Juli 2015 

  

Während unserem Aufenthalt in Lemmer kündigte sich endlich der Sommer an. Die Wetterprognose versprach für die nächsten Tage, was wir uns für diese Jahreszeit eigentlich vorgestellt hatten. Wir fuhren also in bester Laune los, Richtung NE und legten im Tjeukemeer an einem gut gepflegten Steg an, der durch die Einrichtung der Marrekrite unterhalten und betrieben wird. Unter dieser Bezeichnung hatten die Region Friesland und die dazugehörenden Gemeinden ein dichtes Netz von Fahrrouten und Anlegestellen geschaffen. Dieses wird seither von Freizeitkapitänen gerne und intensiv benutzt. Dazu zählen, nebst sämtlichen Holländern natürlich, auch unzählige Touristen aus den verschiedensten Ländern, die mit ihren grossen und starken Mietjachten unbekümmert erste Fahr-Erfahrungen sammeln. Da hier für das Steuern von Booten bis 15 m Länge keinerlei Ausbildung erforderlich ist, braucht das natürlich seine Zeit und verhilft zu spannenden Erlebnissen. Die Liegeplätze werden unentgeltlich angeboten, dürfen aber während maximal drei Tagen nacheinander benutzt werden. Durch diese Einschränkung und die Tatsache, dass fast alle Plätze auf dem Landweg gar nicht erreichbar sind, ist dafür gesorgt, dass die schönsten von ihnen nicht immer durch die selben Schiffe belegt werden. Schliesslich muss ja jeder einmal zum Einkaufen gehen oder braucht Nachschub an Strom oder Wasser. Zusätzlich finanziell unterstützt wird das qualitativ sehr hochstehende System durch den Verkauf von Wimpeln, die durch unzählige Freiwillige vertrieben werden, welche bei der selben Gelegenheit auch für den guten Zustand der Liegeplätze besorgt sind. Jeder Bootsbesitzer liebt von Natur aus Wimpel aller Art und kann mit diesem hier gleich noch, hoch oben am Mast, allen kundtun, dass er gar nicht knauserig ist. Und es funktioniert!

Wir hatten also bei der Marchjepôlle (einer künstlichen Insel) festgemacht und lernten gleich am ersten Tag die Wasserpfadi näher kennen. Im letzten Monat konnten wir in Alkmaar, nachdem wir dort an einem ihrer Mutterschiffe angelegt hatten, vorerst ihre Aktivitäten im Heimathafen miterleben.
Hier, und bei verschiedenen Gelegenheiten während unserer Weiterreise, begegneten wir mehreren Gruppen, wo immer mit einem Mutterschiff das umfangreiche notwendige Material herbeigeschafft wurde,  ...

  

... während die Kleinen und Kleinsten - Knaben und Mädchen - gespannt auf ihre Erlebnisse während der kommenden Tage warteten.

Selbst bei nicht immer einfachen Bedingungen unterrichteten motivierte Leiter die künftigen Schiffer im Umgang mit Tauen, Ruder, Pinne und Segel. Wenn manchmal das Bild stark an eine Entenmutter erinnerte, die ihre Jungen ins harte Leben begleitet, ist das kein Zufall.
Während wir diesem Treiben zuschauten, nutzten wir jede Gelegenheit, vorausgesetzt, das Wetter war schön genug und der Platz geeignet, griffen zu Pinsel und Farbroller und besserten die Schönheitsflecken aus, die sich während des letzten Winters da und dort auf unserer Mizar breitgemacht hatten. Bei dieser Gelegenheit verarbeiteten wir auch erfolgreich etwas von dem feinen Sand, der auf der Insel reichlich vorhanden war,  zu Antirutschbelag für unsere Gangways.
Um der Marrekritenregel gerecht zu werden, wechselten wir nach drei Tagen zur zweiten Insel auf dem Tjeukemeer, der Tsjûkepôlle. Und weil es so schön und regelkonform war, kehrten wir nach drei weiteren Tagen an den ersten Platz zurück.

     

Dann war der angekündigte Sommer aber vorerst wieder zu Ende. Wir erlebten bei der Weiterfahrt bei stürmischem Wind und starkem Regen fast so etwas wie Hochseegefühl, was immerhin auch so eine Art 'Hochgefühl' ist.

  

Nach einem Aufenthalt im Jachthafen 'De Meerkoet' in Echtenerbrug fanden wir bei der Driewegsluis erneut einen schönen Platz, der uns für drei weitere Tage Heimat bot. Dieser Platz gehört nicht zu den Marrekriten und verlangt darum eine Gebühr pro Meter Schiffslänge und Nacht. Dafür darf man immerhin während dieser Zeit die Taue um zwei Pfosten schlagen. Wir nutzten auch das Angebot des nahegelegenen Restaurants und liessen uns wieder einmal etwas bedienen. Per Velo fuhren wir zum Einkaufsladen in Oldemarkt, wo wir unsere arg gebeutelten Reserven wieder auffüllten.
Leider war die riesige und ebenso üppig blühende Brombeerenhecke, die den ganzen Platz säumte, zwar äusserst schön anzuschauen, aber noch weit davon entfernt, uns mit frischen Beeren zu verwöhnen.

  

Bei Ossenzijl fuhren wir in den Nationalpark De Weerribben ein. Ein riesiges Gebiet, das früher vom Torfabbau gelebt hatte und damit, wohl unbewusst, die Landschaft in einer Art verändert hatte, die sie heute schützenswert macht. Ein Besucherzentrum macht auf die Besonderheiten der Geschichte und der Nutzung dieser Gegend aufmerksam, während der Park selbst den Besucher mit seinen fast endlosen Wasserwegen durch eine oft recht einsame, aber mit Fauna und Flora reich gesegnete Landschaft führt.

Mitten im Park liegt die Siedlung Kalenberg, wo, wer es sich leisten kann, in verträumten Häusern, mit Reetdach natürlich, in einer traumhaften Umgebung leben kann. Der Wasserweg, der durch die Siedlung führt, ist schmal und kurvig. Unser Schiff dürfte kaum mehr viel grösser sein, will man damit hier durchfahren. Schon so sind die Kurven, zumal bei Gegenverkehr, gelegentlich recht anspruchsvoll.

     

Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit hinter Kalenberg legten wir  an, pumpten unser Kajak auf und machten uns damit auf eine Rundfahrt durch eine Landschaft, wovon Vergleichbares in unserer Heimat höchstens noch in kleinen Restbeständen vorhanden ist.
Damit unsere Kräfte für die lange Fahrt sicher ausreichten, füllten wir eine Thermoskanne mit Kaffee und packten den Kuchen ein, der uns normalerweise verregnete Stunden zu versüssen hilft.

     

Blutweiderich, Teichrosen, Seerosen, Rohrkolben, Krebsscheren, Laichkraut, Pfeilkraut, Igelkolben ...

     

Als Weerribben werden die ursprünglichen Hochmoorsockel bezeichnet, welche beim Torfabbau ausgespart worden waren und auf denen die Torfziegel zum Trocknen aufgeschichtet wurden. Durch den Torfabbau ging der grösste Teil des ursprünglichen Hochmoors verloren und machte einem ausgedehnten Flachmoor Platz, das heute vom dichten Netz der Wasserwege durchzogen ist.
An einzelnen Stellen wird heute noch Schilf geschnitten, dass dann für die wunderschönen Reetdächer verwendet wird. Ein altes Handwerk, das offensichtlich auch heute noch einen goldenen Boden hat.

  

Die Weiterfahrt durch Wetering liegt ausserhalb des Nationalparks und führt durch eine ebenso ansprechende Umgebung, ist aber verkehrstechnisch viel besser erschlossen. Dies alles zieht eine noch etwas finanzkräftigere Klientel an, was sich augenfällig in deren angemessenen Wohnform zeigt.

  

Im Giethoornse Meer bogen wir nach Westen ab und erreichten nach einer halben Stunde das Städtchen Blokzijl.
Ein grosser Hafen, mitten im Städtchen gelegen, bot uns allerdings keinen geeigneten Platz, denn das Wochenende stand vor der Tür und so waren viele Schiffe unterwegs. Darum legten wir an einer ruhigen Stelle, 100 Meter ausserhalb der Stadtmauer, an.

Im Städtchen konzentriert sich das Leben um die Schleuse herum, wo mehrere Restaurants um den besten Platz und um die meisten Gäste wetteifern. Wer die Wahl hat, hat die Qual.
Eine berührende Geschichte rankt sich um ein besseres (und teures) Restaurant  'Kaatije bij de Sluis', das im Namen seiner Gründerin gedenkt, die, durch die gefahrvolle Seefahrt ihres jungen Geliebten beraubt wurde. Sie widmete danach ihre ganze Liebe und Lebenskraft einer gepflegten und fremdländischen Küche. Dafür machte sie gekonnt von den vielen exotischen Gewürzen Gebrauch, welche holländische Schiffe aus fernen Landen nach Hause brachten. Das fand offensichtlich bei ihren Gästen Anklang. Ihr Unglück gipfelte darin, dass sie damit zu beachtlichem Wohlstand gekommen ist, was einem Taugenichts genügte, sie zu berauben und dabei umzubringen. Als wäre damit der Tragik nicht bereits genug, kehrte kurz darauf der verschollene Verlobte nach langer Irrfahrt auf der Suche nach seiner Jugendliebe zurück.
Neben dem Restaurant sorgt eine kleine Statue, dass die Geschichte nicht vergessen geht.

Es spricht für die Attraktivität der Gegend, dass die Fahrwege stark benutzt werden und die Anlegestellen immer gut besetzt sind. Dichter Verkehr auf den Fahrstrassen auch hier. Leider scheinen aber die Holländer alles, was sie in der Wasserpfadi einst gelernt hatten, mit zunehmendem Alter rasch zu vergessen. Warum sollten sie sonst mit zuverlässiger Regelmässigkeit ihr Schiff immer genau in der Mitte eines freien Steges anlegen und damit jedem Nachkommenden das Anlegen verunmöglichen?

  

Die immer wieder schönen Ausblicke halfen aber locker über solche, manchmal etwas ernüchternde, Erlebnisse hinweg.
Ganz besonders hilfreich war aber die Rückkehr des Sommerwetters gegen Ende des Monats!

In der Aremberger-Gracht benutzten wir noch einmal die Gelegenheit für einen Ausflug mit unserem Kajak und fuhren dabei kreuz und quer durch den südlichen Teil des Nationalparks De Wieden.
Hier ging der der Sommer aber schon wieder zu Ende. Heftige Regenschauer und Wind mit einer mittleren Stärke, wie sie hier seit Jahren nicht mehr gemessen worden war, schüttelten uns kräftig durch. Dass die ungewöhnlich starken Winde in Holland, Folge einer Kette von Tiefdruckgebieten, die über der Nordsee nach Osten zogen, noch am selben Tag sogar  im Wetterbericht am Schweizer Radio spezielle Erwähnung fanden, das bestätigte unser Erlebnis zusätzlich.
Auf der Suche nach einem geschützteren Platz fuhren wir weiter durch die Arembergersluis. Mit einer Durchfahrtsbreite von 4,45 m und einer Durchfahrtshöhe, die uns beim aktuellen Wasserstand noch gerade 10 cm Luft unter der Brücke liess, bildete sie das letzte Nadelöhr, auf unserer Fahrt durch eine ganz besondere Landschaft. Wir gelangten damit ins Swarte Water, einen Fluss etwa in der Art der Aare bei Koblenz. Auf ihm fuhren wir weiter bis Hasselt. Beim Eingang zur Stadt, gleich nach der grossen Brücke, fanden wir einen geschützten Platz. Darum machten wir hier fest und verbrachten ein paar Tage sicher vertäut an einem schweren Steg. Wir besuchten die kleine Hansestadt, die aber, nach allem, was wir schon gesehen hatten, nicht in der ersten Liga spielt.

  

Nach drei Tagen reisten wir mit dem Bus nach Zwolle. Gemäss unseren Unterlagen schien es hier schwierig, einen geeigneten Platz für unser Schiff zu finden. Dies zu überprüfen, fuhren wir dorthin, nur um einen Hafenmeister zu finden, der die Stirn in tiefe Runzeln legte, als wir ihn mit unserem Anliegen konfrontierten. Etwas betrüblich ist es schon, dass es in einer Stadt dieser Grösse kaum eine Anlegemöglichkeit für ein Schiff länger als 15 m gibt. Die Stadt selber, wesentlich grösser als Hasselt, und ebenso eine alte und bedeutende Hansestadt, gefiel uns deutlich besser. Wir fanden, es gäbe hier mehr zu sehen, als an einem Tag möglich ist. Wir haben uns darum entschieden, unser Schiff liegen zu lassen, wo es gerade war und in den nächsten Tagen erneut per Bus nach Zwolle zu reisen.
Wir hofften dabei, Petrus möge endlich Einsicht zeigen und den Sommer bald wieder aufleben lassen.
Das wird leider dem umgestürzten Baum mitten in der Stadt, der dem letzten Sturm zum Opfer gefallen war, aber auch nicht mehr helfen.

        

Doch wir hatten vergeblich auf den himmlischen Wettermacher vertraut. Stürmische Winde und heftige Regenschauer blieben uns während der letzten Tage des Monats treu. Die Temperaturen waren zumeist pulloverbedürftig und nur kurze sonnige Aufhellungen brachten zwischendurch etwas Erholung.

Dieser Monat schenkte uns kaum wirklich spektakuläre Erlebnisse, dafür unzählige erfüllende Momente. Er ist ein eindrückliches Beispiel für die Sonnenseiten des Lebens auf dem Schiff, wo die Zeit langsamer geht und der besondere Reiz darin liegt, unterwegs zu Hause zu sein. Ein Gefühl, das man erst einmal erfahren muss! Wir haben uns insgesamt nur sehr wenig fortbewegt, blieben oft mehrere Tage am selben Ort und erlebten so etwas wie gewöhnlichen Alltag. Der Lebensrhythmus war gemächlich und die tägliche Planung folgte, ohne viel Zutun, dem Gesetz von Angebot und Nachfrage.

Reizigers sijn wij in deze wereld, geen bewoners 
(Erasmus)

Monat Juli '15:
-10 h 45' Motorzeit
- 4 Schleusen
- 10 bewegliche Brücken
- 63 km

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