Juni 2025    

Zwei Tage waren wir am etwas abgelegenen Steg nördlich von Mescherin geblieben, der unmittelbar bei der ehemaligen Zollstelle zur Polnischen Grenze liegt. Dabei haben wir die Ruhe und die Natur um uns herum genossen. Allerdings warteten wir vergeblich auf die Kraniche, die offenbar einen anderen Plan hatten als wir.
Dann fuhren wir auf der Westoder weiter, über polnisches Gebiet, ohne Halt bis Stettin (Szczecin).

   

Je mehr wir uns der Stadt näherten, desto mehr fiel uns die rege Bautätigkeit auf, die das Gesicht der Stadt seit unserem letzten Besuch vor neun Jahen grundlegend verändert hat.

   

Der Stadt-Hafen war uns bekannt und darum hatten wir bei der Reservation um den selben Platz gebeten, an dem wir schon bei unserem ersten Besuch im Jahr 2016 gelegen hatten (siehe August 2016). Wir waren überrascht, dass wir für diese Reservation auf einen Screenshot von einem Bild zurückgreifen konnten, das Google Maps offensichtlich während unserem Aufenthalt im September 2016 gemacht hatte. Darauf ist unsere Mizar zu sehen, ganz allein am ersten Steg, auf der rechten Seite der Einfahrt zum Hafen (Bildmitte). Es hat uns gefreut, dass dieser Eintrag bei Google Bestand hatte bis heute.

Als wir allerdings zum Hafen kamen, fanden wir den reservierten Platz belegt durch einen grossen Trimaran und wir mussten zunächst an einer Ausweichstelle festmachen. Nach einer Rückfrage im Hafenbüro sowie einem kleinen Umweg wurde uns auf der anderen Seite des Hafens ein Platz angeboten, der für uns sehr komfortabel war.

Gegen Abend wurde die Aussicht fast theaterreif!
Wo vor neun Jahren zwei alte Hafenkräne einen beschäftigungslosen Ruhestand fristeten, herrschte jetzt jeden Abend eifriges Kommen und Gehen, dank dem eine ganze Reihe Imbissbuden offenbar gut leben kann. Daneben steht ein Riesenrad, das nach der Abenddämmerung in allen Farben leuchtet und mit dem neuen, ebenfalls beleuchteten, auffälligen Schifffahrtsmuseum (Maritime Science Center) um die Wette funkelt.

   

Natürlich mussten wir bei der ersten Gelegenheit unsere Erinnerungen an die Innenstadt auffrischen. Unsere Entscheidung, das mit dem Velo zu versuchen, erwies sich als fast abenteuerliches Unterfangen. Die Verkehrssituation in der Stadt ist extrem auf regen Autoverkehr ausgelegt. Dicht befahrene, vierspurige Verkehrswege mit entsprechenden Kreuzungen erfordern alle Aufmerksamkeit.

   

Selbstverständlich gehörte auch diesmal der Besuch im Restaurant pasztecik dazu. Dort werden immer noch die in Sowjet-Zeiten beliebten Paszteciki angeboten und, genau wie damals, im originalen Ofen frittiert. Wie sich leicht in unserem Beitrag vom August 2016 überprüfen lässt, bestehen die einzigen sichtbaren Änderungen seit damals auf der Menü-Liste, auf der lediglich die Preise sich seit damals mehr als verdoppelt haben! Alles andere entsprach einer perfekten Reise zurück in der Zeit.

   

Ein ausgedehnter Besuch galt dem Platz der Solidarität (Plac Solidarności), wo das Museum Centrum Dialogu Przelomy (Dialogzentrum der Umbrüche) architektonisch gekonnt in den Untergrund verlegt worden ist, damit der Platz, auf dem während des Aufstandes von 1970 16 Personen ums Leben gekommen waren (aus dem nahegelegenen Polizeikommando erschossen), für künftige Generationen eine würdige Gedenkstätte bleibe. Die Statue des Freiheitsengels erinnert ganz direkt an diese denkwürdigen Ereignisse. Etwas schräge Gefühle weckte in uns allerdings die Tatsache, dass ausgerechnet an diesem Tag der in einer Stichwahl knapp neu gewählte Staatspräsident eine restaurative, rechtsgerichtete Politik ankündigte. Dabei waren zuvor die Hoffnungen gross und ein anderes Ergebnis wäre für Europa so wichtig gewesen.
Aus der Geschichte lässt sich offensichtlich gar nichts lernen.

   

Nach zehn Tagen machten wir startklar und fuhren dann auf der Oder weiter zu Tal. Ein Blick zurück auf die Stadt, die uns während diesen Tagen mit zu starkem Wind die Wartezeit verkürzt und uns dabei einen interessanten und ruhigen Aufenthalt geboten hat. Starker Wind ist nicht das, was wir auf grossen, offenen Wasserflächen gerne haben. Zu empfindlich reagiert unser Kanalschiff auf Wind und hohen Seegang. Schon bald wurde die Umgebung sichtbar professioneller und technischer. Die Schiffe deutlich grösser. Klare Vorboten des näher kommenden Meeres. Auch die Wasserstrasse wurde nach und nach breiter.
Die nächste Nacht verbrachten wir in Trzebiez.

   

Am Tag darauf fuhren wir ins Stettiner Haff ein.
Wir waren froh, dass uns das Wetter sehr gut gesinnt war und genossen das Gefühl, tatsächlich 'Zur See zu fahren'. Immerhin gut 20 km offenes Wasser lagen vor uns. Ein kleine Herausforderung für Schleusenschiffer (so heisst schliesslich unser Verein!)

Unser Ziel war der Hafen von Swinoujscie.
Dass wir bis zum Schluss auf dem richtigen Weg geblieben sind, zeigten die Einfahrtsbojen zum Kanal Piastowski (Kaiserfahrt). Wie wir etwas weiter unten sehen werden, hat der deutsche Name eine besondere Bedeutung. Von dort ging es weiter über die Seewasserstrasse Swine, zwischen den beiden Inseln, Usedom im Westen und Wollin im Osten, hindurch, in Richtung unseres Tagesziels.

 

Trotz der vielen beeindruckenden grossen Schiffe fanden schlussendlich auch wir unseren Liegeplatz am Rande des Jachthafens von Swinoujscie (Swinemünde).

Auf diesem Standort brauchten wir uns nur umzudrehen und dann standen wir vor dem Fort Engelsburg (Fort Aniola), einer Festung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, die ihren Namen der Ähnlichkeit mit der päpstlichen Burg in Rom verdankt. Das Fort steht für die wechselhafte Geschichte der Stadt, die mal von den Preussen, dann den Deutschen und schliesslich den Sowjets regiert worden ist. Erst ab Oktober 1945 wurde die Stadt durch die russischen Besatzer unter die Verwaltung Polens gestellt.

Die Stadt Swinemünde ist um 1750 vom 'Alten Fritz' (siehe auch Mai 2025) gegründet worden. Er hat den von seinem Vater gegründeteen Hafen weiter ausgebaut und seetüchtig gemacht, um gegen Zölle des Schwedischen Königs anzugehen, der damals mit Wolgast den westlichen Teil der Insel Usedom besetzt hatte. Damit wurde die Gegend attraktiv für die Bevölkerung und das hält bis heute an.
(Bei dieser Gelegenheit haben wir uns die Biografie von Friedrich II angeschaut, die durchaus lesenswert ist. Sie hilft einen über die Enttäuschung hinweg, nicht als Königskind mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden zu sein.)

Von unserem Standort brachte uns eine kurze Fahrt mit dem Velo durch den Kurpark an den Strand. Eine riesige, gepflegte Parkanlage mit viel Wald, Spazierwegen und Sitzbänken. Leicht vorstellbar, wie die Welt ausgesehen hatte, als vorwiegend die vermögenden Schichten hier die Zeit mit Kuren, Baden und elegantem, stilgerechtem Promenieren verbrachten.
Heute hat eine durchorganisierte Ferien-Industrie die ganze Gegend übernommen und stellt sie den Normalsterblichen zur Verfügung. Jetzt allerdings aufgepeppt und 'verschönert' mit modernen Hotels, unzähligen Ladengeschäften, Restaurants und Bars.

An diesem Strand machten wir Bilder, die wir gerade so gut in Italien hätten schiessen können, passten uns aber, dank dem schönen Wetter, schnell der Umgebung an.

 

Fährt man heute, so wie es viele andere offensichtlich auch tun, der Küste der Ostsee entlang gegen Westen, kommt man zunächst zur Deutsch-Polnischen Grenze und wenig später nach Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin, den drei als Kaiserbäder bekannten Ferienorten. Von da an wurde allerdings eine Tages-Kurtaxe von € 3,30 fällig, die man an verschiedenen Automaten lösen konnte. Selbstverständlich traut man der Ehrlichkeit der Besucher nicht wirklich, denn zur gebührenden Kontrolle waren mehrere Beamte unterwegs.

   

Sie verfügen alle über einen breiten, sandigen Küstenstreifen und sämtliche weiteren Einrichtungen, die Feriengäste eben so schätzen. Zum ersten Mal haben wir erlebt, dass man am Strand in die Ferne sehen und gleichzeitig fernsehen kann.

 

Vom Geschäft profitieren unzählige stilgerechte Hotels und luxuriöse Ferienwohnungen und -häuser, die teilweise die goldenen Zeiten noch selber erlebt haben. Dabei ist der Kontrast zur polnischen Seite augenfällig. Obschon der Sommer gerade erst angefangen hatte, waren die Gäste schon sehr zahlreich da und noch viel mehr werden kommen, wenn das Wasser und die Tage zuverlässig warm sein werden.

 

 

Aber auch die Hafenanlage von Swinemünde haben wir uns etwas genauer angesehen und sind dazu auf der Mole zur Hafeneinfahrt hinausgewandert. Die weit ins Meer hinausragenden Molen waren nötig, um der jahreszeitlichen Versandung des Hafens bei starkem Wind und hohem Wellengang zu begegnen.

   

An einem Abend reagierte ein Passant beim Vorbeigehen an unserem Liegeplatz deutlich mehr auf die Schweizer-Flagge am Schiff und nicht so offensichtlich auf unsere wohl eher ungewöhnlichen Blumenkisten, wie es sonst so üblich ist. Schon ein kurzes Gespräch ergab, dass Heinz (so sein Name) aus der selben Stadt in der Schweiz stammt wie Hansruedi und die beiden fanden rasch gemeinsame Bekannte und tauschten Erfahrungen und Erinnerungen aus der Heimatstadt. Einmal mehr brachte der Zufall zwei zusammen, die mehr als nur den Dialekt gemeinsam hatten.

Auf der Ostseite der Hafeneinfahrt war uns gleich zu Beginn der grosse Leuchtturm aufgefallen. Der Leuchtturm von Swinemünde ist mit rund 70m Höhe der höchste an der westpommerschen Bucht. Weil wir kaum je eine Turmbesteigung auslassen, wenn sie irgendwie möglich ist, war diese hier eine Pflicht. Die Fahrt mit dem Velo dahin wäre aber nicht einfach, weil der offizielle Fahr- und Wanderweg mit einem Fahrverbot gesegnet ist! Darum haben wir uns ein Schiffsbillett gekauft und sind mit der Adler Baltica zu ihm hingefahren.

Die Fahrt war kurz, dafür die Aussichten von der Turmterrasse umso beeindruckender.

Etwas über 300 Treppenstufen führen hinauf zur Terrasse.

   

Sicht zum Hafen, wo die Mizar liegt .....  Sicht zur Mole, die wir am Tag zuvor besucht hatten.

   

Auf dem selben Grundstück liegt Fort Gerhard, eine der beiden Festungen, die im Westen und im Osten der Hafeneinfahrt erstellt worden waren. Die Anlagen lassen sich besuchen. Auch wenn sie nicht besonders gepflegt sind, ein paar nette Details offerieren sie schon.
Natürlich beginnt alles mit einem Verbot.

  

Die Plattformen für die Geschütze sind noch original, die Geschütze eher weniger.

 

       

Das dazugehörende Museum bietet ein Sammelsurium an Einzelstücken.

   

Als die Wetterprognose zwei Tage ohne allzu starken Wind versprach, machten wir uns am längsten Tag des Jahres erneut auf die Reise und fuhren zunächst auf der Swine südwärts und dann weiter durch die Kaiserfahrt zurück ins Stettiner Haff.
Verabschiedet wurden wir von einem kräftigen Seeadler, der unsere Reise offenbar verfolgte.

Kurz danach waren wir wieder auf dem offenen Wasser unterwegs nach Ueckermünde. Wir hatten bei unserer letzten Fahrt dorhin einige Erfahrungen gesammelt (siehe August 2016) und hatten uns diesmal etwas vorbereitet. Die Probleme mit den überall in langer Linie aufgestellten Fischernetzen hatten wir im entsprechende Bericht festgehalten und wegen der Empfindlichkeit der Mizar auf zu starke Dünung haben wir bewusst einen ruhigen Tag abgewartet. Es ist nicht verboten, im Laufe des Lebens klüger zu werden.

 

Entsprechend ist alles gut verlaufen und wir haben nach rund fünf Stunden Fahrt an unserem Liegeplatz nahe beim Stadtzentrum festgemacht.

Weil das Wetter weiterhin gut war und wir die Stadt von unserem letzten Besuch noch recht gut in Erinnerung hatten, sind wir bereits am nächsten Tag weitergefahren, diesmal nach Anklam.

Wieder steuerten wir auf dieser Fahrt um verschiedene Fischernetzgruppen herum, aber bald sahen wir in der Ferne die Ruine der ehemaligen Hubbrücke Karnin, hinter der wir in die Peene ein-  und von da an flussaufwärts Richtung Anklam weiterfuhren.

 

Dieser Weg verlief durch eine schier endlos scheinende Ebene aus Schilf. Ganz bestimmt ein Paradies für Insekten und Wasservögel.

   

Kurz vor der Stadt stoppt eine Eisenbahnbrücke den Schiffsverkehr und erfordert etwas Geduld, bis sie das nächste Mal für zwanzig Minuten gehoben wird.

Doch nur eine kurze Strecke dahinter erreichten wir, der Stadt gleich gegenüber, eine bequeme Anlegestelle, die mit einem Camperparkplatz gemeinsam das Flussufer der Peene nutzt. Nach einer langen Reise von wiederum etwa fünf Stunden genossen wir den Abend bei stimmungsvoller Beleuchtung.

  

Bei unserem letzten Besuch im August 2016 (siehe dort) waren wir mit besonderem Interesse den Spuren der Gebrüder Lilienthal gefolgt, die sich durch ihre jahrelange Arbeit hier in Anklam grösste Verdienste in der Geschichte der Fliegerei erworben hatten. Waren Otto und Gustav doch die ersten, die durch sorgfältige Versuche nachgewiesen hatten, dass fliegen auch nach dem Prinzip 'schwerer als Luft' grundsätzlich möglich ist. Damit haben sie den Weg geöffnet für all das, was wir heute unter Luftverkehr verstehen. In der Nikolai-Kirche besuchten wir damals eine sehenswerte Ausstellung ihrer Flugapparate, welche die Sammlung des nahegelegenen Lilienthal-Museums ganz nahtlos ergänzte.
Die Hansestadt Anklam hatte damals, im Wissen um die Bedeutung der beiden Pioniere für den Ruf der Stadt, verkündet, dass die Kirche während der nächsten fünf Jahre neu eingerichtet würde und versprochen, insbesondere den Turm wieder auf seine ursprüngliche Höhe von über 100 Meter aufzustocken. Im Vertrauen auf dieses Versprechen sind wir nun, nach neun (!) Jahren, voller Erwartungen in die Stadt gegangen und mussten dort ernüchtert feststellen, dass zwar neben der Kirche eine Baustelle offen ist und sich die Kirche hinter Baugerüsten versteckt. Die Kirche selber ist für das Publikum geschlossen. Der Turm aber, der ist noch genau so hoch wie zuvor.  Es scheint eine deutsche Krankheit sein, dass eine Baustelle eben eine Baustelle bleibt.

Nach drei Tagen fuhren wir weiter die Peene aufwärts durch eine fast unbewohnte, wunderschöne Gegend. Diese ist geprägt durch riesige, ehemalige Torfabbaugebiete, die grösstenteils vor rund 200 Jahren angelegt worden waren. Das Torfstechen wurde jedoch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach und nach aufgegeben. Darauf folgte eine Zeit der intensiven Nutzung als Weide- und Ackerland mit allen negativen Folgen für die Natur. Seit der Wende ist man bemüht, das eutrophierte Land zu renaturisieren. Damit wurde es zu einem der grössten Niedermoorgebiete Mittel- und Westeuropas und auch Teil des Europäischen Projekts Natura 2000.
Kein Wunder also, dass die Peene oft als 'Amazonas des Nordens' bezeichnet wird, der zahlreichen seltenen Vogel- und Pflanzenarten wertvollen Lebensraum bietet.

 

Unser erstes Ziel war Jarmen und nach zwei Tagen Aufenthalt fuhren wir weiter nach Loitz.
Wiederum genossen wir die Fahrt durch scheinbar unberührte Landschaft.

   

Sporthafen von Loitz

Schon ein kurzer Spaziergang durch das Städtchen zeigte uns seinen versteckten Charme und offenbarte, trotz der noch gut sichtbaren Spuren seiner DDR-Vergangenheit, eine unerwartete Fröhlichkeit. Viele gekonnte Farbkunstwerke an den oft bröckelnden Fassaden kämpfen genau so erfolgreich gegen Tristesse, wie einige gut erhaltene Häuser aus noch älterer Vergangenheit gegen die Hoffnungslosigkeit. Mindestens so attraktiv wäre für den interessierten Besucher bestimmt auch die Umgebung dieses kleinen Städtchens in Mecklenburg-Vorpommern inmitten eines riesigen Naturschutzgebietes.

 

 

 

Monat Juni 2025:
- 28h 20'
- 228 km

- 1 Brücke

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