Mai 2019

Der Wonnemonat fing in etwa so an, wie der April aufgehört hatte. Das Wetter war trüb und kühl, vorwiegend unfreundlich. Dabei hätte uns ab und zu etwas Sonne so gut getan. Wir warteten nämlich immer noch darauf, dass die Behörden auf das Gesuch um die Neuzulassung unseres Schiffes reagieren würden. Längst hatten wir alle die kleinen Arbeiten erledigt, die es dafür noch gebraucht hatte und sie dem Experten mit einem Fotobeleg zugeschickt, damit er sich von unserer Arbeit ein Bild machen konnte. Doch dieser reagierte erst zwei mails und mehr als zwei Wochen später. Und dann kam die Bestätigung erst noch mit der falschen Schiffsnummer und einer komplett falschen Adresse. Dass wir so mit seiner Arbeit nicht wirklich zufrieden sein konnten, das hat er als echter Franzose nicht auf sich sitzen lassen können. Bei einer zufälligen Begegnung etwas später hat er uns dann auch nur äusserst schnippisch begrüsst und ungeheure Arbeitsüberlastung vorgeschürzt. Dabei sollte er als selbstständiger Unternehmer darob zufrieden sein, verdient er doch mit jeder Expertise ein ganz schönes Stück Geld. Und der Staat vermittelt ihm zuverlässig Kunden. Es ist daher kaum anzunehmen, dass er von uns noch einmal einen Auftrag erhalten wird.

Am 8. Mai feiert Frankreich das Ende des 2. Weltkrieges. In jeder grösseren Gemeinde wird der Gefallenen aus der näheren Umgebung gedacht. Vertreter der Armee, der Feuerwehr und der Polizei geben sich dazu, meist durch eine Fanfarengruppe verstärkt, ein kurzes Stelldichein vor dem Denkmal für die Kriegsopfer. Hier sprach auch die Bürgermeisterin der Stadt ein paar patriotische Sätze, die zwar fast vollständig im Regen untergingen. Trotzdem blieben uns ein paar Worte ganz klar im Kopf hängen: Honneur, Patrie und Fidélité. Dies, weil sie alle mehrfach vorkamen. Irgendwie muss die Geschichte jener Zeit im Rückblick doch einiges enthalten, was dringend immer wieder zugedeckt werden muss. Würde sonst doch die Grande Nation kaum so makellos glänzen wie die Helme der Feuerwehr. Unsere kleine Gruppe von zumeist ausländischen Bootsleuten aus dem Hafen wurde am Schluss aber noch persönlich willkommen geheissen und die Verbundenheit mit einem Händedruck bestätigt. Wir empfanden das als ehrliche Anerkennung dafür, dass wir trotz des Regens gekommen waren.

Am nächsten Samstag stand das jährliche Rally auf dem Programm, das seit Jahren durch die Confrérie des Avalants Navieurs organisiert wird.

Wir konnten nicht teilnehmen, weil unser Schiff ja noch immer ohne Fahrbewilligung im Hafen lag. Unsere Freunde Daphne und Pat (siehe Oktober 2018) haben uns aber auf ihre Vr. Alberta Gesina eingeladen. Für sie war es ein geeigneter Anlass für die Jungfernfahrt mit ihrem Schiff und wir konnten als Übersetzer bei den oft recht kniffligen Fragen gute Dienste leisten. Diese waren, weil vorwiegend an Einheimische gerichtet, oft erst mit recht fantasievollen Gedankenspielen überhaupt zu verstehen. Aber nur mit der richtigen Lösung des Rätsels war das Ziel der nächsten Teilstrecke jeweils zu erraten.

Während im Innendienst an den Aufgaben gerätselt wurde, bestand Pat, der als ehemaliger Berufsfischer mit weit grösseren Schiffen während Jahren auf dem Meer unterwegs gewesen war, seine Feuertaufe in den viel beengenderen Verhältnissen der Binnenschifferei. So waren alle etwa gleich gefordert.

  

Damit der Spass nicht zu kurz kam, wurde durch Geschicklichkeitsspiele an den verschiedenen Staionen nebst dem Kopf auch der Körper gefordert.

Mit all diesen Aufgaben ging der Tag rasch vorbei und es gelang uns nur mit viel Glück, unmittelbar vor Meldeschluss unsere Papiere abzugeben.

     

Anlässlich der Preisverteilung am Abend hat es uns natürlich gefreut, dass wir von allen ausländischen Schiffen das beste Resultet erreicht hatten, während der Sieg an die Besatzung des Rundfahrtschiffes Vagabondo (siehe April 2019) ging, die allerdings mit ihren etwa dreissig einheimischen Passagieren über ein schier unerschöpfliches Wissensreservoir verfügte. Le Petit Louis verkündete als Präsident der Confrérie den Teilnehmern die mit Spannung erwarteten Ergebnisse ihrer Bemühungen.

  

Wir waren zufrieden und ...

 

... unsere amerikanischen Freunde verbrachten als verdienten Lohn ihre erste Nacht auf ihrem Schiff ausserhalb des Gare d'Eau. In schönster Aussichtslage am Quai National! Welch ein Erlebnis!

Dieser Aufsteller war auch wirklich notwendig, denn am folgenden Montag musste die Vr. Alberta Gesina ins Trockendock.

  

Die letzten Kontrollen an diesem Schiff waren vor vielen Jahren vorgenommen worden und so waren die neuen Besitzer natürlich darauf gespannt, was die nächsten Tage ihnen bringen würden.

  

Noch nie hatten sie eines ihrer Schiffe im Trockendock gesehen.
Damit waren Überraschungen garantiert. Einige Enttäuschungen und etwas Ärger waren natürlich unvermeidlich.

Das Ergebnis der Überprüfung durch den Experten brachte dann auch wirklich Schäden zu Tage, die gerichtet werden mussten. Bei einem Schiff mit Baujahr 1887 eigentlich gar nicht so erstaunlich. Manches hatten die Besitzer so nicht erwartet und das gab dann verständlicherweise Anlass für einiges Bauchgrimmen. Das Korrigieren einiger Schwachstellen am Rumpf und der Einbau einer neuen Welle waren die wichtigsten Anforderungen des Experten. Zum Glück konnte dank glücklicher Umstände der Aufenthalt im Trockendock um eine Woche verlängert werden. Damit wurde ein erneutes Einwassern und ein zweiter späterer Besuch im Dock vermieden. Alle Arbeiten konnten so bei schönstem Wetter in Ruhe erledigt werden. Einmal mehr hat sich gezeigt, dass das Atélier Fluvial auch bei ungeplanten Situationen schnell reagiert und dann fachgerechte, einwandfreie Arbeit liefert. Den zuvor aufgestauten Stress konnten Daphne und Pat während dieser Zeit derart gut abbauen, dass sie ab sofort wieder mit Freude in die Zukunft schauen konnten.

  

Beim Wechsel der Schiffe musste die 40-Meter Freycinet l'Artiste von ihren Sockeln auf der hinteren Seite des Docks gehoben werden (hinten im Bild rechts), bevor sie aus dem Dock gezogen werden konnte. Das machte wieder einmal das ganz spezielle Verfahren notwendig, wie es wohl weitherum allein hier zu sehen ist. Damit das Schiff aufschwimmen kann, musste mehr Wasser in das Dock geflutet werden, als der normale Wasserspiegel hergibt. Doch Franzosen sind nie um eine elegante Lösung verlegen und so wird seit jeher das zusätzliche Wasser mit Hilfe eines Schiffs ins Dock gepresst, welches extra zu diesem Zweck mit dem Heck vor dem Tor festgebunden wird. Mit Vollgas erzeugt seine Schraube dann eine beieindruckende Stosswelle, die einen Schwall Wasser über das Tor ins Becken spült. Ein Schauspiel, das immer wieder Zuschauer in seinen Bann zieht und so vielen 'Sachverständigen' eine willkommene Gelegenheit zum Fachsimpeln bietet.
Diesmal war allerdings derart viel zusätzliches Wasser nötig, dass die ganze Umgebung und ein Teil der Werkhalle mehr als genug davon abbekamen.

  

Mitte des Monats hatten wir den Bericht bekommen, dass unsere beiden Beamten aus Lyon am 4. Juni ihren Besuch bei uns geplant hätten. Immerhin bekamen wir damit die Bestätigung, dass unser Anliegen nicht vergessen gegangen und tatsächlich irgendwo unterwegs ist. Auf der Rückseite des Antragsformulars ist jedoch Platz vorgesehen für drei allfällige weitere Besuche. Wir hatten uns jedoch mit Geduld gewappnet und warteten weiterhin gelassen auf die Dinge, die da kommen würden.

Die letzten Mai Tage brachten uns noch recht unerwarteten, aber dafür umso gefreuteren Besuch. Lili, eine Studienkollegin von Matz während ihrer Zeit an der PHZH, kam, zusammen mit ihrem Mann Roger, bei uns vorbei. Sie brachten ihre beiden Söhne Lenny und Fynn mit. Zusammen mit dem lebendigen Team haben wir am Quai National mit einem kleinen Mittagessen dieses Treffen gefeiert. Danach, während die beiden Sähne etwas Schlaf nachholten, nutzten die drei Lehrer*innen auf unserem Schiff ausreichend die Gelegenheit, die vielfältigen Probleme zu diskutieren, wie sie heute an allen Schulen auf Grund der veränderten gesellschaftlichen Strukturen, sowie der neuen technischen und digitalen Entwicklung, zunehmend auftreten. Ein lebhaftes Gespräch, während dem den verantwortlichen Behörden eigentlich hätten die Ohren läuten müssen.

Kaum waren diese Gäste gegangen, legten Dominique und Fredy mit ihrer Kabeljauw neben uns an. Wir waren ihnen schon früher mal begegnet, konnten aber erst heute in Ruhe unsere Erfahrungen während der letzten Schifferjahre besprechen. Der Zufall wollte es, dass auch diese beiden ehemalige Lehrer sind und darum war es natürlich überhaupt kein Zufall, dass wir unsere Diskussion über die zunehmenden Probleme an den Schulen fast nahtlos weiterführen konnten. Entsprechend ihrer Lebensphase konnten sie es sich aber leisten, diese Fragen etwas gelassener zu betrachten. Manchmal hat das Älterwerden eben auch seine Vorteile.

 

Auf etwas, was uns in den letzten Jahren bei verschiedenen Gelegenheiten begegnet ist und in den letzten Monaten durch weitere Beispiele erneut bestätigt wurde, möchten wir hier unsere Leser ganz besonders hinweisen:

Der Kauf eines Wohn-Schiffes ist offensichtlich eine nicht ganz einfache Angelegenheit. Das Schiff ist nicht im gleichen Mass alltäglicher Bestandteil unseres Lebens, wie es etwa ein Auto ist. Mit dem Auto haben wir selber, unsere Freunde und Verwandten vielfältige Erfahrung. Das trifft in der Regel für ein (Wohn-) Schiff nicht zu. Entsprechend sind vor dem Kauf eines Autos die Ansprüche meistens besser und recht konkret definiert. Wünsche bewegen sich in überschaubarem Rahmen. Obschon der finanzielle Aufwand für ein Auto in der Regel geringer ist als jener beim Schiff, bereiten sich die meisten Leute auf einen Autokauf sachlicher vor. Sie kaufen dem Autohändler, insbesondere wenn dieser vom Verkauf von Occasionen lebt, ganz wort-wörtlich nicht alles ab. Sie hinterfragen und überprüfen seine Aussagen, denn sie wissen ja, dass die Vertrauenswürdigkeit dieser Leute längst sprichwörtlich geworden ist. Und schlussendlich hat jeder ja auch schon mindestens einmal ein Auto gekauft. Schiffs-Verkäufer sind nicht anders gestrickt und haben auch keinerlei Hemmungen. Darum ist hier mindestens die selbe Vorsicht angebracht, ganz besonders, weil zumeist auch etwas mehr Geld auf dem Spiel steht.
Der Kauf eines Schiffes ist eher eine einmalige Erfahrung und verläuft daher anders. Oft ist es ein Erlebnis in den Ferien, ein Beitrag im Fernsehen oder ein Artikel in einer Zeitung, was den Keim gesetzt hat für den Wunsch, selber einmal auf einem Schiff zu wohnen und gleichzeitig damit in der Gegend umher reisen zu können. Die Vorteile stechen in die Augen und scheinen offensichtlich. Vom Aufwand erzählt jedoch kaum einer und schon ist die Infektion mit einem hartnäckigen Virus perfekt. Ein Schiff transportiert für uns Landwesen eben immer auch Träume und Illusionen. Und diese folgen nicht immer der reinen Vernunft. Darum sind die Risiken beim Kauf nicht augenfällig und die Nebenwirkungen kaum bekannt. Über beide schauen wir gerne hinweg, beide können aber beachtlich sein.
(Ein Gespräch mit dem Arzt oder dem Apotheker wird genau aus diesem Grund bei Medikamenten immer empfohlen.)
 Soweit so gut, und wir wünschen jeder und jedem viel Glück. Das erträumte Ziel rechtfertigt tatsächlich auch einen beachtlichen Aufwand. Davor liegt aber eine wichtige Zeit, die es bewusst wahrzunehmen gilt. Die Zeit, falsche Hemmungen abzulegen und mit möglichst vielen Leuten Erfahrungen, Überlegungen und Fragen auszutauschen und damit die eigene Leistungsfähigkeit ehrlich abzuschätzen. Es gibt sie, diese Leute, die fast alle möglichen Erfahrungen bereits gemacht haben, gute und schlechte. Mit alten Schiffen, genau wie mit Neubauten. Mit grösseren und auch etwas weniger grossen. Man muss darum zuerst herausfinden, wonach einem der Sinn steht. Wissen, was man will und was man dazu braucht. Kompromisse werden ohnehin in jedem Fall notwendig sein. Es gibt aber keinen Grund, die selben Fehler immer wieder zu wiederholen. Klarheit vor dem endgültigen Entschluss ist echt Gold wert und entscheidet über Erfolg oder Misserfolg. Nichtwissen und Illusionen verursachen dagegen einen langen Leidensweg, der viel Geld und wertvolle Lebenszeit kostet. Schade, denn die meisten von uns haben ohnehin (zu) viel Zeit bereits mit arbeiten aufgebraucht.
So treibt man das Glück erfolgreich vor sich her!

Warum beschreiben wir das hier ?

Wir haben in den letzten 10 Jahren eigene Erfahrungen gesammelt. Beobachtet, was sich bewährt und was nicht. Wir haben Irrtümer begangen und Fehler gemacht. Oft aber auch einfach Glück gehabt. Wir haben so 10 fantastische Jahre verbracht, die wir nicht missen möchten. Wie so zahlreiche andere Wassernomaden auch, die auf ähnliche Weise unterwegs sind wie wir. Wir haben regelmässig über unsere Erlebnisse berichtet, weil wir andere daran teilhaben lassen wollten. Wir haben nichts beschönigt. Trotzdem zeigen unsere Fotos im Rückblick wahrscheinlich zu viel blauen Himmel und zuviel Sonnenschein. Ab und zu waren die Erfahrungen ja auch eher trübe.

Manchmal haben wir Leute getroffen, die fleissig die Berichte verschiedenster Schiffe gelesen haben. Ab und zu auch unsere. Irgend einmal ist bei einigen dann der Wunsch gewachsen, all das auch zu erleben und sie haben sich auf einen langen Weg gemacht. Nicht alle sind damit wirklich glücklich geworden, denn die Gefahr, sich zu übernehmen oder den notwendigen Aufwand zu unterschätzen, ist reell. Ein Schiff ist bei weitem nicht reine Freiheit und eine Woche auf dem Schiff hat genau gleich viele Werktage wie jede andere. Das Leben auf dem Wasser bringt immer viel Arbeit mit sich und ständig kommen neue Aufgaben dazu. In der Regel weit mehr, als man sich am Anfang vorgestellt hatte. Eine lange Liste, die man darum am besten aufschreibt und von oben her abarbeitet. Neues wird unten angefügt und später erledigt. Das braucht gelegentlich etwas Geduld, denn die Liste wird niemals leer. Bei einem alten Schiff ist sie selbstverständlich länger als bei einem neuen, aber man weiss hier wenigstens warum. Für ein grösseres gelten strengere gesetzliche Vorschriften als für kleinere. Diese machen alles etwas komplizierter. Daher darf die erforderliche Arbeit nicht unterschätzt und auch nicht wirklich als Arbeit empfunden werden. Sie gehört einfach mit dazu, muss am Ende Teil der Freude sein.
(Wir denken, dass der Besitzer eines schönen Gartens das unmittelbar verstehen kann, sofern er ihn selber pflegt. Denn, wer arbeiten im Garten als Arbeit empfindet, der kauft gescheiter eine Attikawohnung.)

Wir wollen hier keine Anleitung geben und niemanden abschrecken. Aber wir möchten, dass alle, die mit dem Gedanken an ein Wohnschiff schwanger gehen, ganz egal, ob dieses gross oder klein, historisch oder ein Neubau sei, sich rechtzeitig umschauen und sich nicht scheuen, andere zu fragen. Das hilft, die eigenen Bedürfnisse abzuklären und sie von Träumen abzugrenzen.
Es gibt übrigens in allen Ländern auch Verbände und Vereine, deren Mitglieder sich genau diesem Erfahrungsaustausch widmen.

Es lohnt sich, denn es steht viel Freude und Lebensqualität auf dem Spiel!

 

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