Juni 2015 |
Nachdem die Ersatzteile aus England endlich eingetroffen waren, erwies sich die
Pumpe selber als recht eigenwillig. Hartnäckig widerstand sie allen
unseren Versuchen, sie weiter in ihre Einzelteile zu zerlegen. Im
Wissen um die Schwierigkeiten, sollten wir allenfalls weitere Teile in
England bestellen müssen, gingen wir natürlich recht vorsichtig ans Werk.
Am Ende unserer Weisheit angekommen, wendeten wir uns auf Anraten des
Besitzers des Pizzaschiffes an einen in der Nähe wohnenden Holländer.
Dieser hatte vor vielen Jahren selber ein historisches Frachtschiff
umgebaut, das ebenfalls mit einem alten Motor ausgerüstet gewesen war.
Gekonnt und mit dem notwendigen Fingerspitzengefühl überlistete er das
englische Pumpwerk innert Sekunden. Hansruedi musste auf einer zweiten
Demonstration bestehen, bis auch er den Dreh raus hatte. Da in der Zwischenzeit auch das Liferaft für die Vertigo eingetroffen war (siehe Bericht vom Vormonat), erlebte der Hafen von Nauerna gleich zwei Schiffsbesatzungen, die sich miteinander auf ihre neue Reise begaben. Mochten ihre Ziele auch noch so verschieden sein und buchstäblich Welten auseinander liegen, die Gefühle waren für beide Teams fast identisch. Beide hatten eine ganze Reihe von Problemen zu lösen gehabt und waren nun glücklich, endlich wieder unterwegs zu sein. Ein letztes Winken für den Havenmeester und die zurückbleibenden Nachbarn und wir wendeten unsere Blicke nach vorn, wo wir unter der Hebebrücke hindurch in den Noordzeekanaal einliefen. Nach der Brücke verabschiedeten wir uns auch von Alejandro und Coco, worauf diese nach Steuerbord und wir nach Backbord abdrehten. Unmittelbar danach begegneten sich erneut zwei ganz verschiedene Schiffswelten. Das AIDA-Kreuzfahrtschiff, das uns schon früher, beim Warten an der Fähre, beeindruckt hatte, überholte uns nun locker Backbord und hunderte von Passagieren schauten aus den verschiedensten Stockwerken auf uns herunter. Beide Seiten versuchten sich vorzustellen, wie es da drüben wohl so zu- und hergeht. Für beide ganz gewiss ein aussichtsloses Unterfangen, denn wie will man sich etwas vorstellen, von dem man keine blasse Ahnung hat?
Beim ZijkanaaI G bogen wir nach Norden ab Richtung Zaandam,
wo wir direkt vor einem Einkaufszentrum anlegen konnten. Dort
mussten wir unsere Vorräte ergänzen, wenn wir in den
kommenden Tagen gut leben wollten. Wir meinten, wir hätten es
verdient. Wir fanden einen grossen Busparkplatz mit zahlreichten Autocars, denen unzählige Touristen aus aller Welt entstiegen. Das Museum, ein etwas verunglückter Ballenberg, ist eine Ansammlung von mehreren, teilweise sehr schönen Häusern und sechs funktionierenden, grossen Windmühlen.
Während die Mühlen so tun, als würden sie gerade Getreide, Öl, Gewürze
oder Farbpigmente mahlen, sind sie - genau wie alle anderen Häuser - angefüllt
mit etwas gar kitschigen Souvenirläden (made in China) oder überteuerten
Antiquitätengeschäften. Im Garten des 'de Hoop op de Swarte Walvis' leisteten wir uns ein gutes Mittagessen und fuhren dann beruhigt und zufrieden mit dem Velo zum Schiff zurück. Quer durch das Alkmaarder Meer (man bedenke, dass die Holländer einen See Meer nennen, während unser Meer konsequenterweise Zee heisst!) und durch den Nordholländischen Kanal fuhren wir weiter nach Alkmaar. Einmal mehr konnten wir hier praktisch im Stadtzentrum anlegen und blieben darum eine ganze Woche dort. Wir hatten längsseits am Schiff der Wasserpfadi festgemacht und erlebten so hautnah, mit welcher Energie und wie früh hier der Jugend das Schiffsvirus eingeimpft wird. Die Stadt ist, wie viele andere, eine Brutstätte der holländischen 'Gezelligheid' und darum angefüllt mit einer Vielzahl von Strassencafés, die bestimmt mehr Bier verkaufen als Kaffee, und mehreren Gelaterias. Eine davon hat, im Bestreben, möglichst alle Kunden zu erreichen, eine Glocke samt Menuekarte an der Kanalwand angebracht, mit deren Hilfe die Schiffe direkt vom Wasser aus das Personal rufen und so das erfrischende Eis bestellen können. An einem Abend wurden wir Zeuge der Aufzeichnung einer Fernsehsendung, die sehr an den Musikantenstadel erinnerte und ... ... so der hiesigen singenden Cervelatprominenz ausgiebig Gelegenheit gab, sich dem Publikum zu präsentieren. Dieses wiederum bedankte sich mit ausgelassenem Winken, Schunkeln und Mitsingen. Im Park, der an der Stelle der alten Stadtmauer entstanden ist, steht eine der typischen Windmühlen. Hier jedoch liegt, entlang des Wegrandes, eine Speiche des Windrades. Wir waren platt ob den Dimensionen und des Gewichtes dieses Teils. Nie hätten wir uns das so gross und derart schwer vorgestellt. Auch das Bild vermag lediglich einen matten Eindruck davon zu geben. Der Höhepunkt der Woche ist jeweils der Käsemarkt am Freitag. In einer Mischung aus echtem Markt und inszenierter Touristenattraktion wird das Prüfen, Wägen, Verkaufen und Abtransportieren der hier gelben Käselaibe zelebriert. Mit etwas gutem Willen kann man sich sehr gut vorstellen, wie das vor der Handy-Zeit ausgesehen haben mag.
Die Grote Kerk ist eine mächtige Basilika mit einer
wunderbaren Holzdecke und einem furchterregenden Deckengemälde des
Jüngsten Gerichtes an der Chordecke. Beide aus dem frühen 15. Jahrhundert.
Pracht und Angst, wie sie bis heute den Ton angeben. Nach einer erlebnisreichen Woche fuhren wir durch den Kanaal Omval-Kolhorn weiter nordwärts, denn wir wollten ja nach Friesland. Nach einer Übernachtung bei Kolhorn fuhren wir durch die Westfriese Sluis in die Westfriesche Vaart ein. Bisher hatten die Schleusen in Holland zumeist Höhenunterschiede von weniger als einem Meter überwunden und so wurden wir durch den beeindruckenden Hub dieser Schleuse von 4.5 m überrascht und sehr an Frankreich erinnert.
Am Ende der Westfriesischen Fahrt liegt das Städtchen Medemblik
und hält den Hafen zum Ijsselmeer. Die Ausfahrt auf das Ijsselmeer war ein besonderes Erlebnis, stellte es doch für uns die bislang grösste offene Wasserfläche dar, die wir mit unserem eigenen Schiff befahren haben. Entsprechend vorsichtig wählten wir einen Tag mit günstigem Wetter, denn wir beurteilten weder Schiff noch Besatzung als wirklich sturmtauglich. Die Überfahrt war ruhig und ereignislos, aber trotzdem eindrücklich. In Stavoren erreichten wir wohlbehalten die friesische Küste. Damit waren wir endlich in Friesland angelangt und hatten so, mit einiger Verspätung zwar, das erste Ziel dieser Saison erreicht.
Wir fanden eine beeindruckende Landschaft vor, die zu fast gleichen Teilen
aus Wasser und Land besteht.
Nach ein paar Tagen fuhren wir weiter nach Woudsend, was
nichts anderes als 'Waldrand' bedeutet, obschon wir beim besten Willen
nirgends Wald ausmachen konnten. So lernten wir auch vierbeinige Holländer kennen, die uns viel Spannendes zu erzählen hatten.
Nach drei Tagen ging es weiter über das Slotermeer nach Sloten,
der kleinsten Stadt Frieslands. Diese Stadt, an der Kreuzung eines Kanals
von Nord nach Süd und einer Strasse von West nach Ost gelegen, wurde im
Grundriss als
Quadrat angelegt, so, dass die beiden Verkehrs-Achsen mit seinen Diagonalen
zusammenfallen. Um das Ganze herum wurde eine wehrhafte Stadtmauer
gebaut, die für das kleine Städtchen fast ein bisschen übertrieben wirkt.
Die Ausfahrt aus Sloten zeigt, dass die Stadtmauern mit gutem Grund um ein heimeliges Städtchen erbaut worden waren.
Am Ende der letzten Etappe des Monats lag die Stadt Lemmer,
die, wie Stavoren, Ort unserer ersten Begegnung mit Friesland, ebenfalls an der
Küste zum Ijsselmeer liegt. Hier wurden wir auf eindrückliche Weise mit
der lebenswichtigen Aufgabe des holländischen Volkes konfrontiert, sich
ohne Unterlass und mit grossem Aufwand dem Erhalt ihrer Lebensgrundlage zu
widmen. Genau das ist die Aufgabe des Pumpwerks Wouda, das nach seinem Erbauer benannt worden war und heute zum UNESCO-Weltkulturerbe gezählt wird. Und es tut das so effizient, dass es ein Olympia-Schwimmbecken (50x25x2 m) in 35 Sekunden leer pumpen könnte! Bis 1967 wurde mit Schiffen Steinkohle zum Einheizen der Öfen bis vor die Tore gebracht, dann wurde das Werk auf die Beheizung mit Schweröl umgestellt. Da das Pumpwerk in Stavoren bedeutend leistungsfähiger ist, wird das Wouda-Werk nur noch bei Bedarf zugeschaltet Es braucht 8 Stunden Vorheizzeit, bis genügend Dampfdruck für die drei Dampfmaschinen bereitsteht, von denen dann jede wiederum zwei Pumpen antreibt. Trotzdem werden die schweren Maschinen liebevoll gepflegt, dass sie stets wie neu aussehen. Die Belegschaft wird zwei Mal im Jahr für alle möglichen Notfälle trainiert. Wie wir es uns schon fast gewohnt sind, werden auch in Lemmer viele Leute durch das Wasser magisch angezogen. Nicht nur ist die Stadt Heimathafen unzähliger Schiffe der verschiedensten Formen und Grössen, sie verlockt auch entlang ihrer Kanäle scharenweise Touristen und Einheimische zum Genuss der vielfältigen Produkte aus Küche und Keller. Die Freude, mit der alle Leute dabei als Zuschauer und Sachverständige den Betrieb auf dem Wasser verfolgen, ist wohl die tiefere Lebenskraft solcher Städte.
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