Juni 2015 

  

  

Nachdem die Ersatzteile aus England endlich eingetroffen waren, erwies sich die Pumpe selber als recht eigenwillig. Hartnäckig widerstand sie allen unseren Versuchen, sie weiter in ihre Einzelteile zu zerlegen. Im Wissen um die Schwierigkeiten, sollten wir allenfalls weitere Teile in England bestellen müssen, gingen wir natürlich recht vorsichtig ans Werk. Am Ende unserer Weisheit angekommen, wendeten wir uns auf Anraten des Besitzers des Pizzaschiffes an einen in der Nähe wohnenden Holländer. Dieser hatte vor vielen Jahren selber ein historisches Frachtschiff umgebaut, das ebenfalls mit einem alten Motor ausgerüstet gewesen war. Gekonnt und mit dem notwendigen Fingerspitzengefühl überlistete er das englische Pumpwerk innert Sekunden. Hansruedi musste auf einer zweiten Demonstration bestehen, bis auch er den Dreh raus hatte.
Seine Rückfahrt mit dem Velo dauerte zwar nur Minuten, erschien ihm aber viel länger, denn seine Ungeduld, das Werk endlich vollenden zu können, konnte er kaum beherrschen.
Eine halbe Stunde später drehte unser alter Gardner in neuer Frische und mit beruhigendem Ton. Die Bewohner der umliegenden Schiffe, die während den letzten Wochen verständnisvoll unser Bemühen verfolgt und mitgelitten hatten, beglückwünschten uns und teilten mit uns unsere Freude.

Nach zwei weiteren Tagen mit stürmischem Wind und einigen ausgedehnten Probeläufen, kam dann der grosse Moment: Wir machten unsere Mizar klar zum Auslaufen und starteten den Motor.

Da in der Zwischenzeit auch das Liferaft für die Vertigo eingetroffen war (siehe Bericht vom Vormonat), erlebte der Hafen von Nauerna gleich zwei Schiffsbesatzungen, die sich miteinander auf ihre neue Reise begaben. Mochten ihre Ziele auch noch so verschieden sein und buchstäblich Welten auseinander liegen, die Gefühle waren für beide Teams fast identisch. Beide hatten eine ganze Reihe von Problemen zu lösen gehabt und waren nun glücklich, endlich wieder unterwegs zu sein. Ein letztes Winken für den Havenmeester und die zurückbleibenden Nachbarn und wir wendeten unsere Blicke nach vorn, wo wir unter der Hebebrücke hindurch in den Noordzeekanaal einliefen.

Nach der Brücke verabschiedeten wir uns auch von Alejandro und Coco, worauf diese nach Steuerbord und wir nach Backbord abdrehten.

  

Unmittelbar danach begegneten sich erneut zwei ganz verschiedene Schiffswelten. Das AIDA-Kreuzfahrtschiff, das uns schon früher, beim Warten an der Fähre, beeindruckt hatte, überholte uns nun locker Backbord und hunderte von Passagieren schauten aus den verschiedensten Stockwerken auf uns herunter. Beide Seiten versuchten sich vorzustellen, wie es da drüben wohl so zu- und hergeht. Für beide ganz gewiss ein aussichtsloses Unterfangen, denn wie will man sich etwas vorstellen, von dem man keine blasse Ahnung hat?

  

Beim ZijkanaaI G bogen wir nach Norden ab Richtung Zaandam, wo wir direkt vor einem Einkaufszentrum anlegen konnten. Dort mussten wir unsere Vorräte ergänzen, wenn wir in den kommenden Tagen gut leben wollten. Wir meinten, wir hätten es verdient.

Auf der Zaan fuhren wir weiter, an der bekannten Kulisse der Zaanse Schans, berühmt durch ihre Windmühlen, vorbei und legten in Wormerveer an. Von allen Holländern war uns die Zaanse Schans als Sehenswürdigkeit erster Güte beschrieben worden. Wir packten darum unsere Velos und fuhren dorthin zurück.

Wir fanden einen grossen Busparkplatz mit zahlreichten Autocars, denen unzählige Touristen aus aller Welt entstiegen. Das Museum, ein etwas verunglückter Ballenberg, ist eine Ansammlung von mehreren, teilweise sehr schönen Häusern und sechs funktionierenden, grossen Windmühlen. 

 

Während die Mühlen so tun, als würden sie gerade Getreide, Öl, Gewürze oder Farbpigmente mahlen,  sind sie - genau wie alle anderen Häuser - angefüllt mit etwas gar kitschigen Souvenirläden (made in China) oder überteuerten Antiquitätengeschäften.
Trotzdem ist das Ganze sehenswert, insbesondere auch die Häuser auf der anderen Seite der Zaan, die fachgerecht renoviert, eine der begehrtesten Wohnlagen der Gegend darstellen.

   

Im Garten des 'de Hoop op de Swarte Walvis' leisteten wir uns ein gutes Mittagessen und fuhren dann beruhigt und zufrieden mit dem Velo zum Schiff zurück.

Quer durch das Alkmaarder Meer (man bedenke, dass die Holländer einen See Meer nennen, während unser Meer konsequenterweise Zee heisst!) und  durch den Nordholländischen Kanal fuhren wir weiter nach Alkmaar. Einmal mehr konnten wir hier praktisch im Stadtzentrum anlegen und blieben darum eine ganze Woche dort. Wir hatten längsseits am Schiff der Wasserpfadi festgemacht und erlebten so hautnah, mit welcher Energie und wie früh hier der Jugend das Schiffsvirus eingeimpft wird.

Die Stadt ist, wie viele andere, eine Brutstätte der holländischen 'Gezelligheid' und darum angefüllt mit einer Vielzahl von Strassencafés, die bestimmt mehr Bier verkaufen als Kaffee, und mehreren Gelaterias. Eine davon hat, im Bestreben, möglichst alle Kunden zu erreichen, eine Glocke samt Menuekarte an der Kanalwand angebracht, mit deren Hilfe die Schiffe direkt vom Wasser aus das Personal rufen und so das erfrischende Eis bestellen können.

  

An einem Abend wurden wir Zeuge der Aufzeichnung einer Fernsehsendung, die sehr an den Musikantenstadel erinnerte und ...

... so der hiesigen singenden Cervelatprominenz ausgiebig Gelegenheit gab, sich dem Publikum zu präsentieren. Dieses wiederum bedankte sich mit ausgelassenem Winken, Schunkeln und Mitsingen.

     

Im Park, der an der Stelle der alten Stadtmauer entstanden ist, steht eine der typischen Windmühlen. Hier jedoch liegt, entlang des Wegrandes, eine Speiche des Windrades. Wir waren platt ob den Dimensionen und des Gewichtes dieses Teils. Nie hätten wir uns das so gross und derart schwer vorgestellt. Auch das Bild vermag lediglich einen matten Eindruck davon zu geben.

  

Der Höhepunkt der Woche ist jeweils der Käsemarkt am Freitag.

In einer Mischung aus echtem Markt und inszenierter Touristenattraktion wird das Prüfen, Wägen, Verkaufen und Abtransportieren der hier gelben Käselaibe zelebriert. Mit etwas gutem Willen kann man sich sehr gut vorstellen, wie das vor der Handy-Zeit ausgesehen haben mag.

  

Die Grote Kerk ist eine mächtige Basilika mit einer wunderbaren Holzdecke und einem furchterregenden Deckengemälde des Jüngsten Gerichtes an der Chordecke. Beide aus dem frühen 15. Jahrhundert. Pracht und Angst, wie sie bis heute den Ton angeben.
Dazu passen die zwei Orgeln, welche beide mit Superlativen aufwarten können. Während eines öffentlichen Konzertes wurden sie durch einen jungen Künstler vorgestellt und wir genossen diese Stunde der Besinnlichkeit in der sonst so geschäftigen Welt. Angeblich ist die kleinere Orgel (rechts) die älteste funktionierende Orgel Europas, während die grössere (links) zumindest die grösste von Holland ist.

  

Nach einer erlebnisreichen Woche fuhren wir durch den Kanaal Omval-Kolhorn weiter nordwärts, denn wir wollten ja nach Friesland. Nach einer Übernachtung bei Kolhorn fuhren wir durch die Westfriese Sluis in die Westfriesche Vaart ein. Bisher hatten die Schleusen in Holland zumeist Höhenunterschiede von weniger als einem Meter überwunden und so wurden wir durch den beeindruckenden Hub dieser Schleuse von 4.5 m überrascht und sehr an Frankreich erinnert.

Am Ende der Westfriesischen Fahrt liegt das Städtchen Medemblik und hält den Hafen zum Ijsselmeer.
Das Ijsselmeer ist Tummelplatz unzähliger Segel-Tjalks in allen Grössen, welche zur Freude von Einheimischen und Touristen die alte Tradition des Tjalksegelns weiterpflegen.

  

Die Ausfahrt auf das Ijsselmeer war ein besonderes Erlebnis, stellte es doch für uns die bislang grösste offene Wasserfläche dar, die wir mit unserem eigenen Schiff befahren haben. Entsprechend vorsichtig wählten wir einen Tag mit günstigem Wetter, denn wir beurteilten weder Schiff noch Besatzung als wirklich sturmtauglich.

Die Überfahrt war ruhig und ereignislos, aber trotzdem eindrücklich. In Stavoren erreichten wir wohlbehalten die friesische Küste.

  

Damit waren wir endlich in Friesland angelangt und hatten so, mit einiger Verspätung zwar, das erste Ziel dieser Saison erreicht.

  

Wir fanden eine beeindruckende Landschaft vor, die zu fast gleichen Teilen aus Wasser und Land besteht.
Obschon ein guter Teil des Landes dem Meer abgerungen worden ist und ein ausgeklügeltes Wassermanagement ständig dafür sorgen muss, dass sich das Meer das Land nicht zurückholt, ist der Blick über weite Flächen von grünem Land und Wasser überwältigend. Trotz der Tatsache, dass das Land ganz klar unter menschlicher Kontrolle steht, ist es doch sehr naturnah und bietet vielfältigen Lebensraum für Pflanzen und Tiere und - vor allem - für Vögel!

Die ersten paar Tage verbrachten wir weit abseits jeder menschlichen Behausung an einem einsamen Steg in der Grutte Gastmaar und genossen die Ruhe und Abgeschiedenheit im Komfort unserer 'neuen' alten Mizar.

Was uns dabei von den allgegenwärtigen Seglern unterscheidet: wir hätten es gerne mit etwas weniger Wind gehabt!

Nach ein paar Tagen fuhren wir weiter nach Woudsend, was nichts anderes als 'Waldrand' bedeutet, obschon wir beim besten Willen nirgends Wald ausmachen konnten.
Wir hatten auf der stadtabgelegenen Seite des Kanals angelegt und so kam für uns der grosse Moment, an dem wir zum ersten Mal unser Beiboot flottmachen mussten, das wir letztes Jahr in Belgien gekauft hatten. Damit fuhren wir nun mit Muskelkraft zum Einkaufen, zum Feierabendbier und zum Flanieren.

      

So lernten wir auch vierbeinige Holländer kennen, die uns viel Spannendes zu erzählen hatten.

Nach drei Tagen ging es weiter über das Slotermeer nach Sloten, der kleinsten Stadt Frieslands. Diese Stadt, an der Kreuzung eines Kanals von Nord nach Süd und einer Strasse von West nach Ost gelegen, wurde im Grundriss als Quadrat angelegt, so, dass die beiden Verkehrs-Achsen mit seinen Diagonalen zusammenfallen. Um das Ganze herum wurde eine wehrhafte Stadtmauer gebaut, die für das kleine Städtchen fast ein bisschen übertrieben wirkt.

Schon am ersten Tag wurden wir Zeuge einer besonderen Bauernparade, einer Demonstration von Stolz und Freude, wo der Milchpreis und der Ertrag der Kartoffelernte für einmal bestimmt ganz am unteren Ende der Traktandenliste standen.

     

Die Ausfahrt aus Sloten zeigt, dass die Stadtmauern mit gutem Grund um ein heimeliges Städtchen erbaut worden waren.

  

Am Ende der letzten Etappe des Monats lag die Stadt Lemmer, die, wie Stavoren, Ort unserer ersten Begegnung mit Friesland, ebenfalls an der Küste zum Ijsselmeer liegt. Hier wurden wir auf eindrückliche Weise mit der lebenswichtigen Aufgabe des holländischen Volkes konfrontiert, sich ohne Unterlass und mit grossem Aufwand dem Erhalt ihrer Lebensgrundlage zu widmen.
Wir besuchten das Woudastoomgemaal, das grösste, noch arbeitende Pumpwerk der Welt, das mit Dampf betrieben wird.
Zwei grosse Pumpwerke (das zweite liegt in Stavoren und wird elektrisch betrieben ) sorgen heute dafür, dass die Friesländer zumeist trockene Füsse behalten und ihnen dennoch immer genügend sauberes Wasser zur Verfügung steht. Rund tausend kleinere Pumpwerke, deren Vorläufer als 'Windmühlen' das Postkartenbild Hollands geprägt hatten, leisten dabei die ebenso wichtige Feinarbeit.

Es ist ja allgemein bekannt, dass ein guter Teil von Holland unter dem Meeresspiegel liegt. Diese Gebiete wurden gewonnen, indem man an geeigneten Stellen Deiche (Dämme) aufschüttete, mit denen das Wasser ausgesperrt wurde, wenn das Meer sich bei Ebbe zurückgezogen hatte. Auf diese Art gewonnenes Land wird Polder genannt. Das Wasser, das vom Himmel kommt und solches, das bei Sturm über die Dämme schwappt oder unter diesen durchkriecht, das muss allerdings seither ständig mit Pumpwerken zurück ins Meer gepumpt werden.

Genau das ist die Aufgabe des Pumpwerks Wouda, das nach seinem Erbauer benannt worden war und heute zum UNESCO-Weltkulturerbe gezählt wird. Und es tut das so effizient, dass es ein Olympia-Schwimmbecken (50x25x2 m) in 35 Sekunden leer pumpen könnte! Bis 1967 wurde mit Schiffen Steinkohle zum Einheizen der Öfen bis vor die Tore gebracht, dann wurde das Werk auf die Beheizung mit Schweröl umgestellt.

Da das Pumpwerk in Stavoren bedeutend leistungsfähiger ist, wird das Wouda-Werk nur noch bei Bedarf zugeschaltet Es braucht 8 Stunden Vorheizzeit, bis genügend Dampfdruck für die drei Dampfmaschinen bereitsteht, von denen dann jede wiederum zwei Pumpen antreibt. Trotzdem werden die schweren Maschinen liebevoll gepflegt, dass sie stets wie neu aussehen. Die Belegschaft wird zwei Mal im Jahr für alle möglichen Notfälle trainiert.

     

Wie wir es uns schon fast gewohnt sind, werden auch in Lemmer viele Leute durch das Wasser magisch angezogen. Nicht nur ist die Stadt Heimathafen unzähliger Schiffe der verschiedensten Formen und Grössen, sie verlockt auch entlang ihrer Kanäle scharenweise Touristen und Einheimische zum Genuss der vielfältigen Produkte aus Küche und Keller. Die Freude, mit der alle Leute dabei als Zuschauer und Sachverständige den Betrieb auf dem Wasser verfolgen, ist wohl die tiefere Lebenskraft solcher Städte.

  

Monat Juni '15:
- 27 h 10'
- 7 Schleusen
- 15 bewegliche Brücken
- 144 km

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