel mit der Oder zu verbinden. Wir können die Bedeutung der Schiffswege in jener Zeit heute nur schlecht nachvollziehen, weil wir die Mühsale und Risiken des Warentransports auf dem Landweg, wie sie damals durchaus üblich waren, uns kaum vorstellen können. In den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts wurde dann unter dem Kurfürst Joachim Friedrich mit den Bauarbeiten begonnen. Als dieser 1608 starb, wurden sie von seinem Sohn Sigismund weitergeführt. Als ausgesprochener Lebemann trat er die Aufgabe unbeschwert an und war dabei so erfolgreich, dass bereits ein Jahr später das erste Schiff über eine Distanz von 21 km und durch fünf Schleusen Fracht transportieren konnte. Um 1620 war dann der Kanal mit insgesamt elf Schleusen hinunter bis zur Oder schiffbar. Der 30-jährige Krieg (1618-1648) verhinderte dann nicht nur die weiteren Arbeiten am Kanal, er bewirkte im Gegenteil seinen raschen Zerfall.

Die Bauarbeiten zum Kanal, den wir jetzt durchfuhren, hatten im Jahre 1743 begonnen und bereits am 16. Juni 1746 fuhr zu seiner Eröffnung das erste, mit 100 Tonnen Salz beladene Schiff von der Havel bis nach Oderberg. 1749 war der ganze Kanal mit seinen 16 Schleusen wieder bis zur Oder schiffbar! Damit hatte König Friedrich Wilhelm I sein Ziel erreicht, von der jüngst erworbenen Statt Stettin aus Berlin versorgen zu können und damit nicht länger von der Gunst der Hafenstadt Hamburg abhängig zu sein.
Der rasch wachsende Verkehr machte bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen weiteren, grosszügigen Ausbau des Kanals notwendig. Dabei wurden auch sämtliche Schleusen erneuert und mit dem für jene Zeit revolutionären System der 'versetzten Häupter' versehen. So konnten von nun an jeweils zwei Schiffe gleichzeitig geschleust werden.

Gut ist hier die Einfahrt in die Schleuse auf deren rechten Seite sichtbar. Indem das erste Schiff sogleich an die linke Schleusenwand wechselt, gibt es die Einfahrt für das zweite Schiff frei.
Zum 100sten Jahrestag seiner Eröffnung wurde 1846 beschlossen, den Finowkanal erneut dem stetig wachsenden Verkehr anzupassen und neben allen bestehenden Schleusen eine identische zweite zu bauen. Gleichzeitig wurden Form und Grösse der zu verwendenden Schiffe vorgeschrieben und so die erste deutsche Schiffsnorm, der Finowmasskahn, geschaffen.  Diese Schiffe konnten eine Last von 170 Tonnen transportieren. Sie wurden alle von Hand getreidelt, d.h. vom Ufer aus, zumeist von Frau und Kindern des Schiffers, mit Seilen gezogen. 1856 wurde dann das erste mit einer Dampfmaschine angetriebene Schiff auf dem Finowkanal eingesetzt. Der Kanal war damit endgültig zu einer der bedeutendsten Wasserstrassen in Deutschland geworden. 1906 erreichte er mit einem Transportvolumen von 2'720'767 Tonnen das beste Ergebnis seiner Geschichte.

An lauschigen Plätzchen, wo wir uns jeweils einen gemütlichen Nachmittag leisteten und danach eine ruhige Nacht verbrachten, hat es nie gefehlt.

Gemeinsam mit der Schippelschute, einem Passagierfloss, das von der Marina Eisvogel aus Touristen auf dem schönsten Teil des Kanals hin und her schippert und mit ausreichend Bier und Kaffee versorgt, hatten wir zufällig die Gelegenheit, das System auf seine Tauglichkeit zu überprüfen. Selbst die Schleusenwärterin hatte noch nie dieses Manöver erlebt und anfänglich mit Kopfschütteln auf unser Ansinnen, beide Schiffe miteinander zu schleusen, reagiert. Dabei waren doch die Schleusen ursprünglich für Schiffe von 40 m Länge gebaut worden. Von diesem Moment an, waren wir endgültig in den Fokus der Anwohner geraten und wurden überall mit Wohlwollen und Aufmerksamkeit empfangen.

  

Die rasche Entwicklung des Kanals im Tal der Finow brachte einen gewaltigen Aufschwung der Wirtschaft in dieser Gegend mit sich. Unzählige Ruinen aus jener Zeit bezeugen Aufstieg und Niedergang. Dieser wurde endgültig mit dem Bau der Havel-Oder-Wasserstrasse eingeläutet, welche für weit grössere Schiffe geeignet ist und damit den Güterverkehr immer mehr übernahm. Lediglich die ansässige Industrie und ein Kraftwerk sorgten zunächst noch für lokalen Schiffsverkehr.

     

Heute dient der Finowkanal nur noch den Freizeitschiffern, hat aber gerade für diese eine ausserordentliche Bedeutung erhalten. Er wird von Kanus, Kajaks und Motobooten der verschiedensten Grössen befahren und bietet ein wahres Eldorado an wirklich schönen Plätzchen. Da sämtliche Schleusen von äusserst freundlichen Schleusenwärtern manuell bedient werden und diese nach Möglichkeit auch für einzelne Kanuten aktiv werden, bieten sie auch kleinen Schiffen ein Schleusenschiffererlebnis, das in Deutschland einmalig ist.

  

Einige Namen der heutigen Schleusen, wie Heegermühle, Drahthammer und Kupferhammer erinnern an die vielen Arbeitsplätze, die einst Dank dieser Wasserstrasse das Leben in der Region geprägt hatten. Bot doch die Wasserstufe bei jeder Schleuse eine willkommene Gelegenheit zum Einbau einer Mühle oder eines kleinen Kraftwerks.

Die Stadt Eberswalde war schon beim Bau des Kanals Sitz der Bauleitung, der Zolldirektion und der königlichen Wasserbauinspektion mit dem Finowkanalgericht. Daraus entstand die erste technische Wasserbaubehörde und im Laufe der Zeit auch das heutige Wasser- und Schifffahrtsamt Eberswalde.  Diese Gemeinde hat also in grossem Umfang vom Kanal profitiert und schlussendlich aber auch unverdient darunter gelitten.

Zwischendurch, als kleine Reminiszenz für Eingeweihte: in der hier ansässigen bedeutendsten Kranfabrik Deutschlands war vor vielen Jahren auch der Hafenkran gebaut worden, den kürzlich die überaus kunst- und kulturbeflissene Regierung der Stadt Zürich gekauft hatte und als Rostocker-Hafenkran am Limmatquai, im Zentrum der Stadt, aufstellte - so weit weg von Meer und Hafen wie nur irgend möglich. Nach einem knappen Jahr wurde er unter grossen Kosten wieder abgebaut und verschrottet. Er war so fehl am Platz und sinnlos wie nur denkbar.
Kunst in allerhöchster Form!

Besonders gelitten hat die Gemeinde, weil kurz vor dem Ende des letzten Krieges, nach all den bis dahin erlebten Kriegsgräueln, die Deutsche Luftwaffe selber die Stadt mit Brandbomben angriff und in Schutt und Asche legte. Sie war dabei der Meinung, die einmarschierenden russischen Soldaten zu treffen, welche zu dem Zeitpunkt jedoch schon weiter vorgerückt waren. Die Deutsche Wehrmacht sprengte zusätzlich die Brücken in der Umgebung der Stadt. Allerdings fand die Rote Armee später immer noch mehrere Industriebetriebe vor, deren Abbau und Transport Richtung Osten sich offenbar lohnte .

Eberswalde liegt aber auch im Zentrum der wunderschönen Landschaft im nördlichen Barnim. Im Süden den Naturpark Barnim und im Nordwesten das Biosphärenreservat Schorfheide, bietet es für Wanderer, Radfahrer und Wassersportler alle wünschbaren Gelegenheiten zur sinnvollen Freizeitgestaltung. Einmal mehr sattelten wir darum unsere Drahtesel und fuhren durch riesige Forste mit dunklen Laubmischwäldern und im Rückbau begriffenen 'Fichtenäckern' über schönste Radwege ...

... zu industriehistorischen Denkmälern, wie das alte und daneben das im Bau befindliche neue Schiffshebewerk Niederfinow ...

     

... sowie zum Kloster Chorin, dem im 13. Jahrhundert erbauten Backsteingebäude, das heute als Museum und Konzertort für die Choriner Sommerkonzerte genutzt wird.

Sanft restauriert, bietet es von mehreren Seiten einen wunderschönen Anblick ...

  

... und es ist nur jammerschade, dass die alte Klosterküche mit der eindrücklichen Feuerstelle und der darunter liegende Braukeller des ehemaligen Zisterzienserklosters nicht mehr in Betrieb sind!

Zum Trost kauften wir uns im Klosterladen eine schöne Ausgabe von Theodor Fontanes Schriften und konnten so mit dem Stechlin und mit Effi Briest diese Gegend nochmals mit ganz anderen Augen in einer ganz anderen Zeit anschauen.

Kaum hatten wir am neuen Stadtquai in Eberswalde angelegt, besuchte uns ein Redaktor der MOZ (Märkische Oderzeitung) und wollte mehr über das etwas ausgefallene grosse Schiff erfahren, welches offenbar bereits zum Gespräch geworden war. Unsere Unterhaltung führte dann zu einem Artikel in der lokalen Presse und machte uns bekannt mit den Herren Prof. Hartmut Ginnow und dipl. ing. Heiner Fellmer (v.l.n.r.),  beides engagierte Befürworter eines verantwortungsbewussten Umgangs mit der Vergangenheit. Sie bemühen sich um die nötigen Mittel, damit der Finowkanal auch für die kommenden Generationen erhalten werden kann. Zu einem aufschlussreichen Gespräch über die aktuellen Ereignisse und einer gemeinsamen Fahrt bis zur letzten Schleuse des Kanals brachten sie eine Ladung der lokalen Spezialität 'Eberswalder Spritzkuchen' mit. Alles zusammen erfüllte uns mit grossem Genuss.

Zwei Tage später erhielten wir vom Redaktor der MOZ, das Bild, das er am Quai von Eberswalde von uns für den Artikel gemacht hatte, und ...

... als Zugabe zwei Fotos von unterwegs. Die Hebebrücke ist ein weiteres Kleinod des Kanals. Selbstverständlich auch diese von Hand bedient.
(mit bestem Dank an die MOZ für die Bilder!)

  

Kurz vor der Talstufe bei Niederfinow öffnet sich das Bett der Finow und gibt den Blick frei auf die Umgebung, die dann über das Oderbruch, das die letzte Eiszeit vor etwa 15'000 Jahren geschaffen hatte, in die Ebene der Oder abfällt.

Das Oderbruch macht den Höhenunterschied, der ursprünglich durch eine Treppe von vier hintereinander liegenden Schleusen überbrückt worden war. Diese wurden am 21. März 1934 durch das Schiffshebewerk Niederfinow ersetzt, das heute noch in Gebrauch ist und die Schiffe in einem Trog senkrecht 36 m in die Höhe hebt oder absenkt. Da es kaum mehr den aktuellen und noch viel weniger den künftigen Verkehr bewältigen kann, wurde 2005 beschlossen, ein neues Hebewerk zu bauen. Es wird nochmals wesentlich grössere Schiffe aufnehmen können und ist zur Zeit unmittelbar neben dem alten im Bau.

Wir hatten also den historischen Kanal durchfahren, ohne jede Grundberührung und dabei offenbar stets die notwendige Handbreit Wasser unter dem Kiel gehabt.
Oder einfach Glück.

  

Bei Hohensaaten mündet die von Berlin kommende Oder-Havel-Wasserstrasse in die Oder. Dieser bekannte Grenzfluss zwischen Polen und Deutschland hat einen stark wechselnden Wasserstand und damit gelegentlich auch eine beträchtliche Strömung. Problemlos dagegen verläuft die fast parallele Hohensaaten-Friedrichsthaler-Wasserstrasse, die, mit geregeltem Wasserstand und daher praktisch strömungsfrei, vor allem von bergwärts fahrenden Schiffen und von fast allen Frachtschiffen benutzt wird. Sie mündet bei Friedrichsthal, unweit Stettin, in die Westoder.
Weil wir uns der Gemütlichkeit verschrieben hatten, wählten wir die Wasserstrasse. Sie führt gemächlich durch eine friedliche Landschaft, zunächst einmal auf der deutschen Seite der Oder.

     

Bei Criewen legten wir an und wurden von einem fast kitschigen Abendrot auf die Nacht eingestimmt, das wir für einmal dem Leser nicht vorenthalten wollen.

In Criewen steht auch ein kleines Schloss mit Gutshof, in dem heute die Verwaltung für den Nationalpark Unteres Odertal untergebracht ist. Dieser Park bildet den südlichsten Teil eines grosszügigen Schutzgebietes von über 1000 km², das weitgehend aus Auenlandschaften besteht. Es bietet einen vielfältigen Lebensraum für Biber, Fischotter, mehr als 250 Vogelarten und eine reichhaltige Flora. Für riesige Zugvogelschwärme ein unverzichtbarer Rastplatz! Während unserem Aufenthalt bestimmten tagsüber die Störche das Bild, während der Abend den Zügen der Kraniche gehörte, die mit ihren klagenden Rufen keine lebende Seele unberührt lassen.
Wir blieben hier einen ganzen Tag, fassten erneut unsere Fahrräder und fuhren über gut ausgebaute Wege quer durch und rund um den Park. Zum ersten Mal kamen wir dabei unmittelbar an das Ufer der Oder und blickten hinüber auf polnisches Gebiet.
Wahrlich ein lohnendes Ziel!

Nach einer Fahrt von kaum 6 km fuhren wir am nächsten Morgen durch das deutsche Städtchen Schwedt, das uns mit einem ganz besonderen Gebäude überraschte. Ein riesiger Glaspalast, der einen kleinen Park am Ufer der Oder überragte, fesselte unsere Aufmerksamkeit. Es dauerte eine geraume Weile, bis wir bemerkten, dass wir einer Täuschung zum Opfer gefallen waren. Erst bei genauerem Hinsehen stellte sich heraus, dass hier ein an sich unauffälliges, kubisches und offenbar fensterloses Betongebäude, das als Konzerthaus dient, durch eine aufwändige Malerei, als 'trompe-l'oeil' ausgeführt, sehr erfolgreich aufgemöbelt worden ist. Selbst die Statuen der lokalen Berühmtheiten und ihre Nischen sind lediglich aufgemalt.

Weiter ging es durch die Uckermark und den Nationalpark noch gut 25 km weiter, bis wir in der Ferne die Silhouette und die Türme der Stadt Stettin (Sczcecin) erblickten.
An die polnischen Namen mussten wir uns erst noch gewöhnen!

Im neuen Yachthafen der Stadt, erst vor einem Jahr eröffnet, legten wir längsseits an der 'de Vrouwe Anna Maria' an, einem Schiff, das auch zur DBA (Dutch Barge Association) gehört, dem wichtigsten Verein für Binnenschiffer mit historischen Schiffen. Die Besitzer waren allerdings zunächst für ein paar Tage abwesend und so mussten wir ein Treffen mit ihnen auf später verschieben. Das war kein Problem, hatten wir doch ohnehin geplant, eine gute Woche hier zu verweilen. Dann kamen Judy und Charles aber zurück und wir nutzten die Gelegenheit, unsere Erlebnisse auszutauschen.
Das war dann wohl das erste DBA Rally in Polen.

Auf dem Weg ins Zentrum überquerten wir die grosse Brücke, die uns einen genaueren Blick auf die Stadt ermöglichte, welche erst 1945 an Polen gelangt war. Durch eine geschickte Umdeutung der Vereinbarungen der Potsdamer Konferenz betreffend die Zonenaufteilung in Deutschland erreichte Stalin eine nicht vorgesehene Ausdehnung seines Hoheitsgebietes. Das war ein bewusster erster Schritt zum darauf folgenden kalten Krieg.

Ein etwas angenehmeres Überbleibsel der russischen Einflussnahme lebt im Restaurant pasztecik weiter, wo mit einem Fritierautomaten, der in einer russischen Kaserne der Verpflegung der stationierten fremden Truppen gedient hatte, noch heute erfolgreich 'Pasteten' gebacken werden. Diese werden mit drei verschiedenen Füllungen angeboten und ausschliesslich mit einer dünnen Suppe aus Randen serviert. Dass alles locker mit einzelnen Zloty Münzen bezahlt werden kann, macht die unterkühlte Gemütlichkeit des Lokals erträglich und die dadurch hervorgerufenen Erinnerungen an zum Glück vergangene Zeiten sind wahrscheinlich der Grund für den bis heute ungebrochenen Erfolg des Lokals.

     

Die Stadt selber ist während des letzten Krieges fast vollständig zerstört worden und bietet darum nur sehr wenige Sehenswürdigkeiten aus der Zeit davor. Da die Anstrengungen zum Wiederaufbau vor dem Beitritt zur EU im Rahmen der polnischen Möglichkeiten stattgefunden haben, liegt gerade darin ein besonderer Reiz und so blieben die Zeugen eines Lebens hinter dem eisernen Vorhang zahlreich. Was für den fremden, nicht direkt betroffenen Besucher auch ein Erlebnis abgibt.

Es war wiederum dem Zufall zu verdanken, dass während dem Wochenende (FR und SA, denn der SO ist im Polen heilig), das wir hier verbrachten, gerade vielfältige Festivitäten stattfanden. Ein internationaler Wettkampf von Feuerwehrleuten wurde am Abend durch einen Wettbewerb von Feuerwerk-Teams aus drei Ländern ergänzt, während im Hafenbecken die Stettiner Watershow die Aufmerksamkeit der Bevölkerung zu fesseln versuchte.

Die körperlich sehr anspruchsvollen Aufgaben, welche die Teams der verschiedenen Feuerwehr- und Rettungsdienste zu bestehen hatten, waren zum Teil derart anstrengend, dass ...

        

... aus dem Spiel manchmal fast Ernst wurde, wenn die völlig erschöpften Wettkämpfer von ihren Kameraden aufgepäppelt werden mussten.

  

Das Spiel behielt dort die Oberhand, wo die Kleinen unter sich die selben Disziplinen austragen durften.

  

Die Watershow bestand aus Segelregatten, einem Turmspringen aus 27 m Höhe und Vorführungen sämtlicher denkbarer Fortbewegungsmittel auf dem Wasser, vom Kanu zum Drachenboot ...

... und vom gemütlichen Motorboot bis zum Fly-Jet, wo durch Umleiten des Wasserstrahls der lärmigen Jet-Skis durch einen langen Schlauch der 'Sportler' die Möglichkeit bekommt, wie Jesus auf dem Wasser zu gehen, in die Höhe zu steigen, Saltos zu drehen und - vor der Wiederauferstehung - kopfvoran ins Wasser zu stürzen.
Den Zuschauern hat's gefallen!

     

In den Nächten der PYROMAGIC 2016 traten dann Teams aus Vietnam (Danang Team), der Schweiz (Sugyp) und Schweden (Göteborg Fireworks Factory) gegeneinander an und feuerten unentwegt aus allen Rohren, was den ganzen Himmel beleuchten und die Ohren bis zur Schmerzgrenze belasten konnte. All das immer synchron mit der eingespielten Musik. Der Sieger würde dann zur 10. Jubiläumsaufführung im nächsten Jahr eingeladen. Der Beitrag des Gastgebers Polen erfolgte ausser Konkurrenz.
Während selbst wir mit der Mehrheit der Zuschauer, die per sms abstimmen konnten, ganz klar einig gingen, dass die Schweden den Wettbewerb gewonnen hätten, verlieh die Fach-Jury jedoch dem Team aus der Schweiz den Siegerpokal.

     

Unser Standort war offensichtlich auch sonst nicht schlecht gewählt, kamen doch jeden Tag mehrere Brautpaare mitsamt ihren Fotografen, um zwischen Hafenkränen und neben den Schiffen die Bilder ihres Lebens zu schiessen.
Gar ein polnischer Rapper erschien mit seinem Videoteam, um mit gekonnten Filmaufnahmen seine hoffentlich glanzvolle Karriere zu starten.

     

  

Nach einer guten Woche verliessen wir Stettin, fuhren durch den Seehafen, der die Stadt so bedeutend gemacht hatte, weiter die West-Oder hinunter Richtung Stettiner Haff. Das ist ein inneres Küstengewässer, das hier den Mündungsbereich von Oder und Peene aufnimmt und mehr schlecht als recht vom Meer getrennt ist.

  

Unterwegs begegneten wir vielen grossen Schiffen, die von der Nordsee her unterwegs waren Richtung Stettin. Unser erster Stopp war in Trzebiez (Gross Ziegenort). Dem deutschen Namen zum Trotz leben dort ganz nette Leute und das Dorf machte einen aufgeräumten Eindruck. Die Gartenbeizen waren, trotz des mässig schönen Wetters, gut besucht von fröhlichen Gästen.

Durch das Stettiner Haff führt eine Route, die immerhin etwa 50 km lang ist. Für uns sind das schon Distanzen, die verdächtig nach Meer riechen und tatsächlich folgten wir damit einer Seeschifffahrtswasserstrasse, mit ihren eigenen Regeln und Vorschriften. Die Navigationsbaken hatten neue, bisher unbekannte Dimensionen und die Schiffe, die uns begegneten, hatten bestimmt schon viel erlebt und viel gesehen. Sie wiesen auch Heimathäfen auf, die z.B. Panama oder Liberia hiessen. Eine neue Welt.

     

Am Anfang ging dann auch alles seinen gewohnten Lauf. Wir waren vollauf damit beschäftigt, nach den vielen Gebieten Ausschau zu halten, wo riesige Felder von Stellnetzen den Schiffen den Weg versperren. Diese Netze reichen bis knapp unter die Wasseroberfläche und sind nur spärlich markiert. Wahrscheinlich würde nicht nur der Fischer nervös reagieren, sollten wir je in einem davon hängen bleiben. Mit fortschreitender Tageszeit frischte der Wind merklich auf, die weite Wasserfläche wurde zunehmend unruhig und damit die Netze noch viel weniger gut sichtbar. Richtig unangenehm wurde es aber erst, als wir, um nach Ueckermünde zu gelangen, nach Süden abdrehten. Nun traf die West-Dünung geradewegs auf Steuerbord und unser Schiff begann ganz ungewohnt zu rollen. So waren wir froh, als wir von weitem die Mündung der Uecker erblickten, die dem dahinter liegenden Städtchen ihren Namen gegeben hatte. Vor allem aber wurde da, von einer Sekunde zu anderen, das Wasser wieder spiegelglatt.

Wir fuhren noch knapp zwei Kilometer den Fluss hinauf und erreichten dann den Hafen in der Stadtmitte, wo wir, vom langen Tag etwas ermüdet, zufrieden anlegten. Das Städtchen, das weitgehend vom Fischfang lebte, hat sich in jüngerer Zeit zu einem Seebad gemausert und macht heute ganz allgemein einen sehr gepflegten Eindruck, der zum Verweilen einlädt.

  

Dass es auch solche gibt, welche die Geschichte der Seefahrt sehr ernst nehmen, erlebten wir am zweiten Tag, als das Schiff von den Leuten, denen wir am Vorabend noch zugeschaut hatten, wie sie recht behelfsmässig ihr Nachtessen zubereiteten, an uns vorbei gerudert wurde. Guten Mutes und in bester Laune strebten sie Richtung Haff und der Stadt Wollin entgegen. Sie hatten eine lange, anstrengende Fahrt vor sich. Das bei einer Wetterprognose, die uns bereits am Vorabend den Entschluss nahegelegt hatte, einen weiteren Tag im sicheren Hafen zu verbleiben.

  

Doch gäbe es nicht solche Leute, es gäbe auch keine solchen Bilder (mehr!).

Einen Tag später brachen auch wir zu neuer Fahrt auf. Wir wollten nach Anklam.
Auf dem weiten Wasser im Haff wurden wir während Stunden von langen Reihen Kormoranen überholt, die mal links, dann wieder rechts in kilometerlangen, dichten Linien an uns vorbei westwärts flogen. Da sie knapp über dem Wasser blieben, die Linien vom Horizont vor uns bis zu jenem hinter uns reichten, müssen wir den gewaltigen Eindruck, den sie auf uns machten, der Fantasie des Lesers überlassen. Wir werden ihn nie vergessen.
Übrigens, der 'Torbogen' in der Ferne ist, was von der Eisenbahn-Hubbrücke von Kanin übrig geblieben ist, nachdem vor 70 Jahren die Kriegsparteien auf beiden Seiten ihr bestes gegeben hatten, dem jeweiligen Gegner das Leben schwer zu machen.
Dass es auch andere 'Zugvögel' vorziehen, mit etwas mehr Musse zu reisen, als es unsere Tage nahe legen, zeigt der Überflug der DC-3 knapp vor unserer Einfahrt in die Peene.

  

Die Peene mündet in den unteren Teil des Haffs und fliesst als Peenestrom zwischen Wolgast und der Insel Usedom bei Peenemünde in die Ostsee.
Wir wählten allerdings die erste Mündung und fuhren den Strom hinauf, der hier wieder eine Binnenwasserstrasse ist, Richtung Anklam.
Damit fuhren wir in die Flusslandschaft Peenetal ein, die heute einen einzigartigen Naturpark darstellt, und auch als Amazonas des Nordens bezeichnet wird.

Unser erster Halt galt der einstigen Hansestadt Anklam, die aber eher bekannt ist, als Geburtsort der Gebrüder Otto und Gustav Lilienthal. Aus der Nikolaikirche, die vor der Wende aus kaum mehr als ein paar Backsteinmauerresten bestanden hatte, wird nun nach und nach ein angemessenes Denkmal für die berühmten Söhne der Stadt. Diese hatten sich durch einen unermüdlichen Einfallsreichtum und unendlichen Fleiss ausgezeichnet und verschiedenste Erfindungen vom Kinderspielzeug (Steinbaukasten) über Dampfmaschinen bis zum Flugapparat gemacht. Ihren Normalsegelapparat bauten sie sogar in Serie. Der Erfolg hielt sich allerdings in Grenzen. Kaufmännisches Denken war offensichtlich nicht ihre Stärke.

Auf dem Bild ersichtlich ist eines ihrer ersten Flugzeuge, dem das Vorbild, nachdem es geschaffen worden war, noch deutlich anzusehen ist.
(Darunter ein Modell des Flugzeugs der Gebrüder Wright, denen weniger als zehn Jahre später der erste richtige Motorflug gelang.)

Für die ernsthafteren Flugversuche häuften die beiden Brüder eigenhändig vom reichlich vorhandenen Sand eine Startrampe auf, in deren Spitze sie gar einen kleinen Hangar einbauten, damit sie bei gutem Wind ja keine Gelegenheit zum Fliegen verpassen würden.
So gelang ihnen dann auch der erste vogelähnliche Flug, der ihnen endgültig einen bedeutenden Platz in der Geschichte der Menschheit eintrug.
Dass 1896 Otto Lilienthal bei einem solchen Flug in der Nähe von Berlin sein Leben verlor, verband seinen Namen für immer mit der Fliegerei.

  

Vom Turm der Nikolaikirche ist nach dem Krieg nur knapp die Hälfte stehen geblieben. Die ist mit ihren 48 m aber noch immer hoch genug, in uns den alten Drang zu wecken, dass man auf bedeutende Türme zu steigen hat. Die Wendeltreppe zeugt von der Schönheit der Backsteinarchitektur, die in dieser Gegend sehr verbreitet ist.

  

Wie immer stand der Fleiss vor dem Preis und so überreichten wir uns gegenseitig unser Diplom erst auf der letzten Stufe.
Die Gemeinde hat übrigens genügend Geld gesammelt, dass das Museum weiter ausgebaut und der Turm auf seine alte Höhe von über 100 m wieder aufgebaut werden kann. In fünf Jahren soll es so weit sein und wir werden dann wieder kommen.
Ob wir dann allerdings auch, zur Erinnerung an Lilienthal, von der neuen Spitze mit der vorgesehenen Schrägseilbahn Kopf voran an einem Seil in die Tiefe sausen werden, das wollen wir für den Moment noch offen lassen.

Aber auch so war die Aussicht Richtung Westen beeindruckend und zeigte wunderschön die Peeneflusslandschaft, durch die wir in den nächsten Tagen fahren würden.

Auf dem Marktplatz steht im Zentrum der Wasserfontänen ein Gryf, der hier in fast allen Wappen und auf ebenso vielen Fahnen erscheint. Daneben der Turm der Nikolaikirche, wie er heute noch aussieht.
Mit vielen anderen Orten in dieser Gegend teilt Anklam das unglückliche Schicksal, buchstäblich in den allerletzten Stunden des Krieges fast vollständig zerstört worden zu sein.

Die folgenden drei Tage fuhren wir bei prächtigem Spätsommerwetter durch eine traumhaft schöne Landschaft, die zu den grössten und schönsten Niedermoorgebieten Europas gehört. Sie ist nach der Wende konsequent unter Schutz gestellt worden, im Bestreben, die Sünden, die während 40 Jahren stumpfsinniger Planwirtschaft angerichtet worden waren, wieder gut zu machen. Damals waren die Moore systematisch entwässert worden und mit Hilfe von Unmengen von Mineraldünger wurde versucht, eine Intensiv-Graswirtschaft aufzubauen. Dank einiger immer noch erhaltener und intakter Moorflächen hatte die Renaturierung gute Chancen, ist aber sehr aufwändig und bis heute noch nicht abgeschlossen. Doch sind bereits viele der zuvor als ausgestorben geltenden Arten wieder zurückgekehrt. Davon sind einige gar fast ausschliesslich hier anzutreffen. Die Peene bietet heute als vollkommen unverbauter Fluss mit sehr geringem Gefälle eine erfreuliche Artenvielfalt bei Fischen, Säugern, Vögeln und Pflanzen, die sowohl dem engagierten Naturfreund als auch dem Menschen, der einfach echte Erholung sucht, alles bietet, was er sich dazu nur wünschen kann.

Aber die Peenewasserstrasse ist eine Bundeswasserstrasse, welche die Bundesfinanzen belastet. Obschon hier die technischen Voraussetzungen wesentlich einfacher sind als beim Finowkanal, zeigen die Kommunen und Länder auch da wenig Lust, künftig die Verantwortung zu übernehmen.

     

Drei Adlerarten sind hier nachgewiesen, von denen ein Jungtier sich gar aus halbwegs vernünftiger Distanz fotografieren liess. Um allerdings Biber und Fischotter zu beobachten, dafür müsste man vermehrt in der Dämmerung unterwegs sein (!).

Wir erfreuten uns also an den kleinen Dingen, die im Überfluss vorhanden waren. Ein Rezept, dass ganz besonders in diesem Fall ein ausgezeichnetes Resultat erbrachte.

Unser Weg, führte so von Anklam über Jarmen nach Demmin, dann quer durch den Kummerower See nach Malchin und damit durch eine Gegend, die als die Mecklenburgische Schweiz bezeichnet wird. Das darf für uns Schweizer getrost als Kompliment verstanden werden, aber wir müssen uns echt Mühe geben, wenn wir dem auch in Zukunft noch gerecht werden wollen.
Bei Malchin war allerdings unsere Reise wegen höherer Macht zu Ende. Die nächsten Strassenbrücken weisen eine Durchfahrtshöhe aus, die für unser Schiff nicht ausreicht und auch die Wassertiefe ist mit gelegentlich weniger als einem Meter definitiv zu knapp. Das war uns bekannt und wir wussten, dass wir ein Stück weit den selben Weg zurückfahren müssten.

Hier stiess dann auch wieder Theo zu uns, der schon im Juli 2014 eine Weile mit uns unterwegs war. Wie damals leicht vorher zu sehen war, hat er in der Zwischenzeit die Schifferkrankheit nicht überwunden. Im Gegenteil, die Symptome sind sogar noch deutlich stärker geworden.

  

Etwas Linderung brachte zwar zunächst das leise Brummen des Motors und das beruhigende Plätschern der Wellen. Doch erst am Steuer stehend kam er wirklich zur Ruhe. Ob das von Dauer sein wird, das ist auch diesmal ungewiss. Doch fuhr er unser Schiff fast im Alleingang zurück nach Anklam.
Weil er voller Ungeduld etwas früher aufzustehen pflegte als wir, hat er am dritten Tag, ganz in der Nähe unseres Liegeplatzes in Jarmen, drei Biber beobachten können. Da uns das bislang verwehrt geblieben war, hat Matz sich Besserung vorgenommen.
Am Abend berichtete er uns jeweils von seinen Erlebnissen mit den Schleusenschiffern in Frankreich, insbesondere auch vom traditionellen Burgundertreffen des SSK-CSE bei Fredy und seiner Frau Willi in Saint-Jean-de-Losne. Wir hörten dabei viel Neues von Freunden, mit denen wir, seit unserer Abreise vor mehr als vier Jahren, nur mehr sehr sporadisch Kontakt haben. 

In Anklam haben wir unsere gemeinsame Fahrt mit einem gemütlichen Nachtessen und langen Diskussionen ausklingen lassen, bevor wir Theo am letzten Tag zum Bahnhof geleiteten, von wo er seine Rückreise in die Schweiz antrat.
Bis zum nächsten Mal! (oder auf dem eigenen Schiff ... )

Monat August 2016:
- 63 h 45'
- 13 Schleusen
- 8 Hebebrücke
- 365 km

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