März 2016

Die Sonne, die uns bei unserer Ankunft in Leer empfangen hatte, war wohl nur eine gutgemeinte Laune des Schicksals, mit der es uns die Umstellung auf unsere 'neue' Umgebung etwas vereinfachen wollte. Sie erfüllte ihren Auftrag offensichtlich nur widerwillig und machte schon am Tag darauf wieder dicken Wolken Platz, aus denen gelegentlicher Regen niederrieselte. Die Temperaturen waren zwar nicht wirklich winterlich - am Tag immerhin knapp über Null - aber dazu blies ein steter Wind, der das Leben draussen recht ungemütlich machte. Mit einem kurzen Besuch bedankten wir uns bei unseren Landsleuten, die während der letzten vier Monate ein wachsames Auge auf unsere Mizar gehabt hatten.

Unser Schiff hatte den Winter gut überstanden und brauchte bloss eine kurze äusserlich Putzaktion, damit es sich wieder problemlos in das schmucke Stadtbild von Leer einfügte. In seinem Innern erwärmte die Zentralheizung innert kürzester Zeit unsere gute Stube auf menschenfreundliche Temperaturen und verschaffte uns so eine gemütliche Bleibe nach unserer langen Reise. Zum ersten Mal konnten wir dabei die Verbesserungen erfahren, die der Umbau des Schiffes vor einem Jahr mit sich gebracht hatte. Wir lernten rasch, mit welchen Einstellungen an der Heizung wir stabile Verhältnisse schaffen konnten und waren erfreut, dass dies auch bei diesem unfreundlichen Wetter mit bescheidenem Ölverbrauch möglich war. Kaum verwunderlich, dass wir so für einige Zeit zu echten Stubenhockern mutierten und eigentlich nur bei den seltenen Sonnenphasen von Bord gingen.

Eine besondere Gelegenheit für einen solchen Ausflug ergab sich allerdings anlässlich der Überführung der Ovation of the Seas.  Das riesige Kreuzfahrtschiff war während des letzten Jahres in der Meyer Werft in Papenburg gebaut worden und musste nun über die Ems ins offene Meer gebracht werden. Um zu verstehen, wie sehr diese Aktion einen ganz ausserordentlichen Vorgang darstellt, braucht man sich nur die Grösse des Schiffes und die Dimensionen der Ems, die in diesem Bereich immer noch ein ausgeprägtes Tidengewässer darstellt, vor Augen zu halten: ein riesiges Schiff auf einem doch eher durchschnittlichen Fluss! Dass diese Reise nur bei Springflut möglich ist, bei der dann das Ems-Sperrwerk bei Oldersum geschlossen, und damit das Wasser auf seinem Höchststand zurückgehalten wird, stellt nur eine der Bedingungen für dieses Unterfangen dar. Bereits bei Vertragsabschluss war das Ablieferdatum auf den Tag genau festgelegt worden und für jeden Tag Verspätung eine Konventionalstrafe von 350'000 Euro vereinbart. Damit war für genaue Planung und höchste Präzision gesorgt.

Mit Mirjam und Werni konnten wir per Auto dem Schiff entgegen fahren und zusehen, wie es die Schleuse der Werft verliess und sich auf die Ems hinausschob, von der es auf beiden Seiten nur wenige Meter übrig liess. Von diesem Anblick waren wir so beeindruckt und es blieben so viele Fragen offen, dass wir gleich beschlossen, bei der nächsten Gelegenheit die Werft selber zu besuchen. (Etwas weiter unter werden wir über unsere Erfahrungen dort berichten.)

  

Hier nur so viel: das Schiff ist 348 m lang, 41 m breit und verdrängt 170'000 Tonnen Wasser (BRT). Es bietet auf 18 Decks Platz für 4'188 Passagiere.

Meter um Meter manövrierte sich das Ungetüm aus eigener Kraft rückwärts dem Meer entgegen. Aus Sicherheitsgründen wurde es an Bug und Heck von Schleppern gesichert. Der Platz war knapp und es blieben gelegentlich nur Zentimeter.

  

Der Weg war rund 50 km lang. Die Reise dauerte um die 18 Stunden und kostete gemäss Werk rund 700'000 Euro.
Das Schiff selber hat einen Wert von rund 700 Millionen.
Es ist ein Geschäft mit grossen Zahlen!

Kurz nach Monatsmitte wartete Matz mit einer Überraschung auf, die sie in aller Stille vorbereitet hatte. Wir packten eine Reisetasche und begaben uns auf den Bahnhof. Erst hier stellte sich heraus, dass der Fahrplan im Internet und jener auf dem Bahnhof nicht übereinstimmten: der Zug war schon weg! Bei Kaffee und Kuchen verflog der Ärger schnell und zwei Stunden später fuhren wir mit der Bahn an die Nordseeküste. In Norddeich Mole bestiegen wir die Fähre ... 

  

... und fuhren während einer knappen Stunde nach Norderney, eine der Ostfriesischen Inseln.

Wir hatten schon lange keinen echten Sandstrand mehr gesehen und der überraschende Ausflug hatte das Ziel, diesem Mangel abzuhelfen.
Für uns Binnenländer ist es kaum vorstellbar, welche touristische Bedeutung diese Inseln für die Region  haben. Eine Bevölkerung von rund 6000 Leuten empfängt jedes Jahr mehr als eine halbe Million Besucher!
Weil eine Woche später die Osterferien begannen, war die Insel für diese Zeit bereits ausgebucht. Matz hatte unsere Reise darum etwas vorverlegen müssen und auch so just das letzte Zimmer in unserem Hotel erwischt!
Das warme Wetter war offensichtlich noch immer im Südpazifik zu Hause und so trafen wir bei unserem ersten Rundgang ein Bild, das man treffend als 'gepflegt aber kühl' bezeichnen könnte.

  

Im Restaurant unseres Hotels wärmten wir uns danach äusserlich wie innerlich wieder nachhaltig auf.

Am nächsten Morgen hatte die Sonne den Weg zu uns wieder gefunden und wir wanderten kilometerweit auf dem Sandstrand dem zurückweichenden Wasser entlang. Feineren Sand hatten wir noch nirgends gesehen und mehr Muscheln auch nicht. Und das Licht hatte echt etwas Mystisches.

  

Die Stimmung war überwältigend und wir begannen zu begreifen, welches Paradies den Ostfriesen hier vor den Füssen liegt. Das Kommen und Gehen des Wassers war hier direkt sichtbar und machte das Kommen und Gehen der Zeit spürbar.
Auf halber Strecke führte unser Weg etwas vom Wasser weg, hin zum Gasthaus 'Weisse Düne', wo wir, in tiefen Sesseln versunken, an der wärmenden Sonne hockten und genüsslich unser Dünenbier mit dem sinnigen Namen 'Saukalt' schlürften. Was soll's, wenn es für einmal noch nicht mal Mittag war!

Der Rückweg führte, weit weg vom Wasser, quer durch die Düne, die zu ihrem Schutz nur auf den ausgebauten Wegen betreten werden darf. Sie ist Heimat für zahlreiche Vögel, unzähliges Kleingetier und unendlich viele Kaninchen. Osterhasen bis zum Überdruss!

  

Wie es sich für einen richtigen Kurort gehört, verfügt Norderney über ein Conversationshaus, in dem ein Café, die Bibliothek, Touristeninfo, Lesesaal und auch das Trauzimmer integriert sind. Und es funktioniert wahrhaftig als Begegnungsort.

Mit der Wahl des Hotels Inselloft hatte Matz einmal mehr ein glückliches Händchen gehabt. Von jungen Leuten nach einem ungewöhnlichen Konzept geführt, ist es echter Qualität verpflichtet. Ohne überflüssigen Luxus ist es stilvoll gestaltet, verfügt über eine eigene Bäckerei, ein gutes Restaurant und damit über ein gepflegtes Frühstücksbuffet. Ganz speziell ist das Wohnzimmer, in dem den Gästen nebst vielen Zeitschriften, nach Belieben auch Tee, Kaffee, verschiedenste Getränke und sogar guter Wein aller Couleur zur freien (!) Verfügung stehen. Ein Kaminfeuer rundet das Erlebnis ab. Der Gast soll sich zu Hause fühlen.

  

Gegen Ende des Monats wurde unser Besuch in der Meyer Werft Papenburg fällig. Papenburg liegt von Leer aus gesehen ein gutes Stück bergwärts an der Ems. Eine Werft, die Schiffe dieser Art baut, die würde man normalerweise nicht 50 km im Landesinneren vermuten. Der Grund dafür ist in der langen Geschichte des Betriebes zu finden. Seit über 200 Jahren regelmässig vom Vater zum Sohn weitergegeben, hat sich die Firma immer erfolgreich den Neuerungen der Zeit gestellt und ihre Tätigkeit nach und nach vom Bau kleiner Holzschiffe hin zur Produktion der Riesen der Meere ausgebaut. Dank der fürsorglichen und aufgeschlossenen Einstellung gegenüber ihren Arbeitnehmern konnte sich die Familie die Loyalität ihrer Belegschaft nachhaltig sichern, musste in ihrer langen Geschichte keinen einzigen Streik erleben und erreichte so zuverlässig Spitzenleistungen.

Die Anlage ist riesig und nur im Modell wirklich überschaubar. In ihr kann dank zweier überdeckter Hallen von 370 und 500 m Länge bei einer Breite von über 100 m, unabhängig vom Wetter, gleichzeitig an mindestens zwei Schiffen gearbeitet werden. Die Arbeiten erfolgen nach einem effizienten System modular, was den termingerechten Einbau der Module am richtigen Ort zur geplanten Zeit gewährleistet. Somit entstehen hier zwei dieser Kreuzfahrtschiffe jedes Jahr!

Der Weg der Besucher verläuft ausserhalb der Werkräume auf Emporen und gewährt einen so eindrücklichen Überblick über das Geschehen, ohne den Arbeitsprozess zu stören.

  

Wie es der Anblick der Ovation of the Seas schon ahnen liess, bietet auch die Werft eine ganze Reihe von Superlativen und Weltrekorden:
grösste überdeckte Produktionshallen, grösste flutbare Halle...

Zwei Motoren mit einer Gesamtleistung von 67'200 kW erlauben dem Riesenschiff eine Reisegeschwindigkeit von 22 Knoten.

Die Möglichkeiten in Papenburg sind ausgeschöpft. Grössere Schiffe können hier nicht gebaut werden, weil sie das Meer nicht erreichen könnten. Der Markt verlangt aber stetig nach Schiffen mit noch mehr Kapazität. Darum hatte die Familie vor Jahren in Turku (Finnland) eine konkursite Schiffswerft gekauft und modernisiert. Der jüngste Sohn hat nun die Führung dieser neuen Tochter übernommen, den Turn Around bereits geschafft und wird von dort aus die immer wachsenden Ansprüche der Kreuzfahrtkunden unter dem Namen Meyer erfüllen.

Dem Prospekt kann man die hergestellten Kreuzfahrtschiffe der letzten zwanzig Jahre entnehmen. Die Kunden aus aller Welt sind offenbar zufrieden und bestellen normalerweise von jedem Schiffstyp immer wieder Folgemodelle. Daneben werden weiterhin Tanker, Fährschiffe und ähnliches gebaut.
Die Bestellungsbücher sind übrigens bis ins Jahr 2022 voll!

  

Fast vergessen hätten wir, dass wir auch dieses Jahr Ostern feierten. Nachdem wir Weihnachten in der Vergangenheit eher stiefmütterlich behandeln mussten, wollen wir wenigstens an diesem Brauch festhalten. Das Färben der Eier ist immer ein gemütlicher Anlass. Nur war es diesmal wegen des späten Frühlings echt schwierig, die Kräuter zum Eierfärben zu finden.
Daneben ein Stimmungsbild, das ein lokaler Künstler wahrscheinlich ungewollt zu verantworten hat.

  

Ausgerechnet an Ostern erschien nach einem kurzen, heftigen Gewitter dieser Regenbogen.
Als Kinder hatte man uns immer wieder erzählt, dass an seinem Fuss ein Schatz zu finden sei.
Wie recht sie hatten!

Da an den Toren der Schleuse, die den Hafen von Leer vor den Gezeiten schützt, dieses Jahr Unterhaltsarbeiten ausgeführt werden, bleibt die Ausfahrt bis mindestens zum 10.April gesperrt. Für uns hat das zur Folge, dass wir uns voraussichtlich erst zwischen dem 10. und dem 20. April auf die Weiterreise begeben können.

 

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