Juni 2016

Der Bericht des letzten Monats ist etwas lang ausgefallen, denn wir hatten ja ein klares Ziel vor Augen und darum viel erlebt auf dem Weg dahin. Kaum waren wir an der Liegestelle Friedrichstrasse angekommen, fiel der Druck von uns ab und wir nahmen uns vor, den nächsten Monat etwas ruhiger anzugehen.
Die Vorschriften der Wasserschutzpolizei erlauben für die zentralsten Anlegestellen Berlins allerdings nur eine Liegezeit von max 24 Stunden. Mit einem Gemisch von Stolz und Neugier, wie es wohl auch die alten Seefahrer empfunden haben mochten, sattelten wir unsere Drahtesel und gingen auf Entdeckungsfahrt. Wir besuchten das Holocaust-Denkmal, noch einmal das Brandenburger Tor und das Bundestagsgebäude, sowie die Schweizer Botschaft. Dieses Gebäude steht zwar an prominenter Lage, ist aber deutlich weniger glamourös, als es der ehemalige Botschafter aus Solothurn und seine texanische Schönheitskönigin, die vor Jahren seine Einweihung zelebriert hatten, wohl selber empfanden. Es ist seit damals auch fast vollständig aus dem Fokus der Welt- (und Ringier-) presse verschwunden. Die Schweiz ist hier einfach nicht mehr ganz so wichtig, die Königin wieder in Texas und der Botschafter arbeitet heute für einen russischen Oligarchen.
Tempora mutantur ...

Wir machten also am nächsten Tag die Leinen los, fuhren über die Spree weiter zu Berg und kamen so an der Museumsinsel vorbei. Aus dieser Perspektive ist nur ihre nördlichste Spitze sichtbar. Ein markanter Punkt eines vielfältigen Museumskomplexes allerdings, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts begonnen worden war und die wechselnden Interessen der jeweils aktuellen Herrscher widerspiegelt. Die starken Zerstörungen im zweiten Weltkrieg wurden in der DDR Zeit nur zögerlich behoben, während nach der Wiedervereinigung dafür offensichtlich mehr Geld und mehr Interesse vorhanden waren.
Ein paar Minuten später sorgte bei uns dann der Berliner Dom für bleibende Eindrücke. Auch hier waren nach dem Krieg umfangreiche Wiederherstellungsarbeiten nötig, damit dieser stolze Zeuge der Deutschen Geschichte seiner Bestimmung wieder gerecht werden kann. Im nächsten Winter werden wir dieser Gegend zweifellos sehr viel mehr Zeit einräumen müssen.

    

Bei der Weiterfahrt auf der Spree zeigten sich an deren rechtem Ufer deutlich die Widersprüche der Stadt, weil hier die fast ungebremste Bautätigkeit und ausdauernder Widerstand dagegen sehr augenfällig sind. In der Ferne wurde dabei schon die markante Silhouette der Oberbaumbrücke sichtbar, welche während der Zeit, als die Stadt geteilt war, den sowjetischen mit dem amerikanischen Sektor verband. Hier hatte sich dann auch der erste tödliche Grenzzwischenfall ereignet. Mit dem Mauerbau wurde allerdings die Brücke vollständig gesperrt.

  

Der Blick zurück zeigte nun - etwas weniger durch das Gegenlicht gestört - die wiederaufgebaute Brücke und dahinter den Fernsehturm am Alexanderplatz.

Wir verliessen danach die Spree und fuhren nach steuerbord durch die Oberschleuse in den Landwehrkanal ein. Dieser führt quer durch die Stadt, an Neukölln und an Kreuzberg vorbei, unter unzähligen niedrigen Brücken hindurch, welche dadurch gelegentlich, besonders wenn sie in einer Kanalbiegung liegen, für die Durchfahrt eine echte Herausforderung darstellten. Landschaftlich ist die Strecke sehr ansprechend. Schade nur, dass sie, weil der gewerbsmässige Verkehr, abgesehen von ein paar kleineren Ausflugsschiffen, schon lange eingestellt worden ist, nicht mehr gepflegt und ausgebaggert wird. Da der Aushub als Sondermüll entsorgt werden müsste, lässt man den Dreck lieber liegen, riskiert damit in naher Zukunft das Verlanden des Kanals, spart aber im Moment eine Menge Geld. Dies waren die klaren Worte des Schleusenwärters der Unterschleuse am anderen Ende des Kanals, der mit den Stadtoberen offensichtlich nicht einig geht.

  

Nachdem wir die Unterschleuse des Landwehrkanals passiert hatten, fuhren wir die Spree hinunter, bis sie uns in den Westhafenkanal führte, der uns dann in den Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal brachte. So gelangten wir in die weit verzweigte, abwechslungsreiche Seenlandschaft der Havel, durch die wir weiter gegen Norden fuhren. Unterwegs begegneten wir der Moby Dick, einem Ausflugsschiff der besonderen Art, das, gebaut in den 80-iger Jahren des letzten Jahrhunderts, auch heute noch die Gäste begeistert.

Nach einer abwechslungsreichen Fahrt die Havel hinauf, erreichten wir nach knapp vier Stunden Fahrt Oranienburg. Die Stadt feierte gerade ihr 800-jähriges Bestehen und leistete sich dafür eine ganze Woche bunten Festbetrieb. Im Schlosshafen fanden wir wohl den einzigen Platz, der für unser Schiff geeignet war, wurden dennoch freundlich und kompetent empfangen. Offenbar hatten schon andere, vergleichbare Schiffe diesen Platz vor uns entdeckt. Da am nächsten Tag noch zwei weitere, etwas kleinere Schiffe mit Schweizer Flagge eintrafen, wirkte unser Alpenland, so fern der Heimat, fast ein wenig übervertreten.

  

Ein sehr düsteres Kapitel in der Geschichte der Stadt sind die Vorkommnisse um das KZ Oranienburg, das die Nationalsozialisten 1933 hier als eines der ersten Lager dieser Art eingerichtet hatten. Weil nach ihren Massstäben die Anlage sehr erfolgreich war, gründeten sie bereits zwei Jahre später am Stadtrand das wesentlich grössere KZ Sachsenhausen. Dieses sollte als Modell- und Schulungslager gelten. Über 200'000 Menschen wurden hier auf grausamste Art gefangen gehalten und zu unmenschlicher Arbeit gezwungen. Zehntausende überlebten diese Bedingungen nicht oder wurden gezielt getötet.
Ein kurzes Innehalten an der Gedenkstätte spült dem Besucher unweigerlich Fakten und Einsichten an die Oberfläche, die er zwar bereits kannte, die aber, bei direkter Konfrontation, wohl immer unbegreiflich bleiben. Er erlebt dabei Zynismus und Grausamkeit, die in diesem Ausmass Menschen eigentlich fremd sein müssten.

  

Heute will das Mahnmal den Menschen nahe bringen, was sich hier vor rund 70 Jahren zugetragen hat. Alle Gräuel wurden ausgeführt von Leuten, die sich das wohl wenige Jahre zuvor selber nicht hätten vorstellen können.

Zum Glück kennt die menschliche Seele auch andere Qualitäten. Der Grund für das Jubiläum der Stadt liegt in einer Urkunde aus dem Jahre 1216, mit der Siegfried II, seines Zeichens Bischof von Brandenburg, ein Steuerregister (!) seiner gläubigen Schäfchen erstellte und dabei dabei erstmals den Ort erwähnte, der damals allerdings noch Bothzowe hiess . Ihren heutigen Namen erhielt die Stadt erst, weil 1646, kurz nach dem 30-jährigen Krieg, der nachmalige Grosse Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg die Prinzessin Louise Henriette von Oranien heiratete. Weil die holde Gemahlin grosse Freude empfand beim Anblick der zahlreichen Seen und Flüsse, die sie so sehr an ihre Heimat Holland erinnerten, und zu jener Zeit die Herren der Schöpfung die Liebe ihrer Angetrauten zu würdigen wussten, schenkte jener ihr kurzerhand die ganze Gegend mit allen zugehörigen Dörfern. Er liess sogleich sein bestehendes Jagdschloss zu einem Lustschloss mit Garten umbauen, selbstverständlich alles in unverkennbar niederländischem Stil. Das Schloss wurde auf den Namen Oranienburg umgetauft, womit auch die Stadt zu ihrem heutigen Namen kam. Das Heimweh der Prinzessin wurde so gemildert und das gute Herz der Dame gründete zum Dank in der Folge das erste Waisenhaus der Mark Brandenburg. Die Hausfrau und Mutter holte aber auch Siedler aus den Niederlanden, welche die Milchwirtschaft beflügelten, indem sie Molkereien und Käsereien errichteten. Damit erlebte die Stadt eine Blütezeit, die es heuer zu feiern galt.

Mit einem Umzug, bei dem fast die ganze Bevölkerung mitmachte, feierte die Stadt ihre Vergangenheit und Gegenwart.

      

Viele der Älteren mochten sich wohl selber darüber gewundert haben, was alles sie in ihrem Leben gesehen und durchgemacht hatten. Grund genug, heute ausgiebig zu feiern!

Im Schlosshafen von Oranienburg trafen wir auch Klaudia und Ernst, mit denen sich sehr spontan ein herzlicher Kontakt ergab. Sie hatten lange Zeit in Holland gelebt und die letzten 15 Jahre ausschliesslich auf ihrer Motoryacht 'Espania' verbracht. Sie sind mit der Gegend um Berlin sehr vertraut, mit breiter nautischer Erfahrung gesegnet und so wurde die Zeit schneller knapp, als uns lieb war. Bestimmt werden wir uns aber in der kalten Jahreszeit in einer warmen Stube wieder treffen.

Weil wir gegen Ende des Monats zu einem feierlichen Anlass in die Schweiz fahren wollten, hatten wir schon Wochen zuvor einen Liegeplatz gesucht, wo wir während dieser Zeit die Mizar warten lassen konnten. Überhaupt wurde das ganze Monatsprogramm durch diesen Umstand geprägt und wir blieben darum in einem engen Kreis um Berlin. Weil wir während des Sommers ohnehin einige Malerarbeiten auf dem Schiff erledigen wollten, aber lernen mussten, dass die Wasserschutzpolizei bei diesem Aspekt ihrem Namen gerecht werden will und ein wachsames Auge auf solche Tätigkeiten hat, hatten wir auch eine kleine Werft gesucht, die uns aus der Klemme helfen konnte. Mit der Werft mitschiffs bei Köpenick hofften wir, eine mögliche Gelegenheit gefunden zu haben, und entschlossen uns darum kurzerhand, ihr einen Besuch abzustatten.

Wir wendeten deshalb unser Schiff, fuhren gegen Süden und nach Berlin zurück. Erneut fuhren wir über die Spree durch die Stadt, legten wiederum im Zentrum an und eröffneten unsere eigene Uferbar an prominentester Lage.

Bei der Weiterfahrt bogen wir diesmal nicht in den Landwehrkanal ein, sondern fuhren gerade aus, am Molecule Man vorbei ...

... weiter die Spree hinauf, passierten die Insel der Jugend und bogen in den Rummelburger See ein. Wir wussten, dass Isa und Mike (siehe Beitrag vom Mai 2016) hier ihre d'n Aal parkieren wollten und hätten sie gerne mit einem Besuch überrascht. Die Gegend ist offensichtlich bei Berlinern beliebt und wir sahen darum hier einige sehr schöne Schiffe. Nach längerem Herumkurven und intensiver Suche fanden wir den schönen Luxmotor dann auch, etwas versteckt und gut vertäut. Zu unserem Leidwesen war aber niemand zu Hause.

Wir fuhren darum auf der Spree weiter, durch Köpenick hindurch und machten bei der Werft mitschiffs fest. Schnell hatten wir uns mit dem Eigner abgesprochen und blieben gleich für drei Tage dort. Das erlaubte uns auch einen ausgiebigen Besuch in der Stadt mit dem bekannten Namen.

Denn, wer kennt nicht die Geschichte vom Hauptmann von Köpenick!
Und trotzdem ist sie wunderlicher, als man sie sich vorzustellen gestatten würde.

Hatte da doch ein einfacher Schuhmacher, der wegen Nichtigkeiten einige Jahre im Gefängnis gesessen und dort offensichtlich viel gelernt hatte, ein Husarenstück vollbracht, das seinesgleichen sucht. Ausgestattet mit einer (geliehenen?) Hauptmannsuniform und mit gründlicher Kenntnis der zu unbedingter Autoritätsgläubigkeit erzogenen Armee des Königs, befahl er kurzerhand einer von der Arbeit zurückkehrenden königlichen Wache, ihm sogleich zu folgen. Er marschierte mit der Gruppe, die es offenbar gewohnt war, auch unsinnigen Befehlen zu gehorchen, geradewegs nach Köpenick. Dort zog er zum Rathaus und befahl den Stadtoberen, auf ausdrückliches Geheiss des Königs, den Tresor der Stadt sofort zu öffnen. Mit seinem Inhalt marschierte der falsche Hauptmann wieder davon und liess die verdutzten Magistraten stehen.

  

Es war absehbar, dass dies nicht lange gut gehen konnte. Der Hauptmann wurde verhaftet, das Geld wieder beigebracht, aber der Spott blieb bis heute.

Man muss alle Zeitungsberichte gründlich lesen und hat dann dennoch Mühe, die Geschichte zu verstehen. Der Mund bleibt einem so offen stehen, wie der leere Kassenschrank.

Im Stadtzentrum fanden wir dann die kleinste Brauerei Deutschlands. Sie servierte frisches Bier und in der Bude nebenan wurde Berliner-Currywurst geschnitten.
Was will man mehr?

Durch den Teltowkanal fuhren wir durch eine ausgedehnt grüne Landschaft in Richtung Westen zurück und wussten dabei bloss aus der Karte, dass wir im Grunde mitten durch die Grossstadt Berlin fuhren.
So grün kann Stadt sein!

Nach einem kurzen Zwischenstopp in Potsdam ging es dann zurück nach Werder und Töplitz, wo wir unser Schiff dem Hafenmeister übergaben und dann voller Erwartungen unsere Reise in die Schweiz antraten.
Unsere Tochter Nina würde dort ihrem Dani das Ja-Wort geben!

Wir waren natürlich gespannt auf das grosse Fest und freuten uns riesig.
Auch wenn Petrus die Wetterprognose immer sehr spannend gehalten hatte, bedachte er das Brautpaar in den entscheidenden Momenten mit freundlichem Wetter. Wir hoffen natürlich sehr, dass diese Begünstigung für das ganze Leben der beiden Bestand haben möge.

 

(Bis zum Redaktionsschluss sind leider keine weiteren Bilder der Hochzeit eingetroffen!)

Zwei Tage nach dem grossen Fest haben wir unsere Zelte in der Schweiz wieder abgebrochen und sind mit einem Rucksack voll guter Erinnerungen auf unseren schwimmenden Lebensmittelpunkt zurückgekehrt.

Nachtrag:
Am letzten Tag des Monats erreichte uns eine Meldung aus Polen: das kleine Holzschiff Wanda, das wir im Mai (siehe dort!) in der Schleuse Hohenwarte im Mittellandkanal angetroffen hatten, ist in seinem Heimathafen im polnischen Wieluń angekommen.



Der stolze Besitzer und sein Freund aus Frankreich haben damit ihre lange Reise abgeschlossen. Sie schickten uns die Bilder von ihrer Ausfahrt aus der Schleuse.

  

Monat Juni 2016:
- 27 h 20
- 5 Schleusen
- 168 km

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