September 2016

  

Am 1. September beginnt, meteorologisch gesehen, der Herbst. Dieses Jahr hat es sich aber der Sommer noch einmal überlegt und ist ganz unerwartet erneut zu seiner Höchstform aufgelaufen. Gut drei Wochen allerbestes Wetter mit Temperaturen bis zu 30° hat er uns damit beschert und wir haben das natürlich dankend angenommen. Die morgendlichen Nebelschwaden waren aber ein untrügliches Zeichen, dass es nicht immer so weitergehen würde.
Gemäss unserer Planung hatten wir unser Ziel erreicht und wir dachten langsam an die Rückreise. Ausreichend Zeit und gutes Wetter boten uns dazu jede Freiheit. Wir lösten also bei der DB zwei Fahrkarten und fuhren mit dem Zug von Anklam über Wolgast nach Peenemünde. Natürlich wäre auch die Fahrt mit dem Schiff eine Option gewesen, aber der Besuch der historischen Gedenkstätte an der deutschen Ostseeküste hätte die lange Schiffsreise kaum gerechtfertigt. Bei schönstem Sonnenschein stiegen wir also am Bahnhof aus.

An diesem Ort war eine Entwicklung gestartet worden, die von den zunächst beinahe spielerischen Bemühungen privater Raketenenthusiasten auf direktem Weg zu den Erfolgen der heutigen Raumfahrt führte.
Natürlich waren die wahren Beweggründe hier militärischer Natur. Die interessierten Kreise hatten die Bedeutung der Erkenntnisse der Raketenbastler für die Waffentechnik erkannt und der damaligen Regierung den Bau eines Zentrums für entsprechende Forschung und Entwicklung vorgeschlagen. Heer und Flugwaffe hatten den Auftrag gemeinsam entgegengenommen. Von allem Anfang mit dabei war der junge Wernher von Braun, der schon im Alter von 25 Jahren zum Direktor der Heeresversuchsanstalt (HVA) berufen wurde. Mit deutscher Gründlichkeit und enormem Leistungswillen wurde ab 1936 innert kürzester Zeit auf einem Gelände von 25 km² eine Anlage erstellt, welche, dank eigenem Kraftwerk, modernsten Forschungsstätten und Werkanlagen sowie Unterkünften für bis zu 12'000 Angestellte, rasch bedeutende Resultate lieferte. Alles natürlich immer unter strengster militärischer Geheimhaltung.

Heute steht von den damaligen Bauten nur noch das Gebäude des Kraftwerkes, in dessen Hallen ein Museum über die Wunderwaffe von Deutschland eingerichtet worden ist. An die Hoffnung auf dieses Wunder klammerte sich die nationalsozialistische Führung bis in die letzten Monate des Krieges.
Der Verteilkran, der von den Schiffen die Kohle für die Energiegewinnung entlud und sie über ein Förderband der Verbrennung zuführte, sowie die Schaltzentrale, die noch bis zum Ende der DDR-Zeit Verwendung gefunden hatte, blieben als originale Einrichtungen erhalten.

  

Hier wurden die Vergeltungswaffen V-1 und V-2 entwickelt und getestet, welche in den letzten Kriegsjahren die Bevölkerung in verschiedenen Grossstädten der Alliierten terrorisierten. Heute stehen die entsprechenden Vehikel als stumme Zeugen der Bemühungen der Waffentechniker da und das Museum bietet erschöpfend Auskunft über die Arbeitsbedingungen der Angestellten und die Lebensläufe der führenden Wissenschaftler.
Beeindruckend ist der extrem schnelle Erkenntnisgewinn, der jeweils umgehend in neuen Anwendungen umgesetzt wurde.
Erschreckend ist, dass der verbleibende Weg bis zum durchschlagenden Erfolg offensichtlich nur noch sehr kurz gewesen wäre.
Kein Zufall ist andererseits, dass die hier im Modell ausgestellten Einrichtungen der Versuchs- und Startanlage für die Raketen genau so gut als Modell für entsprechende Einrichtungen in Cape Canaveral stehen könnten.

  

Als Beispiel für die ungebremsten militärischen Anstrengungen nach dem Krieg steht auf den Museumsgelände auch ein sowjetisches U-Boot. Das grösste mit konventionellem Antrieb, das je gebaut worden war. Der blosse Anblick lässt die Vorstellung, damit abtauchen zu müssen, zu einem Albtraum werden.

Ganz beeindruckt vom Gesehenen fuhren wir mit der Bahn zurück zu unserem Schiff, nun aber im Wissen, dass diese Fahrt genau auf jenem Trassee erfolgte, welches zur Erstellung und Versorgung der unheimlichen Anlage erbaut worden war.

Am nächsten Tag öffnete sich für uns die Hebebrücke in Anklam und gab damit den Weg frei für unseren Rückweg.

Die erste Etappe führte wiederum nach Ueckermünde. Schon bei der Anreise hatte es uns hier gut gefallen und darum räumten wir uns hier ein paar weitere Tage ein. Der Himmel hatte ein Einsehen mit dem Wetter und stimmte damit wohl auch den Hafenmeister beim Festlegen der Liegegebühr freundlich. So waren am Schluss alle mehr als zufrieden.
Die Einwohner des Ortes scheinen von Natur aus gemütlich veranlagt zu sein und gelegentlich echt grosse Gäste zu erwarten.

  

Wir machten Spaziergänge kreuz und quer und im Restaurant 'zur Zitterbacke' leisteten wir uns ein gemütliches Nachtessen. Hier bemüht sich der Wirt, mit reichlich Humor auf die DDR-Zeit zurückzuschauen. So waren auf den Tischen unter Glasplatte Originale und persönliche Erinnerungsstücke aus jener Zeit ausgestellt: Münzen und Noten, der Kaufvertrag vom Trabi, Lehrabschlusszeugnis, sein Treuegelübde auf den Arbeiter- und Bauernstaat uvm. Vielleicht komisch, wenn es damals nicht bitterer Ernst gewesen wäre. Die Menuekarte war voll von Speisen nach der Art der alten Tage, wo die Not oft erfinderisch machte und Energien frei setzte, die heute häufig der Bequemlichkeit zum Opfer fallen.
Dank der finanziellen Unterstützung durch die EU und die Westländer der BRD war eine aufwändige Umgestaltung von Gebäuden und Umgebung möglich, was jene Jahre in der Rückschau in einem etwas verklärten Licht erscheinen lässt. Trotz allem scheint es gewisse Aspekte im Alltag gegeben zu haben, denen viele Zeitzeugen noch bis zum heutigen Tag unverblümt nachtrauern.

  

Am Samstag war der Quai vor unserem Schiff Schauplatz für einen Flohmarkt. Gemütlich flanierten wir zwischen den Ständen hindurch, betrachteten die Überbleibsel aus vergangenen Tagen, bis Matz bei einem Bücherberg fündig wurden und wir alsbald schwer beladen mit Lesematerial unseren Heimweg antreten mussten. Glücklicherweise war dieser nur kurz!

Der nächste Stop war in Altwarp, wo wir am Ende der Hafenmole anlegten. Da das Dorf, unmittelbar an der deutsch-polnischen Grenze gelegen, weitgehend von der Fischerei lebt und eine Fischbratstätte beim Steg offenbar ein beliebtes Ausflugsziel für Busreisende ist, konnten auch wir uns nicht über Mangel an interessierten Besuchern beklagen. Wir beantworteten dutzendfach die selben Fragen, taten dies aber geduldig im Bewusstsein, damit etwas von den schönen Erlebnissen der letzten Wochen zurückzugeben.

Die Rückfahrt durch das Stettiner Haff war äusserst ruhig und entsprechend entspannt.

  

Wir fuhren allerdings nicht direkt ins Stadtzentrum von Stettin, sondern diesmal durch den Dammschen See, auf dessen Südseite wir im Centrum Zeglarski eine grosszügige Anlegestelle vorfanden, wo wir weitere drei Ferientage verbrachten. Diese wurden durch ein kleines lokales Fest bereichert, das in sehr bescheidenem Rahmen den wenigen Gästen fröhliche Livemusik offerierte.

Auf einigen Umwegen gelangten wir dann jedoch wieder in die neue Marina in Stettin wo wir unerwartet auf Thesi und Martin trafen, zwei Bekannte aus der Gilde des SSK, die mit ihrer Veranderen in der selben Gegend unterwegs waren. Wir hatten ihre Anreise auf 'marinetraffic.com' bemerkt und trafen sie deshalb gleich nach ihrer Ankunft bei ihrem Schiff. Sie revanchierten sich am nächsten Tag und beehrten uns mit einem kurzen Besuch bei uns zu Hause.

  

Später fuhren wir wiederum auf der West-Oder gegen Süden und verabschiedeten uns von Stettin (Sczcecin) mit einem letzten Blick zurück.
(Den polnischen Namen fügen wir hier nur noch zum üben an.)

Auf dem weiteren Weg passierten wir dann vor Mescherin zum letzten Mal die polnische Grenze, weil von hier an das linke Flussufer wieder Deutsches Staatsgebiet ist. Die Grenzpfosten scheinen auch im vereinten Europa fast liebevoll gepflegt zu werden.

Weil wir danach aber am rechten Flussufer für die nächsten zwei Tage anlegten, befanden wir uns damit erneut in Polen. Wir besuchten von hier aus zu Fuss den Aussichtsturm auf der deutschen Seite, der freien Blick auf die Schlafgewässer der Kraniche bietet. Wir warteten dort geduldig auf den abendlichen Einflug der prächtigen Vögel, bis wir schlussendlich unser Vorhaben aufgaben, weil keine kamen.

Wir waren allerdings kaum zurück auf dem Schiff, als sie in beeindruckenden Formationen einflogen. Rasch löste sich dann die Ordnung auf und die Vögel landeten für die Nacht auf den Teichen hinter dem Röhricht. Hätten wir nur ein klein bisschen länger gewartet...!

        

In Gartz war für das Wochenende ein Vortrag über den Kranichzug mit anschliessender Führung angesagt. Deshalb haben wir uns für einen weiteren Aufenthalt entschlossen. Wenn sich auch der Vortrag nicht als grosses Erlebnis herausstellte und die Aussicht vom Turm in Mescherin viel besser war, machte die einladende Eisdiele am Quai, geführt durch die Frau des Hafenmeisters, das alles wieder wett.

  

Wahrscheinlich ebenfalls durch diese süsse Verführung angezogen, legte am Tag darauf die Togo vor uns an. Das schöne und sehr spezielle Schiff war uns ein paar Tage zuvor schon in Ziegenort (Trzebiez) aufgefallen, aber wir hatten in der Eile ganz vergessen, ein Bild zu schiessen. Es war darum schön, jetzt hier Linde und Manfred aus Berlin kennen zu lernen. Nachdem sie Eis und Sonne genossen hatten, boten sie uns an, ihr Kleinod von innen zu bewundern. Ein Beispiel mehr, wie aus einem einst vernachlässigten Schiff, dank viel Begeisterung und Arbeit, ein Schmuckstück entstehen kann. Mit ihren fast hundert Jahren ist die Hafenbarkasse ein erfreuliches Zeugnis vergangener Zeit. Weil die Beiden aber nicht über sehr viel Zeit verfügten, mussten sie nach einer guten Stunde leider schon wieder weiterfahren.

Bei Schwedt, bot sich uns aus einer etwas anderen Perspektive wiederum der Blick auf das Konzerthaus mit der gekonnten Bemalung (siehe Beitrag vom Vormonat). Von hier aus war die kubische Form des Gebäudes allerdings offensichtlich.

In Criewen brachen wir wieder mit dem Fahrrad auf und bekamen dabei von einem Beobachtungsturm aus einen schönen Überblick über den natürlichen Verlauf der Oder. 

In Eberswalde wurden wir zum Monatsstamm der Freunde des Finowkanals eingeladen (unser-finowkanal.de), die sich um den Erhalt der historischen Wasserstrasse bemühen. Als Schleusenschiffer können wir unendlich dankbar sein, dass es überall immer wieder Leute gibt, die sich mit Herzblut für die Zeugnisse der Vergangenheit einsetzen. Es wäre jammerschade, die Erfolge unserer Vorfahren, die sich mit aller Kraft um ein besseres Leben bemüht hatten, ohne Not dem Verfall zu überlassen.

Zusammenfassend können wir festhalten, dass der September ein echter Ferienmonat war, der uns mit viel Sonnenschein verwöhnte und ohne jede Hektik abwechslungsreiche Landschaften und unberührte Natur erleben liess.

Monat September 2016:
- 37h 45'
- 5 Schleusen
- 2 Hebebrücken
- 232 km

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