April 2018

Der April hat mit dem Osterfest angefangen. Dieses Jahr zugegebenermassen ein ziemlich früher Termin für das Frühlingsfest. Aber dass die Natur dabei noch so weit hinter ihrem Plan zurückbleibt, das war doch schon ganz aussergewöhnlich. Richtiges Winterwetter mit Regen und Schnee hatte uns hier in Brandenburg empfangen. Von Frühling keine Spur. Dennoch will Ostern gefeiert werden. Der Glaube an den Osterhasen aus der frühen Kindheit und sein Nest, vor allem aber wohl die Schweizer Schokolade darin, haben bleibende Spuren hinterlassen. Doch selbst eine besonders ausgiebige Suche nach Kräutern, die zum bemalen der Ostereier hätten herhalten sollen, blieb heuer ohne jedes Ergebnis. Kein Blatt, kein Blümlein und kein Gräslein weit und breit! Zum Glück gab's im Kühlschrank noch Nüsseler (Feldsalat) und Ruccola.  Damit liessen sich die Ostereier auch ganz ansehnlich verzieren und einem würdigen Fest in kleinem Rahmen stand nichts mehr im Wege.

Für erste Einkäufe und für Arbeiten auf dem Schiff, die immer wieder dies und das verlangen, hatten wir für ein paar Tage noch ein Auto gemietet. Das nutzten wir beim ersten Sonnenstrahl spontan für einen Ausflug in die nahe Umgebung. Wir folgten dabei der Havel flussabwärts, weil wir diese Strecke mit dem Schiff nicht machen konnten, wegen der geplanten langen Reise nach Frankreich. Bei Havelberg mündet der Fluss, den wir im letzten Jahr an seiner Quelle besucht (siehe August 17) und danach beinahe in seiner ganzen Länge befahren hatten, in die Elbe. Das Städtchen wäre eigentlich sehr schön, fast pittoresk, zum grössten Teil auf einer Insel gelegen, wirkt aber in beängstigender Weise leer und leblos. Die Mehrheit aller Ladengeschäfte war am Nachmittag eines normalen Werktages geschlossen und ein etwas herunter gekommener Dönerladen wäre die einzige Stelle gewesen, wo man einen Kaffee hätte bekommen können. Wir haben uns sagen lassen, dass die ganze gewerbliche Stadtflucht zu allererst einem neuen, grossen Einkaufszentrum zu verdanken sein, welches die Verdienstmöglichkeiten in der Stadt fast vollständig abgezügelt hatte. Dabei waren die Fassaden der Häuser - ganz sicher mit kräftiger EU-Hilfe - sorgfältig renoviert und wirkten sehr gepflegt. Nur können die Leute offenbar alleine davon nicht leben und ziehen weg. Ein weiteres Beispiel, dass der Wohlstand in den alten Ostländern noch nicht überall angekommen ist. Blühende Zukunft sieht anders aus.

Überragt wird das Städtchen von seiner Kathedrale, die 1170 eingeweiht, an der Stelle einer ehemaligen Burganlage aus dem 10. Jahrhundert erbaut worden ist. Schon um 950 war hier ein erstes Bistum errichtet worden, welches die Christianisierung der zuvor meist slawischen Bevölkerung vorantreiben sollte. Die Kathedrale und die dazugehörende Schule haben eine sehr wechselvolle Geschichte. Da der Alltag während langer Zeit sehr von Unsicherheit geprägt war, erhielt der Dom an seiner Westseite einen mit Schiess-Scharten versehenen befestigten Anbau, der als Wehranlage diente. Nach vorwiegend militärischer Nutzung durch verschiedene Fürsten war im Stiftsgebäude während der DDR Zeit gar eine Textilfabrik untergebracht, die nach der Wende aber rasch schliessen musste..

Im Mittelalter hatte die Stadt, die an mehreren wichtigen Handelsrouten gelegen war, eine beachtliche wirtschaftliche Bedeutung und gehörte seit dem 15 Jahrhundert dem Hansebund an. Heute scheint sie einer besseren Zeit entgegen zu schlafen, nennt sich aber seit ein paar Jahren zuversichtlich wieder Hansestadt.
Immerhin fanden wir direkt neben dem Dom ein gepflegtes Restaurant, das uns auf seiner Terrasse bei guter Aussicht gerne Kaffee und Kuchen servierte. Den gemütlichen Ort zeigt Matz auf dem Relief, welches auch Blinden den Aufbau von Havelberg anschaulich machen soll.

  

Der Besuch im Dom ist lohnenswert, insbesondere der Kreuzgang, auch wenn fürs Fotografieren extra ein Obolus von € 1.50 erhoben wird.

  

Dann kam er doch, der Moment, wo wir unser Schiff von den Leinen befreiten, die es während der Winterstürme brav festgehalten hatten. Wir bewegten uns die Havel hinauf in Richtung des Elbe-Havel-Kanals.
Ein letzter Blick zurück auf den Überwinterungsplatz der Mizar.

Von nun an fuhren wir auf jenen Gewässern, auf denen wir im Frühling 2016 Richtung Berlin gefahren waren, allerdings in umgekehrter Richtung.

Das geschieht eigentlich nicht so ganz freiwillig. Im Oktober dieses Jahres läuft das Europäische Zertifikat für unser Schiff aus und muss erneuert werden. Dieser Vorgang hat uns schon seit einiger Zeit beschäftigt. Wir hatten ja die Mizar (die damals noch einen anderen Namen trug) vor 10 Jahren in Frankreich gekauft, wo sie auch heute noch immatrikuliert ist unter der schönen Nummer LY2020. (In Zürich würde die Autonummer ZH2020 wohl für einen recht ansehnlichen Preis versteigert!). Unser fleissiges Graben in der Geschichte des Schiffes (siehe 'Historisches') brachte dann neue Erkenntnisse zu seiner Vergangenheit zu Tage. Zu jener Zeit schien uns jedoch die Frage der nächsten Zertifizierung in so weiter Ferne, dass sie uns gar nicht erst in den Sinn kam. Wir waren einfach glücklich, als wir endlich unsere erste europäische Zulassung hatten und losfahren konnten. Da unser Schiff aber in Holland gebaut worden war (es hat gerade seinen 92. Geburtstag gefeiert!) haben wir versucht, die neue Zulassung jetzt in Holland zu erhalten und es auf diese Weise sozusagen wieder nach Hause zu bringen. Wir haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, sind aber derart schnell im Gestrüpp der neuen europäischen Vorschriften und alten nationalen Gebräuche hängen geblieben, dass wir einsehen mussten, dass der einfachste Weg jener sei, den festgelegten Spuren zu folgen. Europa ist noch nicht so weit. Wir haben uns darum während des Winters entschlossen, die Prüfung im Sommer 2018 in St.Jean de Losne im Burgund vornehmen zu lassen. Der alte Murphy hat es dann aber so gewollt, dass das einzige Trockendock in der Gegend während der Sommermonate in Revision ist und so erhielten wir einen Termin erst für Anfang Oktober. Darum fahren wir jetzt in einer Saison in etwa den Weg zurück, für den wir bei der Hinfahrt fünf Jahre gebraucht hatten.

Immerhin hat das Ganze den Vorteil, dass wir so Ende Mai an einem Treffen Der DBA (Dutch Barge Association), unserem Verein für grössere Binnenschiffe, in Gent (B) werden teilnehmen können. Es liegt sozusagen am Weg.

Am Ende der Elbe-Havel-Wasserstrasse liegt die Schleuse Hohenwarte. In zwei 190 m langen Kammern werden 19 m Höhenunterschied überwunden. Dank den Schwimmpollern, an denen die Leinen festgemacht werden können und die dann mit dem Schiff hochsteigen, geschieht das allerdings ganz problemlos (siehe Mai 16). Das einzig Trickreiche daran ist, dass man die ganze Zeit 'Zu Tal' fährt (wichtig für die Vortrittsregeln und die Betonnung), obschon man in den Schleusen immer hochgehoben wird.
Wir waren an den Pollern 7 und 8 festgemacht, die gut unterhalten und kräftig geschmiert, auch die schwersten Schiffe während ihrem Aufstieg begleiten.

  

Die Trogbrücke über die Elbe (siehe auch Mai 16) bildet in unserer Fahrtrichtung den Anfang des Mittellandkanals.

Der Mittellandkanal ist eine vielbefahrene Wasserstrasse für Schiffe und Schubverbände bis etwa 130 m. Diese Schiffe fahren für Geld und das wird bei den niedrigen Frachttarifen nicht einfach verdient. Dementsprechend sind sie immer in Eile und es ist angezeigt, diesem Umstand Rechnung zu tragen, will man es nicht mit den Schiffern verderben. Trotzdem ist das Überholt werden durch einem beladenen Kahn, der es eilig hat, nicht immer ganz problemlos. Die grossen Schiffe bewegen sehr viel Wasser im begrenzten Raum des Kanals nach hinten und das kann dann fehlen, wenn man, im Bemühen, dem Überholenden Platz zu machen, etwas zu nahe am Ufer ist. Dort kann es dann leicht zu einer Grundberührung kommen. Auf jeden Fall eine kostspielige Sache. Es fehlt aber auch zwischen den Schiffen, wenn zu knapp überholt wird. Dann werden die beiden Schiffskörper unweigerlich bis zur Kollision gegen einander gezogen. Etwas seltener, aber nicht minder gravierend sind die Probleme, die bei einem Elefantenrennen entstehen können. Bei den geringen Geschwindigkeitsdifferenzen werden die Überholwege sehr lang und darum schlecht abschätzbar. Diese Begegnung hier ist wohl nur darum gut ausgegangen, weil schlussendlich alle drei Beteiligten rechtzeitig mitgeholfen haben.



Die Strecke ist landschaftlich nicht besonders ansprechend und wir hatten uns daher vorgenommen, sie in etwas längeren Teilstücken zügig zu durchfahren. Trotzdem gab es immer wieder einiges zu sehen. So ist offensichtlich der Kanal mit seinen verschiedenen Ausbuchtungen und Stichkanälen richtiges Biberland geworden. Biberburgen, Frassspuren und die entsprechenden 'Hobelspäne', sowie Rutschbahnen ins Wasser findet man allenthalben.
Hier zwei Beispiele, die wir kurz nach Wolfsburg gesichtet hatten. Die Tiere selber sind aber offensichtlich nur nachts unterwegs und lassen sich am Tag nicht blicken.

  

Unser Liegeplatz beim Stichkanal Salzgitter brachte uns eine Première: zum ersten Mal in diesem Jahr machte das Wetter Lust auf ein Nachtessen auf der Terrasse und wir konnten unseren Grill in Betrieb nehmen.

Die Schleuse Anderten vor Hannover hat zwar nur einen Hub von 15 m, aber keine Schwimmpoller. Wir konnten uns leicht vorstellen, dass so mancher Sportschiffer während der Sommerferien hier ins Schwitzen gerät, wenn er, entsprechend dem Schleusenvorgang, ständig seine Leinen umsetzen muss.

Bei recht schönem Frühlingswetter kamen wir gut voran und wunderten uns fast jeden Tag über die Fortschritte, welche die Natur machte. Innert kaum mehr als einer Woche verwandelte sich die bisher kahle Landschaft in eine grünende und blühende.

Wir verbrachten eine Nacht in  Minden, an der selben Stelle, wo wir schon vor zwei Jahren angelegt hatten. Dort verläuft der Mittellandkanal erst über einen Damm und dann mittels zweier parallel geführten Kanalbrücken über das Wesertal. Mehrere Schleusen leiten jene Schiffe auf die tiefer gelegene Weser um, die nordwärts Richtung Bremen oder in südlicher Richtung fahren wollen (siehe April 16).
Am nächsten Tag schon ging es weiter auf dem Mittellandkanal, an Bad Essen vorbei, vorbei an Bramsche und nach zwei Tagen mit je etwa fünf Stunden Fahrt erreichten wir, gut gelaunt ob des reibungslosen Fortschritts, die Einmündung in den Dortmund-Ems-Kanal. Auf diesem wollten wir nach steuerbord abbiegen und Richtung Nord-West via Meppen nach Haren weiterfahren. Wollten wir ...

Doch auf unsere Anfrage am Funk um eine Passage der Schleuse Bevergern, antwortete unerwartet rasch ein unerwartet freundlicher Herr (beides bei Schleusenwärtern in Deutschland ein eher ungewöhnliches Ereignis), dass seine Schleuse für den Moment geschlossen sei und geschlossen bleibe, bis zum nächsten Freitag um 17.00 Uhr. Das bedeutete für uns eine Wartezeit von ziemlich genau einer Woche. Wir schluckten ein paar Mal leer, denn sein Ausweichvorschlag hätte sogar noch etwas mehr Zeit in Anspruch genommen mit dutzenden Stunden Fahrzeit. Darum gewöhnten wir uns rasch an eine bevorstehende Programmänderung. Im ELWIS (Elektronisches Wasserstrasseninformationssystem) im Internet hätte die Information zwar rechtzeitig zur Verfügung gestanden, sodass wir einen allfälligen Vorwurf einzig an uns selber hätten richten können. Wir hatten allerdings gar nicht an die Möglichkeit einer derart gewichtigen Einschränkung gedacht. Zumindest haben wir den festen Vorsatz gefasst, uns künftig gründlicher zu informieren. "Wer lesen kann, lebt einfacher", bemerkte etwas salopp ein freundlicher Schiffer nach dem Anlegen.

Das Wetter war für den Moment noch recht schön, fast sommerlich warm, und wir hatten ohnehin einige Malerarbeiten im Sinn. Knapp einen Kilometer im Süden fanden wir eine komfortable Liegestelle mit Stromanschluss, wo wir uns unverzüglich einrichteten. Am nächsten Tag zogen wir etwas ältere Kleider an, suchten Schleifpapier und Malerkessel hervor und machten uns an die Arbeit. Ganz nach der Devise: Was sich bewegt auf dem Schiff, das musst du gern haben, was sich nicht bewegt, das musst du anstreichen!

  

Das Wetter erlaubte den Umgang mit Farbe aber nur während zwei Tagen. Danach wurde es wieder April. Kein Schnee, aber reichlich Regen und Wind und nur ganz wenig Sonne. Dafür war es kalt. Wir haben diese Zeit genutzt, uns etwas sportlich zu betätigen. Der Treidelweg war ideal zum Laufen. Dabei musste Hansruedi feststellen, dass der Unfall vom letzten November noch immer seinen Tribut forderte. Der Aufbau von etwas Kondition begann auf enttäuschend tiefem Niveau, aber immerhin zeigten sich doch nach und nach Fortschritte. Eine beruhigende Erfahrung.

Die folgende Strecke strotzt nicht gerade vor geeigneten Liegeplätzen und so haben wir beschlossen, in Anbetracht des Tags der Arbeit, an dem die Schleusen nur eingeschränkt im Betrieb sind, so wegzufahren, dass wir diesen im Hafen von Haren verbringen konnten. Das ergab vor unserem Ablegen eine gute Woche Wartezeit, während der wir ausreichend Gelegenheit hatten, die verschiedenen Frachtschiffe zu betrachten, die den erstaunlich intensiven Frachtverkehr auf dem Dortmund-Ems-Kanal bewältigten. Wir sahen dabei eine beeindruckende Auswahl, vom modernsten Schiff, das bis ins letzte Detail gepflegt war, bis hin zu solchen, wo man sich unwillkürlich fragte, ob diese wohl auch gelegentlich ein neues Zertifikat erwerben müssen.

Während der letzten beiden Tage des Monats befuhren wir den Dortmund-Ems-Kanal ...

... und kamen damit durch 8 Schleusen flüssig bis nach Meppen. Für dieses Mal dürfen wir den Schleusenwärtern (es gab nur Männer!) ein Kompliment machen. Sie waren alle ausnehmend kooperativ, freundlich am Funk und gelegentlich sogar zu einem Spruch aufgelegt. Es schien, als wollten sie, so kurz vor unserer Weiterreise nach Holland, unsere etwas getrübten Erfahrungen in dieser Hinsicht noch etwas aufpolieren. Wir sind lernfähig und wollen diesen Fortschritt in Erinnerung behalten.

Monat April 2018:
- 66 h
- 13 Schleusen
- 443 km


  zurück zur Reisetagebuchseite