Oktober 2016

  

Von nun an machten wir uns auf den Rückweg zu unserem Winterliegeplatz. Wir hatten noch einen ganzen Monat vor uns und damit eine Menge Zeit. In kleinen Abschnitten durchfuhren wir erneut die schöne Landschaft, durch die wir gekommen waren. Tag für Tag zeigte sich diese in zunehmend herbstlichen Farben. Das Wetter war immer noch aussergewöhnlich sonnig und warm. Wie eine Nachspeise genossen wir diese Zeit in kleinen Häppchen.

     

In Schöpfurth hat der ortsansässige Flösserverein einen Flösserplatz nachgebaut, wo er den Besuchern mit Vorführungen und Kursen dieses alte Handwerk wieder nahebringt. Von allem Anfang an war das Flössen von Baumstämmen ein ganz wesentlicher Teil des gesamten Verkehrs auf dem Finowkanal. Bis in die allerhöchsten Kreise war man sich über die grosse Bedeutung dieses Verkehrsweges im Klaren und Ihre Majestät sorgte persönlich mit ausführlichen Weisungen und gewichtigen Reglementen für sein reibungsloses Funktionieren.

  

An der Ruhlsdorfer Schleuse endete unser Abenteuer Finowkanal an jener Stelle, wo es vor genau zwei Monaten angefangen hatte. Auch die Rückfahrt ist ohne jegliches Problem verlaufen. Es war also bei der Hinfahrt nicht einfach nur Glück gewesen!

Die Schleuse Lehnitz brachte uns wieder in die Gegend von Oranienburg zurück. Es reichte während der Schleusung sogar zu einem kleinen Schwatz mit anderen Schweizer Schleusenschiffern, die mit einem gemieteten Schiff unterwegs und vor uns in die Kammer eingefahren waren.
 Von dieser letzten Schleuse aus blieb nur noch ein kurzes Wegstück bis in die Stadt.

Im Schlosshafen Oranienburg hatten wir uns mit einem ehemaligen Fliegerkameraden von Hansruedi verabredet. Durch einen glücklichen Zufall war er auf unsere Website gestossen. Erinnerungen an unvergessliche Erlebnisse aus der gemeinsamen Militärzeit hatten ein halbes Leben überdauert und ihn zur Kontaktnahme veranlasst. Sein Besuch auf der Mizar war darum die logische Konsequenz und sorgte auf beiden Seiten für zufriedene Gesichter. Alte Geschichten wurden ausgiebig aufgefrischt und längst vergangene Zeiten erwachten damit zu neuem Leben. Rasch fühlte Aschi sich auch hinter dem Steuerrad wohl und Matz war offensichtlich zufrieden, die Fahrt einmal vom hinteren Sitz aus geniessen zu können.

  

Aschi fuhr uns bei Regenwetter von Oranienburg über Spandau nach Potsdam, wo sich Petrus endlich eines Besseren besann und uns einen prächtigen Tag schenkte. Wir hatten in der Marina 'am tiefen See' angelegt und besuchten von dort aus die Stadt. Gemeinsam ging es durchs Holländische Viertel und die Russische Kolonie Alexandrowka, wo wir nach touristisch-russischer Manier tafelten, und danach ...

  

... zum Brandenburger Tor, das zwar älter, aber etwas bescheidener ist, als jenes in Berlin.

Vor dem Kaffeehaus an der Ecke genossen wir das Hausgetränk und die wärmenden Sonnenstrahlen, während es die Spatzen sich bei einem ausgiebigen Sandbad wohl sein liessen. Wir nahmen es als Glückszeichen, als einer bei seinem wilden Getue plötzlich ein Ein-Euro-Stück zur Seite schleuderte, für das er offensichtlich keine Verwendung hatte und das seinem unbeschwerten Genuss bloss im Wege stand.

     

Als wir in der Nähe des Jachthafens Potsdam angelegt hatten um unsere Vorräte zu ergänzen, entdeckten die Adleraugen von Matz in der Ferne die Umrisse eines Schiffes, das sie alsbald als die Dagens 2 identifizierte. Natürlich benutzten wir danach die Gelegenheit, mit Bernadette und Heinz unsere Erfahrungen der letzten Monate auszutauschen. Kennern der Szene ist es jedoch klar, dass die Zeit dazu in keinster Weise ausreichte. Da die beiden den Winter in Potsdam verbringen, während wir in Berlin wohnen werden, wurde der zweite Teil der Geschichte natürlich bloss auf etwas später verschoben.

  

Durch den Templinersee, den Zernsee und über die Havel fuhren wir weiter Richtung Brandenburg, wobei die verplauderte Mittagsrast und die Anstrengungen der Schifffahrt bei unserem Gast offensichtlich ihren Tribut forderten.

  

In Brandenburg war uns das Wetter erneut günstig gesinnt und wir erkundeten die Stadt in mehreren Ausflügen.
Natürlich brauchten wir zur Erinnerung auch ein würdiges Abschiedsfoto.

Den Schlussabend verbrachten wir im Schweineschnäuzchen exakt nach den Empfehlungen des Hauses und wir haben es (als kleines Häufchen) nicht bereut.

Am nächsten Morgen fuhr Aschi mit dem fast historischen Tram zum Bahnhof und trat damit seine Rückreise in die Schweiz an.

Tags darauf brachten uns dann drei Stunden geruhsame Fahrt nach Plaue, wo die Mizar den nächsten Winter verbringen wird. Unmittelbar nach der Ankunft bekam unser alter Gardner-Motor seinen verdienten Ölwechsel, den er sich in dieser Saison redlich verdient hatte.

Die nächsten Tage waren kalt und regnerisch und so verbrachten wir die Zeit mit kleineren Arbeiten im Innern des Schiffes, den grössten Teil jedoch mit lesen, Musik hören und - selbstverständlich nur Matz - mit Stricknadel-Akrobatik. Für den Umzug in die Stadtwohnung hatten wir uns rechtzeitig einen Mietwagen besorgt. Weil übers Wochenende dann das Wetter unerwartet wieder sonnig war, machten wir einen kleinen Ausflug quer durch die Heidelandschaft im Nordosten von Brandenburg. Dabei folgten wir über grössere Strecken der Deutschen Alleenstrasse, fanden aber die schönsten Baumbestände etwas links und rechts weg von der Hauptstrasse. Offensichtlich hatten viele der wirklich alten Bäume im Laufe der Zeit den notwendigen Erweiterungen der wichtigsten Verkehrswege weichen müssen.
Dank dem wärmenden Sonnenschein und der goldrichtigen Jahreszeit genossen wir so die prächtigen Bilder der letzten Herbsttage.

In den vergangenen Tagen hatten wir mehrfach die durchziehenden Kraniche bewundert. Dabei waren wir immer wieder erstaunt, dass man ihren charakteristischen Ruf schon weit früher hörte, lange bevor die grossen Schwärme dem Auge aufgefallen wären. Während sie normalerweise in recht strengen Formationen gegen Süden zogen, lösten sie diese sofort auf, wenn immer der Verband eine Zone mit Aufwinden vorfand. Sie nützten diesen dann sogleich für einen bequemen Höhengewinn aus. Beeindruckend war dabei das Geschick der grossen Vögel, wenn sie im Kreisflug, mit geringer Höhenstufung zwischen den Gruppen, mit offensichtlicher Leichtigkeit ihren Weg fanden, ohne auch nur einmal einem anderen Vogel in die Quere zu kommen.

Wir fuhren deshalb weiter nach Linum, dem Mekka der Zugvogelbeobachtung im Havelland. In den Monaten Oktober und November werden in dieser Region gelegentlich bis zu 80'000 Kraniche pro Tag gezählt! Sie nutzen hier die abgeernteten Maisfelder als ergiebige Nahrungsquelle und die vielen flachen Gewässer als sicheren Schlafplatz. Allerdings wird erzählt, dass die scheuen Tiere auf jeder Feder ein Auge besässen und dass sie darum sofort das Weite suchen, wenn man sich auch nur im Geringsten auffällig bewegt. Trotzdem hatten wir diesmal eine weit bessere Sicht auf die grossen Vögel als je zuvor.

  

Zu ihrem Schutz vor allzu neugierigen Zuschauern werden die regelmässig besuchten Gebiete weiträumig abgesperrt. Dabei bliebe noch zu erwähnen, dass während des Sommers die Gegend von zahlreichen Störchen bewohnt wird, welche hier viele Nistgelegenheiten vorfinden. Ebenso werden die weiten Wiesen während der Zugzeit auch von Tausenden ziehender Gänse besucht.

Obschon das Teleobjektiv die Kraniche viel näher erscheinen lässt als sie sind, ist hier offenbar die Distanz etwas unterschritten worden.

In der Nähe von Fehrbellin steht das Denkmal für Kurfürst Friedrich Wilhelm, der an dieser Stelle im Jahre 1675 die schwedische Armee trotz ihrer zahlenmässigen Überlegenheit geschlagen hat und damit den Grundstein legte für den Aufstieg seines Reiches zum späteren grossen und mächtigen Preussen. Es mag für die politischen Verhältnisse jener Zeit erhellend sein, dass der Kurfürst gerade im Rahmen des Holländischen Krieges (!) im Elsass gegen Ludwig XIV von Frankreich (!) kämpfte, als dieser die Schweden (!) veranlasste, die Heimat des Kurfürsten anzugreifen. Diese machten das so erfolgreich, dass sie bereits mehr als die Hälfte von Brandenburg besetzt und dort fürchterlich gehaust hatten, als der Kurfürst endlich mit seinen Truppen vom Rheinland in seine Heimat eilte. Mit seinem Sieg über die Schweden hatte er diese endgültig aus Brandenburg vertrieben und sich damit in den Augen seiner Untertanen dieses Denkmal redlich verdient.

Ribbeck ist bekannt wegen des berühmten Gedichtes 'Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland' von Theodor Fontane. In Zeiten, wo es keine Selbstverständlichkeit war, dass ein adliger Herr viel Verständnis für die Not der ärmeren Leute hat, verteilte der grosszügige Herr von Ribbeck jedes Jahr sein Obst an die zahlreichen Hungernden. Um sicher zu stellen, dass auch nach seinem Tode dieser Brauch weiterleben werde, hat er sich als Grabbeigabe eine Birne gewünscht. Die Angehörigen hatten zwar wenig Verständnis für den aussergewöhnlichen Wunsch, aber immerhin genügend Respekt, dem Anliegen des Hausherrn zu entsprechen. Als aber lange nach seinem Tod aus seinem Grab ein Birnbaum wuchs, nährte dieser alljährlich die Armen und begründete damit das wohlwollende Gedächtnis an den edlen Herrn, von dem das ganze Dorf bis auf den heutigen Tag profitiert.

  

Denn das Dorf ist auffallend gut unterhalten und auch das kleine Schloss empfängt gerne Besucher in seinen Räumen und seinem sehr gepflegten Restaurant. In der Kirche steht ein etwas bemitleidenswertes Stück des ursprünglichen Baumstammes, während sein Nachkomme in vierter Generation unmittelbar neben der Kirche erst langsam zu seiner vollen Grösse heranwächst.

  

Selbst der Friedhof, wo die Mitglieder der Familie von Ribbeck fast vollzählig versammelt sind, wird noch häufig besucht. Dank dramaturgisch aufwändiger Führungen und einiger heimeliger Gaststätten lebt das Dorf noch heute gut von der Grosszügigkeit seines ehemaligen Herrn.
Ohne Theodor Fontane wären wir wohl kaum jemals hierher gekommen.

Das Schiff hatten wir schlussendlich gut an seinem Platz vertäut und bereiteten es während der letzten Tage für seine lange Winterruhe vor.
Im nächsten Frühjahr werden wir gemeinsam wieder für einen erlebnisreichen Sommer auslaufen.

Monat Oktober 2016:
- 32h
- 11 Schleusen
- 1 Hebebrücke
- 162 km

 

Jahrestotal 2016:
-280h 55' Motorzeit
- 61 Schleusen
- 11 bewegliche Brücken
- 1688 km

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