Richtung Deutschland sind wir also aufgebrochen im letzten Monat
dieser Saison. So fuhren wir zuerst gegen Osten durch den Eemskanaal
und drehten dann bald Richtung Südost in den Winschoterdiep nach
Hoogezand. Dort machten wir zum Übernachten an einer Industriekade fest, von
der wir aber nach kurzer Zeit durch ein Polizeiboot weggewiesen wurden.
Ein paar hundert Meter weiter legten wir ganz regelkonform am offiziellen Steg der
Gemeinde erneut an und so waren alle zufrieden. Am nächsten Morgen fuhren
wir in bester Laune weiter Richtung Veendam, dem
Ausgangsort für eine doch sehr spezielle Route. Rund 70(!) bewegliche
Brücken und etwa 15 Schleusen lagen vor uns und alle diese Einrichtungen
mussten vom zuständigen Personal bedient werden. Für Spannung war also
gesorgt, weit mehr jedoch, als wir in diesem Moment ahnten.
Bei der Einfahrt zur
kleinen Schleuse in Veendam leuchteten zwei rote Lampen übereinander und zeigten
damit eine Störung an. Da mehrere Leute und mit ihnen auch der
Schleusenwärter aufgeregt durcheinander rannten und sich immer wieder am
Schleusenrand auf den Boden legten, musste da etwas besonderes vorgefallen
sein. Wir legten am Rand des Kanals an und gingen zu Fuss zum
Schleusentor, wo wir bald den Grund der Aufregung erfuhren: eine junge
Katze war in die Schleuse gefallen und kämpfte dort offensichtlich
verzweifelt um ihr Leben. Da aber die Arme der Helfer zu kurz waren, dem
verunglückten
Tier zu helfen und anderes Werkzeug fehlte, machte der Schleusenwärter
Anstalten, sich der schwersten Kleider zu entledigen. Er wollte zur Rettung
der Katze offensichtlich ins kalte Wasser der Schleuse springen. In diesem Moment wurde uns
klar, wozu wir seit Jahren einen Fischkescher (Netz) mit an Bord führten,
den
wir mit unserem Schiff vom Vorbesitzer übernommen hatten. Mehrmals hatten wir das Ding
schon entsorgen wollen, doch hatten wir immer wieder davon abgesehen unter dem
bekannten Vorwand, dass man es vielleicht doch noch einmal gebrauchen
könnte! Und jetzt rettete es einem verzweifelten Kätzchen das Leben!
Nach dieser Aufregung legten wir an der Kopfseite von drei Stegen an und
machten uns daran, die Modalitäten für die aufwändige Weiterfahrt zu klären, als
uns bereits die nächste Überraschung entgegen kam. Das Datum zeigte den 2. Oktober
und ab dem ersten, werden die vielen Brücken saisongemäss nur noch Mittwoch und
Donnerstags bedient. Und heute war Freitag!
Damit wurde uns fast eine ganze zusätzliche Woche 'geschenkt' und wir
richteten uns für diese Zeit bequem ein. Das war weiter nicht schwierig, gab
es doch hier alles was wir brauchten: viele Läden, Bäckereien, einen Markt und ein ganz
ansprechendes Städtchen. Darüber hinaus, gleich bei unserer Anlegestelle,
äusserst komfortable sanitäre Einrichtungen und Duschen mit unbeschränkt
warmem Wasser. Gar nicht schlecht, bei immer kühler werdendem Wetter. Und das
alles für uns ganz allein! Gegen Anfang der Woche gesellte sich dann noch ein
kleineres deutsches Tourenboot zu uns und gemeinsam machten wir uns am
folgenden Mittwoch endlich auf den Weg. Zwei Gemeindeangestellte, jeder auf einem
Roller, begleiteten uns neben dem Kanal und öffneten nacheinender die zahlreichen Brücken.
Wir kamen rasch vorwärts und waren äusserst zufrieden. Allerdings etwas zu
früh. So waren wir unterwegs auf dem Stadskanaal, dem
Musselkanaal und dem Ter Apelkanaal, im
Grunde alles die selbe Wasserstrasse, welche bloss immer den Namen der
Gemeinde annimmt, durch deren Gebiet sie gerade verläuft. Danach folgt der Haren-Rütenbrock Kanal, der
hauptsächlich auf deutschem Gebiet liegt und darum auch durch deutsches Personal bedient wird.
Wie sein Name sagt, führt er direkt zur
deutschen Stadt Haren.
Das einzige Problem war, dass auch der deutsche Kanal ausserhalb der
Saison nur
am Mittwoch und Donnerstag bedient wird. Wollten wir also nicht
nochmals eine Woche
warten, mussten wir spätestens am Donnerstag-Mittag in diesen Kanal einfahren.
Der Fahrplan schien zu klappen und alles lief wie am Schnürchen, bis am Mittwochmittag die Brückenwärter uns
unvermittelt verliessen,
mit der kurzen Mitteilung, dass sie am nächsten Tag wieder kommen
würden. Unsere Bedenken, dass so die Zeit für eine termingerechte Ankunft an
der deutschen Grenze knapp würde, war ihnen so ziemlich egal und sie gingen nach Hause. Ein
früher Feierabend!
Eine
neue Mannschaft übernahm unseren kleinen Konvoi am nächsten Tag und,
da es flott weiter ging, vergassen wir rasch unsere Sorgen. Den etwas
unfreundlichen Mann, der uns bei der Einfahrt in der Gemeinde
Stadskanaal ungeniert aufs Schiff gespuckt hatte, hätten wir allerdings
ernster nehmen sollen. Denn bald danach war wieder Mittag und damit Zeit für
die
Essenspause unserer Begleiter. Dagegen war nichts einzuwenden und die Weiterfahrt wurde auf 13 Uhr vereinbart.
Wie waren wir aber erstaunt, als um 12.50 Uhr die Brückenwärter mit dem
kleinen deutschen Schiff, das etwas weiter vorne angelegt hatte, weiterfuhren und uns alleine im Kanal
zurückliessen. Dabei hätten wir spätestens in einer Stunde in den deutschen
Kanal einfahren sollen, wie wir es mit den Verantwortlichen vereinbart
hatten. Am Funk war niemand zu erreichen, am Telefon gab niemand Antwort.
Unsere Begeisterung hielt sich in engen Grenzen und wir begannen am guten
Verlauf dieser Etappe zu zweifeln. Dank ständigem Versuchen erreichten wir
doch noch den Chef dieses Kanalabschnitts und er schickte uns zwei andere
Begleiter. Am Schluss hat er sich gar für das Verhalten seiner
Untergebenen entschuldigt.
Trotzdem waren Umgebung und Aussichten im Ter Apelkanaal schön und
erlebnisreich, liessen uns den Frust fast vergessen.
Mit einer Verspätung von gegen drei Stunden erreichten wir schliesslich die deutsche
Grenze und Holland verabschiedete sich mit einem freundlichen
'Tot Ziens'.
Doch damit war die Geschichte noch nicht zu Ende. Wir hatten mit unserer
späten Ankunft die Beamten auf dem hiesigen Kanalabschnitt zu einem
verspäteten
Feierabend und zu Überstunden verbrummt, was nicht gerade zu ihrer
guten Laune beitrug. Der Kanal selber ist nicht sehr breit und weist
flach abfallende Ufer auf, die mit kantigen Steinbrocken befestigt sind.
Darum hielten wir unsere Reisegeschwindigkeit eher niedrig und das Schiff
sorgfältig in der Mitte. Auch
damit lösten wir wenig Begeisterung aus. Das Beste hatte das Schicksal aber für
den Schluss aufbewahrt. Bei der letzten Schleuse vor Haren legte sich
unser Schiff gegen Ende der Schleusung plötzlich schräg. Ziemlich
erschrocken kontrollierten wir die Leinen, denn das Aufhängen des Schiffes
an den Festmachseilen während dem Runterschleusen ist eine jener Todsünden, die einem Binnenschiffer
nie passieren dürfen. Viele schwere Unfälle ereigneten sich deswegen. Der Alarmknopf war natürlich unerreichbar auf der
anderen Seite und so konnten wir den Schleusenwärter, der etwa sechs
Kilometer weiter bei der Schleuse in Haren sass, nur per Telefon erreichen.
Er musste die Schleuse erneut fluten, bis unser Schiff wieder flott wurde.
Während dieser Zeit konnten wir feststellen, dass am Fuss der
Schleusenwand offenbar ein Betonsockel angebracht war, der etwa 30 cm in
den Schleusenraum vorstand. An diesem Sockel ist unser Schiff beim
ablaufenden Wasser hängen geblieben. Da nirgends eine Warnung angebracht und
der Sockel im trüben Wasser nicht sichtbar war, konnten wir davon nichts
wissen. Eine potentiell sehr gefährliche Einrichtung! Erstaunlich war
nur, dass unsere diesbezügliche Meldung beim Schleusenwärter auf keinerlei
Interesse stiess! Er hatte schlicht genug gearbeitet und wollte
offensichtlich nur noch nach Hause.
In Haren hatten wir uns mit Johann Schepers
verabredet, einem ehemaligen Berufsschiffer, der einer
alten Schifferfamilie aus Haren angehört und deshalb mit den lokalen
Verhältnissen auf beste vertraut ist. Er hatte uns einen Liegeplatz im
neuen Jachthafen freigehalten, unsere Ankunft aufmerksam verfolgt und
versorgte uns umgehend mit wertvollen Informationen. Schiffe sind halt
immer noch sein Leben.
Beim grossen Markt
am Wochenende erfreute er grosse und kleine Kinder mit seiner Lok
'Emma', die ein kleines Bähnchen zog, das seine Gäste durch die Innenstadt von Haren
chauffierte.
Einen etwas speziellen Nachbarn hatten wir für einen Tag im Jachthafen.
Was es nicht alles gibt! (Wenn ein kleiner Motor nicht reicht, nehmen
wir halt zwei.)
Die Fahrt von Haren nach Leer, unserem Winterplatz,
erfolgte die Ems hinunter und erforderte etwas mehr
Aufmerksamkeit. Die Ems mündet bei Emden in die Nordsee und ist damit
den wechselnden Gezeiten unterworfen. Das bringt es mit sich, dass ein
solcher Fluss bei Ebbe ab einem bestimmten Ort zu wenig Wasser führt,
während bei Flut das Wasser mit einer unerwartet starken Strömung
bergwärts fliesst. Damit die Schiffe weiter oben trotzdem stets genügend Wassertiefe vorfinden, wird
dort das Wasser durch eine Gezeitenschleuse zurückgehalten. Hier übernimmt
die Schleuse Herbrum diese Aufgabe. Zunächst fuhren
wir durch die Schleuse Düthe im Oberlauf der Ems und
danach
bestätigte der Wegweiser, dass wir uns auf dem richtigen Weg befanden.
Links: das Einlaufen in die Schleuse Herbrum und rechts: beim Auslaufen die Aussicht auf
die wartenden Schiffe, die soeben mit dem auflaufendem Wasser bergwärts
gefahren waren.
Komfortabel fuhren wir mit dem ablaufendem Wasser talwärts in Richtung unseres
Winterliegeplatzes Leer. Die Stadt liegt aber etwas
stromaufwärts an der
Leda, einem kleinen Nebenfluss der Ems. Natürlich war
auch hier zu dieser Zeit das Wasser ablaufend, was für uns während der
letzten zwei Kilometer eine Bergfahrt in kräftiger Gegenströmung
bedeutete. Wir kamen darum nur noch mühsam vorwärts, was uns nach der langen
Tagesreise ganz besonders belastete. So waren wir zufrieden, als wir
nach über acht Stunden die Stadtschleuse Leer erreichten und bei der Einfahrt in den
Touristenhafen waren wir gar überglücklich, durch unsere Freunde Annette
und René empfangen zu werden. Die beiden waren während
vieler Jahre ebenfalls mit einem umgebauten holländischen Frachtschiff,
der Saudade,
unterwegs (siehe November 2012) und wohnen nun schon einige Jahre direkt am Sporthafen von Leer
und sind so immer noch direkt mit der Binnenschifffahrt verbunden. Jetzt
winkten sie uns zum Willkommen aus ihren Fenstern. Schiffe rosten, die Liebe zu ihnen offensichtlich nicht.
Der Sporthafen in Leer bietet sehr vielen Schiffen Platz und so fanden wir
rasch einen komfortablen Liegeplatz und wurden vom Hafenmeister freundlich
willkommen geheissen.
Während der folgenden Tage fand der grosse Gallimarkt statt, der
hier zu den
wichtigsten Anlässen während des Jahres gehört. Leider war das Wetter der
Festgemeinde gar nicht gut gesinnt, denn fast pausenloser Regen und
ungemütliche Temperaturen dämpften die
Festfreude empfindlich. Unser Beitrag beschränkte sich darum auf zwei ganz
kurze Visiten. Etwas besser erging es der Schiffsparade am
Donnerstagabend, die wir bequem von unserem Schiff aus miterlebten.
Dabei ist die Stadt selber ganz gemütlich, ist reich an stimmungsvollen Winkeln
und viele kleine Details überraschen den aufmerksamen Besucher.
Gerne hätten wir die vielen Sitzgelegenheiten, Eisdielen und Strassencafés
häufiger benutzt, doch das Wetter war dann oft nicht ganz entsprechend.
Schliesslich wurde es ja auch schon bald November.
> Monat Oktober '15:
-25 h 45' Motorzeit
- 19 Schleusen - 77 bewegliche Brücken
- 128 km
An dieser Stelle werden wir unsere Mizar einwintern und wir selber werden für
einige Zeit etwas Abwechslung vom Schleusenschifferleben suchen. Das
können wir sorglos tun, liegt doch unser Schiff direkt im Blickfeld von
mehreren Freunden, die ein ganz besonderes Auge für Schiffe haben. Ein
gutes Gefühl!
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Jahrestotal 2015:
-109 h Motorzeit
- 35 Schleusen - 167 bewegliche Brücken
- 569 km
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