April 2016

  

Die Tage, bis die Wartungsarbeiten an der Schleuse in Leer abgeschlossen waren und auch die Gezeiten für unsere Ausfahrt passten, die vergingen schnell. Weil wir es machten wie die Sonnenuhr, die nur die sonnigen Stunden zählt, erschienen sie uns sogar als ausgesprochen kurz.
Gerd, der stolze Besitzer der Jacht, die den Winter über direkt vor unserer Mizar lag, hatte immer ein wachsames Auge auf unser Schiff gehabt und uns kurz vor der Abreise ein Foto mitgebracht, das klar zeigt, dass es hier wirklich Winter geworden war, in der Zeit, als wir unbeschwert barfuss über Sandstrände gingen.
Ausgesprochenes Pech hatte er allerdings, als sein Schlüsselbund ins Wasser fiel, während er auf seinem Schiff posierte, weil wir für ihn als Dank ebenfalls ein Bild zusammen mit seinem Kleinod schiessen wollten. Trotz eifriger Suche mit Magnet, Haken, Rechen und Netz blieb das Ding verschwunden und es brauchte eine aufwändige Organisation, bis der Schaden wenigstens teilweise behoben war.

  

Weil Mirjam und Werni mit ihrer 'Roti Zora' ihre Reise Ems abwärts fortsetzen wollten, konnten sie ein paar Tage vor uns auslaufen. Am Ende einer langen, gemeinsamen Zeit gestaltet sich ein solcher Abschied immer etwas sentimental und wird von gegenseitigem Bilderknipsen, Winken und einem Hupkonzert begleitet. Das langsame Wegfahren des Schiffes, bis es schliesslich dem Blickfeld entschwindet, erinnert an die Gefühle, welche die Zurückbleibenden empfunden haben mussten, als das Reisen noch nicht so selbstverständlich war wie heute.

Am 20. April war die Reihe dann an uns. Wir verabschiedeten uns am Vorabend von den zurückbleibenden Schweizer Schleusenschiffern, Annette und René, sowie von Dominique und Urs, ...

  

... bevor wir am nächsten Morgen bei gutem Wetter die Leinen losmachten und der Brückenwärter Ludwig Hermes die Brücke hob und so für unsere Durchfahrt den Weg frei gab.

  
(besten Dank an Surlis für die Fotos)

Zu erwähnen wäre noch Ekkehard mit seinem prächtigen Segler 'Dutch Princess'. Ein Schiffer von altem Schrot und Korn, der uns im Namen der christlichen Schifffahrt, wie er sich auszudrücken pflegte, bei so manchen praktischen Fragen mit seiner reichen Erfahrung rasch weiterhelfen konnte.

  

Ein letztes Winken bei der Vorbeifahrt und ...

  

... ein letzter Blick zurück auf die gemütliche Stadt Leer, die während der letzten Monate unsere Heimat war.
Um die Bedeutung des Tages zu unterstreichen, hatten wir, ganz lokalpatriotisch, die Wimpel unserer Heimatkantone gesetzt.

Die Seeschleuse von Leer schützt den Hafen vor den Gezeiten der Leda und der Ems. Für Binnenländer, wie wir es sind, ist es immer wieder erstaunlich, dass Flut und Ebbe, die wir zwar vom Meer kennen, sich auch in den Flüssen weit und heftig ins Landesinnere fortpflanzen können. Diese Gezeitenströme können derart ausgeprägt sein, dass wir mit unserem Schiff nur mit Mühe dagegen ankämen. Sie bewirken dabei einen Pegelunterschied des Wassers von vier Metern und mehr.
Damit wir mit dem auflaufenden Wasser die 30 km nach der Schleuse Herbrum fahren konnten, mussten wir eine knappe Stunde nach Niedrigwasser in Leer wegfahren. Der niedrige Wassersstand zeigt sich an den trockenfallenden Sandbänken am Flussufer.

Der Zeitpunkt war gut gewählt und wir fuhren mit gut 15 km/h mühelos auf der Ems bergwärts.
Nach kurzer Zeit passierten wir die Eisenbahnbrücke von Weener, die bis vor kurzem eine Hebebrücke war, bevor am 3. Dezember 2015 ein talwärts fahrendes Frachtschiff es unterlassen hatte, deren Öffnung abzuwarten. Das mittlere Teilstück der Brücke hat dem Aufprall nicht standgehalten und seither fährt kein Zug mehr über Weener nach Groningen in Holland.
Unsere erste Nacht verbrachten wir im Hafen von Haren, den wir ja bereits bei unserer Anreise im letzten Herbst benutzt hatten.

Auf einem baulich bedingten Engpass durch Meppen kam uns ein Schiff entgegen, das mit gestelltem 'Blue Board' signalisierte, dass es uns auf der 'falschen' Seite zu kreuzen wünschte. Erstmals hatten wir damit Gelegenheit, mit dem Stellen unseres 'Blue Board's vorschriftsgemäss das Begehren zu quittieren.
Wenige Minuten später Legten wir dann zu nächsten Übernachtung an und beschlossen den Tag mit einem kurzen Spaziergang in die Stadt Meppen.

  

Der Weg zurück erlaubte uns von der anderen Kanalseite eine schöne Aussicht auf unser Schiff.

  

Entsprechend der Bedeutung der Schifffahrt für die Wirtschaft haben sich viele Industriebetriebe entlang der Ems und dem Dortmund-Ems-Kanal, wo die Ems kanalisiert ist, angesiedelt.
Hier, als ein Beispiel von vielen, die Erdölraffinerie Emsland.

13 Schleusen, die im Durschnitt einen Hub von 5 m bewerkstelligen, heben den Schiffsverkehr auf der Fahrt zum Mittellandkanal um 65 m.
Und dieser Weg wird fleissig benutzt, ...

  

... wenn auch der Platz unter den Brücken gelegentlich für die Kolosse echt knapp bemessen ist.
Damit es passt, können diese Schiffe ihr Steuerhaus bequem versenken.
(Hier musste der Kapitän zuletzt gar seinen Kopf einziehen, den er anfänglich durch eine Luke im Dach gestreckt hatte.)

Weil wir etwas langsamer unterwegs sind als der Berufsverkehr, kommt es immer wieder vor, dass die grossen Schiffe, für die Zeit ja buchstäblich Geld ist, an uns vorbeifahren (überholen) wollen. Es ist dann immer erstaunlich, dass, sobald sich der Grosse auf gleicher Höhe befindet, wir plötzlich praktisch keine Fahrt mehr machen, da dieser das Wasser unter unserem Schiff wegsaugt. Bevor dann aber das Manöver ganz vorüber ist, trägt unerwartet eine Welle des zurückfliessenden Wassers unser Schiff umso mehr vorwärts, sodass wir sozusagen gratis und mit wenig Motorleistung mitsurfen könnten. Das wäre ja schön, doch rät einem das ungute Gefühl, Spielball gewaltiger Kräfte zu sein, dieses Umfeld tunlichst zu verlassen.

Um dem dichten Verkehr gerecht zu werden und eventuellen Ansprüchen der Behörden besser zu genügen, hatten wir vor unserer Abreise ein AIS (automatic indentification system) eingebaut, das anderen Schiffen automatisch die wesentlichen Daten unseres Schiffes (Name, Nummer, Grösse, Position, Fahrtrichtung und Geschwindigkeit) weitergibt. Ebenso können wir selber sehen, welche grossen Schiffe sich vor oder hinter uns bewegen oder allenfalls unseren Weg kreuzen. Schon nach kürzester Zeit hatten wir erfahren, wie nützlich und beruhigend derart zuverlässige Angaben sind.

So unspektakulär zeigt sich die Abzweigung in den Mittelland-Kanal, die Schiffs-Autobahn Richtung Berlin, unserem ersten wichtigen Ziel dieser Saison. Er bildet die Hauptverbindung vom Rhein zur Elbe.

Unsere erste Nacht auf dem Mittelland-Kanal, der Hauptverkehrsader quer durch Deutschland, bei Obersteinbek.

Vor der zweiten Übernachtung bei Bramsche überraschte uns die Wasserpolizei, die ganz plötzlich mit dem Auto(!) bei unserer Anlegestelle vorfuhr und die lange erwartete Kontrolle von Schiff und Papieren mit deutscher Gründlichkeit vornahm. Wir hatten schon im letzten Jahr uns sorgfältig auf diesen Moment vorbereitet und waren oft am Verzweifeln ob der Winkelzüge deutscher Vorschriften. Darum war es beruhigend, feststellen zu dürfen, dass die beiden Polizisten zwar äusserst nett waren, dass aber ganz offensichtlich die Vorschriften auch für die Beamten etwas zu kompliziert sind.
Zu allem Überfluss haben sie unser AIS keines Blickes gewürdigt. Sie waren der Meinung, dies sei bloss etwas für die Berufsschifffahrt.
Das hat uns schon etwas enttäuscht.

Während  der Weiterfahrt nach Bad Essen kamen wir an einer Anlegestelle Teutoburger Wald vorbei, einem sehr geschichtsträchtigen Ort, der es in fast alle Schulbücher geschafft hat. Wäre das Wetter nicht ganz so garstig gewesen, wir hätten bestimmt einen Halt eingelegt und die Gegend, sowie das entsprechende Museum, besucht.
Die Fahrt auf dem Mittellandkanal ist unspektakulär und dennoch ein Erlebnis. Sie gibt einen guten Eindruck der weiten Landschaft abseits der grossen Zentren.

  


In Bad Essen haben wir dann einen ganzen Tag abgewettert. Man darf das ruhig so nennen, denn der Himmel schickte einen fortwährenden Wechsel von nassem Schneetreiben und Regen mit heftigen Windböen. Während einer kurzen Pause, bei der anfänglich sogar die Sonne zwischen den Wolken hervorschaute, gingen wir zum Einkaufen. Auf dem Weg sahen wir in einem Geschäft zwei Velos, die genau unseren Ansprüchen entsprachen. So kurzentschlossen hatten wir noch nie unsere Drahtesel gewechselt. Wie beinahe zu erwarten war, haben wir sie dann bei strömendem Regen nach Hause geschoben, wo wir sie sofort fahrbereit machten.

Am nächsten Tag war das Wetter zwar keineswegs freundlicher, aber deutlich ruhiger. Wir machten uns auf den Weg nach Minden, wo der Mittellandkanal auf einer Brücke über die Weser geführt wird. In gefühlter sibirischer Kälte tuckerten wir während fünf Stunden gemütlich vor uns her und tranken heissen Tee. Schliesslich legten wir in Minden direkt neben dem Schiff der Wasserpolizei an.
Wie viel mutiger wir doch in den letzten vier Tagen geworden sind!

Minden ist bekannt als Wasserstrassenkreuz, wo der Mittellandkanal über zwei parallele Brücken, von denen die eine 1911-1914 erbaut worden ist (Foto links), während die neuere, fast doppelt so grosse, erst 1993-1998 dazu kam. Diese Brücken führen den Schiffsverkehr über das Tal der Weser, die von hier aus in Richtung Bremen ebenfalls eine bedeutende Wasserstrasse ist. Mit Auf- und Abfahrten und entsprechenden Schleusen entstand eine Kreuzung, vergleichbar mit der Kreuzung zweier Autobahnen.

  

Die Schachtschleuse für den Aufstieg von der Weser zum Mittellandkanal:

Dass bedeutende Werke auch immer unerwartete Gefahren bergen, zeigt das tragische Schicksal der Opfer der alliierten Luftangriffe von 1944. Im Keller ihrer Kistenfabrik suchten die Arbeiter Schutz vor den feindlichen Bomben, doch wurde der vermeintlich sichere Ort zur tödlichen Falle.
Für uns ein packender Moment inmitten beeindruckender Erlebnisse.

  

Übrigens, wer live miterleben will, wo wir fahren oder liegen, kann das auf der Internetsite www.marinetraffic.com jederzeit tun. Wenn man dort oben rechts unter 'Vessel/Port' den Namen unseres Schiffes eingibt und bei der Auswahl beachtet, dass es in Frankreich zu Hause ist, findet man uns nach dem zweiten Click!
(Das terrestrische Empfangsnetz von marinetraffic ist allerdings stellenweise lückenhaft und die umfassende Satelliteninformation ist für den Nutzer kostenpflichtig.)

Monat April 2016:
- 30 h 05'
- 14 Schleusen
- 1 bewegliche Brücke
- 235 km

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