Juli 2014 

  

Die paar Tage in Gent am Ende des letzten Monats hatten uns fast etwas sesshaft werden lassen. Immerhin bewegten wir uns mittlerweile in den verschiedenen Strassenbeizen so gut wie Einheimische und wir hatten sogar einen 'alten' Freund besuchen können (den Georges, den wir im letzten August auf der Helling in Zelzate kennen gelernt hatten und der mitten in der Stadt auf seinem Schiff lebt).
 
Wegen diesem ungewohnten Gefühl haben wir den weisen Spruch, der uns erst etwas später, bei unserer Einfahrt in Gouda, von einer Hausfassade entgegen leuchtete, sofort als Motto des Monats ausgewählt:

Reisende sind wir in dieser Welt, nicht Bewohner

Es war also echtes Abschiedsnehmen, als wir Anfang Juli über Merelbeke zur Boven Zeeschelde fuhren, die, auch das wussten wir bereits vom letzten Jahr, ein ausgeprägtes Gezeitengewässer ist. Wir waren darum diesmal deutlich weniger aufgeregt, erwischten den Zeitpunkt wieder richtig und konnten so mit dem ablaufenden Wasser und entsprechend hoher Geschwindigkeit bequem nach Dendermonde fahren. Anderen Binnenländern mag es, wie uns auch, etwas eigenartig erscheinen, dass sich der Pegel des Flusses innert sechs Stunden derart ändert, ohne dass dazu auch nur ein einziger Tropfen Regen fallen muss! Der Pegel lässt sich am Massstab beim Brückenpfeiler ablesen. Gezeiten also, obschon weit und breit kein Meer zu sehen ist.

  

Die starke Strömung bringt auch einiges wieder den Fluss 'hinauf', das vor nicht allzu langer Zeit hinunter geschwemmt worden war.

Am nächsten Tag fuhren wir zur Schleuse Wintam, durch die wir in den Zeekanal Brüssel-Schelde einbogen. Vor der Schleuse von Klein Willebroek mussten wir warten, bis die Gezeiten die Weiterreise die Rupel hinauf erlaubten, welche wiederum dem Wechsel von Ebbe und Flut unterworfen ist.
Weil am späten Abend der Schleusenwärter uns berichtete, dass die Hebebrücke vor der Schleuse defekt sei und wir darum nicht wie vorgesehen um 06.30 weiterfahren könnten, richteten wir uns für eine etwas längere Nacht ein. Als dann am nächsten Morgen die Brücke trotzdem rechtzeitig bereit war und das durch ungeduldiges Läuten auch deutlich kund tat, lernte Matz blitzartiges Aufstehen kennen, was ihr, wegen fehlender Rekrutenschule, bislang unbekannt war.

  

Vielleicht war die prächtige Morgenstimmung dann fast eine Beleidigung für die noch schlaftrunkenen Augen (oder umgekehrt!).

 Etwas weiter oben, beim Zusammenfluss von Rupel und Nete, folgten wir dieser, bis sie nach der Schleuse Duffel in den Netekanal übergeht. Unterhalb der Schleuse erfordert dieser wechselhafte Fluss gebührende Aufmerksamkeit, da er bei Niedrigwasser zu seicht ist, andererseits wegen starker Strömung während des Tidenwechsels durch einige enggestellte Brückenpfeiler dem zu arglosen Binnenschiffer nicht unerhebliche Tücken entgegenhält.

Unterwegs bemerkten wir wieder einmal einen blinden Passagier (woher der auch immer gekommen sein mag), den Matz später an geeigneter Stelle wieder der Natur übergab.

Etwa 15 km später gelangten wir in den Albertkanal und mit diesem Richtung Osten zur Schleuse Herentals und in den Kanal Bocholt-Herentals.
Unterhalb dieser Schleuse hatten wir uns mit Theo verabredet, der sich vorgängig bei verschiedenen Begegnungen und Experimenten mit der Binnenschifffahrt mit dem entsprechenden Virus infiziert hatte. Der Krankheit bereits ein gutes Stück verfallen, hatte er den weiten Weg von der Schweiz zu uns auf sich genommen, in der wohl vergeblichen Hoffnung, während ein paar Tagen bei uns auf dem Schiff Linderung zu finden.

Der Wettergott wollte wohl das Seinige beitragen und öffnete pünktlich zur Ankunft des Zuges, mit dem Theo aus Brüssel angereist war, die Schleusen und liess es von diesem Moment bis zur Abreise unseres Gastes fast pausenlos giessen wie aus Kübeln.
Dem Süchtigen konnte das nichts antun!

Es brauchte nur einige Hinweise aus geübter Quelle und ...

... Theo führte das Schiff sicher durch Wind und Regen, unter Brücken und durch Schleusen, über die Holländische Grenze, durch die Zuid-Willemsvaart bis ins hübsche Städtchen Weert.

  

Am nächsten Morgen bestieg Theo dort den Zug und reiste scheinbar zufrieden über Amsterdam in die Schweiz zurück.
Trotzdem, wir denken, endgültige Heilung schaut anders aus und ein Rückfall ist daher nicht ganz auszuschliessen.

Dass bereits am Nachmittag Weert wieder im schönsten Sonnenschein erstrahlte, gehörte nun fast zum Programm.

Während den nächsten Tagen fuhren wir weiter durch die Zuid-Willemsvaart nach s'Hertogenbosch und von dort auf der Maas zur Festungsstadt Heusden. Dieses kleine Städtchen, etwas abseits der Maas gelegen, erreichten wir über einen kleinen Seitenarm und fanden Platz in einem komfortablen kleinen Hafen. Die Stadtoberen hatten in den letzten Jahren offensichtlich den touristischen Wert ihrer Heimat erkannt und mit grossem Aufwand die vollständig erhaltene Stadtbefestigung, die drei klassischen Windmühlen, den zentralen Stadthafen und viele Gebäude und Plätze gekonnt saniert. Unverzüglich ist Leben zurückgekehrt in die Stadt, Traditionen werden erneut gepflegt, Kunst- und Gastgewerbe blühten auf. Zahlreiche Besucher aus der ganzen Welt erfreuen sich an der kleinen Perle.

Warum hätten wir da zurückstehen sollen?

Heusden ist durch die Afgedamde Maas mit der Waal verbunden, einem der Rheinarme, in denen das Wasser des Rheins durch Holland in die Nordsee fliesst. Beim Überqueren dieses riesigen Stroms erfüllte uns das Bewusstsein mit Stolz, das sein Ursprung schliesslich in der kleinen Schweiz liegt. Trotzdem fuhren wir mit Respekt durch den dichten Verkehr von Schiffen aller Grössenordnungen.

Nach  kurzer Zeit verliessen wir diese Hauptschlagader wieder und bogen gegen Norden in den Merwedekanal ein. Ganz am Anfang führt dieser durch Gorinchem. Erneut landeten wir so in einer lebhaften und ansprechenden Stadt. Auf dem Hauptplatz schlossen wir uns der riesigen Anzahl Leute an, welche ausgiebig die holländischen Sitte des 'Borrel' pflegten. Bei uns würde man sagen: ein Bier mit etwas zum Beissen. Allein, hier wird viel mehr geplaudert dazu.

Während unserer Weiterfahrt auf dem Merwedekanal überquerten wir bei Vianen auch die Lek und damit den zweiten grossen Rheinarm. Kurz vor Utrecht gelangten wir so in die Hollandsche Ijssel ...

  

 ... welche uns Richtung Westen und so (fast) direkt nach Gouda führte.
Denn, vor Gouda hatte Gott die Waaierschutsluis gebaut, die aus der kanalisierten wiederum in die Gezeiten-Ijssel führt. Die Schleuse, legal maximal für 24.5 Meter zugelassen (was allerdings aus den Wasserkarten nicht ersichtlich ist), hätte uns fast zum Umkehren gezwungen. Ein äusserst kooperativer Schleusenwärter, der bereit war, alle Tricks seines Berufes anzuwenden, indem er die Tore einzeln öffnete und schloss, während wir diskret den überstehenden halben Meter diagonal 'versorgten', erlaubte es uns dann dennoch, unsere Reise fortzusetzen. Uff!

 Die Stadt Gouda, berühmt durch ihren Käse und reich geworden durch den Handel damit, ist voller Sehenswürdigkeiten. Das Stadthaus, das Käsemuseum, der Museumshafen, die längste Kirche von Holland (123 m) mit unzähligen prächtigen Glasfenstern, grösstenteils aus dem 16. Jahrhundert, war auch die Heimat, des berühmten Erasmus, der unser Monatsmotto geschaffen und es schlussendlich in seinem langen Leben sogar bis nach Basel gebracht hatte, wo er heute noch liegt.

  

Wenn nur Hansruedi, vor lauter Umeluege nicht vor ein superschnelles holländisches Fiets (Velo) geraten  und von diesem unsanft über der Haufen gefahren worden wäre. Ein paar Knochen hatten zwar weh getan, aber der Blutverlust hielt sich in engen Grenzen.
Darum sind wir am nächsten Tag weitergefahren nach Alphen an den Rijn und benutzten dort unseren 'Bonus' als 'Groote Schip', indem wir an der Kade für die Berufsschifffahrt anlegten. Entsprechend waren denn auch unsere Nachbarn.

Weil die Knochen immer noch schmerzten, fuhren wir (mit dem Fiets) ins nahegelegene Spital, das aber wegen der Sommerferien geschlossen (!) war und so kein Röntgenbild angefertigt werden konnte. Mit dem Taxi fuhren wir darum ins Ziekenhuis (nomen est omen) Rijnland in Leiderdorp, wo ein entsprechendes Bild Anlass zu einem entsprechenden Gipsverband gab.

Von da an wurde das Schifferleben etwas komplizierter und die Aufgaben für Matz noch etwas vielfältiger. 'Einhandsegeln' meint wohl etwas anderes.
Wir fuhren darum zum Braassemermeer, legten dort an der Aussenkade des lokalen Hafens an, lagerten die Füsse hoch, liessen unsere Augen über die weite Wasserfläche schweifen und machten ...

 

... erst mal ein paar Tage Ferien!

Wie es sich für Ferien so gehört, begann es bald danach zu regnen und der Niederschlag steigerte und steigerte sich, bis die entsprechenden Ausdrücke unanständig werden. Selbst in der Schweiz wird man das entsprechende Tiefdruckgebiet nicht so schnell vergessen.

Ein kurzer Besuch von Bruce, mit dem zusammen wir im letzten Februar vor der Insel Kri in West Papua unsere schönsten Taucherlebnisse hatten, weckte bunte Erinnerungen, denen auch die Nässe nicht anhaben konnte. Bruce lebt in Haarlem, wir werden ihn bestimmt dort wieder treffen.

Am letzten Tag erlebten wir noch eine weitere freudige Überraschung. Der per email verbreitete Monatsbericht von Marie-Odile und Michel, die mit ihrer Aquamarijn seit Jahren unterwegs sind, gab Anlass zur Vermutung, dass sie sich eventuell ganz in unserer Nähe aufhalten könnten. Die Vermutung war kaum ausgesprochen, als das Schiff vor unserer Nase vorbei fuhr. Ein Aufruf per Funk genügte, ihre Fahrt zu stoppen. Wir hatten unsere Freunde aus Frankreich mehrmals in ihrer Heimat getroffen, aber jetzt seit Jahren nicht mehr gesehen. Wir hatten uns so viel zu berichten, dass eigentlich viel mehr Zeit vonnöten gewesen wäre.
Danke für den Blitzbesuch!

Auch Michel 'schoss' bei der Abfahrt noch zwei Bilder, die er uns dann schickte:

  

Am nächsten Tag fuhren wir das letzte Stück unserer Reise über die Ringvaart van de Haarlemmemermeerpolder bis Haarlem.
Der heftige Verkehr bei unserer Einfahrt in die Stadt liess uns um einen geeigneten Liegeplatz fürchten. Doch wir hatten wieder einmal Glück ...

... und fanden das letzte Plätzchen auf der Spaarne vor der Catharijnebrug. Wieder einmal:
mitten in der Stadt. Den Platz buchten wir gleich für eine Woche.
Hier beginnt wohl ein  längeres Kapitel, das uns während der nächsten Monate beschäftigen wird. Wir beabsichtigen, unsere Mizar in dieser Gegend etwas weiter auszubauen.

Dieser Monat führte uns über die verschiedensten Kanäle, unter unzähligen Brücken durch, vorbei an den unterschiedlichsten Landschaften und in so viele Städte, dass es uns nicht immer gelingen will, sie zweifelsfrei auseinander zu halten. Dies half uns, die teilweise niederschmetternden Eindrücke des letzten Monats etwas hinter uns zu lassen und unseren Blick, gemäss unserem Monatsmotto, eher nach vorne zu richten.

Monat Juli '14:
- 65 h 05
- 34 Schleusen
- 57 bewegliche Brücken
- 380 km

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