Oktober 2014 

 Die ersten zwei Oktoberwochen wollten sich nicht lumpen lassen, es dem Vormonat gleichtun und brachten darum fast ausschliesslich sonnige und warme Tage. Uns hielt die Detailarbeit allerdings weitgehend im Inneren unserer Mizar und so bekamen wir vom prächtigen Altweibersommer jeweils lediglich die Morgenstunden und die frühen Abende wirklich mit, während wir den Tag im Schiff verbrachten und kratzten, schabten und schruppten.

Nachdem die Eisenbahnschienen endlich gegen den Rand hin verschoben worden waren, konnten wir den Schiffsboden auch in der Mitte behandeln. Schicht für Schicht arbeiteten wir uns so in der (den) Geschichte(-n) unseres Schiffes zurück, wobei jedes Fundstück uns von Ereignissen aus dessen bewegter Vergangenheit berichtete. Einige verstanden wir, viele blieben rätselhaft. Schiffsarchäologie eben.

  

Schlussendlich war alles ausgeräumt was nicht wirklich zum Schiff gehörte und wir waren mit dem Ergebnis zufrieden.

     

Wir waren derart zufrieden, dass wir uns selber mit dem Besuch einer Vorstellung der Jubiläumstournee der Trockaderos von Monte Carlo in der Schouwburg Amstelveen belohnten. Diese äusserst gekonnte Mischung von Parodie und Ballet auf hoher Stufe, ausgeführt von der international bekannten Gruppe männlicher Tänzer, beeindruckte durch die makellose tänzerische Leistung, wobei deren etwas ungewohnte Erscheinung sich durch feine ironische Pointen immer wieder selber hinterfragte. Ein toller Abend, der uns auch durch seine grosszügige Gestaltung mit Häppchen und Champagner überraschte. Erstaunlicherweise war dies alles im normalen Eintrittspreis inbegriffen. Dafür muss man offensichtlich nach Holland kommen.


Nach dem Vergnügen ging es allerdings rasch wieder an die Arbeit. Denn endlich waren wir nun bereit, die Reparaturarbeiten  anzugehen, die eigentlich im letzten August auf der Helling in Zelzate hätten geleistet werden sollen.
Da Schweissarbeiten an der Aussenschale des Schiffes wegen der enormen Hitze, die dabei entsteht, im Innern ein erhebliches Brandrisiko mit sich bringen, sah sich die Werft dort nicht in der Lage, diese fachgerecht auszuführen. Bei unserem Schiff war damals die Schale von der Innenseite her über grosse Bereiche nicht zugänglich, darum erachtete man die Feuergefahr als zu gross.
Dieses Hindernis war jetzt ganz sicher aus dem Weg geräumt!

Mit dem leeren Schiff fuhren wir jetzt also auf dem Nordseekanal ein paar Kilometer Richtung Amsterdam, bogen bei Zaandam in den Zijkanaal ein und steuerten den Quai der Schiffswerft Vooruit an.

  

An einer etwas heruntergekommenen Wohnaark, die sonst mitten in Amsterdam, gleich vor der Oper liegt und dort für gutes Geld B+B Gäste empfängt, legten wir an. Weil in der Werft oft mit schwerem Gerät gearbeitet wird, mussten wir gleich zu Beginn unseres Aufenthaltes ein Formular unterschreiben, auf dem die Verhaltensregeln für all jene festgehalten sind, die sich auf dem Betriebsgelände bewegen.
Von nun an war darum für uns Helmpflicht angesagt.

Der Platz im Dock, den wir reserviert hatten, war zunächst noch besetzt. Wir mussten also zwei Tage warten, bis die Reihe an uns war. Eine Verspätung, die schon bald zu Terminengpässen führen sollte. Langeweile kam deswegen aber keine auf, denn es gab genügend zu sehen. Die Firma betreibt drei grosse Schwimmdocks und eine Helling und ist in der Lage, auch grosse Schiffe zu empfangen. An Arbeit mangelt es hier ganz offensichtlich nicht.

  

Ein Schwimmdock ist ein riesiger U-förmiger Kasten, der auf seinem Boden mit verschiebbaren Böcken versehen ist. Wenn seine Wände mit Wasser gefüllt werden, sinkt er durch sein Gewicht ab. Dann kann ein Schiff von der Schmalseite her einfahren und wird mit Tauen in der Mitte zentriert. Mit Pressluft wird dann das Wasser aus den Wänden verdrängt, bis der Kasten wieder aufschwimmt. Dabei wird das vorher festgemachte Schiff mitgenommen, liegt auf den Böcken auf und wird so aus dem Wasser gehoben.

  

Bei unserer Einfahrt erlebten wir so bereits die dritte Art, wie ein grösseres Schiff aus dem Wasser gehoben wird. Beim Kauf der Mizar wurde diese in Saint-Jean-de-Losne in einem Trockendock trocken gelegt, in Zelzate mittels der Helling ans Trockene gezogen und nun fuhren wir also in ein Schwimmdock ein.

Die Luftventile wurden geöffnet, der Kasten hob sich langsam ...

... bis alles Wasser aus seinem Innern herausgepresst worden war.
Wie man sieht, hätte der Platz auch für ein weit grösseres Schiff gereicht.

Das Ganze verlief äusserst ruhig und vollkommen unspektakulär. Was für uns einer Premiere gleichkam, war für die Werftangestellten offensichtlich Routine.

Einmal mehr stand so unser Schiff ausserhalb des Wassers an der Sonne.

Nun machten wir uns daran, die Reparaturen, welche der Experte im letzten Jahr gefordert hatte, genau zu bezeichnen, damit sie von den Fachleuten hier ausgeführt werden konnten. Zumeist ging es darum, Nietenköpfe, die während ihrer Lebensdauer von fast neunzig Jahren zu stark gelitten hatten, von aussen aufzuschweissen. Dabei halfen uns die (Wachs-)Kreidemarken, die während der Prüfung im letzten Jahr angebracht worden waren. Zu unserem Erstaunen waren diese noch immer gut sichtbar.

  

Auf dem Rücken liegend verrichtete der Schweisser seine oft mühsame Arbeit an den Nietenköpfen, während an anderen Stellen Stahlblechstücke geformt und aufgeschweisst werden mussten.

  

Dass dabei auch das Erkennungszeichen eines echten Luxmotors gelitten hatte, konnten wir natürlich nicht hinnehmen. Mit vereinten Kräften leisteten wir darum hier unseren Beitrag zur Renovation.

Wenn aussen geschweisst wurde, sah das auf der Innenseite so aus!

  

Noch viel spektakulärer wirkte allerdings der Ausbau der beiden alten Wassertanks. Dazu mussten diese zuerst in handliche Stücke zerlegt werden.
Ein eindrückliches Beispiel von 'men at work'!

Weil das Schwimmdock für die Inspektion anderer Schiffe dringend gebraucht wurde, mussten wir dieses vorzeitig freigeben und die Mizar wurde für ihren schwarzen Farbanstrich auf der Helling erneut ans Trockene gezogen. Etwas ärgerlich, doch hatte das zumindest den Vorteil, dass die Farbe 'unter Dach' aufgespritzt werden konnte. Inzwischen hatte ja die 'Regenzeit' eingesetzt.

Zwei Tage später wurde das Schiff wieder zu Wasser gelassen und wir stellten uns die bange Frage, ob alle geleisteten Arbeiten tatsächlich ihren Zweck erfüllt hatten.

  

Dabei zeigte sich aber rasch, dass zwei der kritischen Nieten ausgerechnet an einer Stelle gelegen hatten, die durch einen der Böcke abgedeckt worden war. Sie waren so ihrer dringend notwendigen Behandlung entgangen.
Nach kurzer Lagebeurteilung wurde der Bug der Mizar auf der Helling nochmals etwas hochgezogen und der Schweisser versorgte die beiden Drückeberger mit einem besonders grossen Kopf für ein weiteres, hoffentlich langes Leben. Ohne mit der Wimper zu zucken, nahm er dafür auch eine recht ungemütliche und feuchte Arbeitsposition in Kauf. So war der Mangel rasch behoben.

Unser Mann der Stunde, der eine ganze Woche für uns gearbeitet hatte: Jack. Vielen Dank!

Während der letzten Tage des Monats bekamen wir Besuch aus der Heimat: Andrea, eine Freundin und Berufskollegin von Matz, die schon zweimal  in Frankreich mit uns unterwegs gewesen war, beehrte uns hier auch in deutlich weniger romantischer Umgebung. Für uns war dieser Besuch gerade deshalb Bereicherung und Aufmunterung zugleich, was wir sehr gerne entgegen nahmen.

Andrea kam auch genau zur rechten Zeit, dass wir gemeinsam unsere Mizar von der Schiffswerft nach Nauerna zurück fahren konnten. Dort wird diese in den nächsten Monaten nach und nach ihren neuen Innenausbau bekommen.
Uns wird auch in dieser Zeit die Arbeit nicht ausgehen.

Jahrestotal:
- 165 h 15'
- 80 Schleusen
- 97 Hebe-/Drehbrücken
- 1001 km

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